BT-Drucksache 18/4703

Einfluss der Bundesregierung auf die Deutsche Post AG

Vom 21. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4703
18. Wahlperiode 21.04.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Petra Sitte,
Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Einfluss der Bundesregierung auf die Deutsche Post AG

Die Deutsche Post AG hat unter dem Namen „Delivery“ 49 neue Gesellschaften
gegründet, die Teile der Paketzustellung übernehmen sollen. In diesen Gesell-
schaften sollen 20 000 Paketzustellerinnen und Paketzusteller beschäftigt wer-
den, die bisher befristet bei der Deutschen Post AG angestellt sind. Für sie soll
nicht mehr der Tarifvertrag der Deutschen Post AG gelten, sondern sie sollen zu
den deutlich schlechteren Bedingungen des Speditionsgewerbes angestellt wer-
den (vgl. DIE WELT vom 28. Januar 2015 „Ver.di entwirft Schlachtplan für Pro-
jekt ,Delivery‘“).
Die Deutsche Post AG plant gleichzeitig, ihren Aktionären eine Dividende von
0,85 Euro pro Aktie für das Jahr 2014 auszubezahlen. Im Vorjahr erhielten die
Aktionäre 0,80 Euro (2013: 0,70 Euro). Die Ausschüttung wird demnach um
6 Prozent angehoben. Bereinigt man das Konzernergebnis um Einmaleffekte,
bedeutet der Vorschlag eine Ausschüttungsquote von 50 Prozent (vgl. www.
mydividends.de/content/deutsche-post-steigert-die-dividende-0). Die Ausschüt-
tungsquote lag in den Jahren 2011 bis 2013 über dem Durchschnitt der DAX-
Unternehmen. In den Jahren 2003 bis 2013 wurden insgesamt mehr als 8 Mrd.
Euro als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet (vgl. Bundestagsdrucksa-
che 18/3796).
Auf die aktuellen Warnstreiks der Gewerkschaft ver.di reagiert die Deutsche
Post AG nun mit dem Einsatz von polnischen Werkvertragsbeschäftigten in der
Paketsortierung. Auch werden Leiharbeitskräfte für Streikbrucharbeiten einge-
setzt (vgl. DIE WELT vom 30. März 2015 „Post rüstet sich mit polnischen Ar-
beitern für Streiks“).
Auf die Schriftliche Frage der Abgeordneten Jutta Krellmann, ob die Bundes-
regierung ausschließen kann, dass es sich bei den für die Streikbruchtätigkeiten
eingesetzten Werkvertragsbeschäftigten um Scheinwerkverträge und somit ille-
gale Arbeitnehmerüberlassung handelt, antwortet die Bundesregierung, dass für
die Ausgestaltung der operativen Abläufe bei der Deutschen Post AG der Vor-
stand zuständig und verantwortlich sei. Eine Einflussnahme des Bundes als Ak-
tionär auf das operative Geschäft sei aus aktienrechtlichen Gründen nicht mög-
lich. Auch habe der Bund keine nähere Kenntnis über die in der Presse erwähnten
Sachverhalte und könne sich auch keine inhaltlichen Informationen dazu be-
schaffen. Der Bund oder andere staatliche Stellen hätten bei einer staatlichen Be-
teiligung an Aktiengesellschaften keine Sonderinformationsrechte (vgl. Antwort
auf die Schriftlichen Fragen 13 und 14 auf Bundestagsdrucksache 18/4730 der
Abgeordneten Jutta Krellmann).

Drucksache 18/4703 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Diese Antwort der Bundesregierung wirft eine Reihe weiterer Fragen auf. Zum
einen ist die Bundesregierung nicht lediglich ein Aktionär, sondern auch im
Aufsichtsrat der Deutschen Post AG vertreten. Der Aufsichtsrat nimmt nach
§ 111 des Aktiengesetzes die Aufgabe wahr, die Geschäftsführung zu überwa-
chen. Und er hat zu bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit
seiner Zustimmung vorgenommen werden können. Für die Bundesregierung
sitzt Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, im Auf-
sichtsrat der Deutschen Post AG. Angesichts der Antwort der Bundesregierung
auf die Schriftliche Frage der Abgeordneten Jutta Krellmann stellt sich die
Frage, welche Rolle und Funktion die Vertreter der Bundesregierung in Auf-
sichtsräten von Aktiengesellschaften eigentlich haben und mit welcher Zielstel-
lung sie dort agieren. Welche Position nimmt die Bundesregierung in den Auf-
sichtsräten zum Beispiel hinsichtlich der Fremdvergabe von Aufgabenbereichen
mit dem Ziel der Kosteneinsparung ein, und wie nutzt sie in diesem Zusammen-
hang die Möglichkeiten eines Aufsichtsrates? Wie verhält sich die Bundesregie-
rung bei der Fremdvergabe von Aufgaben, wenn damit Streikbruch organisiert
wird?
Zum anderen muss aber auch festgestellt werden, dass die Kontrolle der Einhal-
tung bestehender Gesetze eine öffentliche Aufgabe ist. Die zuständigen Kon-
trollbehörden sind beauftragt, Verstöße aufzudecken. Es muss daher verwun-
dern, dass die Frage, ob es sich bei den bei der Deutschen Post AG für Streik-
bruchtätigkeiten eingesetzten Werkvertragsbeschäftigten um Beschäftigte in
illegaler Arbeitnehmerüberlassung handelt, lediglich mit fehlenden Sonderin-
formationsrechten des Bundes als Aktionär beantwortet wird. Vielmehr geht es
doch um die Kenntnis der Bundesregierung, ob die zuständigen Kontrollbehör-
den die Werkvertragsbeschäftigung bei der Deutschen Post AG bereits kontrol-
liert haben bzw. wann sie dies machen werden.
Die frühere Behörde Deutsche Bundespost wurde im Jahr 1995 privatisiert. Seit
dem Jahr 2000 ist das Unternehmen zudem an der Börse tätig. Bis Ende des Jah-
res 2007 wurden der Deutschen Post AG durch das Postgesetz noch Exklusiv-
rechte eingeräumt, seitdem herrscht theoretisch freier Wettbewerb auf dem deut-
schen Postmarkt. Am 1. Januar 2013 wurde der europäische Postmarkt vollstän-
dig liberalisiert. Die Frage, ob und inwiefern sich die Arbeitsbedingungen bei
der Deutschen Post AG im Zuge der Privatisierung verschlechtert haben, sind
Thema zweier Unterrichtungen der Bundesregierung, die auf Tätigkeitsberich-
ten der Bundesnetzagentur und auf einem Sondergutachten der Monopolkom-
mission beruhen (vgl. Bundestagsdrucksachen 18/4552 und 18/210). Demnach
stellt die Monopolkommission fest, dass der Wettbewerb im Postsektor mit an-
gemessenen Arbeitsbedingungen vereinbar ist. Hier stellt sich die Frage, ob die
Bundesregierung diese Einschätzung angesichts der aktuellen Entwicklungen
bei der Deutschen Post AG teilt.
Die Personalchefin der Deutschen Post AG hat zudem gesagt, dass sie auch für
die Briefsparte eine Fremdvergabe mit dem Ziel der Kosteneinsparung nicht
ausschließen kann (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. März 2015
„Die Ostergrüße könnten liegen bleiben“). Im Postgesetz gibt es aber für den
lizenzierten Bereich, zu dem die Briefsparte in Teilen zählt, eine sogenannte
Sozialklausel, der zufolge eine Lizenz zu versagen ist, wenn „Tatsachen die An-
nahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die wesentlichen Arbeitsbedingun-
gen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, nicht unerheblich unterschreitet“.
Daher ist zu fragen, ob eine Fremdvergabe mit dem Ziel der Kosteneinsparung
aus Sicht der Bundesregierung mit dieser Sozialklausel des Postgesetzes verein-
bar wäre. Es stellt sich zudem die Frage, ob die Bundesregierung in entspre-
chende Überlegungen und Diskussionen bei der Deutschen Post AG involviert
ist und welche Position sie in dieser Frage vertritt.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4703
Die Deutsche Post AG befindet sich nicht mehr mehrheitlich in Staatsbesitz. Bis
zum Jahr 2012 hielt die KfW Bankengruppe im Auftrag des Bundes noch einen
Anteil von 30,5 Prozent der Aktien, womit sie eine Sperrminorität inne hatte.
Dieser Anteil wurde aber im Jahr 2012 auf 21 Prozent der Aktien reduziert. Dies
wirft die Frage auf, mit welcher Zielsetzung die Sperrminorität damals aufgege-
ben wurde und wie die derzeitige Bundesregierung diesen Schritt aus heutiger
Sicht bewertet.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Aufgaben haben aus Sicht der Bundesregierung Aufsichtsräte in

Aktiengesellschaften im Allgemeinen?
2. Welche Rolle und Funktion nehmen nach Auffassung der Bundesregierung

Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter in Aufsichtsräten ein?
Welche Zielsetzung verfolgen sie bei ihrer Tätigkeit (bitte insbesondere für
Aktiengesellschaften darstellen, wenn diese zuvor einmal in Staatsbesitz
waren)?

3. Wie sichern die Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter als Mit-
glieder in den Aufsichtsräten nach Auffassung der Bundesregierung konkret
eine Kontrolle der Geschäftsführung, wie sie laut Aktiengesetz vorgeschrie-
ben ist?

4. In welchen Aktiengesellschaften sitzen derzeit Vertreterinnen und Vertreter
der Bundesregierung bzw. des Bundes?

5. Welche Arten von Geschäften sind in diesen Aktiengesellschaften gemäß
§ 111 des Aktiengesetzes der Zustimmung durch den Aufsichtsrat unterwor-
fen?

6. Welche Position nehmen die Regierungsvertreterinnen und Regierungsver-
treter in Aktiengesellschaften hinsichtlich der Unterwerfung von bestimm-
ten Arten von Geschäften unter die Zustimmung des Aufsichtsrates ein, und
wie agieren sie in dieser Frage?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Fremdvergabe von Auf-
gaben ab einer bestimmten Größenordnung unter der Mitbestimmungsper-
spektive eine Art von Geschäft ist, das der Zustimmung durch den Auf-
sichtsrat unterworfen und nicht allein der Geschäftsführung überlassen
werden sollte (bitte begründen)?

8. Falls die Bundesregierung die Auffassung in Frage 7 teilt, welche Schritte
hat sie bisher im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG unternommen, um
Abstimmungen darüber einzuleiten, mit denen die Fremdvergabe von Auf-
gaben oder Tätigkeiten zu einem zustimmungspflichtigen Geschäft gemacht
wird?

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass auch die Fremdvergabe von
Aufgaben mit dem Ziel eines Streikbruchs eine Art von Geschäft ist, das der
Zustimmung durch den Aufsichtsrat unterworfen werden sollte?
Wenn ja, welche konkreten Schritte haben die Regierungsvertreterinnen
und Regierungsvertreter als Mitglieder in Aufsichtsräten diesbezüglich bis-
her unternommen?
Wenn nein, warum nicht?

10. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die im Zuge der aktuellen
Streikaktivitäten eingesetzten Werkvertragsbeschäftigten bei der Deutschen
Post AG bereits durch die zuständigen Behörden dahingehend überprüft, ob
es sich um illegale Arbeitnehmerüberlassung handelt?
Wenn ja, zu welchem Ergebnis kam die Überprüfung?

Drucksache 18/4703 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wenn nein, wird es demnächst eine Überprüfung geben, und wenn ja, wann?
Wenn keine Überprüfung geplant ist, warum nicht?

11. Teilt die Bundesregierung angesichts der Gründung der Delivery-Gesell-
schaften durch die Deutsche Post AG die Auffassung der Monopolkommis-
sion, dass der Wettbewerb im Postsektor mit angemessenen Arbeitsbedin-
gungen vereinbar ist (bitte begründen)?

12. Wie definiert die Bundesregierung angemessene Arbeitsbedingungen im
Postsektor (bitte sowohl auf die Briefsparte als auch auf die Paketzustellung
eingehen)?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Fremdvergabe in der
Briefsparte, wenn damit ein Absenken der Löhne verbunden wäre, ein Ver-
stoß gegen die Sozialklausel aus § 6 des Postgesetzes darstellen würde?

14. Wurde die Bundesregierung bereits über Pläne zur Fremdvergabe in der
Briefsparte informiert, oder waren entsprechende Überlegungen Bestandteil
von Gesprächen zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregie-
rung und der Deutschen Post AG?
Wenn ja, wer war seitens der Bundesregierung an diesen Gesprächen betei-
ligt, wann fanden sie statt, und welche Position nimmt die Bundesregierung
in dieser Frage ein?

15. Mit welchem Ziel und unter wessen Federführung wurden die Anteile des
Bundes an der Deutschen Post AG auf 21 Prozent reduziert und somit die
Sperrminorität aufgegeben?
Wie bewertet die Bundesregierung diesen Schritt aus heutiger Sicht?

16. Bietet die derzeitige Regelung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, der zu-
folge Leiharbeitnehmer nicht verpflichtet sind, bei einem Entleiher tätig zu
sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist, aus
Sicht der Bundesregierung einen ausreichenden Schutz der betroffenen
Leiharbeitnehmer, und welche Wahl haben sie aus Sicht der Bundesregie-
rung, wenn sie eigens zu diesem Zweck angestellt werden und wenn sie da-
rüber hinaus aus dem europäischen Ausland angeworben werden?

Berlin, den 20. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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