BT-Drucksache 18/4670

Proliferationsgefahr von Waffen und Munition aus dem westlichen Balkan

Vom 30. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4670
18. Wahlperiode 30.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, Marieluise Beck (Bremen),
Manuel Sarrazin, Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner, Uwe Kekeritz,
Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg),
Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Proliferationsgefahr von Waffen und Munition aus dem westlichen Balkan

In den Staaten des westlichen Balkans lagern unter anderem aus Zeiten der
Jugoslawien-Kriege immense Bestände an Waffen und Munition. Studien, etwa
im Rahmen des Small Arms Survey des Graduate Institute of International
and Development Studies in Genf (www.smallarmssurvey.org/fileadmin/docs/
C-Special-reports/SAS-SR13-Significant-Surpluses.pdf), zufolge verfügte allein
Bosnien und Herzegowina zum Zeitpunkt der Erstellung der Studie im Jahr 2011
über 22 500 Tonnen überschüssiger Munition, verteilt auf damals 20 verschie-
dene Lagerstätten im ganzen Land. Eine Arbeitsgruppe von Experten aus OSZE
(Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), NATO, UNDP
(United Nations Development Programme) und EUFOR (European Union
Force) stellte im Jahr 2010 fest, dass keine dieser Lagerstätten internationalen
Sicherheitsstandards entspricht. Die Bestände seien teils völlig unzureichend
gesichert und kaum vor Zugriff durch Unbefugte geschützt. Die unzureichend
gesicherten Lagerstätten stellen ein Sicherheitsrisiko für das weiterhin von eth-
nischen Spannungen geprägte Land dar. Auch in Albanien existieren enorme
Waffenlager z. T. noch mit Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg, die nur unzurei-
chend gesichert sind und wie bei der schweren Explosion des Waffenlagers in
Gerdec im Jahr 2008 mit vier Todesopfern und immenser Zerstörung in den um-
liegenden Siedlungen die Sicherheit der Bevölkerung vor Ort erheblich beein-
trächtigen (www.news.bbc.co.uk/2/hi/europe/7298341.stm). Auch die Gefahr
der Proliferation der derart unzureichend gesicherten Lager von Waffen und
Munition in Krisengebiete erscheint entsprechend groß. In mehreren Ländern
der Regionen, vor allem in Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Kroatien,
Mazedonien und Serbien, muss viele Jahre nach dem Ende der Kampfhandlun-
gen zusätzlich davon ausgegangen werden, dass sich eine enorme Anzahl an
Waffen weiterhin an nicht ausreichend gesicherten, schlecht oder nicht über-
wachten Orten – etwa in Privathaushalten – befindet.
Neben der Problematik ungeschützter Altbestände birgt auch die Expertenmei-
nungen zufolge nur unzureichend kontrollierte Rüstungsindustrie der Staaten
des westlichen Balkans erhebliche Gefahren der Proliferation von Waffen und
Munition in Krisengebiete. In Serbien haben Rüstungsexporte laut Studien des
Bonn International Center for Conversion einen immerhin 4-prozentigen Anteil
am Gesamtexport des Landes (Informationsdienst Sicherheit, Rüstung und Ent-
wicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte – Länderportrait
Serbien, Dezember 2014). Vor allem der serbische Automobil- und Rüstungs-

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konzern Zastava gilt als einer der größten regionalen Produzenten von Schuss-
waffen, der unter anderem das russische Maschinengewehr AK47 in Lizenz her-
stellt und weiterentwickelt hat. Der Wert der ausgeführten Rüstungsgüter Ser-
biens lag zuletzt bei 400 Mio. US-Dollar im Jahr. Auch in Bosnien und Herze-
gowina befinden sich zahlreiche Betriebe vor allem zur Munitionsproduktion. In
der größten Anlage in Konjic können Munition bis zu 20 mm sowie Mörsergra-
naten mit dem Kaliber 82 mm und 120 mm hergestellt werden. In einer Produk-
tionsstätte in Vitez wird Munition für schwere Artillerie, Raketenwerfer sowie
Luft-Boden-Raketen gefertigt. Empfänger lassen sich der Studie zufolge in der
ganzen Welt finden, vorwiegend jedoch unter alten Verbündeten Jugoslawiens,
darunter auch Krisengebiete im Nahen Osten. Weder Serbien noch Bosnien und
Herzegowina sind bislang dem Wassenaar-Abkommen für Exportkontrollen von
konventionellen Waffen und doppelverwendungsfähigen Gütern und Technolo-
gien beigetreten, wobei Beitrittsanträge anhängig sind.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Depots für überschüssige

Waffen und Munition in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie in Alba-
nien?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung verschiedener Experten (Small
Arms Survey, Significant Surpluses: Weapons and Ammunition Stockpiles in
South-east Europe, Dezember 2011), dass die Depots in zahlreichen Fällen
völlig unzureichend vor unbefugtem Zugriff geschützt sind?

3. Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse, wonach aus diesen Depots
Waffen und Munition in Krisengebiete gelangten (bitte ggf. Herkunfts- und
Zielländer benennen)?

4. Liegen der Bundesregierung Hinweise darüber vor, ob Munition aus den
Staaten des ehemaligen Jugoslawiens bei konkreten Terrorismusfällen ver-
wandt worden ist (falls ja, bitte Einzelfälle auflisten)?

5. Unterstützt die Bundesregierung die Vernichtung von überschüssiger Muni-
tion und Waffen sowie die Sicherung von Lagerbeständen in den einzelnen
Ländern?
Falls ja, seit wann, und in welcher Form?
In welcher Höhe wurden hierfür ggf. finanzielle Mittel bereitgestellt?

6. Existieren im Rahmen der NATO, ihrer Aktionspläne zur Vorbereitung auf
die Mitgliedschaft (MAP) und ihrer Partnerschaften (PfP) Hilfsprogramme
zur Sicherung und Vernichtung überschüssiger Waffen und Munition in den
Mitglieds- bzw. Partnerländern der Region des Westbalkans?

7. Verfügt die Bundesregierung über Hinweise, dass Munition aus den Staaten
des ehemaligen Jugoslawiens in Deutschland auf dem Schwarzmarkt erhält-
lich ist?

8. Welche konkreten Maßnahmen werden innerhalb der Europäischen Union
geplant, um das Problem der Depots für überschüssige Waffen und Munition
in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens zu lösen?

9. Inwieweit setzt sich die Bundesregierung dafür ein, unzureichend gesicherte
Lagerstätten von Waffen und Munition und die daraus resultierende Gefahr
der Proliferation in den EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien zu themati-
sieren?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4670
10. Inwieweit wird sich die Bundesregierung bei zukünftigen Beitrittsverhand-
lungen mit Kandidatenländern aus dem westlichen Balkan dafür einsetzen,
unzureichend gesicherte Lagerstätten von Waffen und Munition und die
daraus resultierende Gefahr der Proliferation in den Beitrittsverhandlungen
zu thematisieren?

11. Über welche Waffenexportgesetzgebung verfügen nach Kenntnis der Bun-
desregierung die Staaten des Westbalkans?
Werden durch die Länder Endverbleibskontrollen vorgenommen, und exis-
tieren in den Ländern Richtlinien, nach denen keine Waffen in Krisenregio-
nen geliefert werden dürfen?

12. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Rüstungsexportkontrolle in den (rüstungsexportierenden) Staaten
des westlichen Balkans, auch vor dem Hintergrund teils komplexer inner-
staatlicher Zuständigkeitsregelungen, wie etwa in Bosnien und Herzego-
wina?

13. Welche „Outreach“-Maßnahmen zum Aufbau und zur Verbesserung des Ex-
portkontrollsystems wurden bislang vonseiten der EU bzw. der Bundes-
regierung in den Staaten des westlichen Balkans durchgeführt?
Wo sieht die Bundesregierung noch Defizite und Handlungsbedarf?

14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Export von Rüstungs-
gütern aus den einzelnen (rüstungsexportierenden) Staaten in Krisengebiete
weltweit?
Welche Endverbleibserklärungen Bosnien und Herzegowinas liegen der
Bundesregierung vor, und gibt es Anfragen auf Weiterleitung der aus
Deutschland gelieferten Güter?

15. Wie ist der Stand der Beitrittsprozesse der einzelnen Staaten zum Was-
senaar-Abkommen für Exportkontrollen von konventionellen Waffen und
doppelverwendungsfähigen Gütern und Technologien?
In welcher Form leistet die Bundesregierung hierbei ggf. Unterstützung?

16. Sind der Bundesregierung Untersuchungen oder Schätzungen über die Grö-
ßenordnung der in den Ländern der Region des Westbalkan befindlichen
Waffen bekannt, die sich der staatlichen Kontrolle – etwa durch illegalen
Privatbesitz in Nachkonfliktsituationen – entziehen (siehe etwa: Vlado
Azinovi/Kurt Bassuener/Bodo Weber: Assessing the potential for renewed
ethnic violence in Bosnia and Herzegovina – A security risk analysis;
www.atlanticinitiative.org/images/stories/ai/pdf/ai-dpc%20bih%20security%
20study%20final%2010-9-11.pdf)?
Falls ja, zu welchem Schluss kommen gegebenenfalls diese Untersuchun-
gen, und welche Konzepte verfolgen EU und Bundesregierung, um zur Ein-
dämmung dieser Sicherheits- und Proliferationsrisiken beizutragen?

Berlin, den 24. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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