BT-Drucksache 18/3317

Der deutsche Meisterbrief - Erfolgreiche Unternehmerqualifizierung, Basis für handwerkliche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung

Vom 25. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3317
18. Wahlperiode 25.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Artur Auernhammer,
Thomas Bareiß, Norbert Barthle, Julia Bartz, Sybille Benning, Dr. André
Berghegger, Dr. Christoph Bergner, Ute Bertram, Klaus Brähmig, Michael Brand,
Helmut Brandt, Cajus Caesar, Gitta Connemann, Alexandra Dinges-Dierig,
Thomas Dörflinger, Marie-Luise Dött, Hansjörg Durz, Jutta Eckenbach, Dr. Astrid
Freudenstein, Dr. Michael Fuchs, Alexander Funk, Dr. Thomas Gebhart, Alois
Gerig, Eberhard Gienger, Ursula Groden-Kranich, Michela Grosse-Brömer, Astrid
Grotelüschen, Oliver Grundmann, Fritz Güntzler, Dr. Herlind Gundelach, Olav
Gutting, Christian Haase, Florian Hahn, Mark Hauptmann, Dr. Matthias Heider,
Helmut Heiderich, Rudolf Henke, Karl Holmeier, Franz-Josef Holzenkamp, Bettina
Hornhues, Charles M. Huber, Anette Hübinger, Erich Irlstorfer, Thomas
Jarzombek, Andreas Jung, Xaver Jung, Steffen Kanitz, Axel Knoerig, Jens
Koeppen, Carsten Körber, Markus Koob, Gunther Krichbaum, Rüdiger Kruse,
Andreas G. Lämmel, Barbara Lanzinger, Paul Lehrieder, Dr. Katja Leikert,
Dr. Andreas Lenz, Ingbert Liebing, Matthias Lietz, Andreas Mattfeldt, Stephan
Mayer (Altötting), Reiner Meier, Dr. Michael Meister, Jan Metzler, Maria Michalk,
Dr. h. c. Hans Michelbach, Dr. Mathias Middelberg, Philipp Mißfelder, Marlene
Mortler, Carsten Müller (Braunschweig), Stefan Müller (Erlangen), Dr. Philipp
Murmann, Michaela Noll, Helmut Nowak, Dr. Georg Nüßlein, Wilfried Oellers,
Ulrich Petzold, Eckhard Pols, Alois Rainer, Dr. Peter Ramsauer, Eckhardt
Rehberg, Josef Rief, Dr. Heinz Riesenhuber, Erwin Rüddel, Andreas Scheuer,
Tankred Schipanski, Heiko Schmelzle, Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden),
Dr. Klaus-Peter Schulze, Johannes Selle, Dr. Wolfgang Stefinger, Peter Stein,
Erika Steinbach, Sebastian Steineke, Christian Freiherr von Stetten, Stephan
Stracke, Matthäus Strebl, Dr. Volker Ullrich, Thomas Viesehon, Volkmar Vogel
(Kleinsaara), Sven Volmering, Kees de Vries, Kai Wegner, Albert Weiler, Marcus
Weinberg (Hamburg), Dr. Anja Weisgerber, Peter Weiß (Emmendingen), Marian
Wendt, Heinz Wiese (Ehingen), Klaus-Peter Willsch, Dagmar G. Wöhrl, Heinrich
Zertik, Dr. Matthias Zimmer, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Sabine Poschmann, Niels Annen,
Heinz-Joachim Barchmann, Klaus Barthel, Dr. Matthias Bartke, Dirk Becker, Willi
Brase, Dr. Daniela De Ridder, Dr. Karamba Diaby, Martin Dörmann, Siegmund
Ehrmann, Saskia Esken, Christian Flisek, Ulrich Freese, Michael Gerdes, Kerstin
Griese, Gabriele Groneberg, Ulrich Hampel, Michael Hartmann (Wackernheim),
Hubertus Heil (Peine), Marcus Held, Gabriele Hiller-Ohm, Matthias Ilgen, Thomas
Jurk, Oliver Kaczmarek, Ralf Kapschack, Gabriele Katzmarek, Daniela Kolbe,
Christine Lambrecht, Dr. Birgit Malecha-Nissen, Katja Mast, Markus Paschke,
Christian Petry, Joachim Poß, Florian Post, Dr. Sascha Raabe, Dr. Simone Raatz,
Martin Rabanus, Stefan Rebmann, René Röspel, Dr. Martin Rosemann, Dr. Ernst

Drucksache 18/3317 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Dieter Rossmann, Bernd Rützel, Johann Saathoff, Dr. Hans-Joachim Schabedoth,
Axel Schäfer (Bochum), Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Marianne
Schieder, Dagmar Schmidt (Wetzlar), Frank Schwabe, Andreas Schwarz, Rainer
Spiering, Norbert Spinrath, Kerstin Tack, Michael Thews, Dirk Vöpel, Bernd
Westphal, Andrea Wicklein, Dirk Wiese, Waltraud Wolff (Wolmirstedt, Thomas
Oppermann und der Fraktion der SPD

Der deutsche Meisterbrief – Erfolgreiche Unternehmerqualifizierung, Basis für
handwerkliche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das deutsche Handwerk bildet mit rund einer Million Betriebe und mehr als 5,3 Mil-
lionen Erwerbstätigen eine tragende Säule des deutschen Mittelstandes. Das Hand-
werk ist hoch innovativ, regional verankert und erschließt sich durch seine leistungs-
fähigen Betriebe auch erfolgreich neue Märkte auf europäischer und internationaler
Ebene. In über 130 Gewerken bilden Handwerksbetriebe rund 400.000 junge Men-
schen aus. Jährlich werden rund 120.000 neue Ausbildungsverträge geschlossen. Die
Ausbildungsquote im Handwerk liegt in Relation zur Gesamtbeschäftigtenzahl bei
ca. 8 Prozent. Sie ist damit mehr als doppelt so hoch im Vergleich zu anderen Berei-
chen der gewerblichen Wirtschaft (3 Prozent bis 4 Prozent im Bereich Handel und
Industrie) oder der öffentlichen Verwaltung (unter 3 Prozent). So leistet das Hand-
werk einen erheblichen Beitrag zur Fachkräftesicherung in der Gesamtwirtschaft.
Über 60 Prozent derjenigen, die im Handwerk eine Ausbildung genossen haben, ge-
hen später als hochqualifizierte Fachkräfte in andere Wirtschaftsbereiche. Mit dieser
Ausbildungsleistung zeigt sich das Handwerk auch für die mit 7,8 Prozent geringste
Jugendarbeitslosigkeit Deutschlands in Europa in hohem Maße mit verantwortlich
(Quelle: Eurostat Juli 2014).
Für den Erfolg der dualen Ausbildung im Handwerk ist der Erwerb der Meisterqua-
lifikation als Zugangsvoraussetzung zu den 41 nach der Handwerksordnung regle-
mentierten Berufen ein bestimmender Faktor, denn das zulassungspflichtige Hand-
werk bildet im Vergleich zum zulassungsfreien Handwerk überproportional stark
aus. So tragen insbesondere die meistergeführten Handwerksbetriebe maßgeblich
dazu bei, dass jungen Menschen durch eine hochwertige Berufsausbildung vielsei-
tige berufliche Perspektiven in allen Wirtschaftsbereichen eröffnet werden.
Grundlage für die Leistungsfähigkeit von meistergeführten Handwerksbetrieben
sind die besonderen Qualifikationen, die den zukünftigen Führungskräften in der
Meisterschule vermittelt werden. Erst der auch „großer Befähigungsnachweis“ ge-
nannte Meisterbrief befähigt Handwerker neben dem Erwerb einer hohen Fachkom-
petenz gleichzeitig zum erfolgreichen Unternehmer, zum Ausbilder und zur Füh-
rungsperson.
In der Meisterschule werden neben fachlichen auch betriebswirtschaftliche, kauf-
männische und rechtliche Kenntnisse vermittelt, die in der Meisterprüfung nachzu-
weisen sind. Sie bilden eine solide Basis für eine erfolgreiche Unternehmensführung.
Nachweislich senken diese das Insolvenzrisiko neugegründeter Betriebe. Eine Un-
tersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW)

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3317
kommt zu dem Ergebnis, dass mangelnde Kenntnisse im betriebswissenschaftlichen
Bereich für 40 Prozent der Betriebsschließungen in den ersten fünf Jahren ihres Be-
stehens entscheidend waren (Quelle: ZEW, Zentrum für Insolvenz und Sanierung an
der Universität Mannheim e. V. und Verband der Vereine Creditreform e. V., 2010,
Ursachen für das Scheitern junger Unternehmen in den ersten fünf Jahren ihres Be-
stehens, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie). Die
Marktverweildauer des geregelten Handwerks ist deutlich größer als die des ungere-
gelten.
Zur Qualifikation des Meisters gehört eine hohe fachliche Kompetenz. Diese sichert
einerseits vorbeugend das hohe Verbraucherschutzniveau im Handwerk: Typische
handwerksspezifische Gefahren, die sich zum Beispiel bei der Errichtung und War-
tung von Anlagen und Gebäuden oder der Verarbeitung gesundheitsschädlicher Ma-
terialien konkretisieren können, werden bereits präventiv durch die Qualifikation des
Meisters vermieden. Die meisterliche Fachkompetenz ist aber auch ein bestimmen-
der Faktor für die dauerhaft hohe Produkt- und Dienstleistungsqualität im Hand-
werk, für die ein starkes Verbrauchervertrauen besteht. Weltweit wird diese mit dem
Gütesiegel „Made in Germany“ eng verbunden und ist damit für die Wettbewerbs-
fähigkeit Deutschlands von entscheidender Bedeutung. Hohe Qualifikationen er-
möglichen auch erst Innovationen.
Der Meisterbrief ist überdies Garant für die hohe Ausbildungsqualität im Handwerk,
denn den künftigen Führungskräften wird in der Meisterschule nicht nur die fachli-
che Kompetenz vermittelt, sondern auch umfangreiche berufs- und arbeitspädagogi-
sche Grundlagen. Erst hierdurch wird der Meister zu einer erfolgreichen Weitergabe
seines Fachwissens an die Nachwuchskräfte befähigt. Die Organisationen des Hand-
werks unterstützen hierbei die Ausbildungsbetriebe mit einem umfassenden Leis-
tungsangebot. Insbesondere den Handwerkskammern obliegt im Rahmen ihrer ho-
heitlichen Aufgabenwahrnehmung die Organisation, Überprüfung und Qualitätssi-
cherung der Ausbildung. Diese Zusammenarbeit von Betrieben und Organisations-
strukturen bildet die Basis für den europaweit anerkannten Erfolg der dualen Aus-
bildung im Handwerk. Wie wichtig dies ist, zeigen insbesondere die Erfahrungen
vieler EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren beim Auf- und Ausbau der dualen
Ausbildung.
Zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Handwerks im Ausbildungsbereich ist es von
enormer Bedeutung, dass die meisterliche Befähigung der Betriebsleiter gesetzlich
geregelt ist. Nur so werden nachhaltig die Qualität der Ausbildung, die Produkt- und
Dienstleistungsqualität und der überproportional hohe Beitrag zur Fachkräftesiche-
rung gewährleistet. Auch national übergeordnete Zukunftsaufgaben – wie zum Bei-
spiel die Energiewende und die Digitalisierung – werden ohne die entsprechenden
Fachkräfte im Handwerk mit ihrem Know-how nicht lösbar sein.
Die hohe Ausbildungsleistung des Handwerks löst zudem zahlreiche Wohlfahrtsef-
fekte aus. Eine passgenaue und praxisnahe Ausbildung in Betrieb und Berufsschule
gewährleistet eine erleichterte Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt.
Das hohe Ausbildungsniveau verbessert zudem die persönlichen Entwicklungschan-
cen, ermöglicht die Erzielung höherer Einkommen und bietet einen hohen Schutz
vor Arbeitslosigkeit. Dies bedeutet gleichzeitig für den Staat eine geringere Belas-
tung der Sozialsysteme sowie höhere direkte und indirekte Einnahmen durch mehr
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Bei vorübergehender Arbeitslosigkeit
fällt der Wiedereinstieg in die Berufswelt viel leichter.
Die Hälfte der Auszubildenden eines Jahrgangs im Handwerk sind Jugendliche mit
Hauptschulabschluss, knapp 4 Prozent verfügen über keinen Schulabschluss. Zudem
weisen überproportional viele einen Migrationshintergrund auf oder besitzen eine
ausländische Staatsangehörigkeit. Die Aus- und Fortbildung im Handwerk ermög-
licht es auch den teilweise bildungsferneren Schichten der Bevölkerung, einen sozi-
alen Aufstieg zu erlangen und trägt damit zur gesamtgesellschaftlichen Stabilität und
Durchlässigkeit bei.

Drucksache 18/3317 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Mehr noch, im Rahmen der dualen Ausbildung sowie mit der Fortbildung zum
Handwerksmeister leistet das Handwerk einen wichtigen Beitrag zu einer Elitebil-
dung in der gewerblichen Wirtschaft jenseits des akademischen Bereichs. Deutsch-
land nimmt hier zusammen mit der Schweiz eine Vorreiterrolle ein. Dies ist ein
wichtiger Baustein der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und niedriger (Ju-
gend-)Arbeitslosigkeit beider Länder. Gerade diejenigen EU-Mitgliedstaaten mit be-
sonders hoher Jugendarbeitslosigkeit hatten demgegenüber in der Vergangenheit auf
die akademische Bildung als Stütze eines funktionierenden Arbeitsmarktes gesetzt.
Daher wird nunmehr auch auf europäischer Ebene eine Stärkung der beruflichen
Bildung bzw. der Einführung der dualen Ausbildung forciert.
Schließlich ist das Handwerk gerade in strukturschwachen Gebieten häufig der
„größte“ Arbeitgeber. Aus- und Fortbildung im ländlichen Raum wird im Bereich
der gewerblichen Wirtschaft vor allem durch das Handwerk gewährleistet. Würde
dieses leistungsfähige System geschwächt, weil das Erfordernis einer meisterlichen
Befähigung der Betriebsleiter nicht aufrechterhalten würde, so hätte dies perspekti-
visch weitreichende negative Folgen für den ländlichen Raum, da seine Wirtschafts-
kraft geschwächt und der derzeit schon bestehende Abwanderungstrend junger Men-
schen in städtische Ballungsgebiete noch verstärkt würde.
Vor dem Hintergrund der vielen positiven Effekte der gesetzlich geregelten Meister-
qualifikation muss der von der EU-Kommission derzeit durchgeführte Evaluierungs-
prozess der nationalen Berufsreglementierungen (KOM(2013) 676 endg.) zwar aktiv
aber dennoch kritisch begleitet werden. Eine entsprechende Positionierung hatte der
Bundesrat bereits im vergangenen Jahr vorgenommen (Bundesratsdrucksache
717/13). Grundsätzlich begrüßt der Deutsche Bundestag die Herstellung von Trans-
parenz über die bestehenden Reglementierungen der Mitgliedstaaten. Die EU-Kom-
mission sieht jedoch in der hohen Zahl von reglementierten Berufen in den Mitglied-
staaten eine Barriere für den Binnenmarkt und tendiert zu der Einschätzung, dass
qualifikationsbezogene Zugangsbeschränkungen wirtschaftshemmend wirken, de-
ren Abbau im Umkehrschluss aber mehr Wachstum und Beschäftigung auslösen.
Deutschland weist bereits derzeit keine überdurchschnittlich hohe Berufsreglemen-
tierung im europäischen Vergleich auf. Die Erfahrungen nach der Handwerksnovelle
2004 haben in Deutschland zudem gezeigt, dass Deregulierung nicht zwangsläufig
zu einem Wachstumsschub und zu nachhaltig mehr Beschäftigung führt. Im Rahmen
dieser Novelle wurden 53 zulassungspflichtige Gewerke zulassungsfrei mit dem
Ziel, durch den erleichterten Berufszugang mehr Existenzgründungen, Beschäfti-
gung und Umsatz zu erreichen. Diese positiven Effekte blieben jedoch weitgehend
aus. Zwar stieg die Zahl der Existenzgründungen, allerdings blieb die Gesamtbe-
schäftigtenzahl in den nunmehr zulassungsfreien Handwerken weitgehend konstant,
wobei sich leichte Zuwächse durch die allgemeine Konjunkturentwicklung erklären
lassen. Indes nahm die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie die
durchschnittliche Betriebsgröße deutlich ab. Zudem ist die Marktverweildauer von
Betrieben im zulassungsfreien Handwerksbereich deutlich geringer als im zulas-
sungspflichtigen Handwerk.
Schließlich hat die Ausbildungsleistung stark nachgelassen. Eine Studie des Volks-
wirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen
e. V. (ifh Göttingen) verglich hierzu Betriebe, die nach der Handwerksnovelle zu-
lassungsfrei wurden, mit Betrieben der weiterhin zulassungspflichtigen Gewerke.
Mehr als zwei Drittel der meisterpflichtigen Betriebe hatten sich fünf Jahre nach
Gründung erfolgreich am Markt behauptet. Rund 60 Prozent der nach der Novelle
zulassungsfreien Betriebe waren fünf Jahre nach Neugründung vom Markt ver-
schwunden. Gleichzeitig sank die Ausbildungsleistung drastisch – die Zahl der Ge-
sellenprüfungen im nicht mehr meisterpflichtigen Fliesen-, Platten- und Mosaikle-
gerhandwerk ging von 1.665 im Jahr 2003 auf 658 im Jahr 2010 zurück. Im gleichen
Zeitraum sank die Zahl der Meisterprüfungen von 557 auf 84.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3317
Eine von der Generaldirektion Binnenmarkt der Europäischen Kommission in Auf-
trag gegebene und im Januar 2012 vorgelegte Studie des „Centre for Strategy &
Evaluation Services“ (CSES) kommt für Deutschland zu dem Ergebnis, dass quali-
fikationsgebundene Berufszugangsregelungen im Bausektor positive Wirkungen
zeitigen (CSES-Studie, S. 114). Damit wird die Richtigkeit des Regulierungsansat-
zes im Handwerk bestätigt.
Die zulassungspflichtigen Handwerksberufe stellen zudem kein Hindernis für die
Mobilität von Selbständigen und abhängig Beschäftigten im Binnenmarkt und damit
auch die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der Eu-
ropäischen Union dar. Durch die modernisierte Rahmenrichtlinie über die Anerken-
nung von Berufsqualifikationen (Richtlinie 2005/36/EG, geändert durch die Richtli-
nie 2013/55/EG) wird für Unternehmer und Privatpersonen aus anderen Mitglied-
staaten ein angemessener Marktzugang gewährt. Das System der Anerkennung ba-
siert dabei im Falle der gelegentlichen und vorübergehenden Leistungserbringung in
einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit weitgehend auf
den Grundsätzen der automatischen Anerkennung. Ist der Nachweis erbracht, dass
der Beruf im Herkunftsstaat reglementiert ist und rechtmäßig ausgeübt wurde, darf
die Tätigkeit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit auch in einem anderen Mitglied-
staat ausgeübt werden. Besteht keine Reglementierung im Herkunftsland, ist auch
der Nachweis einer zweijährigen rechtmäßigen Ausübung des Berufs für die Aner-
kennung ausreichend. Auch bei einer dauerhaften Niederlassung greifen unter Vo-
raussetzung der notwendigen Berufserfahrung die Grundsätze der automatischen
Anerkennung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der zur Ver-
fügung stehenden Haushaltsmittel auf,

1. das bestehende System der zulassungspflichtigen Handwerksberufe zu stärken,
da es einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Leistungs- und Wettbewerbs-
fähigkeit des deutschen Mittelstands, zum Verbraucherschutz, zur Qualifizie-
rung junger Menschen im Rahmen des Systems der dualen Ausbildung, zur In-
tegration bildungsfernerer Schichten in den Arbeitsmarkt leistet;

2. im Rahmen der Transparenzinitiative gegenüber der Europäischen Kommission
zu betonen, dass
a) die Frage der Reglementierung von Berufen eine autonome Entscheidung

der Mitgliedstaaten ist,
b) das duale Ausbildungssystem nur dann in seiner Leistungsfähigkeit auf-

rechterhalten werden kann, wenn gesetzlich geregelt ist, dass die Betriebs-
leiter in den derzeitigen Anlage-A-Berufen über meisterliche Fähigkeiten
verfügen und

c) die Bedeutung der Zulassungspflicht von Handwerksberufen als zentrales
Element einer präventiven Gefahrenabwehr zwecks Absicherung eines ho-
hen Verbraucherschutzniveaus anzuerkennen ist;

3. andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union in ihren Bestrebungen zu unter-
stützen, Strukturen der dualen Ausbildung in ihren Bildungssystemen einzufüh-
ren und zu stärken;

4. den Technologietransfer und die Nutzbarmachung von Produkt- und Prozessin-
novationen aus Forschung und Industrie ins Handwerk stärker zu unterstützen
und zu fördern, da nur so das bestehende Berufsbildungssystem auf dem bisher
hohen Niveau fortgeführt werden kann;

Drucksache 18/3317 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
5. die Attraktivität der beruflichen Aus- und Weiterbildung zur Sicherung des

Fachkräfte- und Unternehmernachwuchses weiter zu steigern – dies insbeson-
dere auch im Hinblick auf Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinde-
rung und Frauen;

6. in der Berufsbildung im Handwerk das Streben nach Selbständigkeit und die
Existenzgründungen besser zu unterstützen;

7. die Sozialpartnerschaft und die Tarifbindung zu stärken, damit das Handwerk
zukunftsfähig bleibt. Die Tarifautonomie macht einen großen Teil der Erfolgs-
geschichte des Handwerks aus. Um im Wettbewerb mit anderen Branchen Fach-
kräfte – und somit die zukünftigen Meister und Betriebsnachfolger – gewinnen
und langfristig halten zu können, ist es notwendig, im Handwerk gute Arbeits-
bedingungen, gute Bezahlung sowie gute Übernahme- und Aufstiegschancen in
allen Gewerken für alle Auszubildenden und Beschäftigten umzusetzen;

8. im Fachkräftekonzept der Bundesregierung die aktuellen Herausforderungen,
wie z. B. die Umsetzung der Energiewende und die Digitalisierung der Wirt-
schaft, mehr zu berücksichtigen;

9. im Rahmen der dualen Aus- und Weiterbildung auch interkulturelle Kompeten-
zen besser zu fördern, da im Handwerk deutliche Exportpotentiale erschlossen
werden können und sich der Export in der Vergangenheit auch immer als Inno-
vationstreiber der Wirtschaft zeigte. Dies ist auch ein Beitrag zum funktionie-
renden EU-Binnenmarkt;

10. sich stärker für die Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit von beruflicher und
akademischer Bildung sowie eine umfassende Berufsorientierung von Schüle-
rinnen und Schülern einzusetzen, beispielsweise durch eine intensivere Zusam-
menarbeit des Handwerks mit den Hochschulen. Dabei sollte neben der akade-
mischen Bildung auch verstärkt auf die Chancen und Perspektiven des gesamten
Spektrums der Ausbildungsberufe sowie auf bestehende Rollenstereotype bei
der Berufswahl hingewiesen werden;

11. das Meister-BAföG entsprechend seiner Bedeutung für im Beruf Stehende und
Gesellen mit Familien fortzuentwickeln;

12. die Selbstverwaltung in den Handwerkskammern im Interesse der beruflichen
Aus- und Weiterbildung in Deutschland zu stärken, weil die Kammern die In-
frastruktur für die duale Aus- und Weiterbildung bereitstellen;

13. das Ehrenamt im Interesse der beruflichen Bildung noch stärker zu unterstützen,
da die Mitgliedschaft von Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern in den Hand-
werkskammern unternehmerische Initiative, bürgerliches Engagement und
Sachnähe und damit eine optimale Aufgaben- und Interessenwahrnehmung be-
sonders zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe gewährleistet;

14. mehr Unternehmen des Handwerks für die berufliche Bildung zu gewinnen;
15. weitere Impulse für lokale und regionale Konzepte zur Stärkung der Wirt-

schaftskraft und örtlichen Wertschöpfung zu setzen, da das Handwerk in den
Regionen oft einer der wenigen Arbeitgeber und Ausbilder vor Ort ist;

16. die Verantwortung der Unternehmen in der Berufsorientierung deutlich zu
machen und kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen.

Berlin, 25. November 2014

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Thomas Oppermann und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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