BT-Drucksache 18/3924

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/2956, 18/3252, 18/3900 - Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen

Vom 3. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3924
18. Wahlperiode 03.02.2015
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann,
Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/2956, 18/3252, 18/3900 –

Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht
über Versicherungen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Richtlinie zur Neufassung der Versicherungsaufsicht in der EU
(2014/51/EU – „Solvency-II-Richtlinie“) zielt darauf ab, die Aufsicht über Ver-
sicherungsunternehmen in der EU stärker zu vereinheitlichen und Risiken für
Versicherte ebenso wie für das Finanzsystem insgesamt zu minimieren.
Richtig und vor allem längst überfällig ist, dass Versicherungsunternehmen
einen Großteil ihrer Kapitalanlagen nach Marktrisiken bewerten müssen und
einer strengeren, besser koordinierten europäischen Aufsicht unterstellt werden.
Allerdings sind die Richtlinie und ihre Umsetzung in deutsches Recht weitge-
hend ungeeignet, die hohen Risiken für die Versicherten tatsächlich signifikant
zu senken und die Stabilität des Finanzsystems dauerhaft uneingeschränkt zu
gewährleisten.
Selbst die minimalen Anforderungen der Solvency-II-Richtlinie – die hinrei-
chende Risikoabsicherung und eine erste Annäherung an die Abbildung der
wahren Kosten der bisherigen (Teil-)Privatisierung der Alterssicherung – wer-
den nicht erfüllt.
Unbeeindruckt von den Erfahrungen der Finanz- und Wirtschaftskrise wird auch
deshalb das renditesuchende Kapital auf den Finanzmärkten weiter anwachsen.
Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensions- wie Investmentfonds verwal-
ten bereits aktuell einen Großteil dieser Gelder und legen es zur Finanzierung
der privaten Alterssicherung an, die gegenüber der umlagefinanzierten gesetzli-
chen Rentenversicherung trotz ihrer höheren Krisenbeständigkeit zunehmend an
Bedeutung gewinnt. Die institutionellen privaten Anleger sind seit langem ei-
nem hohen Rentabilitätsdruck ausgesetzt, parallel erhöht deren Kapitalanlage
die bekannten Finanzmarktrisiken. So wächst seit Jahrzehnten die Gefahr, dass

Drucksache 18/3924 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
die öffentliche Hand bei Solvenzproblemen und drohendem Kollaps einzelner
Versicherungskonzerne und Fonds mit Steuergeldern eingreifen muss, um den
Versicherungsansprüchen weiter Bevölkerungsteile überhaupt zu genügen. Um
Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen, bedarf es zudem einer deutli-
chen Ausweitung der Veröffentlichungspflichten von Versicherungsunterneh-
men sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Aufsichtsbehörden. Hier geht
der Gesetzentwurf nicht weit genug.
In einem solchen Umfeld sind die systemischen Finanzmarktrisiken wirkungs-
voll zu senken, die Stabilität des Finanzsystems ohne den Einsatz von Steuermit-
teln und direkter wie indirekter Subventionen zu gewährleisten und die Verluste
der Versicherten weitgehend zu reduzieren. Mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf gelingt genau diese überfällige Aufgabe nicht. Es besteht vielmehr die
Gefahr, dass sich durch einzelne Regelungen das Anlagevolumen gerade in
riskante Marktbereiche und Finanzinstrumente noch erhöht, was völlig wider-
sinnig und sozial wie ökonomisch kontraproduktiv ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Gesetzesvorlagen einzubringen, um

1. Versicherte bei der Ausschüttung bzw. Zuweisung von Gewinnen keines-
falls schlechterzustellen als Anteilseigner. Gelder, die den Kunden zu-
stehen, müssen auch an die Kunden ausgekehrt werden;

2. Versicherungen zu untersagen, in riskante Anlageformen wie Hedgefonds
und Private Equity Fonds (so genannte „Alternative Investmentfonds“) zu
investieren und die Erhaltung sowie den Ausbau der öffentlichen Infra-
struktur nicht durch die weitere Öffnung als Anlagemöglichkeit für Versi-
cherungsunternehmen der weiteren Privatisierung freizugeben;

3. die Möglichkeit der Risikobewertung von Kapitalanlagen zur Ermittlung
von Mindest- und Solvenzkapital unter eine deutlich schärfere Aufsicht zu
stellen und stattdessen eine Standardformel zur Risikobewertung obligato-
risch einzuführen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiter auf,

auf EU-Ebene nachdrücklich darauf hinzuarbeiten, dass die Aufsichtsanforderungen
für Versicherungsunternehmen und die Schutzvorschriften für Versicherte EU-weit
so harmonisiert werden, dass sie den aufgeführten Kritikpunkten Rechnung tragen
und, sofern die Regelungen der EU dies zulassen, bereits jetzt über die entsprechen-
den Mindestanforderungen hinausgehen.

Berlin, den 3. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3924
Begründung

Der Gesetzentwurf gestattet Versicherungsunternehmen, ihr Sicherungskapital, also das Geld, das zur Absiche-
rung bei Insolvenz gebraucht wird, bei Hedgefonds, Private Equity Fonds und anderen hochspekulativen Finan-
zinstrumenten (so genannte „Alternative Investmentfonds“) anzulegen. Das setzt die Versicherten einem hohen
Risiko aus und gefährdet deren finanzielle Absicherung in der Breite.
Unverändert im deutschen Recht ist die Vorschrift, dass das Geld der Versicherten/Kunden genutzt werden
kann, um für Risiken der Versicherungsunternehmen aufzukommen. Im Unterschied dazu können Gewinnaus-
schüttungen (oft in Form von Dividenden) bevorzugt vorgenommen werden. Die mit den Beiträgen der Versi-
cherten erwirtschafteten Gewinne aus den (freien) Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (freie RfB)
können beispielsweise als Ausgleich für zu hohe, nicht nachvollziehbare Risiken der Versicherungsunterneh-
men genutzt werden. Es ist zudem skandalös, dass so auch den Versicherten/Kunden zustehende Mittel aus der
freien RfB als Eigenkapital der Versicherer deklariert werden können, zumal diese Gelder dann kaum je wieder
für Rückstellungen zur Verfügung stehen werden. Nach § 140 VAG handelt es sich ausdrücklich um Kunden-
gelder, die für die Überschussbeteiligung bestimmt sind.
In diesem Sinne ist auch die „Verordnung über den kollektiven Teil der Rückstellung für Beitragsrückerstat-
tung“ (Bundesratsdrucksache 549/14) kritisch zu werten. Laut Angaben der BaFin betrug die zu bedeckende
Solvabilitätsspanne der Lebensversicherer Ende 2012 insgesamt 32,7 Mrd. Euro. Über das Eigenkapital in Hö-
he von knapp 13 Mrd. Euro hinaus werden ungefähr 19,7 Mrd. Euro an eigenmittelfähiger RfB benötigt, damit
die vorgeschriebene Solvabilitätsanforderung vollständig erfüllt ist. Diese Betrachtung berücksichtigt allerdings
nicht, dass von den – wesentlich höheren – Eigenmitteln, die zur Bedeckung der Solvabilitätsspanne tatsächlich
zur Verfügung stehen, ungefähr 80 % auf RfB-Mittel entfallen und somit mit Kundengeldern erfüllt werden.
Im Unterschied dazu werden die Aktionäre der Versicherungsunternehmen weiter deutlich bevorzugt bei der
Auszahlung etwaiger Überschüsse. Denn erst wenn eine Mindestrendite von vier Prozent bei Lebensversiche-
rungen ausgeschüttet werden kann, steigt die Verzinsung für die Versicherten über den Garantiezins (aktuell
1,25 % für Neuverträge). Dagegen haben die Kapitaleigner wie Aktionäre bevorzugten Zugriff auf Gewinnaus-
schüttungen. Bereits mit dem Lebensversicherungsreformgesetz (Bundestagsdrucksache 18/1772) wurde ver-
säumt, diese einseitige Bevorzugung von Kapitaleignern/Aktionären zu beheben. Die im Lebensversicherungs-
reformgesetz enthaltene Ausschüttungssperre für Dividenden blieb bisher ein stumpfes Schwert. Auch das vor-
liegende Gesetz ändert an dieser Ungerechtigkeit nichts.
Versicherungsunternehmen haben weiterhin die Möglichkeit, bei der Bewertung ihrer Kapitalanlagen spezielle
Modelle zur wenig standardisierten internen Risikobewertung anzuwenden und so die Höhe des erforderlichen
Mindestkapitals und Solvenzkapitals unternehmensspezifisch zu ermitteln. Die dafür eingesetzten Berech-
nungsmodelle sind häufig so komplex, dass sie für Außenstehende nur schwer zu durchschauen sind. Folglich
wird eine unabhängige Bewertung der Risiken einzelner Versicherungsunternehmen nahezu unmöglich und
genau deshalb wird eine tatsächliche, effektive Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Mindestanforderung nur
schwer überprüft werden. Im Ergebnis wird damit die angestrebte bessere und koordinierte Finanzaufsicht kon-
terkariert, womit schließlich die Stabilität des Finanzsystems nicht nachhaltig erhöht werden kann. Unter diesen
Bedingungen bleibt letztlich ausschlaggebend, ob das interne Risikomanagement im Unternehmen und das
darauf abgestellte Überwachungs- und Prüfsystem der Finanzaufsicht überhaupt garantieren kann, dass die
Risikoannahmen annähernd realistisch sind.
Mit der weiteren Öffnung für Kapitalanlagen in kleine Unternehmen oder Infrastrukturprojekte steigt die Ge-
fahr, dass einzelne Versicherungsunternehmen auf der Suche nach „hohen Renditen“ in riskante Finanzmarkt-
segmente einsteigen. Nach aktuellen Plänen der Bundesregierung sowie der EU-Kommission (siehe „Juncker-
Plan“) sollen diese „hohen Renditen“ durch eine stärkere Risikoübernahme der öffentlichen Hand von den Bür-
gerinnen und Bürgern finanziert und getragen werden. Insgesamt steigt über solche Subventionen und Fehlan-
reize jedoch das Risiko, was letztendlich die Versicherten/Kunden ebenso tragen müssen, wenn Versicherungs-
unternehmen etwa in Öffentlich-Private Partnerschaftsprojekte oder in intransparente Infrastrukturfonds ver-
stärkt anlegen werden. In seiner jetzigen Form hat die Richtlinie Solvency II eine viel zu schwache Wirkung,
um dies zu verhindern bzw. die Vorgaben werden durch nationale wie europäische Anpassungen der Verord-
nung schlicht umgangen. Wie bereits in den letzten Jahren in der Debatte und Anpassung der Richtlinie Sol-
vency II zu beobachten war, würde damit die effektive Risikoabsicherung weiter geschwächt und darauf ver-
zichtet, striktere und effektive Vorgaben für die Kapitalanlage von Versicherungsunternehmen verbindlich und
transparent nachvollziehbar festzuschreiben.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.