BT-Drucksache 18/4840

Kältemittel R1234yf aus dem Verkehr ziehen

Vom 6. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4840
18. Wahlperiode 06.05.2015
Antrag
der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert
Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Kerstin Kassner, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas
Lutze, Dr. Kirsten Tackmann, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Kältemittel R1234yf aus dem Verkehr ziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Einführung des Kältemittels R1234yf für Klimaanlagen von Kraftfahrzeu-
gen wurde ein unnötiges Risiko für die Gesundheit von Fahrzeuginsassen, Rettungs-
kräften und anderweitig bei Unfällen oder PKW-Bränden beteiligten Personen ge-
schaffen. Gravierende Risiken wurden erst nach Inverkehrbringung des Kältemittels
öffentlich bekannt gemacht.

Bei Brandversuchen des hochentzündlichen Kältemittels durch den Daimler-Kon-
zern, die Bundesanstalt für Materialforschung und durch unabhängige Wissenschaft-
ler entstanden erhebliche Mengen Fluorwasserstoff und in der Folge bei Kontakt mit
Luftfeuchtigkeit oder Löschwasser ätzende Flusssäure. Die Bundesregierung hat be-
reits im Jahr 2010 festgestellt, dass sie dies für gesundheitlich bedenklich hält (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf Frage 7 der Kleinen Anfrage „Gesundheitliche
Gefährdung von Kfz-Nutzern durch das Kältemittel HFO-1234yf in Klimaanlagen“
auf Bundestagsdrucksache 17/2297).

Darüber hinaus legen neuere Veröffentlichungen der Technischen Universität Mün-
chen nahe, dass bei der Verbrennung des Kältemittels signifikante Mengen Car-
bonyldifluorids (COF2) entstehen, das chemisch mit dem im 1.Weltkrieg eingesetz-
ten Kampfstoff Phosgen verwandt ist. Obwohl die Bundesregierung die Aussagefä-
higkeit und Übertragbarkeit auf reale Unfallgeschehen der Versuche dieser Veröf-
fentlichung in Zweifel zieht, kommt sie nicht umhin, anerkennen zu müssen, dass
der Versuch „qualitativ als Indiz dafür herangezogen werden [kann], dass bei der
thermischen Zersetzung von R1234yf mutmaßlich signifikante Mengen von COF2
entstehen können“. (vgl. Antwort der Bundesregierung auf Frage 7 der Kleinen An-
frage „Kenntnisse über die Risiken des Kältemittels R1234yf in Klimaanlagen“ auf
Bundestagsdrucksache 18/3793). Bei einem hochentzündlichen Kältemittel wie
R1234yf, dessen Flammpunkt unterhalb der Betriebstemperatur einiger Motorteile
eines PKW liegt, sind Szenarien, in denen bei Unfällen durch Leckagen Kältemittel
aus dem Kühlmittelkreislauf tritt und in Brand gerät oder Kältemittel bei einem
PKW-Brand in Brand gerät, als zumindest nicht unwahrscheinlich einzustufen.

Die Bundesregierung führt aus, dass für das Verbrennungsprodukt Carbonyldifluo-
rid bislang keine Stoffbewertung von deutschen Behörden durchgeführt wurde

Drucksache 18/4840 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
(vgl. Antwort auf Frage 10 der Kleinen Anfrage „Risiken durch den Einsatz des Käl-
temittels R1234yf in Klimaanlagen“ auf Bundestagsdrucksache 18/2934). Zur Risi-
kobewertung des Stoffes bezieht sich das Bundesinstitut für Risikobewertung derzeit
auf eine Studienlage, die im Wesentlichen in den 1950er und 1960er Jahren von ei-
nem der heutigen Hersteller des Kältemittels R1234yf, der Firma DuPont, erhoben
wurde, daher nicht als unabhängig bezeichnet werden kann und die wenig Rück-
schlüsse auf die Wirkung auf Menschen zulässt (vgl. Antwort auf Frage 11 der Klei-
nen Anfrage „Kenntnisse über die Risiken des Kältemittels R1234yf in Klimaanla-
gen“ auf Bundestagsdrucksache 18/3793).

Trotz der bekannten Risiken für das Kältemittel liegt bislang keine abschließende
Risikobewertung nach REACH-Stoffbewertung vor. Es ist auch unbekannt, inwie-
weit die Deutschen Chemikalienbehörden mit der Risikobewertung der Europäi-
schen Chemikalienbehörden nicht konform geht. Die Bundesregierung kann bzw.
darf derzeit keine Auskunft über die Inhalte und über den Zeitplan des deshalb bei
der EU-Kommission anhängigen Komitologieverfahrens geben (vgl. Antwort auf
die Fragen 8 bis 10 derselben Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/3793).
Deshalb bleiben sowohl die Öffentlichkeit als auch die Automobilhersteller derzeit
im Unklaren über eine offizielle Einschätzung der tatsächlich von dem Kältemittel
ausgehenden Risiken.

Mit der Richtlinie 2006/40/EG über Emissionen aus Klimaanlagen in Kraftfahrzeu-
gen wurde das Ziel gesetzt, ab 2017 nur noch Kältemittel in Klimaanlagen für Kraft-
fahrzeuge mit einem GWP-Wert von höchstens 150 (Global Warming Potential,
CO2-Äquivalent) in Neuwagen einzusetzen. Dieses Ziel ist zu begrüßen. Dennoch
kann ein konkretes Gefährdungspotential für das Leben von Fahrzeuginsassen, Ret-
tungskräften und anderen durch ein alternatives Kältemittel nicht durch das Argu-
ment des Klimaschutzes aufgewogen werden. Die Nutzung von R1234yf als Kälte-
mittel in Klimaanlagen von Kraftfahrzeugen ist daher prinzipiell, zumindest aber aus
präventiven Gründen, zu verbieten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sicherzustellen, dass folgende Stoffe von der Nutzung als Kältemittel in Klima-
anlagen für Kraftfahrzeuge ausgeschlossen werden:
a) Stoffe, die als hochentzündlich klassifiziert werden;
b) Stoffe, die als hochtoxisch klassifiziert werden;
c) Stoffe, deren Verbrennungsprodukte als hochtoxisch klassifiziert werden;
d) Stoffe, die durch gängige Maßnahmen zur Havariebekämpfung, wie zum

Beispiel Kontakt mit Brandbekämpfungsmitteln, als hochtoxisch zu klassi-
fizierende Reaktionsprodukte bilden;

e) Stoffe, über die keine abschließende Risikobewertung nach REACH-Stoff-
bewertung vorliegen;

f) Stoffe, die in Brand- und/oder Havariefällen und/oder durch gängige Maß-
nahmen, die zur Brand- und/oder Havariebekämpfung durchgeführt wer-
den, Reaktionsprodukte bilden, über die keine abschließende Risikobewer-
tung nach REACH-Stoffbewertung vorliegen;

2. den Bundestag unverzüglich umfänglich über den Stand und die Inhalte des Ko-
mitologieverfahrens zur Risikobewertung von R1234yf nach REACH-Stoffbe-
wertung zu informieren bzw. die EU-Kommission zur Herausgabe der entspre-
chenden Unterlagen aufzufordern;
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4840
3. sich dafür einzusetzen, dass die Umsetzungsfristen der Richtlinie 2006/40/EG

ausgeweitet werden, so dass Automobilherstellern die Möglichkeit gegeben
wird, rechtskonform das unbrennbare und unschädliche CO2 als Kältemittel ein-
zuführen;

4. den Einsatz von R1234yf als Kältemittel für Klimaanlagen für Kraftfahrzeuge
zu verbieten.

Berlin, den 6. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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