BT-Drucksache 18/5228

Umgang mit Atommüll - Defizite des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms beheben und Konsequenzen aus dem Atommülldesaster ziehen

Vom 17. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5228
18. Wahlperiode 17.06.2015

Antrag
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Roland Claus,
Kerstin Kassner, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine
Lötzsch, Thomas Lutze, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Umgang mit Atommüll – Defizite des Entwurfs des
Nationalen Entsorgungsprogramms beheben und Konsequenzen
aus dem Atommülldesaster ziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die EU-Richtlinie 2011/70/EURATOM verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union, bis zum 23. August 2015 eine Bestandsaufnahme der abgebrannten
Brennelemente und radioaktiven Abfälle durchzuführen und ein Nationales Entsor-
gungsprogramm (NaPro) der EU-Kommission vorzulegen. Dieses Entsorgungspro-
gramm hat laut Bundesumweltministerium keine Rechtsnormqualität, ist aber bei allen
Entsorgungsplanungen und Verwaltungsverfahren von den Akteuren im Bereich der
Entsorgung zu berücksichtigen. Die Bundesregierung hat ihren Entwurf für das Nati-
onale Entsorgungsprogramm am 6. Januar 2015 vorgelegt. Die Rechtsgrundlagen da-
für werden allerdings erst mit der 14. Novelle des Atomgesetzes im deutschen Recht
verankert werden, wenn das Programm bereits bei der EU-Kommission eingereicht
sein wird.

Das Bundesumweltministerium hat am 1. April 2015 – ohne Vorankündigung und mit-
ten in den Osterferien – die Beteiligung der Öffentlichkeit zum Nationalen Entsor-
gungsprogramm für Atommüll gestartet. Eine aktive Information der Öffentlichkeit
durch die Bundesregierung über Existenz und Inhalt des Nationalen Entsorgungspro-
gramms fand nicht statt. Die Öffentlichkeit wurde lediglich mit einer Presseerklärung
über den Beginn des Beteiligungsprozesses informiert. Auf der Webseite des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit wurde der Hinweis
auf die Öffentlichkeitsbeteiligung auf Unterseiten versteckt. Ein solches Vorgehen ist
mit einer ernstgemeinten Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an einem Konsul-
tationsprozess über ein „Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsor-
gung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle“ nicht vereinbar.

Im Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms werden erstmals die radioaktiven
Abfälle aus der ASSE II und die uranhaltigen Reststoffe aus der Anreichung in Gronau
angeführt, die zu einer Verdoppelung der bisherigen radioaktiven Abfallmengen füh-
ren könnten. Die künftige dauerhafte Lagerung dieser leicht- und mittelradioaktiven
Abfälle soll gemäß dem Entwurf entweder zu einem späteren Zeitpunkt nach der ge-
planten Inbetriebnahme im Schacht Konrad erfolgen oder gemeinsam mit dem noch

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zu findenden dauerhaften Lager für hochradioaktive Abfälle. Die grundlegenden Si-
cherheitsberechnungen für den Schacht KONRAD stammen aus den 1980er Jahren.
Sie entsprechen in keiner Weise mehr dem heutigen Stand von Wissenschaft und Tech-
nik. Eine Inbetriebnahme eines Atommülllagers auf einem dreißig Jahre alten Sicher-
heitsniveau widerspricht einer „verantwortungsvollen und sicheren Entsorgung“ radi-
oaktiver Abfälle. Ausdrücklich wird dies unter den Vorbehalt der Befassung durch die
„Endlager“-Kommission gestellt und damit deren Auftrag faktisch erweitert.

Die vorhandenen Probleme und ungelösten Fragen im Umgang mit den radioaktiven
Abfällen werden im Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms weitgehend aus-
geblendet. Bestehende Probleme mit leckenden Atommüllfässern kommen ebenso we-
nig vor wie Brennelementezwischenlager ohne Genehmigung. Im Zusammenhang mit
dem Atommülllager Morsleben wird von einem langfristig sicheren Verschluss ge-
sprochen, ohne zu erwähnen, dass es dem Bundesamt für Strahlenschutz seit Jahren
nicht gelingt, den Nachweis zu führen, dass dies überhaupt möglich ist.

Bisher wird im NaPro keine Abwägung verschiedener Konzepte und Alternativen
beim Umgang mit den radioaktiven Abfällen durchgeführt. Die zeitlichen Prognosen
des Nationalen Entsorgungsprogramms für die Errichtung eines Abfalllagers für hoch-
radioaktive Abfälle sind unrealistisch, das zeigen auch die bisherigen Diskussionen in
der so genannten „Endlager“-Kommission des Deutschen Bundestages. Auf die befris-
teten Genehmigungen für die zentralen Zwischenlager in Gorleben (2034) und Ahaus
(2036) – und welche Konsequenzen diese Befristungen nach sich ziehen – geht das
Programm gar nicht ein. Es werden gewünschte Wege und Ziele benannt, ohne die
Teilschritte und die zu überwindenden Hürden zu problematisieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine Überarbeitung des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms zu er-
stellen, die den gesamten vorhandenen und künftig anfallenden Atommüll einbe-
zieht und die vorhandenen Probleme beschreibt. Dem Schutz vor radioaktiver
Strahlung muss dabei oberste Priorität eingeräumt werden;

2. das Umdefinieren radioaktiver Abfälle in konventionelle Abfälle und ihre unkon-
trollierte Verbreitung durch eine großzügige Freigaberegelung zu beenden.
Ebenso müssen die radioaktiven Abfälle aus den laufenden und zukünftigen Ak-
tivitäten der SDAG Wismut (ehemaliger Uranbergbau) sowie die Abfälle aus der
Urananreicherung als radioaktive Abfälle im Sinne des Atomgesetzes behandelt
werden;

3. Konsequenzen aus dem Entzug der Betriebsgenehmigung für das Standortzwi-
schenlager Brunsbüttel für alle Zwischenlager zu ziehen und diese sicherheitstech-
nisch zu ertüchtigen, so dass sie gegen Terrorangriffe (panzerbrechende Waffen,
(gezielter) Flugzeugabsturz) gesichert sind. Darüber hinaus sollen ohne sicher-
heitstechnische Ertüchtigungen und den Einbau von Heißen Zellen keine Geneh-
migungen von Zwischenlagern verlängert werden;

4. einen konsistenten Zeitplan für die Lagerung der abgebrannten Brennelemente
und Abfälle aus der Wiederaufarbeitung zu erstellen, der die Genehmigungssitua-
tion in den Zwischenlagern, die Befristung der Aufbewahrungsgenehmigungen,
eine realistische Abschätzung für die Realisierung eines längerfristigen Verwahr-
konzeptes, gegebenenfalls die Errichtung eines zentralen Zwischenlagers sowie
die Dauer der Umlagerung in ein solches Zwischenlager berücksichtigt;

5. das im Nationalen Entsorgungsprogramm beschriebene „Eingangslager“ für hoch-
radioaktive Abfälle am Standort des zu findenden „Endlagers“ nicht mit der ersten
Teilerrichtungsgenehmigung, sondern erst nach einer endgültigen Genehmigung

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eines „Endlagers“ errichten zu lassen. Seine Dimensionierung als zentrales Zwi-
schenlager mit bis zu 500 Castor-Behältern für abgebrannte Brennelemente und
Wiederaufarbeitungsabfälle bedarf einer Alternativenabwägung;

6. einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der ein eindeutiges Verbot jeglichen Exports
abgebrannter Brennelemente aus Leistungsreaktoren, auch solchen zu Versuchs-
und Demonstrationszwecken, vorsieht. Anderslautende bilaterale Verträge sind
unverzüglich außer Kraft zu setzen;

7. das ohne Alternativenvergleich und mit politischen Weisungen durchgesetzte Pro-
jekt Schacht KONRAD zu beenden;

8. im Rahmen des Standortauswahlgesetzes (StandAG) anzustreben, dass die Öffent-
lichkeit nicht nur informell beteiligt sondern mit entscheidungsrelevanten Rechten
ausgestattet wird und hierzu einen Gesetzentwurf zur Änderung des StandAG vor-
zulegen, der die Einspruchs- und Klagerechte der Bürgerinnen und Bürger garan-
tiert. Ein solcher Gesetzentwurf muss berücksichtigen, dass vor der Suche nach
einem oder mehreren Standorten für die dauerhafte Verwahrung des Atommülls
die Fehler der Vergangenheit analysiert und aufgearbeitet werden müssen. Dies
bedeutet auch, dass der Standort Gorleben aufgegeben werden muss. Die Form
der Verwahrung – rückholbar, bergbar, nichtrückholbar, oberflächennah oder tie-
fengeologisch – muss bundesweit neu, ergebnisoffen und in einem breiten gesell-
schaftlichen Dialog diskutiert werden;

9. rechtlich und strukturell sicherzustellen, dass die AKW-Betreiber die entstehen-
den Kosten für Stilllegung und Atommülllagerung vollumfänglich und dauerhaft
übernehmen und die Rückstellungen der AKW-Betreiber unverzüglich in einen
öffentlich-rechtlichen Fonds zu überführen;

10. die eingegangenen Stellungnahmen von Behörden, Verbänden, Bürgerinnen und
Bürgern zum Nationalen Entsorgungsprogramm in regionalen öffentlichen Ver-
anstaltungen vor der Einreichung des Programms bei der EU zu erörtern;

11. die Auswirkungen des Nationalen Entsorgungsprogramms auf den Auftrag, die
Struktur und den Zeitplan der vom Bundestag eingesetzten „Endlager“-Kommis-
sion hin zu prüfen und ggf. einen Gesetzentwurf mit einem angepassten Auftrag
der Kommission vorzulegen.

Berlin, den 16. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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