BT-Drucksache 18/4183

Mindestlohn sichern - Umgehungen verhindern

Vom 3. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4183
18. Wahlperiode 03.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij, Thomas
Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Axel Troost,
Dr. Sahra Wagenknecht, Sabine Zimmermann (Zwickau) und
der Fraktion DIE LINKE.

Mindestlohn sichern – Umgehungen verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem 1. Januar 2015 gilt nun endlich auch in Deutschland – als einem der letzten
Länder in Europa – ein gesetzlicher Mindestlohn. Die Einführung des Mindestlohns
war ein richtiger, längst überfälliger Schritt mit positiven Effekten für die Beschäf-
tigten und die wirtschaftliche Entwicklung.

Für die Löhne der Beschäftigten legt der gesetzliche Mindestlohn eine Grenze nach
unten fest. Die Konkurrenz zwischen den Betrieben kann damit nur noch in einem
gewissen Maß zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Lohndum-
ping ausgetragen werden. Für viele Beschäftigte im Niedriglohnbereich steigt sogar
der Lohn.

Für viele Unternehmen wird nun ihre Strategie, über möglichst niedrige Löhne Wett-
bewerbsvorteile zu erringen, erschwert. Der gesetzliche Mindestlohn schützt unzäh-
lige Unternehmen vor Dumpingkonkurrenz. Höhere Löhne führen zu einer höheren
Kaufkraft und damit zu mehr Binnennachfrage, was insbesondere kleinen und mit-
telständischen Unternehmen nutzt.

Die derzeit von Arbeitgeberverbänden und der CDU/CSU-Fraktion formulierten
Angriffe auf einzelne Regelungen des gesetzlichen Mindestlohns sind strikt zurück-
zuweisen. Die Behauptung einer vermeintlich überbordenden Bürokratie hat einzig
den Zweck, den Mindestlohn zu unterlaufen. Das gilt insbesondere für die proble-
matisierte Dokumentationspflicht der geleisteten Arbeitszeit.

Die CDU/CSU-Fraktion hat es offensichtlich nicht verwunden, dass es trotz ihres
jahrelangen Widerstandes eine breite gesellschaftliche Mehrheit für den gesetzlichen
Mindestlohn gibt. Sie zeichnet das Schreckgespenst des angeblichen „Bürokratie-
monsters“ Mindestlohn und macht sich so weiter zum Handlanger der Arbeitgeber-
verbände.

Arbeitszeiten zu dokumentieren ist eine Mindestvoraussetzung für die tatsächliche
Umsetzung des Mindestlohns. Seine Einhaltung kann nur effektiv kontrolliert wer-
den, wenn es belastbare Aufzeichnungen über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit
gibt.

Drucksache 18/4183 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Festzuhalten ist zudem, dass die Aufzeichnungsplicht lediglich für geringfügige Be-
schäftigungsverhältnisse sowie für neun Branchen gilt, die als besonders miss-
brauchsanfällig eingestuft sind. Für Branchen, für die ein für allgemeinverbindlich
erklärter Mindestlohn nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gilt, gibt es die Auf-
zeichnungspflicht für die Arbeitszeiten schon lange – ohne dass die Unternehmen
reihenweise wegen zu viel Bürokratie in die Pleite getrieben wurden oder andere
schwerwiegende Nachteile hatten. Auch das Arbeitszeitgesetz schreibt die Doku-
mentation von Arbeitszeiten vor, die über die werktäglich erlaubten Zeiten hinaus-
gehen, sodass die Arbeitszeiterfassung in den meisten Betrieben alltägliche Praxis
ist. Es ist nicht allein für Abrechnungszwecke betriebswirtschaftlich sogar unerläss-
lich und für jeden Betrieb auch zu leisten.

Nicht die Aufzeichnungspflichten erhöhen den bürokratischen Aufwand, sondern
die vielen Ausnahmeregelungen. Die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft weist
zu Recht darauf hin: „Das Mindestlohngesetz enthält eine Vielzahl bürokratischer
Ausnahmen, was deren Überwachung und Kontrolle erheblich erschwert.“

Statt Dokumentationspflichten aufzuweichen und Scheindebatten zu führen, sind
dringend vorhandene Schlupflöcher zu schließen und zu verhindern, dass der Min-
destlohn umgangen wird. Damit der Mindestlohn seine positive Wirkung überhaupt
entfalten kann, sind eine Reihe von Maßnahmen notwendig.

Im Mindestlohngesetz sind präzisere Definitionen einzufügen. Insbesondere bei der
Frage, welche Zulagen und Zuschläge mit dem Mindestlohn verrechnet werden dür-
fen, bestehen Rechtsunsicherheit und eine große Missbrauchsgefahr. Auch versu-
chen Arbeitgeber, Sachleistungen, Gutscheine oder Trinkgelder mit dem Mindest-
lohn zu verrechnen.

Grundsätzlich muss gelten, dass der Mindestlohn dem reinen Stundenentgelt ohne
Zuschläge entspricht. Auch Urlaubs- und Weihnachtsgeld dürfen nicht verrechnet
werden, selbst wenn sie auf den Monat umgelegt werden. Beides dient nicht der
Vergütung der Normalleistung, sondern hat andere Zwecke. Das Urlaubsgeld soll
beispielsweise die Zusatzkosten ausgleichen, die durch den Erholungsurlaub entste-
hen. Nach der Europäischen Entsenderichtlinie ist es den Mitgliedstaaten ausdrück-
lich erlaubt, die Mindestlohnsätze durch Rechtsvorschriften zu bestimmen.

Auch bei ehrenamtlichen Tätigkeiten besteht die Gefahr von Missbrauch, insbeson-
dere bei der Verschränkung von Ehrenamt und geringfügiger Beschäftigung. Arbeit-
geber können versuchen, reguläre Beschäftigung in den Bereich des Ehrenamtes zu
verschieben, um den Mindestlohn zu umgehen. Hier ist dringend eine konkretere
und praktikablere Definition ehrenamtlicher Tätigkeiten einzuführen. Außerdem ist
die Frage offen, wie bei der Verschränkung von Ehrenamt und geringfügiger Be-
schäftigung verhindert werden soll, dass ein unzulässig großer Teil der aufgewende-
ten Zeit als Ehrenamt deklariert wird, um die Zahlung des Mindestlohns zumindest
in gewissem Umfang zu umgehen. Hier muss der Gesetzgeber nachbessern.

Ebenso ist die Frage, welche Arbeitszeiten vergütungspflichtig sind, im Mindest-
lohngesetz ausgeklammert worden. Auch in diesem Fall ist es notwendig, Rechtssi-
cherheit zu schaffen wie das Beispiel des Pflegemindestlohns zeigt. Hier mussten
die Arbeitsgerichte definieren, dass auch Bereitschaftsdienste mit dem Mindestlohn
vergütet werden müssen.

Zudem müssen die geltenden Regelungen für alle Betroffenen leicht und verständ-
lich zugänglich sein. Die Bundesregierung stiehlt sich aus der Verantwortung, wenn
sie einfach die Betroffenen auf die Rechtsprechung verweist. So schafft man keine
Rechtssicherheit für die Beschäftigten und Unternehmen. In einem anderen Zusam-
menhang mahnt die Gerichtspräsidentin des Bundesarbeitsgerichtes aktuell zutref-
fend an: „Der Bürger muss wenigstens eine Chance haben, im Gesetz nachzulesen,
was wirklich gilt.“

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4183
Unverzichtbar für eine erfolgreiche Einführung und Durchsetzung des Mindestlohns
sind ausreichende Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Ein Gesetz,
dessen Einhaltung nicht in notwendigem Umfang kontrolliert wird, bleibt ein Pa-
piertiger. Die Planungen der Bundesregierung zur personellen Aufstockung der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit sind völlig unzureichend und müssen an den tatsächli-
chen Bedarf angepasst werden.

Ebenso ist es erforderlich, dass die Gewerkschaften ein Verbandsklagerecht erhal-
ten. Für den einzelnen Beschäftigten ist es schwerer, gegen seinen eigenen Arbeit-
geber auf Einhaltung des Mindestlohns zu klagen, als für Gewerkschaften.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend geeignete Maßnahmen einzuleiten, um das Mindestlohngesetz in folgen-
den Punkten zu verbessern:

1. Das Mindestlohngesetz dahingehend zu präzisieren, dass der Mindestlohn dem
reinen Stundenentgelt ohne Zuschläge entspricht. Darüber hinausgehende Ent-
geltbestandteile, wie zusätzliches Monatsgehalt oder Urlaubsgeld, sofern ver-
einbart, sind neben dem Mindestlohn zu zahlen; Aufwendungsersatzleistungen
dürfen nicht angerechnet werden; auch jährliche Einmalzahlungen wie Urlaubs-
und Weihnachtsgeld dürfen nicht mit dem Mindestlohn verrechnet werden, auch
wenn sie auf den Monat umgelegt werden; Sachleistungen wie Verpflegung oder
Unterkunft, Trinkgelder, Boni und Provisionen sind bei der Berechnung des
Mindestlohns nicht zu berücksichtigen.

2. Das Mindestlohngesetz dahingehend zu präzisieren, dass eine Definition der
vergütungspflichtigen Arbeitszeiten ergänzt wird. Bereitschafts- und Anwesen-
heitszeiten zählen zur Arbeitszeit.

3. Das Mindestlohngesetz dahingehend zu präzisieren, dass eine Definition ehren-
amtlicher Tätigkeiten aufgenommen wird, die diese nach objektiven und prakti-
kablen Kriterien von regulären Arbeitsverhältnissen abgrenzt, insbesondere
wenn das Ehrenamt mit einem Minijob gekoppelt wird.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiter auf,

1. die Zahl der Planstellen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit schnellstmöglich um
insgesamt 5.000 Stellen aufzustocken, umgehend die dafür notwendigen Quali-
fizierungsmaßnahmen einzuleiten und die Aufteilung der Stellen auf die Haupt-
zollämter nach dem realen Bedarf zu organisieren;

2. auf jegliche Aufweichung der Dokumentationspflichten für die Arbeitszeiten zu
verzichten.

Berlin, den 3. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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