BT-Drucksache 18/4461

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/4203, 18/4447 - Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union vom 15. Februar 2010 und 22. Januar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 1872 (2009) und 2158 (2014) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Vom 25. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4461
18. Wahlperiode 25.03.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Frithjof Schmidt, Agnieszka Brugger,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner,
Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Peter Meiwald, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin, Doris Wagner
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/4203, 18/4447 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf
Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben
vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse
des Rates der Europäischen Union vom 15. Februar 2010 und 22. Januar 2013
in Verbindung mit den Resolutionen 1872 (2009) und 2158 (2014) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Somalia ist eines der ärmsten Länder der Welt und besonders schwer durch Bürger-
krieg, Hungerkrisen und Umweltkatastrophen betroffen. Das Land hat die dritt-
höchste Kindersterblichkeit der Welt. 857 000 Menschen sind laut Welternährungs-
programm (WFP) auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen und über zwei Millionen So-
malierinnen und Somalier befinden sich auf der Flucht, davon 1,1 Millionen als Bin-
nenflüchtlinge (IDPs). Das Land ist zugleich Opfer von und Rückzugsort für Terro-
rismus und Piraterie.
Die Befriedung und Stabilisierung Somalias stellt auch künftig eine große Heraus-
forderung für die somalische Regierung und die internationale Gemeinschaft dar.
Erste Schritte auf dem langen Weg wurden in den letzten Jahren gegangen. So stie-
gen die somalischen Staatseinnahmen im letzten Jahr um 21 % und die finanzielle
Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft vervierfachte sich. Auf einer
gemeinsam von der somalischen und britischen Regierung ausgerichteten Konferenz
wurde im September 2014 ein Konzept für den weiteren Aufbau der somalischen

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Streitkräfte bis 2019 vorgelegt. Demokratische Wahlen sind für das Jahr 2016 ge-
plant. Die Sicherheitslage in Mogadischu und anderen Teilen Somalias hat sich in
den letzten Jahren leicht stabilisiert, sie bleibt aber weiter fragil. So kontrolliert die
islamistische Al-Shabaab, die sich seit 2012 offiziell als Ableger von Al-Qaida ver-
steht, weiterhin große Teile Zentralsomalias und verübt gezielte Anschläge in Mog-
adischu, wie bspw. im Februar 2015 auf ein Hotel in der Hauptstadt, bei dem mehr
als 25 Menschen starben. Auch die somalische Regierung sowie Geheimdienst und
Armee gelten als von Al-Shabaab infiltriert.
Die Europäische Union hat zusammen mit der somalischen Regierung im September
2013 eine „New-Deal-Konferenz“ ausgerichtet, an deren Ende der so genannte So-
mali-Pakt unterzeichnet wurde. Dieser bildet den Rahmen für den Wiederaufbau So-
malias – insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und sozio-
ökonomische Entwicklung. Die somalische Regierung hat darauf aufbauend ein ei-
genes Maßnahmenpaket mit dem Titel „Vision 2016: Handlungsrahmen“ beschlos-
sen, mit dem die Beschlüsse des Somali-Paktes umgesetzt werden sollen. Darüber
hinaus hat sich die Europäische Union 2011 auf einen strategischen Rahmen für das
Horn von Afrika („A Strategic Framework for the Horn of Africa“) verständigt, der
das politische Engagement der EU ausbuchstabiert. Hierzu gehört u. a. auch der An-
satz, die verschiedenen zivilen und militärischen Missionen am Horn von Afrika,
EU NAVFOR ATALANTA, EUCAP Nestor sowie EUTM Somalia zu verknüpfen
und Synergien beim Aufbau und der Durchsetzung insbesondere von Rechtsstaat-
lichkeit und Sicherheit in Somalia zu erzeugen.
Da die Sicherheitslage 2010 eine direkte Unterstützung der nur rudimentär existie-
renden somalischen Armee nicht zuließ, wurde zunächst eine Ausbildungsmission
für somalische Soldatinnen und Soldaten in Uganda begonnen. So wurden Milizio-
näre ausgebildet, die in der Regel kaum unter zentraler staatlicher Kontrolle standen.
Die somalische Regierung hat einen Prozess zur Integration regionaler Milizen in
die somalische nationale Armee ausgearbeitet, der von der Europäischen Union be-
grüßt wird. Die Umsetzung steht jedoch noch aus. Es gibt in diesem Zusammenhang
deutliche Hinweise und auch Kritik, dass bei der Auswahl der auszubildenden Rek-
rutinnen und Rekruten der Schwerpunkt einseitig auf bestimmten Clans liegt, was
den Rückhalt der Armee in anderen Teilen der Bevölkerung schwächt. Problema-
tisch ist insbesondere, dass EUTM bei der Auswahl der Ausbildungsteilnehmerinnen
und -teilnehmern von EUTM Somalia kein Mitspracherecht hat. Auch gelingt es den
Ausbildern bisher aufgrund der angespannten Sicherheitslage nicht, über Moga-
dischu hinaus zu Wirken. Die Zuteilung erfolgt durch die somalische Regierung,
wodurch besonders einzelne Clans begünstigt werden. Diese Rekrutierungspraxis
kann zukünftige innersomalische Konflikte befördern. Vor diesem Hintergrund be-
steht die erhebliche Gefahr, dass durch die Mission Clanrivalitäten fortbestehen oder
weiter verstärkt werden. Nach wie vor fehlt es der Europäischen Union an einem
schlüssigen Ansatz, der die verschiedenen Akteure mit ihren jeweiligen Interessen
in den Blick nimmt und sich mit Engagement für zukünftige Verhandlungsmöglich-
keiten zwischen allen Akteuren einsetzt mit dem Ziel, den Aufbau staatlicher Struk-
turen nicht ausschließlich von der Ebene der Zentralregierung aus zu unterstützten.
Darüber hinaus gibt es in Somalia zahlreiche Anbieter für Militärausbildung. Neben
der EU und AMISOM bieten auch die Türkei und die USA eigene Ausbildungspro-
gramme für die somalische Armee an. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Groß-
britannien außerhalb von EUTM afrikanische Einheiten ausbildet, die für den Ein-
satz bei AMISOM in Somalia bestimmt sind. Es fehlt ein übergreifender internatio-
naler Gesamtansatz, der die unterschiedlichen Ausbildungsangebote zusammenbin-
det, für sie verbindliche menschen- und völkerrechtliche Standards festlegt und in
ein Gesamtkonzept für den Wiederaufbau Somalias einbettet. Dabei muss auf den
Einsatz privater Sicherheitsfirmen wie Bancroft Global, die zurzeit einen Teil des
Ausbildungsprogramms der USA durchführen, verzichtet werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4461
Die Verlegung der europäischen Trainingsmission von Uganda nach Mogadischu im
Herbst 2013 änderte an der Sicherheitslage im Wesentlichen nichts und Deutschland
stellte zu diesem Zeitpunkt aus Sicherheitsgründen die Beteiligung an der Mission
ein. Nach dem Beschluss der Bundesregierung vom 19. März 2014 wurde eine Wie-
deraufnahme der Beteiligung am 3. April 2014 vom Bundestag mandatiert. Auf die-
ser Grundlage werden bis zu 20 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Somalia ein-
gesetzt. Im Rahmen von EUTM Somalia wurden bisher über 4000 Soldatinnen und
Soldaten trainiert. Über deren Einsatz bzw. Verbleib gibt es nur wenige gesicherte
Informationen. Es gibt aber Hinweise, dass viele Soldatinnen und Soldaten nach
Ausbildung durch EUTM Somalia nicht mehr auffindbar sind und nur zur Auszah-
lung des Lohnes wieder auftauchen. Einige beteiligen sich darüber hinaus auch nach
der Ausbildung an illegalen Aktivitäten, die kennzeichnend für Milizen in Somalia
sind. Dazu zählen das Errichten von illegalen Straßensperren und die Forderung von
Wegzoll. Die Loyalität dieser ausgebildeten Rekruten liegt in erster Linie bei ihren
Warlords und deren Clanzugehörigkeiten. Ein geplantes Monitoring der EU wurde
seit 2010 praktisch nicht umgesetzt. Ob sich das Problem mit der nun geplanten Ein-
führung eines biometrischen Passsystems in den Griff bekommen lässt, bleibt abzu-
warten. Im Bereich der somalischen Polizei zeigt ein vergleichbarer Prozess erste
Erfolge: Über 70 % der somalischen Polizei haben sich bereits registriert und so die
Transparenz und Nachverfolgbarkeit polizeilicher Personalstrukturen deutlich er-
höht.
Eine Evaluierung von EUTM SOM hat bislang nicht stattgefunden und somit sind
zahlreiche Fragen hinsichtlich des Rekrutierungsprozesses bis hin zur organisatori-
schen Zugehörigkeit der somalischen Streitkräfte bis dato ungeklärt. So gibt es Hin-
weise, dass der Verbleib vieler ausgebildeter Soldatinnen und Soldaten unklar ist,
sie nicht ausreichend entlohnt werden und der Armee ob des Mangels an Kasernen
nur begrenzt zur Verfügung stehen. Die Europäische Union hat daher mehrfach ei-
nen dringenden Appell an ihre Partner gerichtet, die Finanzierung der somalischen
Streitkräfte bis auf weiteres durch einen ernstzunehmenden Beitrag zu unterstützen.
Gleiches gilt für die notwendige Unterstützung der fortlaufenden Operation „Indi-
scher Ozean“ der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM), die seit
2007 darauf abzielt, die somalische Regierung bei der Stabilisierung des Landes zu
unterstützen. Solange diese Umstände, Bedingungen und Folgen der Ausbildungs-
mission nicht hinreichend geklärt sind und die Probleme und Missstände von EUTM
Somalia nicht beseitigt sind, ist eine erneute Beteiligung der Bundeswehr an dieser
Mission weder sinnvoll noch politisch vertretbar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dass die Ausbildung von Rekrutinnen und Rekruten im Rahmen von EUTM
Somalia ausgesetzt wird, bis die notwendige Qualität der Ausbildung sicherge-
stellt ist, insbesondere, bis die Rekrutinnen und Rekruten in klare Befehlsstruk-
turen der somalischen Armee eingebunden sind und regionale Milizen unter der
Kontrolle der demokratisch gewählten Regierung stehen;

2. darauf hinzuwirken, dass die EU eine Evaluation der seit 2010 durch die EU
stattfindenden Ausbildung somalischer Soldatinnen und Soldaten vorlegt und
insbesondere darstellt, in welchen Strukturen der somalischen Armee die aus-
gebildeten Soldatinnen und Soldaten derzeit Verwendung finden;

3. darauf hinzuwirken, dass die EU genaue Zahlen über die Abbruchquote bei den
bisherigen Ausbildungen bei EUTM Somalia vorlegt und konkrete Informatio-
nen über den Verbleib dieser Soldatinnen und Soldaten öffentlich macht;

4. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass bei der Rekrutierung für die somalische
Armee auf die vorhandenen Clanstrukturen Rücksicht genommen wird und
nicht bestimmte Großfamilien gegenüber anderen in einem Maße bevorzugt
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/4461 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

werden, welches weitere Spannungen im somalischen Bürgerkrieg nach sich
zöge;

5. bei Wideraufnahme der Ausbildung auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass
die im Rahmen der GSVP beschlossene Betonung von Menschen- und Völker-
recht sowie Genderfragen zu einem zentralen Inhalt der Ausbildung der soma-
lischen Soldatinnen und Soldaten wird;

6. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass der strategische Rahmen für das Horn
von Afrika einer kritischen Überprüfung unterzogen wird und sich für die Ent-
wicklung eines übergreifenden internationalen Gesamtansatzes einzusetzen,
der die unterschiedlichen Ausbildungsangebote zusammen bindet, für sie ver-
bindliche menschen- und völkerrechtliche Standards festlegt und sie in ein Ge-
samtkonzept für den Wiederaufbau Somalias einbettet;

7. ihr bilaterales entwicklungspolitisches Engagement in Somalia grundlegend zu
überdenken und ein Konzept für eine längerfristige Verantwortungsübernahme
vorzulegen;

8. ihre bilateralen Zusagen, die sie auf den Londoner Somalia-Konferenzen ge-
macht hat, rasch umzusetzen und die Blockade gegen weitere finanzielle Zusa-
gen an das internationale Engagement (wie vor allem den Somali Development
and Reconstruction Facility (SDRF)) im Sinne eines schnelleren und politisch
sinnvollen Mittelabflusses aufzugeben;

9. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, den zivilen und politischen Stabilitätsbemü-
hungen in Somalia, die den strukturellen Ursachen von Armut, Hunger und Ge-
walt begegnen im Sinne einer kohärenten EU-Politik und in Zusammenarbeit
mit relevanten Partnern, mehr Gewicht zu verleihen:
a) die Unterstützung der EU stärker an der Gesamtstrategie der Peacebuil-

ding und Statebuilding Goals (PSG) des International Dialogue for Peace-
building and Statebuilding zu orientieren und die somalische Bundesre-
gierung bei der Umsetzung der „Vision 2016: Handlungsrahmen“ weiter
zu unterstützen;

b) darauf hinzuwirken, dass gezielt lokale und regionale Regierungs- und
Verwaltungsstrukturen, also vor allem dezentrale Strukturen gefördert
werden;

c) auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass geeignete Maßnahmen unterstützt
werden, durch die Waffenlieferungen nach Somalia effektiv verhindert so-
wie Geldwäsche und Finanztransaktionen gewalttätiger Gruppen interna-
tional wirksam bekämpft werden können;

d) sich dafür einzusetzen, dass die unregulierte und meist illegale Fischerei
durch europäische und asiatische Fangschiffe vor den Küsten Somalias,
die die Situation von Armut und Gewalt weiter verstärken, gestoppt wird;

e) auf die Bündnispartner mit Nachdruck einzuwirken, völkerrechtswidrige
gezielte Tötungen durch Drohnenangriffe umgehend einzustellen und end-
lich aufzuklären, inwieweit eine Beteiligung an der Planung und Ausfüh-
rung dieser Aktionen durch US AFRICOM von deutschem Staatsgebiet
aus erfolgt;

10. den schrittweisen Aufbau einer deutschen diplomatischen Präsenz vor Ort vo-
ranzutreiben um die deutschen Aktivitäten zu koordinieren.

Berlin, den 24. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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