BT-Drucksache 18/5208

Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen stärken

Vom 17. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5208
18. Wahlperiode 17.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, Kordula
Schulz-Asche, Omid Nouripour, Dr. Valerie Wilms, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias
Lindner, Peter Meiwald, Cem Özdemir, Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Markus Tressel, Jürgen Trittin, Doris Wagner und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsagenda der
Vereinten Nationen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Welt hat im Jahr 2015 die große Chance, einen Durchbruch für Klimaschutz und
globale Gerechtigkeit zu erreichen. Mit den Nachhaltigkeits- und Entwicklungszie-
len, die im September 2015 im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Na-
tionen verabschiedet werden, soll eine wahrhaft transformative Agenda für die Zu-
kunft formuliert werden.

Die Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele werden derzeit in einem global ange-
legten Prozess diskutiert und ausformuliert. Bereits 2012 in Rio de Janeiro hatten die
UN-Mitgliedstaaten beschlossen, die „Nachhaltigkeitsziele in Übereinstimmung mit
Völkerrecht“, also auch unter Einbeziehung der Menschenrechte, zu entwickeln.
Mitte 2014 hat eine von den Vereinten Nationen benannte Gruppe von 70 Mitglied-
staaten (Open Working Group) einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, der 17 Ziele
mit Unterzielen enthält (A/68/970). Dieser wird seit Beginn des Jahres 2015 von den
UN-Mitgliedstaaten verhandelt. Gleichzeitig hat der Prozess der Anpassung der
Ziele auf nationaler Ebene und der Vorbereitung von Rechenschafts- und Monito-
ring-Mechanismen zur Überprüfung der Umsetzung begonnen.

Die Bedeutung der Menschenrechte wird von vielen der Mitgliedstaaten immer wie-
der betont. Allerdings zeichnet sich gerade bei diesem Thema auch Dissens ab, ins-
besondere dort, wo Staaten – aus allen Regionen – durch menschenrechtliche For-
derungen ihre politischen Handlungsspielräume eingeschränkt sehen. Um dem An-
spruch einer globalen Transformation gerecht zu werden, ist es wesentlich, dass die
„Post-2015 Agenda“ sich an den Menschenrechten orientiert und diese nicht unter-
läuft. Anstatt für Probleme, die auf die Nichterfüllung menschenrechtlicher Stan-
dards zurückzuführen sind, immer neue Formulierungen zu finden, würde eine ex-
plizitere Bezugnahme auf die Menschenrechte für Klarheit sorgen, die Formulierung
von Umsetzungsschritten erleichtern und den Zielen einen höheren Grad von Ver-
bindlichkeit verleihen.

Drucksache 18/5208 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die unterzeichnenden Staaten müssen in der Erklärung, die im September 2015 un-
terzeichnet wird, klar anerkennen, dass sie eine kollektive und globale Verantwor-
tung für Achtung, Schutz und Gewährleistung der Menschenrechte haben. Allge-
meine menschenrechtliche Prinzipien – Partizipation, Verantwortlichkeit, Überprü-
fung und Nichtdiskriminierung – müssen durchgängig in die Erklärung und die ent-
sprechenden Anpassungs- und Umsetzungsprozesse integriert werden. Dabei gilt es,
die Rechte von schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen besonders in den Blick zu
nehmen.

In der jetzt beginnenden Schlussphase des Verhandlungsprozesses ist es daher zent-
ral, bereits erreichte Erfolge in Bezug auf Menschenrechte zu bewahren und sich
gleichzeitig verstärkt dafür einzusetzen, dass noch bestehende Schwächen oder Un-
klarheiten beseitigt werden. Die Bundesregierung hat in den nun anstehenden finalen
Phasen des Verhandlungsprozesses bis zur Unterzeichnung der Erklärung im Sep-
tember 2015 sowie im Rahmen des ebenfalls schon beginnenden Prozess der Anpas-
sung und Umsetzung in und durch Deutschland, die Gelegenheit dazu beizutragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1) sich dafür einzusetzen, dass die Erklärung, die im September 2015 verabschie-
det wird, die kollektive und globale Verantwortung der Unterzeichner, allen
Menschen ein Leben in Würde und frei von Angst und Not zu ermöglichen, un-
missverständlich anerkennt;

2) Initiativen zu unterstützen, die darauf hinwirken, dass alle Ziele, Unterziele und
Indikatoren an den existierenden internationalen Menschenrechtsstandards aus-
gerichtet werden, zumindest aber die entsprechenden Formulierungen nicht hin-
ter den international gültigen menschenrechtlichen Verträgen zurück bleiben;

3) dazu beizutragen, dass die Menschenrechte Aller in die Erklärung Eingang fin-
den, einschließlich der Rechte von Frauen und Mädchen, indigener Völker, Mig-
ranten, Angehöriger der LGBTTi-Community, älterer Menschen und Menschen
mit Behinderungen;

4) sich dafür einzusetzen, dass die Erklärung anerkennt, dass ein Leben frei von
Angst die Möglichkeit der politischen Partizipation und der freien Meinungsäu-
ßerung voraussetzt und dass deshalb bürgerliche und politische Rechte in der
Formulierung der entsprechenden Ziele und Indikatoren angemessen berück-
sichtigt werden;

5) sich dafür einzusetzen, dass die Kohärenz der Ziele im Sinne einer globalen
Partnerschaft gestärkt wird, so dass die Auswirkungen von etwa Handels-, Fi-
nanz- oder Investitionspolitik nicht internationale Menschenrechtsstandards un-
terminieren;

6) sicherzustellen, dass die Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele auf der Basis
von Deutschlands menschenrechtlichen Verpflichtungen und in einem transpa-
renten und partizipativen Verfahren angepasst und in konkrete Strategien und
Politik umgesetzt werden;

7) sich dafür einzusetzen, dass Menschenrechtsstandards verbindlicher Bestandteil
eines globalen Rechenschaftsmechanismus werden, der fortlaufend und messbar
die Fortschritte der Staaten bei der Umsetzung der Ziele sichtbar macht und dazu
Berichte von Staaten, UN-Organisationen sowie der Zivilgesellschaft vorsieht;

8) sich dafür einzusetzen, dass die Verantwortlichkeit des Privatsektors für die
Achtung der Menschenrechte in der im September zu verabschiedenden Erklä-
rung klar benannt wird und dass die menschenrechtlichen Verpflichtungen in-
ternational tätiger Unternehmen von den beteiligten Staaten im Rahmen ihrer
exterritorialen Staatenpflichten verbindlich durchgesetzt werden, u. a. mit der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5208

Ausweitung von Möglichkeiten für Klagen gegen solche Unternehmen im Falle
von Menschenrechtsverletzungen.

Berlin, den 16. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung:

Die meisten der 17 vorgeschlagenen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele hängen eng mit allgemeinen
Menschenrechtsstandards zusammen, zu deren Umsetzung sich die Mitgliedstaaten bereits verpflichtet haben,
insbesondere was wirtschaftliche und soziale Rechte angeht. Für bürgerliche und politische Rechte ist dies
weniger stark der Fall. Das hier relevanteste Ziel (Ziel 16 zu „good governance“) bleibt in mehrerer Hinsicht
vage: das Unterziel 16.10 zum Schutz fundamentaler Freiheiten wird zum Beispiel durch den Zusatz „in Über-
einstimmung mit nationaler Gesetzgebung“ abgeschwächt, und das Unterziel 16.2, das die Abschaffung von
Menschenhandel und Folter fordert, wird auf Kinder beschränkt. Hier müsste insbesondere auf der Ebene der
Indikatoren noch nachgebessert werden, um diese wichtigen Unterziele an bereits geltende Menschenrechts-
standards anzupassen.

Darüber hinaus sollte angesichts der Rolle, die dem Privatsektor bei der Umsetzung und auch Finanzierung der
Ziele zugedacht ist, mit der Verabschiedung der Ziele im September auch der Pfad für eine verbindliche staat-
liche Pflicht zur Kontrolle und ggf. Sanktionierung der extraterritorialen Aktivitäten von Privatunternehmen
und Institutionen geöffnet und weiter unterstützt werden.

In den UN-Verhandlungen muss ein effektiver Rechenschaftsmechanismus mit mehreren Ebenen vereinbart
werden, der auf Erfahrungen des regelmäßigen Staatenüberprüfungsverfahrens des UN-Menschenrechtsrates
aufbauen sollte und Berichte von Staaten, UN-Organisationen und Zivilgesellschaft vorsieht.

Auch die Umsetzung der Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele auf nationaler Ebene muss gemäß der völ-
kerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik unter besonderer Einbeziehung der Menschenrechte erfol-
gen. Hierzu müssen die 21 Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie auf Basis der Nachhaltigkeits-
und Entwicklungsziele erweitert werden. Bislang mangelt es an einer systematischen Ausrichtung der Indika-
toren an den menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands. Beispielsweise fehlen in der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie Indikatoren zur Armutsbekämpfung. Eine Überarbeitung bietet die Chance, diese Lü-
cke zu schließen. Darüber hinaus bedarf es eines transparenten und partizipativen Monitoring-Systems zur
nationalen Überprüfung der Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele. Hierbei muss explizit die Beteiligung der
Zivilgesellschaft institutionell verankert werden, beispielsweise durch Konsultationen im Rahmen der Umset-
zung und der Berichterstattung.

Wir müssen anerkennen, dass die globalen Herausforderungen, die uns heute begegnen, kein Zufall sind oder
sich unserer Kontrolle entziehen. Sie sind das Ergebnis der Handlungen und Unterlassungen von Menschen,
von öffentlichen Einrichtungen, des Privatsektors und anderer, die eigentlich den Auftrag hätten, die Men-
schenrechte zu schützen und die Menschenwürde zu wahren. Ein menschenrechtsbasierter Ansatz für die Aus-
gestaltung und Umsetzung der Post-2015-Agenda ist deshalb unabdingbar. Dies gilt sowohl für die Umsetzung
der Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele in Deutschland, als auch auf globaler Ebene.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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