BT-Drucksache 18/4184

Tarifautonomie stärken - Streikrecht verteidigen

Vom 3. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4184
18. Wahlperiode 03.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, Susanna
Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
(Zwickau) und der Fraktion DIE LINKE.

Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der vorliegende Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/4062)
ist Verfassungsbruch mit Ansage. Gezielt wird darin die Koalitionsfreiheit auf Ar-
beitnehmerseite und das durch die Verfassung geschützte Streikrecht in Art. 9 GG
angegriffen. Wenn die Bundesregierung gesetzlich festschreibt, dass in einem Be-
trieb allein der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gilt, findet gemäß der ge-
planten gesetzlichen Regelung das Ergebnis des Arbeitskampfes der vermeintlichen
Minderheitsgewerkschaft, ihr Tarifvertrag, keine Anwendung mehr. Beschäftigte
werden den Aufwand und die Nachteile eines Arbeitskampfes nicht auf sich nehmen,
wenn von vornherein feststeht, dass dadurch kein Tarifvertrag mehr erkämpft wer-
den kann. So entzieht die Bundesregierung der Minderheitsgewerkschaft faktisch
das Streikrecht und schafft es ab. Wer den Streik über gesetzliche Regelungen für
bestimmte Gewerkschaften per se ausschließt, bedroht die existenzielle Grundlage
der betreffenden Gewerkschaft. Das geplante Tarifeinheitsgesetz ist der elegante
Versuch Gewerkschaften auszuschalten, ohne sie explizit zu verbieten.

In einem eigens von der Fraktion DIE LINKE. in Auftrag gegebenen »Gutachten
zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Tarifeinheitsgesetz« bezeichnet der
Verfasser Prof. Dr. Wolfgang Däubler das von der Bundesregierung geplante Gesetz
als den denkbar folgenschwersten Eingriff in Art. 9 GG, der nur noch durch ein Ge-
werkschaftsverbot selbst übertroffen werden würde. Das Prinzip „Ein Betrieb – Eine
Gewerkschaft“ ist sinnvoll und richtig. Es muss aber von den Beschäftigten und ih-
ren Gewerkschaften selbst durchgesetzt werden. Der Weg, mittels eines Gesetzes die
verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie anzugreifen, ist der falsche.

Die Bundesregierung plant einen Frontalangriff auf das System der Flächentarifver-
träge. Wenn in einzelnen Betrieben mit geringem Organisationsgrad unterschiedli-
che Mehrheiten bestehen, wird durch das Tarifeinheitsgesetz der Flächentarif durch-
löchert und ein Flickenteppich unterschiedlicher Vereinbarungen entsteht. Bisher
gibt es kein verlässliches Verfahren, wie in einem überschaubaren Zeitraum die Mit-
gliederzahl von zwei Gewerkschaften in einem Betrieb festgestellt werden kann. Es
ist zum Beispiel offen, was passiert, wenn mehrere Notare unterschiedliche Mitglie-
derzahlen feststellen. Außerdem ist zu kritisieren, dass Beschäftigte verpflichtet wer-
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/4184 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
den sollen, ihre Mitgliedschaft zu einer Gewerkschaft offen zu legen. Ob diese Ver-
pflichtung verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist, ist ungeklärt. Über welchen
Zeitraum das Ergebnis einer Auszählung zwischen zwei Gewerkschaften fortbesteht,
ist ebenfalls unsicher. Wie damit umzugehen ist, wenn sich Mitgliedermehrheiten
im Laufe der Zeit zugunsten der vormals mitgliederschwächeren Gewerkschaft ver-
ändern, bleibt genauso unklar wie die Frage, ob die vormals mitgliederschwächere
Gewerkschaft dann für die Durchsetzung eines Tarifvertrags einen Arbeitskampf
führen darf.

Die Sorge der Bundesregierung um die »Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie« ist
vorgeschoben. Wäre die Bundesregierung ernsthaft in Sorge darüber, wären andere
Maßnahmen als das Tarifeinheitsgesetz notwendig. Hier ist ganz deutlich die Tarif-
flucht der Arbeitgeber zu benennen. Diese verlassen den Arbeitgeberverband oder
bedienen sich des Angebots einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. Den Arbeitge-
bern sind bislang keine Betriebsspaltungen und keine Vielzahl unterschiedlicher Ar-
beits- und Tarifverträge zu kompliziert, wenn dadurch Kostenvorteile winken. Vor
diesem Hintergrund schrecken Arbeitgeber auch vor einem bürokratischen Mehrauf-
wand nicht zurück.

Die betriebliche Einheit gibt es längst nicht mehr. Die Arbeitgeber haben sie schon
vor Jahren aufgekündigt und es fehlt an strikten gesetzlichen Begrenzungen, damit
die Tarifeinheit in den Betrieben nicht weiter gefährdet wird. Stammbelegschaften
werden dezimiert und arbeiten Seite an Seite mit Leiharbeitskräften oder mit Be-
schäftigten von Werkvertragspartnern. Aufgabe der Politik in diesem Zusammen-
hang muss es sein, die Rechte der Beschäftigten zu stärken. Dringend notwendig
sind beispielsweise
das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ab dem ersten Einsatztag ohne

Ausnahme bei der Leiharbeit und die Einschränkung von Lohndumping durch
die bisherige Vergabepraxis von Werkverträgen,

eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten,
die Eindämmung von unfreiwilliger Teilzeitarbeit und die Abschaffung von

sachgrundlosen Befristungen,
jede Stunde Arbeit muss der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen und

geringfügige Beschäftigung darf nicht weiter subventioniert werden und
das Streikrecht ist zu erweitern und der politische Streik und Generalstreik wird

rechtlich erlaubt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

folgende Maßnahmen zu ergreifen:

1. Der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes ist zurückzuziehen, da erhebliche Zweifel
an der Verfassungsmäßigkeit bestehen.

2. Die Bundesregierung hat gesetzliche Vorgaben zur Bekämpfung der Tarifflucht
durch die Arbeitgeber und zur Zurückdrängung der Zersplitterung der Tarifland-
schaft zu unterbreiten.

Berlin, den 3. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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