BT-Drucksache 18/4705

a) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Drucksache 18/4087 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz - GVVG-ÄndG) b) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 18/4279 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz - GVVG-ÄndG)

Vom 22. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4705
18. Wahlperiode 22.04.2015

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss)

a) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
– Drucksache 18/4087 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
(GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG)

b) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksache 18/4279 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
(GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG)

A. Problem
Zu den Buchstaben a und b
Der internationale Terrorismus stellt seit geraumer Zeit eine Bedrohung für die
nationale und internationale Sicherheitslage dar. Spezifische Gefahren gehen von
der Reisetätigkeit bestimmter Personengruppen aus. Zudem zeigen aktuelle Ent-
wicklungen wie etwa das Erstarken der Terrororganisation „Islamischer Staat“
(IS), dass terroristische Organisationen über beträchtliche finanzielle Mittel zur
Begehung terroristischer Straftaten verfügen. Der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen hat am 24. September 2014 die UN-Resolution 2178 (2014) verabschie-
det, die sich mit spezifischen Gefahren befasst, die von ausländischen terroristi-
schen Kämpfern („Foreign Terrorist Fighters“) ausgehen. Die Resolution sieht
vor, das Reisen sowie den Versuch des Reisens in einen Staat, der nicht der Staat
der Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit der reisenden Person ist, in einer der
Schwere der Tat angemessenen Form strafrechtlich zu verfolgen, wenn die Reise
erfolgen soll, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten
oder sich daran zu beteiligen oder Terroristen auszubilden oder sich zu Terroristen
ausbilden zu lassen. Des Weiteren bilden die erheblichen finanziellen Ressourcen

Drucksache 18/4705 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
von Terrororganisationen wie dem „Islamischem Staat“ (IS) den wirtschaftlichen
Nährboden für zum Teil hochgradig organisierte terroristische Aktivitäten. Das
hierauf rekurrierende Internationale Übereinkommen der Vereinten Nationen
vom 9. Dezember 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus
(BGBl. 2003 II S. 1923, 1924) setzt die Bundesrepublik Deutschland bislang so-
wohl durch § 89a Absatz 2 Nummer 4 des Strafgesetzbuches (StGB) als auch
durch zahlreiche Straftatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches in
Verbindung mit den Vorschriften über die Teilnahme – vor allem in Form der
Beihilfe – um. Die Financial Action Task Force (FATF) hat die Bundesrepublik
Deutschland im Rahmen der Evaluierung der effektiven Bekämpfung der Finan-
zierung des Terrorismus aufgefordert, eine erhöhte Mindeststrafbarkeit für die
Terrorismusfinanzierung sowie den Verzicht auf die bisher in § 89a Absatz 2
Nummer 4 StGB enthaltene Erheblichkeitsschwelle vorzusehen.
Ziel des Gesetzentwurfs ist die Umsetzung der UN-Resolution 2178 (2014) sowie
der Aufforderung der FATF im Rahmen der Evaluierung der effektiven Bekämp-
fung der Finanzierung des Terrorismus.

B. Lösung
Zu Buchstabe a
Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung. Mit den Änderungen soll
zum einen die Vorschrift des § 89c Absatz 1 Satz 1 StGB im Hinblick auf den
subjektiven Tatbestand moderat erweitert werden. Ferner wird durch die Anfü-
gung des Absatzes 7 die Möglichkeit der tätigen Reue geregelt, wenn der Täter
seinen Tatentschluss aufgibt.
Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4087 in geänderter Fassung
mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Zu Buchstabe b
Einvernehmliche Erledigterklärung des Gesetzentwurfs auf Drucksache
18/4279.

C. Alternativen
Keine.

D. Weitere Kosten
Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4705
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
a) den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/4087 mit folgenden Maßgaben, im

Übrigen unverändert anzunehmen:
Artikel 1 Nummer 3 wird wie folgt geändert:

1. In Absatz 1 Satz 1 werden in dem Satzteil vor Nummer 1 nach dem
Wort „Wissen“ die Wörter „oder in der Absicht“ eingefügt.

2. Folgender Absatz 7 wird angefügt:
„(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern

(§ 49 Absatz 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift
absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere Vorbereitung der Tat
aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, dass an-
dere diese Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder
wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung dieser
Tat verhindert. Wird ohne Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr
abgewendet oder wesentlich gemindert oder die Vollendung der Tat
verhindert, genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses
Ziel zu erreichen.“;

b) den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/4279 für erledigt zu erklären.

Berlin, den 22. April 2015

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Renate Künast
Vorsitzende

Ansgar Heveling
Berichterstatter

Dr. Johannes Fechner
Berichterstatter

Dirk Wiese
Berichterstatter

Halina Wawzyniak
Berichterstatterin

Hans-Christian Ströbele
Berichterstatter
Drucksache 18/4705 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Ansgar Heveling, Dr. Johannes Fechner, Dirk Wiese,
Halina Wawzyniak und Hans-Christian Ströbele

I. Überweisung

Zu Buchstabe a
Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/4087 in seiner 89. Sitzung am 27. Februar 2015
beraten und an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur federführenden Beratung und an den Aus-
wärtigen Ausschuss, den Innenausschuss, den Finanzausschuss sowie den Ausschuss Digitale Agenda zur Mitbe-
ratung überwiesen.
Zu Buchstabe b
Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/4279 in seiner 94. Sitzung am 19. März 2015 beraten
und an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur federführenden Beratung und an den Auswärtigen
Ausschuss, den Innenausschuss, den Finanzausschuss sowie den Ausschuss Digitale Agenda zur Mitberatung
überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Zu den Buchstaben a und b
Der Auswärtige Ausschuss hat die Vorlagen auf den Drucksachen 18/4087 und 18/4279 in seiner 39. Sitzung
am 22. April 2015 beraten und empfiehlt die Annahme mit den Stimmen der Fraktion der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Der Innenausschuss hat die Vorlagen auf Drucksachen 18/4087 und 18/4279 in seiner 45. Sitzung am 22. April
2015 beraten und empfiehlt die Annahme der zusammengeführten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/4087
und 18/4279 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Der Finanzausschuss hat die Vorlagen auf den Drucksachen 18/4087 und 18/4279 in seiner 40. Sitzung am
22. April 2015 beraten und empfiehlt die Annahme der Vorlage auf Drucksache 18/4087 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN. Die Vorlage auf Drucksache 18/4279 wird einstimmig für erledigt erklärt.
Der Ausschuss Digitale Agenda hat die Vorlage auf Drucksache 18/4087 in seiner 35. Sitzung am 22. April 2015
beraten und empfiehlt die Annahme der Vorlage auf Drucksache 18/4087 in geänderter Fassung mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN.
Zu Buchstabe b
Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich mit der Vorlage auf Bundesrats-Drucksa-
che 36/15 (Drucksache 18/4279) in seiner 22. Sitzung am 25. Februar 2015 befasst und festgestellt, dass eine
Nachhaltigkeitsrelevanz des Gesetzentwurfs nicht gegeben sei.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Zu Buchstabe a
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlage auf Drucksache 18/4087 in seiner 42. Sitzung
am 25. Februar 2015 anberaten und beschlossen, eine öffentliche Anhörung durchzuführen, die er in seiner 47. Sit-
zung am 23. März 2015 durchgeführt hat. An dieser Anhörung haben folgende Sachverständige teilgenommen:

Dr. Nikolaos Gazeas, LL.M Universität zu Köln
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht

Rainer Griesbaum Stellvertretender Generalbundesanwalt i. R.,
Karlsruhe

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4705
Anke Müller-Jacobsen Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Berlin

Mitglied des Strafrechtsausschusses der BRAK
Rechtsanwältin

Prof. Dr. Joachim Krause Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik und
Professor für Internationale Politik
Direktor am Institut für Sozialwissenschaften,
Bereich Politikwissenschaften

Sven Kurenbach Bundeskriminalamt, Berlin
Leitender Kriminaldirektor

Dr. Rolf Raum Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof,
Karlsruhe

Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Sieber Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau
Direktor
Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der 47. Sitzung am 23. März 2015 mit den
anliegenden Stellungnahmen der Sachverständigen verwiesen.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlagen auf den Drucksachen 18/4087 und 18/4279
in seiner 50. Sitzung am 22. April 2015 abschließend beraten.
Die Fraktion der CDU/CSU hob hervor, dass der Gesetzentwurf unmittelbar aus der Resolution 2178 (2014) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen resultiere, welcher in vielen Punkten schon die Rechtslage in Deutschland
entspreche. Dennoch existierten noch Lücken im Bereich der Terrorismusfinanzierung und im Bereich der Aus-
reise von Personen in andere Staaten, um dort terroristische Straftaten zu begehen. Nach Auswertung der Ergeb-
nisse der Anhörung habe die Koalition den vorliegenden Änderungsantrag eingebracht, der sich im Wesentlichen
auf die Fragen der tätigen Reue und der Absicht der Tatbegehung beziehe.
Die Fraktion DIE LINKE. teilte mit, dass die im Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vor-
gesehene Erweiterung des Vorsatzes für sie nicht zustimmungsfähig sei. Hierdurch ließen sich nach ihrer Auffas-
sung keine Nachweisprobleme beheben. Die Aufgaben des Strafrechts würden durch diesen Gesetzentwurf über-
dehnt.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN war der Ansicht, die Verhinderung der Teilnahme von Personen am
Dschihad sei grundsätzlich ein unterstützenswertes Anliegen, das jedoch mit milderen Mitteln im Bereich des
Polizeirechts und bei der Passkontrolle bewältigt werden könne. Die Fraktion befürworte die Möglichkeit der
tätigen Reue. Die Verschärfung im Bereich des Vorsatzes lehne sie ab, da der Nachweis des Wissens gar nicht
erforderlich sei, um diese Bestimmung anzuwenden. Insgesamt sei der Gesetzentwurf nicht zustimmungsfähig,
da es nur darum gehe, Ansätze für Ermittlungsmaßnahmen zu generieren. Dies sei nicht Aufgabe des Strafrechts.
Die Fraktion der SPD erinnerte, das Grundlagen des Gesetzentwurfs die Resolution 2178 (2014) des Sicherheits-
rates der Vereinten Nationen und Vorgaben der Financial Action Task Force seien, die nunmehr umgesetzt wür-
den. Die Zahl der bereits ausgereisten Islamisten zeige den vorhandenen Handlungsbedarf. Der Änderungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD realisiere noch notwendigen Änderungsbedarf im Bereich des § 89c des
Strafgesetzbuchs.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/4087 in geänderter Fassung anzunehmen. Die Änderungen entsprechen einem Änderungsan-
trag, den die Fraktionen der CDU/CSU und SPD in den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eingebracht
haben. Die Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD wurde nach Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Teilung der Frage geteilt. Nr. 1 des Änderungsantrags wurde mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN angenommen. Nr. 2 des Änderungsantrags wurde einstimmig bei Enthaltung eines Abge-
ordneten der Fraktion DIE LINKE. angenommen.

Drucksache 18/4705 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Fraktion DIE LINKE. hat folgenden Entschließungsantrag zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 18/4087 in
den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eingebracht:
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest,
Der Rechtsstaat wandelt sich zunehmend in einen Präventionsstaat. Das zeigt sich neben dem Ausbau von Über-
wachungsinstrumenten in der Strafprozessordnung und im Gefahrenabwehrrecht sowie im Recht der Geheim-
dienste besonders deutlich im Bereich des Terrorismusstrafrechts. Mit der Einführung des § 129a StGB 1976, der
die Gründung, Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt, begann eine
Entwicklung weg von Tatstrafrecht und Schuldprinzip hin zu einer Verpolizeilichung des Strafrechts. Schon da-
mals wurde in der Strafrechtsliteratur zur Antiterrorgesetzgebung gewarnt: „Wenn der Gesetzgeber auf dem ein-
geschlagenen Weg fortschreitet, wird er den freiheitlichen Rechtsstaat zu Tode schützen“ (so Dahs in „Das „Anti-
Terroristen-Gesetz“- eine Niederlage des Rechtsstaats“, NJW 1976, 2145 (2151)). Seit dem hat das Terroris-
musstrafrecht viele Verschärfungen erfahren, u.a. mit der Einfügung des § 129b StGB 2002 und dem Gesetz zur
Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) 2009, dass nun durch das
Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-
ÄndG) auch noch erweitert werden soll. Das GVVG wurde von der damaligen Großen Koalition gegen die Stim-
men der Opposition aus DIE LINKE., FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen, die Einwände aus der
Strafrechtsliteratur und -praxis wurden ignoriert. Mit dem GVVG-ÄndG geht die Bundesregierung nun noch ei-
nen Schritt weiter und missachtet erneut die überwiegend kritischen Stimmen der Expertinnen und Experten.
Schon bei den Paragraphen 129a und 129b StGB stellt sich die Problematik, dass Handlungen erfasst werden,
die noch keinen unmittelbaren Zusammenhang zu einem möglichen Anschlag aufweisen und einer Gefährdung
von Personen noch sehr weit vorgelagert sind. Diese Vorschriften dienen als Türöffner für weitreichende Ermitt-
lungsmaßnahmen und führen überproportional häufig zu Einstellungen wie zum Beispiel im Fall der jahrelangen
haltlosen Überwachung des Berliner Soziologiedozenten Andrej H..
Darüber noch hinausgehende Legitimationsdefizite weisen das GVVG und wiederum verstärkt das jetzt von der
Bundesregierung vorgelegte GVVG-ÄndG auf.
Mit dem GVVG wurde beispielsweise schon die Kontaktaufnahme zu einer terroristischen Vereinigung unter
Strafe gestellt. Es reicht also eine belanglose Email an einen Terrorverdächtigen aus, um in den Fokus der Straf-
verfolgungsbehörden zu geraten, wenn sie terroristische Motive unterstellen. Zudem stellt es Vorbereitungshand-
lungen wie den Besuch eines sog. Terrorcamps oder das Erlernen von für Anschläge nützlichen Fertigkeiten unter
Strafe.
Diese weite Vorverlagerung der Strafbarkeit insbesondere auch auf neutrale Handlungen unter primärer An-
knüpfung an die Motivation befand selbst die damalige Justizministerin Zypries als problematisch und gestand
ein, dass das von ihr verantwortete GVVG „verfassungsrechtlich auf Kante genäht“ sei.
Die eigens von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in
Deutschland wies 2013 auf die Problemlage hin und fordert eine strafverfolgungspraktische, verfassungsrechtli-
che und rechtspolitische Überprüfung des GVVG.
Statt diese nun mehrere Jahre nach der letzten Studie und etlicher abgeschlossener Ermittlungsverfahren durch-
zuführen wird die Erweiterung des Gesetzes beschlossen. Auch das zeigt, dass es der Bundesregierung vor allem
darum geht die billige Beruhigungspille des Strafrechts zu bemühen, statt eine wissenschaftlich fundierte und
praxistaugliche Terrorismusbekämpfung zu betreiben.
Das nun vorgelegte GVVG-ÄndG verschärft die erwähnte Problematik noch, denn mit dem § 89a Abs. 2a StGB
n.F. soll u.a. die Ausreise und schon der Ausreiseversuch in ein sog. Terrorcamp und damit die Vorbereitung
einer Vorbereitungshandlung bestraft werden. So sollen Personen, die ein Flugticket z.B. in den Irak, nach Syrien,
in ein Transitland wie die Türkei oder gar in ein sonstiges z.B. europäisches Land, in dem für einen Anschlag
nützliche Fertigkeiten wie die Flugzeugführung erlernt werden können, kaufen oder sich mit dem Pkw mit ent-
sprechendem Ziel auf die Reise begeben und den Sicherheitsbehörden terrorverdächtig erscheinen, schon vor der
Ausreise aus Deutschland festgenommen werden können. Außerdem schafft der Gesetzesentwurf mit § 89c StGB
einen neuen einheitlichen Tatbestand der Terrorismusfinanzierung, der jeden Kleinstbetrag erfassen soll. Mit
dem GVVG-ÄndG werden also nunmehr nur noch Handlungsweisen erfasst, die objektiv völlig neutral und all-
täglich sind wie eine Reise ins Ausland oder das Überweisen von Geld.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/4705
Diese Vorschriften verletzten durch die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit vor eine auch nur konkrete Ge-
fährdung von Personen und der Kriminalisierung neutraler Handlungen wichtige Grundsätze die Ausfluss des
Rechtsstaatsprinzips aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes sind. Das betrifft die Grundsätze des Tatstraf-
rechts, des Schuldprinzips sowie des Strafrechts als letztes Mittel zur Herstellung des Rechtsfriedens (ultima-
ratio-Prinzip) und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Vorhaben ist daher verfassungswidrig.
Das Strafrecht dient originär der Aufklärung und Verfolgung von begangenen Straftaten. So werden auch weit-
reichende Grundrechtseingriffe wie z.B. die Untersuchungshaft legitimiert. Die mit dem GVVG-ÄndG unter Strafe
gestellten Verhaltensweisen verletzen aber keine grundlegenden Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens
und begründen daher kein Unrecht. Der kriminelle Gedanke darf in einem demokratischen Rechtsstaat nicht
strafbegründend sein. Das käme einem Gesinnungsstrafrecht gleich. An den knüpfen die neuen Tatbestände aber
primär an, wenn sie bei neutralen Handlungen wie den Kauf eines Flugtickets allein wegen einer mutmaßlichen
terroristischen Absicht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorsehen. Der Grundsatz des Tatstrafrechts
und das Schuldprinzip, die eine strafwürdige Handlung voraussetzen, werden so ebenso missachtet wie das ul-
tima-ratio-Prinzip.
Werden zur Vorbeugung von Gefahren neutrale Verhaltensweisen bestraft, die weit vor einem etwaigen Anschlag
liegen, wird zudem mit den Mitteln des Strafrechts eigentlich Gefahrenabwehr betrieben und weitreichende poli-
zeiliche Eingriffe unter dem Deckmantel des Strafrechts legitimiert, die als Instrumente der Gefahrenabwehr nicht
zu rechtfertigen wären. Das bedeutet eine Verpolizeilichung des Strafrechts.
Wie auch die Bundesdatenschutzbeauftragte feststellt, sind die neuen Tatbestände Türöffner für alle Ermittlungs-
befugnisse, die die Strafprozessordnung bietet, von der Telekommunikationsüberwachung und akustischen Wohn-
raumüberwachung über die Abfrage von Verkehrsdaten oder längerfristige Observationen bis hin zum Einsatz
von verdeckten Ermittlern und V-Leuten oder der Durchsuchung bei Dritten (§§ 100a ff., 161 StPO).
Sie werden daher zu einer Ausweitung der Überwachung aufgrund vager Verdachtsmomente führen, die sich
häufig aus dubiosen Erkenntnissen von in- und ausländischen Geheimdiensten speisen. Und wegen der Ermitt-
lungen, die sich vor allem auf die nachzuweisende Motivation und damit auf etwaige Äußerungen im sozialen
Umfeld beziehen, werden sie viele völlig Unbeteiligte treffen. Das ist im Hinblick auf die erheblichen Eingriffe in
Grundrechte unverhältnismäßig. Die internationalen Vorgaben auf die die Bundesregierung zur Rechtfertigung
verweist, zwingen nicht zu einem Bruch von Verfassungsrecht.
Mit dieser von der Bundesregierung beabsichtigten Verschärfung im Bereich des Terrorismusstrafrechts geht
eine weitere Abwendung vom freiheitlichen Rechtsstaat einher. Obwohl terroristische Handlungen bereits umfas-
send unter Strafe stehen und die Effektivität der Vorfeldtatbestände nicht nachgewiesenen ist, werden sie einge-
führt. Das ist Symbolpolitik, die sich im Strafrecht verbietet. Statt aufklärerisch in die Bevölkerung zu wirken,
wird wieder einmal das Strafrecht bemüht, um eine hundertprozentige Sicherheit zu suggerieren, die es nicht
geben kann.
Wer aber die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren (Zitat von Benjamin
Franklin).
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. den Gesetzesentwurf zur Änderung des GVVG zurückzunehmen,
2. keine Gesetzesvorhaben mehr zu verfolgen, die eine Entfernung vom Tatstrafrecht und die Verpolizeilichung
des Strafrechts bedeuten,
3. eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die das gesamte Terrorismusstrafrecht im Hinblick auf die
Strafanwendungspraxis, seine Effektivität und Verhältnismäßigkeit evaluiert und seine Verfassungsmäßigkeit
prüft,
4. mehr finanzielle Mittel für die Prävention im Bereich Djihadismus zur Verfügung zu stellen.
Berlin, den 21.4.2015
Fraktion DIE LINKE. im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Begründung
Das Strafrecht erlaubt den in einem Rechtsstaat massivsten denkbaren Eingriff des Staates in die Rechtssphäre
des Bürgers. Abgeleitet aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf es daher nur als ultima ratio zur Wie-
derherstellung des Rechtsfriedens in Betracht kommen. Dazu gehört auch, dass nur Handlungen kriminalisiert
werden dürfen, die durch die Verletzung grundlegender Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens solches

Drucksache 18/4705 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Unrecht begründen, dass sie einer Antwort durch das Strafrecht bedürfen. Neben diesem Grundsatz lässt sich aus
dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes auch der Grundsatz des Tatstrafrechts und das
Schuldprinzip ableiten. Danach können Gegenstand von Straftatbeständen nur Handlungen und nicht bloße Ge-
danken sein. Eine Bestrafung kann nur aufgrund von dem Einzelnen persönlich vorwerfbaren Handlungen erfol-
gen, wobei sich das Maß der Strafe an dem verwirklichten Unrecht zu orientieren hat. Von diesen wichtigen
Maximen entfernt sich insbesondere das Terrorismusstrafrecht zunehmend. Es dient immer mehr der Gefahren-
abwehr statt der Sanktionierung von begangenem Unrecht. Diese Entwicklung spiegelt sich im GVVG wieder,
das nun noch weiter verschärft werden soll.
Auch der Bericht der Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland vom
28. August 2013 kritisiert diese Entwicklung. Es wird bzgl. des Terrorismusstrafrechts auf die „partielle Funkti-
onsverschiebung des Strafverfahrens“ und darauf, dass der „zentrale Verdachtsbegriff an Konturen verliert“
hingewiesen (S. 36). Die Mehrheit der Berichtsverfasser teilt die Kritik zur Verpolizeilichung des Strafrechts und
zur Problematik weitreichender Ermittlungen aufgrund vager Verdachtsmomente. Es werden insbesondere solche
„Verbotsnormen, die ein äußerlich neutrales und nicht besonders schadensträchtiges Verhalten vor allem deshalb
untersagen, weil es nach der Vorstellung des Täters in die Straftat eines anderen ein-münden kann oder soll“
(S. 53) und bei denen sich der "deliktische Sinngehalt ausschließlich aus den Motiven des Handelnden ergibt und
die einer Strafbarkeit bloßer Gedanken oder Gesinnungen zumindest nahe kommt" (S. 44) kritisiert. Aus der Ana-
lyse der vorhandenen Studien zur Wirksamkeit des GVVG wird geschlossen, dass sich „die rechtsstaatlichen Be-
denken gegen Straftatbestände, die übermäßig weit im Vorfeld angesiedelt sind, weitgehend mit den Anwendungs-
problemen, die in dem Evaluationsbericht zum GVVG geschildert werden, decken“ und „dies insbesondere für
die Beweisschwierigkeiten bei dem Verbot äußerlich neutraler Handlungen gilt, denn hier ist der Nachweis eines
strafrechtlich relevanten Vorsatzes entscheidend, aber zugleich besonders schwierig“ (S.54). Abschließend schla-
gen die Kommissionsmitglieder Bäcker, Hirsch und Wolff vor „die weitreichende Kriminalisierung von Handlun-
gen im Vorfeld terroristischer Anschläge durch das GVVG aus strafverfolgungspraktischer, verfassungsrechtli-
cher und rechtspolitischer Warte zu überprüfen“. Die beiden Mitglieder der Kommission Harms und Kaller, die
das GVVG befürworteten, empfahlen aber ebenfalls eine Evaluation zu einem Zeitpunkt bei dem mehr Datenma-
terial zur Verfügung steht, als es noch bei der Studie 2012 der Fall war (S. 56, vgl.http://www.bmjv.de/Shared-
Docs/Downloads/DE/Fachinformationen/Bericht_RegKom_Sicherheitsgesetzgebung.pdf?__blob=publication-
File).
Die in der Begründung des GVVG-ÄndG (Bundestagsdrucksache 18/4087, S. 6) zur Argumentation für den Ge-
setzesentwurf erwähnte vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegebene Studie der Kriminologischen Zentralstelle
und der Universität Bochum vom August 2012 verdeutlicht - wie auch die Sachverständige Frau Müller-Jacobsen
in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestags am 23. März 2015
ausführte - eher die kritischen Punkte des Gesetzes. Die Aktenanalyse ergab zwar, dass es aufgrund der geringen
Fallzahl verfrüht erschien Aussagen über den praktischen Nutzen der neuen Vorschriften zu machen (S.209). Im
Hinblick auf die Frage der Auswirkungen auf Grundrechte wurde aber festgehalten, „dass in keinem der unter-
suchten acht Verfahren der Anfangsverdacht nach den §§ 89a, 89b, 91 StGB letztlich nachweisbar war.“ Alle
wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. „Dennoch waren - mit jeweils unter-schiedlichem Aufwand - di-
verse, überwiegend verdeckte Ermittlungstätigkeiten durchgeführt worden, die zum großen Teil auch unbetei-
ligte Dritte betrafen. Dass sich die Ermittlungsmaßnahmen ganz überwiegend auf die verdeckte Überwachung
elektronischer und telefonischer Kommunikation konzentrierten, erklärt sich auch mit dem Bemühen der Ermitt-
lungspersonen, die „terroristische Gesinnung“, also den Vorsatz für die jeweilige Tat nachzuweisen, was, wie
sich bereits aus den schriftlichen Befragungen ergab, besonders schwierig ist, wenn der objektive Tatbestand
sozial „neutrale“ Handlungen betrifft“ (S. 209). Ebenso bleibe offen, „ob die fraglichen Ermittlungsmaßnahmen
in den untersuchten Fällen unabhängig von der Einführung des GVVG nicht aufgrund anderer polizei- oder straf-
rechtlicher Vorschriften eingeleitet worden wären“ (S. 209). Die befragten Polizeibeamtinnen und Polizeibeam-
ten sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte waren zwar überwiegend der Meinung, dass die neuen Gesetze
effektiv seien, allerdings wiesen sie darauf hin, dass es für eine Einschätzung eigentlich aufgrund der noch lau-
fenden Verfahren verfrüht sei. Die Forscher regten daher abschließend an, die Fragestellung in ausreichendem
zeitlichem Abstand in einer Anschlussuntersuchung erneut aufzugreifen (S.19, vgl. http://www.krimz.de/filead-
min/dateiablage/E-Publikationen/Endbericht_GVVG_Evaluierung.pdf).
Statt der Forderung der eigens von der Bundesregierung eingesetzten Expertinnen und Experten nun mehrere
Jahre nach der letzten Studie und etlicher abgeschlossener Ermittlungsverfahren nachzugehen und eine Evalua-
tion durchzuführen hat das Kabinett die Erweiterung des GVVG beschlossen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/4705
Es werden wieder Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die weit vor der eigentlichen Rechtsgutsverletzung, weit
vor dem Versuch einer solchen und sogar weit vor einer konkreten Rechtsgutsgefährdung liegen. Frühe neutrale
Vorbereitungshandlungen sind aber nicht strafwürdig, denn bis zur vermeintlich angestrebten Gewalttat sind
noch sehr viele Zwischenschritte und die Überwindung der Hemmschwelle zum maßgeblichen tödlichen Tatent-
schluss erforderlich. Der potentielle Täter hat noch die Wahl von der Gewalttat Abstand zu nehmen, vielleicht
hat er auch bloß mit dem Gedanken gespielt. Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu anderen abstrakten
Gefährdungsdelikten, bei denen der Erfolgseintritt nur noch vom Zufall abhängt, wie beispielsweise bei bestimm-
ten Umweltdelikten, die wegen einer möglichen Grundwasserverschmutzung die nicht ordnungsgemäße Entsor-
gung von Chemikalien unter Strafe stellen (§ 326 StGB) oder der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB). Dass die
Koalitionsfraktionen mit dem Änderungsantrag vom 17.4.2015 (Ausschussdrucksache 18(6)98) durch das Einfü-
gen der tätigen Reue auch bei § 89c StGB n.F. verhindern, dass das Rücktrittsrecht komplett leer läuft, wird
begrüßt, allerdings handelt es sich anders als bei § 24 StGB bloß um eine Ermessensvorschrift und es bleibt durch
die grundsätzliche Strafandrohung bei der Kriminalisierung von nicht strafwürdigem Verhalten.
Diese Vorverlagerung der Strafbarkeit bedeutet eine Verpolizeilichung des Strafrechts. Insbesondere die Auf-
nahme des neuen § 89c StGB und des § 89a Abs. 2a StGB in den § 112a StPO, nach dem bei Wiederholungsgefahr
ohne sonstigen Haftgrund die Anordnung von Untersuchungshaft möglich ist, belegen den Hauptzweck, vermeint-
liche „Gefährder“ für längere Zeit festnehmen zu können, als es der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam im
Gefahrenabwehrrecht zulässt. Neben der materiellen Verfassungswidrigkeit verstößt das GVVG-ÄndG auch ge-
gen die grundgesetzliche Kompetenzaufteilung, da mit dem Gesetzesentwurf im Grunde Gefahrenabwehr betrie-
ben wird, die nicht in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sondern der Länder liegt.
Auch die Einwände der Bundesdatenschutzbeauftragten, dass das GVVG-ÄndG erhebliche datenschutzrechtliche
Auswirkungen haben wird, blieben unbeachtet. Sie spricht die Türöffner-Funktion der Tatbestände an, indem sie
darauf verweist, dass weit im Vorfeld einer Terrorgefahr ein großer Personenkreis in Verdacht geraten kann und
schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Wohnungsdurchsuchungen, Telekommunikationsüberwachung und
akustische Wohnraumüberwachung zu befürchten hat. Da sich die subjektive Tatseite oftmals erst im fortgeschrit-
tenen Ermittlungsstadium klären lasse, bestünde die Gefahr, „dass relativ frühzeitig ein Anfangsverdacht ange-
nommen wird, der an für sich genommen neutrale Verhaltensumstände anknüpft“. So könne „schon derjenige
den Anschein der Terrorismusfinanzierung auslösen, der bei einem Terrorverdächtigen einen Gebrauchtwagen
kauft“ (Stellungnahme der Bundesdatenschutzbeauftragten Voßhoff zum GVVG-ÄndG vom 24.2.2015, Aus-
schussdrucksache 18(6)90).
Bereits bei einer weitgehend diffusen Bedrohungslage - genährt von dubiosen Geheimdienstberichten, die nur
beschränkt gerichtlich überprüfbar sind - kann ein Anfangsverdacht angenommen und Ermittlungen mit schweren
Grundrechtseingriffen aufgenommen werden. So werden in dem Evaluationsbericht von Dessecker und Feltes aus
2012 auch Fälle aufgeführt, in denen selbst Ermittlungsmaßnahmen von hoher Eingriffsintensität vor allem auf
Erkenntnisse zu den geäußerten Einstellungen, zu den sozialen Kontakten oder zu „verdächtigen“, aber ambiva-
lenten Handlungen des Betroffenen gestützt wurden. Es erscheint daher naheliegend, dass gerade Ermittlungen,
die solche Handlungen zum Gegenstand haben, in weiterem Umfang auf die inneren Einstellungen und sozialen
Kontakte zugreifen und darum auch weiter ausgedehnt werden als Ermittlungen wegen einer Handlung, die weit-
gehend aus sich heraus eingestuft werden kann. Als Indiz spricht hierfür auch, dass in den im Evaluationsbericht
geschilderten Verfahren häufig zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen nebeneinander eingesetzt wurden, die insge-
samt zu einer ausgesprochen hohen Überwachungsdichte führten (vgl. Bericht der Regierungskommission, S. 46).
So kann das gesamte persönliche und berufliche Umfeld der Verdächtigten in den Fokus geraten. Viele Unbetei-
ligte werden betroffen. Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden verlagern sich nicht nur zeitlich vor, son-
dern weiten sie auch insgesamt aus. Der strafprozessuale Verdachtsbegriff, der solche Ermittlungen eröffnet und
begrenzt, verliert an Konturen. Denn es geht nicht mehr darum, ob ein Anfangsverdacht für ein konkretes An-
schlagsvorhaben an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit vorliegt, sondern ob eine Anschlagsidee für
die evtl. noch ferne Zukunft oder an einem noch ungewissen Ort existiert. Solche Vorfeldtatbestände, die als
Ausforschungsinstrumente dienen, werden daher auch häufig als „Gummi-“ oder „Schnüffelparagraphen“ be-
zeichnet.
Da Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit nicht mehr die kriminelle Handlung, sondern die Motivation also der
kriminelle Gedanke ist und mit dieser ungewöhnlichen weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit im Terrorismus-
bereich eine Art Sonderrecht geschaffen wird, liegt der Vorwurf des Gesinnungs- und Feindstrafrechts nah.

Drucksache 18/4705 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Tatbestände geraten wegen der vorausgesetzten noch wenig umrissenen künftigen Gewalttat außerdem auch
in Konflikt mit dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG.
Der Bundesgerichtshof hat bei der Überprüfung des § 89a StGB die angesprochene Problematik gesehen, aber
letztlich wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und weil der Tatbestand immerhin noch eine Mani-
festierung der terroristischen Absicht in einer objektiven Handlung vorschreibt, noch eine verfassungskonforme
Auslegung als möglich erachtet. Danach muss derjenige der eine Vorbereitungshandlung begeht auch fest zur
Begehung der Gewalttat entschlossen sein, obwohl nach dem Gesetzestext auch der Eventualvorsatz ausgereicht
hätte (BGH, Urt. v. 8.5.2014, Az. 3 StR 243/13). Die Entscheidung überzeugt aufgrund der erwähnten Kritik-
punkte nicht (so auch u.a. Prof. Dr. Mitsch, „Vorbeugende Strafbarkeit zur Abwehr terroristischer Gewalttaten“,
NJW 2015 S. 209(211)). Zudem ist zweifelhaft, ob nach den in der Entscheidung entwickelten Kriterien das heu-
tige GVVG-ÄndG ebenfalls noch gehalten würde, denn nun wurde durch die Strafbarkeit des Ausreiseversuchs
eine noch weitergehende Vorverlagerung vorgenommen, die Erheblichkeitsschwelle bei der Finanzierung ist ent-
fallen und es bestehen bei keiner der kriminalisierten Handlungen noch Anhaltspunkte für eine Gewalttat. Als
angestrebte terroristische Tat reichen nun sogar bestimmte Umwelt- und Sachbeschädigungsdelikte aus.
Auch greift die von der Bundesregierung angeführte Argumentation mit der Verpflichtung aus der UN-Resolution
vom 24. September 2014 zur Bekämpfung des IS (Resolution 2178 (2014)) und mit den Empfehlungen der Finan-
cial Action Task Force (FATF) nicht. Die UN-Resolution schreibt in ihrer Ziffer 6 zwar vor, dass der Ausreise-
versuch zum Zweck der Involvierung in terroristische Aktivitäten unter Strafe gestellt werden muss, verhält sich
aber nicht näher dazu, nach welchen Maßstäben diese Zweckrichtung im Einzelfall zu ermitteln ist. Sie bietet
Gestaltungsspielraum, den der nationale Gesetzgeber im Sinne der Grundrechte ausschöpfen muss. Insofern lässt
sich argumentieren, dass die terroristische Absicht, die hinter dem Ausreiseversuch steht, sich zusätzlich in Form
einer konkreten Vorbereitungshandlung nach außen hin manifestiert haben muss, die z.B. bereits von den derzeit
gültigen §§ 89a und 89b StGB erfasst ist (so Dr. Payandeh, „Globale Anti-Terrorgesetzgebung: Die deutsche
Rechtsordnung im Sog des UN-Sicherheitsrats“, ZRP 2014, S. 241(243)). Oder man geht davon aus, dass der
Resolution durch die Vorschriften im Bereich des Passrechts, die schon jetzt die Verletzung eines Ausreiseverbots
unter Strafe stellen, Rechnung getragen werden kann (so Dr. Gazeas in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz des Bundestags am 23. März 2015, schriftliche Stellungnahme, S. 24). Hinsicht-
lich der Terrorismusfinanzierung ergibt sich gegenüber den bestehenden Vorschriften kein zwingender Ände-
rungsbedarf aus der Resolution, da sie auch nach bisherigem Recht unter Strafe steht wie auch der Wissenschaft-
liche Dienst des Bundestags festgestellt hat (WD-Gutachten, „Strafrechtlicher Umsetzungsbedarf aufgrund der
Resolution 2178 des VN-Sicherheitsrats“, WD 7 – 3000 – 255/14). Die Empfehlungen der Financial Action Task
Force, die die Bundesregierung zur Begründung heranzieht, sind nicht verpflichtend. Die Verpflichtung zur Straf-
verschärfung in der Resolution ist zudem zu weitgehend formuliert, so dass diese quasi-legislative Tätigkeit des
Sicherheitsrats eine Kompetenzüberschreitung darstellt, die sich auf der Grundlage der UN-Charta nicht begrün-
den lässt (so auch Scheinin, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte im
Kampf gegen den Terrorismus, „Zurück zur Post-9/11-Panik? Die Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Terror-
kämpfern“, Verfassungsblog v. 25.9.2014; Dr. Payandeh, ebd., S. 241(242)). Maßgeblich ist letztlich aber, dass
das GVVG-ÄndG gegen das Grundgesetz verstößt, so dass die Resolution soweit sie die Änderungen verlangt
keine wirksame Umsetzungspflicht begründen kann. Sie steht im Rang der Normenhierarchie unter der Verfas-
sung.
Im Hinblick auf das vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Antiterrordateiengesetz (BVerfG,
Urt. v. 24.4. 2013 – 1 BvR 1215/07) festgestellte grundgesetzliche informationelle Trennungsprinzip ist unabhän-
gig von den obigen Feststellungen die in § 7 des G 10-Gesetzes vorgesehene Erweiterung des Straftatenkatalogs
um §§ 89b und 89c StGB zum Datenaustausch von Polizei und Geheimdiensten verfassungswidrig (so auch
Dr. Gazeas bzgl. § 89b StGB, ebd., schriftliche Stellungnahme S. 25).
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat diesen Entschließungsantrag in seiner 50. Sitzung am
22. April 2015 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Zu Buchstabe b
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlage auf Drucksache 18/4279 in seiner 50. Sitzung
am 22. April 2015 beraten und empfiehlt, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/4705

IV. Zur Begründung der Beschlussempfehlung

Im Folgenden werden lediglich die vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfohlenen Änderungen
gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs in Drucksache 18/4087 erläutert. Soweit der Aus-
schuss die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfs empfiehlt, wird auf die Begründung in der Vorlage auf
Drucksache 18/4087 verwiesen.
Zu Nummer 1 (§ 89c Absatz 1 Satz 1 des Strafgesetzbuchs – StGB)
Die Ergänzung bewirkt, dass die Vorschrift im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand moderat erweitert wird.
Der Ausschuss ist hierbei der Auffassung, dass am Erfordernis des direkten Vorsatzes für die Finanzierung der
Katalogtat im Grundsatz festzuhalten ist. Die hohen Anforderungen an den subjektiven Tatbestand stellen das
notwendige Korrelat der Ausgestaltung der Terrorismusfinanzierung als Vorbereitungshandlung im objektiven
Tatbestand dar. Bei der in Absatz 1 geregelten Form der Begehung der Tat durch einen Dritten ist es gleichwohl
angezeigt, neben dem Wissen um die Tatbegehung auch die Absicht der Tatbegehung ausreichen zu lassen. Wird
die Tat durch einen Dritten ausgeführt, werden demjenigen, der die Tat (mit-)finanziert, ihre Ausgestaltung und
Erfolgsaussichten häufig im Detail unbekannt sein. Die Absicht der Begehung einer Tat durch einen Dritten hat
gleichwohl einen jedenfalls ebenso starken Unwertgehalt wie das Wissen um die Begehung einer Tat durch einen
Dritten. Gleichzeitig wird mit der moderaten Erweiterung des Vorsatzes Nachweisproblemen in der Praxis be-
gegnet.
Weitere Änderungen oder Präzisierungen des Tatbestandes sind nach Auffassung des Ausschusses nicht ange-
zeigt. Der Begriff des Sammelns ist hierbei als Einsammeln auszulegen. Das Internationale Übereinkommen der
Vereinten Nationen vom 19. Dezember 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (BGBl. 2003 II
S. 1923, 1924), auf das die Norm rekurriert, verwendet insoweit in Artikel 2 Nummer 1 in der englischen Sprach-
fassung den Begriff „collect“.
Zu Nummer 2
Mit der Anfügung des Absatzes 7 wird auch im Anwendungsbereich des § 89c StGB-E die Möglichkeit der tätigen
Reue geregelt, wenn der Täter seinen Tatentschluss aufgibt. Die Vorschrift lehnt sich an § 89a Absatz 7 StGB an.
Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass § 89c StGB-E ein so genanntes Planungsdelikt ist. Für einen Rücktritt
vom Versuch bleibt damit regelmäßig kein Raum. Gleichwohl kann der Täter die weitere Vorbereitung der Tat
aufgeben oder eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, dass andere diese Tat (sei es das Sammeln, Entge-
gennehmen oder Zur-Verfügung-Stellen von Vermögenswerten oder aber die in Absatz 1 Satz 1 Ziffern 1 bis 8
bezeichnete Katalogtat) weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwenden oder wesentlich mindern.
Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen, unter anderem dadurch, dass der Täter sich und die
geplante Tat einer Dienststelle offenbart. In diesen Fällen besteht kein zwingendes Bedürfnis mehr für eine straf-
rechtliche Sanktionierung. Das Gericht kann daher im Fall der tätigen Reue des Täters unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls im Rahmen seines Ermessens die Strafe mildern oder von Strafe absehen.

Berlin, den 22. April 2015

Ansgar Heveling
Berichterstatter

Dr. Johannes Fechner
Berichterstatter

Dirk Wiese
Berichterstatter

Halina Wawzyniak
Berichterstatterin

Hans-Christian Ströbele
Berichterstatter

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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