BT-Drucksache 18/3746

Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr

Vom 14. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3746
18. Wahlperiode 14.01.2015
Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Kerstin Kassner, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas
Lutze, Richard Pitterle, Dr. Kirsten Tackmann, Hubertus Zdebel und
der Fraktion DIE LINKE.

Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es gibt bislang eine erhebliche Wettbewerbsungleichheit zwischen dem Bahn- und
dem Flugverkehr. Dabei wird der Bahnverkehr erheblich benachteiligt, unter ande-
rem durch
a) die Belegung aller nationalen und internationalen Bahntickets (ausgenommen

Nahverkehrszüge) und Nebenleistungen mit dem vollen Mehrwertsteuersatz
von 19 Prozent, während internationale Flugtickets von der Mehrwertsteuer
komplett befreit sind, und

b) die Verpflichtung der Bahn zur Zahlung von Energiesteuer (Mineralölsteuer),
Stromsteuer und EEG-Umlage, während gleichzeitig der gewerbliche Flugver-
kehr komplett von der Zahlung der Energiesteuer für den Kerosinverbrauch be-
freit ist.

Eine solche Ungleichbehandlung der Verkehrsträger ist nicht nachzuvollziehen und
sollte daher abgebaut werden. Stattdessen muss die Bahn als sehr viel umwelt- und
klimafreundlicheres Verkehrsmittel gegenüber dem Flugverkehr bessergestellt wer-
den. Nur so kann eine Lenkungswirkung im Sinne der deutschen Klimaziele erreicht
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. spätestens zum 1. Juli 2015 den Mehrwertsteuersatz für Tickets auch im Bahn-
fernverkehr analog zum Nahverkehr von 19 auf 7 Prozent zu reduzieren, so dass
im gesamten Schienenpersonenverkehr nur noch 7 Prozent Mehrwertsteuer zu
zahlen sind;

2. spätestens zum 1. Juli 2015 auf alle von Deutschland ausgehenden oder nach
Deutschland eingehenden grenzüberschreitenden Flüge den vollen Mehrwert-
steuersatz von 19 Prozent auf die Flugtickets zu erheben;

3. unabhängig davon zur Gegenfinanzierung der Mehrwertsteuersenkung im
Bahnfernverkehr die Luftverkehrsteuer dahingehend zu novellieren, dass ab

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dem 1. Juli 2015 die Verrechnung mit den Einnahmen des Emissionshandels
gestrichen, die Deckelung beider Einnahmen auf 1 Milliarde Euro im Jahr ge-
strichen werden und stattdessen die Steuersätze zur Deckung der Einnahmever-
luste entsprechend angehoben werden.

Berlin, den 13. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die ungleiche steuerliche Behandlung und dadurch bedingte Wettbewerbsungleichheit zwischen den Verkehrs-
trägern begünstigt momentan gerade diejenigen Verkehrsträger, die am umwelt- und klimaschädlichsten sind.
Am eklatantesten zeigt sich dies im Vergleich des Flugverkehrs mit dem Bahnverkehr:

Laut Angaben der Deutschen Bahn AG sind internationale Bahnverbindungen mit 90 Millionen Euro
Mehrwertsteuer belastet (www.deutschebahn.com/file/2267532/data/schiene_staerken.pdf). Alleine we-
gen der Mehrwertsteuerbefreiung sind grenzüberschreitende Flugtickets gegenüber dem Bahnticket um
fast ein Sechstel günstiger. Diese Mehrwertsteuerbefreiung entspricht, unter Betrachtung der Gesamtstre-
cke, aufsummiert einer jährlichen Subventionierung des Flugverkehrs von 3,5 Milliarden Euro (Daten des
Umweltbundesamtes zu umweltschädlichen Subventionen in Deutschland, Stand 2010) und belastet durch
entgangene Einnahmen letztlich auch den Bundeshaushalt. Besteuert werden dürfen allerdings nur die
Anteile des Luftverkehrs über dem deutschen Hoheitsgebiet. Deswegen und mit Einberechnung des abzu-
ziehendes Vorsteuerabzugs von Geschäftsreisenden geht die Bundesregierung in einer groben Schätzung
von lediglich 80 Millionen Euro Mehreinnahmen durch die Anlastung der Mehrwertsteuer auf internatio-
nale Flüge aus (siehe Antwort zu Frage 20 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/10724). Vor
dem Hintergrund, dass ebendort (Antwort zu Frage 19) für das Jahr 2010 Einnahmen durch die
Mehrwertsteuer in Höhe von 759 Millionen Euro für inländische Flüge ausgewiesen wurden und der Bun-
desverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft den Anteil des internationalen Luftverkehrs auf 80 Pro-
zent beziffert (www.bdl.aero/download/879/positionspapier-fakten-und-argumente-zur-finanzierung-des-
luftverkehrs.pdf) scheinen diese Mehreinnahmen eher niedrig geschätzt.

Zusätzlich ist das im gewerblichen Flugverkehr verwendete Kerosin komplett steuerbefreit. Die Bahnun-
ternehmen müssen hingegen Energiesteuer (Mineralölsteuer), Stromsteuer, für den Emissionshandel und
EEG-Umlage zahlen. Letztere ist durch die 2014 beschlossene Novellierung des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes sogar noch deutlich angestiegen; nach Angaben der Deutschen Bahn AG muss diese durch die
EEG-Reform statt bisher 100 nun ca. 160 Millionen Euro im Jahr für die EEG-Umlage aufbringen. Der
Emissionshandel schlug 2013 mit 60 Miollionen und die Stromsteuer mit 120 Millionen Euro zu Buche
(www.deutschebahn.com/file/2267532/data/schiene_staerken.pdf), insgesamt also zukünftig ca. 340 Mil-
lionen Euro im Jahr. Diese Steuerprivilegien für den Flugverkehr sind insbesondere in Hinblick auf den
deutlich saubereren Energiemix und den bezogen auf die Transportleistung geringeren Energieverbrauch
des Bahnverkehrs nicht nachvollziehbar. Schließlich emittiert die Bahn für die gleiche Transportleistung
im Personenverkehr im Vergleich zum Flugzeug nur 19,6 Prozent der Treibhausgase bzw. im Güterver-
kehr sogar nur 1,5 Prozent. Auch die Belastungen durch Stickstoffoxide (Personenverkehr: 13,3 Prozent,
Güterverkehr: 2,0 Prozent) und Feinstaub (Personenverkehr: 3,3 Prozent, Güterverkehr: 2,9 Prozent) be-
tragen beim Bahnverkehr bezogen auf die gleiche Transportleistung jeweils nur einen Bruchteil des Flug-
verkehrs (alle Daten nach Umweltbundesamt, Stand 2012). Diese klimaschädliche Subventionierung
durch Nichtbesteuerung hat nicht nur eine falsche Lenkungswirkung, sondern schlägt für den Bund pro
Jahr mit insgesamt 7 Milliarden Euro zu Buche (Daten des Umweltbundesamtes zu umweltschädlichen
Subventionen in Deutschland, Stand 2010).

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Im europäischen Vergleich erhebt kein anderes Land einen solch hohen Mehrwertsteuersatz auf grenzüber-
schreitende Bahnfahrten wie Deutschland. In den meisten Ländern, u. a. Frankreich, Italien und Großbritan-
nien, sind diese Fahrten sogar komplett steuerbefreit, in anderen ist der Steuersatz deutlich geringer als in
Deutschland.
Vergleich der Mehrwertsteuersätze europäischer Länder auf grenzüberschreitenden Fahrten im Bahn-Fern-
verkehr. Grafik: Allianz pro Schiene (2011).

Die dargelegte Benachteiligung des Bahnverkehrs und die Subventionierung des Flugverkehrs konterkarieren
die Klimaziele der Bundesregierung. Der kürzlich veröffentlichte zweite Monitoring-Bericht „Energie der Zu-
kunft“ (Bundestagsdrucksache 18/1109) hat erneut verdeutlicht, dass im Verkehrssektor seit 2005 keine Min-
derung des Energieverbrauchs mehr zu verzeichnen ist und dass dieser Sektor von dem ohnehin nicht sonder-
lich ambitionierten Ziel einer Verminderung des Endenergiebedarfs um 10 Prozent bis 2020 damit noch weit
entfernt ist. Daher bedarf es im Verkehrssektor erheblicher zusätzlicher Anstrengungen, die sich nicht auf rein
infrastrukturelle Maßnahmen beschränken dürfen. Der Bericht nennt sowohl die Verkehrsvermeidung als auch
die Veränderung des Modal Split als anzustrebende Ziele. Tatsächlich nimmt aber die Verkehrsleistung nach
wie vor von Jahr zu Jahr zu, und auch eine angestrebte Verlagerung sowohl von Personenverkehr als auch von
Gütertransporten auf die Bahn findet nicht statt.

Bei den hohen Fahr- und Transportpreisen, die unter anderem aus den beschriebenen steuerlichen Nachteilen
für den Bahnverkehr resultieren, ist eine Verlagerungswirkung auf die Bahn jedoch nicht in erheblichem Um-
fang zu erwarten, sondern eher noch in umgekehrter Richtung. Dies bestätigen auch die empirischen Daten:
Seit den 1990er Jahren hat der Bahnverkehr sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr keine signifikanten
Marktanteile hinzugewonnen, während der Luftverkehr seinen Marktanteil im Personenverkehr verdoppeln
konnte. Im Güterverkehr liegt der Marktanteil des Luftverkehrs zwar noch im niedrigen Bereich; in absoluten
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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Zahlen gibt es jedoch in diesem Sektor sogar ein nochmals schnelleres Wachstum als im Personenverkehr
(Daten des BMVI, veröffentlicht in „Verkehr in Zahlen“).

Insgesamt hat der Bahnverkehr eine sehr ungünstige Kostenstruktur, die zu einem erheblichen Teil durch eine
falsche politische Lenkungswirkung verursacht wird. Die Mehrwertsteuer ist im Fernverkehr für fast ein Fünf-
tel des Fahrpreises für die Endkunden verantwortlich; dazu kommen die hohen Trassenpreise, die etwa ein
Drittel des Fahrpreises ausmachen. Gemeinsam mit überzogenen Gewinnerwartungen der Deutschen Bahn AG
führt dies zu den momentan hohen Fahrpreisen im Bahnfernverkehr. Die Konsequenz der resultierenden man-
gelnden Nachfrage bei der Bahn ist nicht nur eine erheblich Ausdünnung des nationalen, sondern ganz beson-
ders auch des internationalen Fernverkehrs. In den letzten Jahren sind zahlreiche Eurocity-, Nachtreise- und
Autozugverbindungen aufgegeben worden. So stellt die Deutsche Bahn AG beispielsweise die Nachtzugver-
bindung Berlin–Paris als einzige Direktverbindung zwischen den beiden Hauptstädten zum 12. Dezember 2014
aufgrund angeblich fehlender Wirtschaftlichkeit ein, obwohl der Zug regelmäßig ausgebucht ist. Auch andere
Nachtreiseverbindungen werden parallel dazu eingestellt, unter anderem Basel–Kopenhagen, Amsterdam–
Kopenhagen, Prag–Kopenhagen, München–Paris, Hamburg–Paris und der Abschnitt Amsterdam–Duisburg.
Zahlreiche weitere Nachtreiseverbindungen (u. a. Berlin–Stuttgart, Dresden–Stuttgart, Garmisch-Partenkir-
chen/München–Norddeich, Hagen – Binz, Hagen – Flensburg, Dortmund – Mailand) sind in den letzten Jahren
bereits entfallen, und das Geschäftsfeld Autozug soll sogar komplett eingestellt werden. Mit dem Eurocity
„Wawel“ (Hamburg–Berlin– ) entfällt parallel auch eine wichtige Tagesverbindung zwischen
Deutschland und Polen. Und innerhalb Deutschlands sind durch den Wegfall insbesondere von Interregio- und
Intercitylinien seit Ende der 1990er Jahre 110 Personenbahnhöfe ganz vom Fernverkehr abgekoppelt worden
und zahlreiche weitere haben große Anteile ihrer Fernverkehrshalte verloren, wodurch sie ebenfalls erheblich
schlechter angebunden sind (Recherchen von Felix Berschin aus dem Jahr 2012, s. Wettbewerber-Report Ei-
senbahn 2010/2011).

Die beschriebenen Einstellungen von Verbindungen begründet die Deutsche Bahn AG in der Regel mit zu
hohen Kosten, denen zu geringe Einnahmen gegenüberstünden. Durch die Reduktion des Mehrwertsteuersatzes
auf 7 Prozent im Fernverkehr könnte die Deutsche Bahn AG jedoch bei gleichen Einnahmen pro Ticket solche
Verbindungen um 10 Prozent günstiger anbieten. Sie müsste vom Bund als alleinigem Eigentümer parallel
dazu verpflichtet werden, die Preissenkungen aufgrund dieser Mehrwertsteuerreduktion ohne Einschränkungen
an die Kundschaft weiterzugeben. Dies würde die Attraktivität und damit auch die Auslastung dieser Verbin-
dungen für potenzielle Kundinnen und Kunden deutlich erhöhen. Damit könnte die Deutsche Bahn AG einer-
seits weggefallene Verbindungen wieder herstellen und andererseits weitere Verbindungen vor der Stilllegung
bewahren. Dies hätte nicht nur durch die bessere Verkehrsanbindung positive Effekte auf die betroffenen Re-
gionen, sondern auch durch die Schaffung bzw. Wiederherstellung von zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Statt der hier geforderten Erhöhung der Luftverkehrsteuer wäre die Erhebung einer angemessenen Kerosin-
steuer mindestens in Höhe der Mineralölsteuer eigentlich der sinnvollere Weg. Da eine solche Steuer aber nur
im innerdeutschen Verkehr erhoben werden könnte und dies auf europäischer Ebene nur bei Zustimmung aller
Mitgliedstaaten der EU erfolgen könnte, steht als Gegenfinanzierung nur eine Erhöhung der Luftverkehrsteuer
als Alternative mit ähnlicher Lenkungswirkung zur Verfügung. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Steuer und
deren Zulässigkeit explizit wegen der damit verbundenen Absicht einer klimapolitisch motivierten Steuerung
hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 5. November 2014 erst kürzlich bestätigt. Diese Steuererhö-
hung würde nicht nur die durch die Reduktion des Mehrwertsteuersatzes für den Bahnverkehr entstehenden
Einnahmeausfälle zumindest teilweise wieder ausgleichen, sondern würde die beschriebene Lenkungswirkung
sogar noch verstärken: Wenn parallel zur Preissenkung im Bahnverkehr der Flugverkehr dadurch verteuert
wird, so wäre die Lenkungswirkung durch die Kombination einer „Push“- und einer „Pull“-Maßnahme noch
verstärkt. Somit wäre zum ersten Mal eine aus Klimaschutzgründen wünschenswerte Verkehrsverlagerung
vom Flugverkehr auf den Bahnverkehr möglich.

Da die unterschiedlichen Mehrwert- und Energiesteuersätze nur zwei Aspekte einer Verkehrsmarktordnung
sind, die umwelt- und klimaschädliche Verkehrsträger gegenüber schonenderen Verkehrsträgern bevorzugt,
sollten diese Maßnahmen nur der Anfang eines größeren Maßnahmenpakets für eine umfassende ökologische
Verkehrsmarktreform sein.

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