BT-Drucksache 18/4839

Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren

Vom 6. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4839
18. Wahlperiode 06.05.2015
Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Einsatz von Leiharbeit und missbräuchlichen Werkverträgen spaltet Beleg-
schaften und degradiert Beschäftigte zu Arbeitnehmern zweiter Klasse. Tarif-
verträge werden systematisch unterlaufen. Angesichts dieser Probleme sind die
derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen ebenso unzureichend wie die im Ko-
alitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zur Regulierung von Leiharbeit und
Werkverträgen.
Viele Arbeitgeber setzen Leiharbeitskräfte strategisch ein, um damit im Betrieb
eine „Billiglohn-Linie“ zu installieren. Leiharbeitskräfte werden in der Regel
deutlich niedriger entlohnt als Stammarbeitskräfte. Tarifvertragliche Branchen-
zuschläge für Leiharbeiter haben die Situation zwar verbessert, erreichen aber
zu wenige Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter und ersetzen keine gesetzliche
Equal-Pay-Lösung, die ab dem ersten Einsatztag greift. Das Prinzip muss sein:
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – ohne Ausnahme und sofort.
Die laut Koalitionsvertrag geplante Änderung, bei der Leiharbeit Equal Pay erst
nach neun Monaten vorzuschreiben, läuft für die meisten Leiharbeitsbeschäf-
tigten ins Leere. Mehr als die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse dauert weniger
als drei Monate. Lediglich rund ein Viertel hält länger als neun Monate. Alle
anderen Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer haben nichts von der ge-
planten Regelung.
Auch die laut Koalitionsvertrag geplante Festlegung der Überlassungshöchst-
dauer auf 18 Monate nutzt den meisten Leiharbeitsbeschäftigten nicht. Gerade
einmal 13,8 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse dauern länger als 18 Monate,
hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ermittelt. Der Einsatz
von Leiharbeit muss vielmehr auf seine ursprüngliche Funktion zurückgeführt
werden, Personalengpässe und Auftragsspitzen aufzufangen. Für diesen Zweck
reicht eine Überlassungsdauer von drei Monaten aus.
Der Einsatz von Leiharbeitskräften erzeugt ein Klima der Angst. Leiharbeite-
rinnen und Leiharbeiter bekommen weniger Lohn, haben ein höheres Arbeits-
losigkeitsrisiko und genießen im Einsatzbetrieb keinen Kündigungsschutz. Sie
können jederzeit zu ihrer Leiharbeitsfirma zurückgeschickt werden. Und auch

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dort ist ihr Job alles andere als sicher. Auf die Kernbelegschaften wirkt der Ein-
satz von Leiharbeit disziplinierend. Ständig haben sie vor Augen, wie leicht sie
zu ersetzen sind: für weniger Lohn und bei schlechteren Arbeitsbedingungen.
Die Unternehmen nutzen dies strategisch. Die Belegschaften werden auseinan-
derdividiert und die Konkurrenz wird erhöht. So sind sie leichter für Zugeständ-
nisse zu haben. Das drückt die Löhne und der Leistungsdruck steigt. Daher ist
eine strikte Begrenzung von Leiharbeit unerlässlich.
Auch zu den im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen im Bereich von
Werkverträgen muss festgestellt werden, dass diese unzureichend sind. In lega-
ler und illegaler Form nutzen Arbeitgeber diese Beschäftigungsform, um die
Regelungen der Leiharbeit zu umgehen und Tarifverträge zu unterlaufen. Es
besteht dringender Handlungsbedarf, wobei Informationsrechte für Betriebsräte
und das Festschreiben von Vermutungstatbeständen zur Identifizierung von
Scheinwerkverträgen, also illegaler Arbeitnehmerüberlassung, wie von der
Großen Koalition geplant, nicht ausreichen.
Auch bei legalen Werkverträgen, bei denen Aufgaben an eine Fremdfirma ver-
geben werden, die vorher von dem Betrieb selbst erledigt wurden, sind gesetz-
geberische Schritte notwendig, um Lohndumping zu verhindern. Auch wenn
die Arbeiten vom Werkvertragsunternehmen völlig in eigener Regie erbracht
werden und es sich nicht um Scheinwerkverträge bzw. illegale Arbeitnehmer-
überlassung handelt, werden damit tarifliche Standards unterlaufen und die Be-
schäftigten diszipliniert. Diese Form von Lohndumping will die Bundesregie-
rung gar nicht regulieren. Aber auch hier muss gelten: Gleicher Lohn für gleiche
Arbeit.
Sowohl beim Einsatz von Leiharbeit als auch bei der Fremdvergabe von bisher
im Betrieb erledigten Aufgaben über einen Werkvertrag brauchen Betriebs- und
Personalräte weitgehende Mitbestimmungsrechte, nicht nur Informationen. Be-
triebs- und Personalräte müssen bei Leiharbeit und Werkverträgen ihre Zustim-
mung verweigern können, wenn der geplante Einsatz zu Nachteilen für die Be-
schäftigten führt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis zum Verbot der Leiharbeit einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem das Arbeit-
nehmerüberlassungsgesetz wie folgt geändert wird:
Das Prinzip „Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen bei gleicher Ar-

beit“ muss ab dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme gelten.
Die Überlassungshöchstdauer ist auf drei Monate zu begrenzen.
Leiharbeitskräfte erhalten angesichts der hohen Flexibilität, die von ihnen ver-

langt wird, einen Flexibilitätsausgleich in Höhe von 10 Prozent ihres Brutto-
lohnes.

Der Einsatz von Leiharbeitskräften als Streikbrecherinnen und Streikbrecher
wird verboten.

Das Synchronisations- und Befristungsverbot wird wieder eingeführt.
Sogenannte Kopfprämien, die ein Entleihbetrieb bei Festanstellung einer Leih-

arbeitnehmerin oder eines Leiharbeitnehmers an die Verleiherin oder den Ver-
leiher zahlen muss, werden verboten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4839
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem Werkvertragsbeschäftigung in einem ei-
genen Gesetz nach folgenden Maßgaben reguliert wird:
Es sind Vermutungstatbestände einzuführen, bei deren Vorliegen von illegaler

Arbeitnehmerüberlassung auszugehen ist und deren Vorliegen – unabhängig
von einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung – ein Arbeitsverhältnis im
Einsatzbetrieb begründet, wenn dieser nicht die Vermutung widerlegen kann.
Solche alternativen Tatbestände sind:
o Die Tätigkeit wird auch nach Weisungen des Bestellers verrichtet, es sei

denn, dies geschieht nur gelegentlich und zu untergeordneten Fragen.
o Die Tätigkeit ist mit der eines oder einer beim Besteller beschäftigten Ar-

beitnehmers oder Arbeitnehmerin bzw. einer dort eingesetzten Leihar-
beitskraft vergleichbar.

o Es wird im Wesentlichen Material und Werkzeug des Bestellers verwen-
det.

o Das Werkvertragsunternehmen haftet nicht für das Ergebnis seiner Tätig-
keit.

o Das Werkvertragsunternehmen erhält vom Besteller eine nach Zeiteinhei-
ten bemessene Vergütung.

o Die Tätigkeit wurde zuvor von einem Arbeitnehmer oder einer Arbeitneh-
merin des Bestellers erbracht.

o Die Werkvertragsbeschäftigten sind in die Arbeitsorganisation und das
Arbeitszeitregime des Bestellers eingebunden.

Bei der Vergabe von Aufgaben an Fremdfirmen wird, wenn dies einen nur ge-
legentlichen Umfang überschreitet, ein Gleichbehandlungsgebot eingeführt.
Die für die Erfüllung der Aufgaben von der Fremdfirma eingesetzten Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen nicht niedriger entlohnt werden oder
schlechtere Arbeitsbedingungen haben als zuvor im Einsatzbetrieb.

Zur Eindämmung von Scheinselbständigkeit werden widerlegbare Vermu-
tungsregelungen aufgenommen, wie sie in nahezu gleicher Formulierung be-
reits bis Ende 2002 im SGB IV enthalten waren. Von Scheinselbständigkeit ist
auszugehen, wenn
o im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit mit Ausnahme von Familienange-

hörigen keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen oder Arbeit-
nehmer beschäftigt werden,

o sie regelmäßig und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind,
o sie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer typische Arbeitsleistungen

erbringen, insbesondere Weisungen des Auftraggebers unterliegen und in
die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sind,

o sie nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftreten oder
o deren Tätigkeit ihrem äußeren Erscheinungsbild nach derjenigen Tätigkeit

entspricht, die vorher für denselben Auftraggeber in einem Beschäfti-
gungsverhältnis ausgeübt wurde.

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiter auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem das Betriebsverfassungsgesetz und das
Bundespersonalvertretungsgesetz nach folgenden Vorgaben geändert werden:
Betriebs- und Personalräte erhalten beim Einsatz von Leiharbeit und bei Werk-

verträgen, sofern diese einen nur gelegentlichen Umfang überschreiten, ein
zwingendes Mitbestimmungsrecht. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat/dem
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/4839 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Personalrat rechtzeitig unter Vorlage aller notwendigen Dokumente unterrich-
ten, die Maßnahme mit ihm beraten und die Zustimmung des Betriebsrates/des
Personalrates einholen.

Der Betriebsrat/der Personalrat kann die Zustimmung verweigern, wenn die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebes/der Dienststelle durch die ge-
planten Maßnahmen Nachteile erleiden oder Arbeitsplätze in Gefahr kommen.

Auf Verlangen einer Partei ist eine Betriebsvereinbarung/eine Dienstvereinba-
rung zum Einsatz von Leiharbeit oder Werkverträgen abzuschließen. Kommt
keine Einigung zustande, entscheidet die Einigungsstelle. Inhalte einer solchen
Betriebs- oder Dienstvereinbarung können insbesondere sein: Einsatzbereiche,
Einsatzdauer, Zahl der eingesetzten Leiharbeitskräfte und Werkvertragsbe-
schäftigten, das Volumen von Werkverträgen und Übernahmeregelungen.

Berlin, den 6. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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