BT-Drucksache 18/3573

Bundesverantwortung wahrnehmen - Kommunen bei Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sofort helfen und Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Leistungsberechtigte schrittweise übernehmen

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3573
18. Wahlperiode 17.12.2014
Antrag
der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, Jan Korte,
Heidrun Bluhm, Ulla Jelpke, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Thomas Lutze,
Thomas Nord, Petra Pau, Richard Pitterle, Martina Renner, Kersten Steinke, Azize
Tank, Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Bundesverantwortung wahrnehmen – Kommunen bei Unterbringung von
Flüchtlingen und Asylbewerbern sofort helfen und Kosten der Unterkunft für
Hartz-IV-Leistungsberechtigte schrittweise übernehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Immer weitere Konfliktherde in der ganzen Welt führen dazu, dass mehr Flüchtlinge
auch in Deutschland Schutz suchen. Es ist völker- und verfassungsrechtliche Ver-
pflichtung der Bundesrepublik Deutschland, Flüchtlinge und Asylsuchende aufzu-
nehmen. Auf Kommunen und Länder kommen dadurch jedoch Kosten zu, die sie
mit den für sie bislang zur Verfügung stehenden Finanzmitteln nicht schultern kön-
nen. Es ist schnellstens eine menschenwürdige und sozial integrierte Unterbringung,
Betreuung und Versorgung für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Städten und
Gemeinden bereitzustellen.

Der Bund muss diesbezüglich seine Verantwortung wahrnehmen. Mängel an kom-
munaler Infrastruktur, z. B. zur Flüchtlingsunterbringung, müssen sofort behoben
werden, da diese letztlich sogar Integration konsequent verhindern. Schon jetzt neh-
men einige Länder und Kommunen eine starke Abwehrhaltung ein. Aus diesem
Grund ist es dringend erforderlich, dass Kommunen stärker von dem finanziellen
Druck befreit werden, um eine menschenwürdige und sozial integrierte Unterbrin-
gung, Betreuung und Versorgung zu ermöglichen.

Diese jüngsten Entwicklungen verdeutlichen zugleich eklatant das Grundproblem:
Die Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland sind strukturell unterfinanziert.

Während selbst in strukturstarken Regionen die Einnahmeerwartungen nach unten
korrigiert werden müssen, wird die Lage der Städte, Gemeinden und Landkreise in
strukturschwachen Regionen immer prekärer. Auch wenn im aktuellen Gemeindefi-
nanzbericht unter Berücksichtigung der im Bundestag beschlossenen Sofortentlas-
tung der Kommunen in Höhe von einer Milliarde Euro noch ein entsprechender Ge-
samtüberschuss für die Jahre 2015 bis 2017 erwartet wird, kann dies nicht über die
wachsende Disparität zwischen den Kommunen in strukturstarken und struktur-
schwachen Regionen hinwegtäuschen. Die zunehmende strukturelle Überforderung

Drucksache 18/3573 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
vieler Kommunen zeigt sich nicht zuletzt in dem Anstieg der Kassenkredite von 20
auf knapp 50 Milliarden Euro innerhalb der letzten zehn Jahre.

Besonders stark wirken sich für die Kommunen die ständig wachsenden Ausgaben
für soziale Leistungen aus. Diese sind 2014 gegenüber dem Vorjahr erneut gestiegen
und liegen nunmehr bei 47 Milliarden Euro. Für die kommenden Jahre werden wei-
tere Steigerungen erwartet. Einen wesentlichen Anteil hieran haben Leistungen für
Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die finanzielle Verantwortung für die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Leis-
tungsberechtigte und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz muss gesetzlich beim
Bund liegen. Hinsichtlich des Asylbewerberleistungsgesetzes gilt dies bis zu dessen
Abschaffung und der Überführung der bisher nach diesem Gesetz Anspruchsberech-
tigten in die allgemeinen sozialen Sicherungssysteme (SGB II, SGB XII).

Die jüngste Steuerschätzung hat zudem ergeben, dass die prognostizierten Steuer-
einnahmen der Kommunen in den Jahren 2015 bis 2018 jährlich um mindestens eine
Milliarde Euro unter den bisherigen Erwartungen liegen. Die strukturellen Defizite
in den Kommunen führen vielerorts dazu, dass wichtige Investitionen in die kom-
munale Infrastruktur nicht getätigt werden können. Der Investitionsstau wird bereits
jetzt auf mindestens 118 Milliarden Euro beziffert (KfW-Kommunalpanel 2014). Je
länger notwendige Investitionen in Instandsetzungen aufgeschoben werden, desto
größer ist der Substanzverzehr und desto teurer werden die notwendigen Erhaltungs-
maßnahmen am Ende.

Die aktuelle Debatte um die Unterbringung, Betreuung und Versorgung von Flücht-
lingen und Asylsuchenden macht wieder einmal klar: Um die Kommunen in die
Lage zu versetzen, ihre Aufgaben, zu denen unter anderem eine gut ausgebaute so-
ziale Infrastruktur gehört, zu erfüllen, müssen die Kommunalfinanzen nachhaltig ge-
stärkt werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das Ausmaß, in dem die Auf-
nahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden oder die Sicherstellung einer Unter-
kunft für SGB-II-Leistungsberechtigte erforderlich sind, von gesamtpolitischen und
gesamtgesellschaftlichen Faktoren abhängen, welche die einzelne Kommune prak-
tisch nicht beeinflussen kann. Die finanzielle Verantwortung für die damit einherge-
henden gesamtgesellschaftlichen Aufgaben muss folglich beim Bund liegen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
1. vorsieht, dass der Bund den Ländern die den zuständigen Trägern entstehenden

Nettoausgaben für Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 des Zwei-
ten Buches Sozialgesetzbuch (KdU) im Jahr 2016 zu 50 Prozent, im Jahre 2017
zu 75 Prozent und ab dem Jahr 2019 zu 100 Prozent erstattet;

2. vorsieht, dass der Bund bis zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes
den Ländern ab Mitte des Jahres 2015 die den zuständigen Trägern entstehenden
Nettoausgaben für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz komplett
erstattet;

3. die infolge des Eintritts der Bundesauftragsverwaltung notwendigen Regelun-
gen trifft.

Berlin, den 16. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3573
Begründung

Die Kosten, die für Aufgaben nach § 22 SGB II (KdU) und Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anfallen,
sollen künftig vom Bund übernommen werden. Damit Kommunen wieder handlungsfähig werden, müssen sie
stärker als bisher auf der Ausgabenseite entlastet werden. Dies verdeutlicht die aktuelle Debatte um die Unter-
bringung, Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen. Um den Kommunen neben geringeren Ausgaben auch
dauerhaft stabilere Einnahmen zu ermöglichen, ist über eine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer nachzu-
denken. Insgesamt sind die Bund-Länder-Kommunen-Finanzbeziehungen solidarisch und aufgabengerecht neu
zu gestalten.

Die Sicherstellung einer angemessenen Finanzausstattung der Kommunen fällt nach der Finanzverfassung in
die Zuständigkeit der Länder. Der Bund eröffnet den Ländern jedoch über die mit dem Jahr 2016 beginnende
schrittweise Erhöhung der Erstattung auf bis zu 100 Prozent der Nettoausgaben im Jahr 2019 die finanziellen
Handlungsspielräume zur Stärkung der Kommunalfinanzen. Bereits in der 17. Wahlperiode wurde im Bundes-
tag die schrittweise Übernahme der Nettoausgaben in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch beschlossen (Bundestagsdrucksache
17/10748), an denen sich der Bund zuvor nur in Höhe von 16 Prozent beteiligt hatte.

Wegen der durch die schrittweise Übernahme steigenden finanziellen Belastung des Bundes soll im Wege der
bis 2019 erforderlichen Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen den Ländern und dem Bund ein Aus-
gleich in Form von Umsatzsteuerpunkten stattfinden.

Wenn der Bund mit der Erstattung der Nettoausgaben nach Artikel 104a Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes
von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Geldleistungen eines von den Ländern ausgeführten Bundesgesetzes
zu übernehmen und dabei einen mehr als hälftigen Anteil der auf die Geldleistungen entfallenden Nettoausga-
ben übernimmt, triff nach Artikel 104a Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes Bundesauftragsverwaltung nach
Artikel 85 des Grundgesetzes ein. Aus Artikel 85 Absatz 4 des Grundgesetzes ergibt sich eine Fach- und
Rechtsaufsicht der Bundesregierung gegenüber den Ländern und in der Folge Informations- und Prüfrecht von
Bundesregierung und Bundesrechnungshof.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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