BT-Drucksache 18/3415

Steuerfreie Risikoausgleichsrücklage für Agrarbetriebe ab 2016

Vom 3. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3415
18. Wahlperiode 03.12.2014
Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert
Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Kerstin Kassner, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine
Lötzsch, Thomas Lutze, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Steuerfreie Risikoausgleichsrücklage für Agrarbetriebe ab 2016

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Agrarbetriebe sind zunehmend wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt, die sie kaum
beeinflussen können: Zum Beispiel tragen Klimawandel sowie globale Handels- und
Personenströme dazu bei, dass Nutztierbestände und Ackerkulturen durch bisher
völlig unbekannte Krankheiten, neu eingeschleppte Erreger oder zurückkehrende
Seuchen bedroht werden. Das trägt in vielen Regionen Deutschlands zu immer hö-
heren betrieblichen Risiken für die agrarwirtschaftliche Erzeugung bei. Ein wesent-
liches Charakteristikum dieser Risiken ist es, dass sie sich durch vorsorgliches be-
triebliches Handeln nur unzureichend vermeiden lassen. Erschwerend kommen ext-
reme Wetterereignisse mit langanhaltendem Hochwasser oder extremen Dürreperi-
oden hinzu. Die politisch gewollte und geförderte Exportorientierung der agrarwirt-
schaftlichen Erzeugung führt zudem zu steigendem Kostendruck durch die volatilen
Welt-Agrarmärkte, was die betrieblichen Handlungsspielräume zur Vorsorge weiter
einengt.
Wirtschaftlich ertragreiche Jahre geben den Betrieben hingegen die Möglichkeit zur
Bildung von finanziellen Rücklagen. Eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage für
Agrarbetriebe wäre eine relativ einfache und für die öffentlichen Haushalte kalku-
lierbare Hilfe zur Selbsthilfe mit geringem bürokratischem Aufwand. Die Agrarbe-
triebe würden damit nicht aus der Eigenverantwortung zur Vermeidung der vielfäl-
tigen Risiken entlassen, aber ihnen wäre der notwendige Spielraum zu vorsorgli-
chem Handeln gegeben. Alljährliche Debatten über Hilfspakete würden mit Aus-
nahme von Großschadenslagen entfallen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

erstmalig im Entwurf für das Jahressteuergesetz 2016 für Agrarbetriebe die Bildung
einer steuerfreien betrieblichen Risikoausgleichsrücklage zu ermöglichen. Die Höhe
der Rücklage sollte sich aus den betrieblichen Umsätzen der vorangegangenen drei
Wirtschaftsjahre errechnen und bis zu 20 Prozent des durchschnittlichen Jahresum-
satzes betragen. Für betriebliche Neugründungen soll die beantragte Agrarförderung
aus den Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik als Grundlage zur Berech-
nung der Rücklagenhöhe herangezogen werden.

Drucksache 18/3415 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Berlin, den 2. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Neben den direkten Folgen des Klimawandels – bspw. extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Sturm,
Starkfröste, Hochwasser oder Hagel – nehmen auch die indirekten Folgen zu. So erhöhen sich die Produkti-
onsrisiken durch das verstärkte Auftreten von Schädlingen, Krankheiten und Tierseuchen. Solche Ereignisse
sind oft dem unternehmerischen Einfluss entzogen. Wegen ihrer Unvorhersehbarkeit bedürfen sie einer ausrei-
chenden finanziellen Vorsorge.

Zahlreiche solcher Probleme traten in den vergangenen Jahren auf. Die Agrarbetriebe sehen sich in immer
kürzeren Abständen mit neuen oder bisher unbekannten Tier- und Pflanzenkrankheiten konfrontiert. Blauzun-
gen- und Schmallenberg-Virus oder Bestandserkrankungen, die von einigen Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern als „chronischer Botulismus“ bezeichnet werden, sind Beispiele der jüngeren Zeit. Auch viele
Risikofaktoren für eine aktuell drohende Einschleppung der Afrikanischen Schweinepest nach Deutschland
entziehen sich dem Einfluss der Betriebe, wenngleich eigene Maßnahmen zum Schutz der Bestände das Aus-
bruchsrisiko verringern können.

Sollte das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) beschlossen werden, würde der Druck auf
den Preis agrarwirtschaftlicher Produktionsgüter zusätzlich ansteigen. Die dadurch zur Produktion unter mini-
malem Kostenaufwand gezwungenen Agrarbetriebe würden Risikoausgleichskapazitäten sowie die Investiti-
onsmöglichkeit zum Umbau für nachhaltigere Bewirtschaftungsmethoden einbüßen.

Zuletzt haben im Jahr 2014 mehrere Trockenperioden im Sommer den Ernteablauf erschwert und zu Ernteaus-
fällen vor allem im Westen Deutschlands geführt. Obst- und Weinbäuerinnen und -bauern litten unter erhebli-
chen Einbußen durch die Kirschessigfliege (drosophila suzukii).

Einkommensverluste durch wetterbedingte Ernteausfälle oder neue, unbekannte Tierkrankheiten lassen sich
immer seltener durch politisch bestimmte oder betrieblich vorbereitete Gegenmaßnahmen ausgleichen. Bei re-
gionalen Extremwetterereignissen sind die Schäden oftmals in ihrem Ausmaß zu klein, um von der Europäi-
schen Kommission genehmigungsfähige finanzielle Unterstützungen aus den öffentlichen Haushalten auszu-
lösen. Oder sie sind so groß, dass entweder ihr Ausgleich im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nicht
leistbar ist oder die „de minimis“-Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) einer ausreichenden staatlichen
Förderung entgegenstehen.

Angesichts der breiten, parteiübergreifenden Unterstützung zur Einführung einer steuerfreien Risikoaus-
gleichsrücklage verwundert es sehr, dass die Bundesregierung immer noch nicht aktiv geworden ist. Im Juli
2013 forderte der baden-württembergische Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Alexander
Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), eine steuerliche Risikoausgleichsrücklage: „Wir halten es für erforder-
lich, dass der Bund als Steuergesetzgeber eine steuerliche Risikoausgleichsrücklage für landwirtschaftliche und
gartenbauliche Betriebe einführt. Landwirtinnen und Landwirte müssen die Möglichkeit haben, in guten Jahren
einen Teil ihrer Einnahmen unversteuert für schwierige Jahre beiseite zu legen“ (Pressemitteilung vom 30. Juli
2013).

Auf ihrem 25. Parteitag beschloss die CDU im Dezember 2012: „Die CDU Deutschlands setzt sich für die
Einführung einer Risikoausgleichsrücklage für die Landwirtschaft in das deutsche Bilanzrecht ein.“ Eine ent-
sprechende Forderung fand sich auch im Bundestagswahlprogramm der heutigen Regierungspartei wieder. Pa-
rallel zur Agrarministerkonferenz Anfang September 2014 bekräftigte der Deutsche Bauernverband seine lang-
jährige Forderung: „Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Folgen des russischen Importstopps
fordert der DBV erneut die Einführung einer steuerlichen Risikoausgleichsrücklage, um für den Umgang mit
Marktkrisen und Marktschwankungen ein weiteres wirksames Instrument zu erhalten“ (Pressemitteilung vom
5.9.2014).

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3415
Die Einführung einer steuerlichen Risikoausgleichsrücklage würde das betriebseigene Risikomanagement ver-
bessern, ohne an anderer Stelle die öffentlichen Haushalte zu belasten oder teure und vielfach unwirksame
Versicherungssysteme etablieren zu müssen. Sie war im Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU
und SPD enthalten, wurde kurz vor Abschluss der Verhandlungen allerdings wieder aus der Vereinbarung
gestrichen.
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