BT-Drucksache 18/3312

Statt Rente erst ab 67 - Altersgerechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten erleichtern

Vom 25. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3312
18. Wahlperiode 25.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus
Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Michael Schlecht, Azize Tank, Kathrin
Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Übergänge in die Rente
für alle Versicherten erleichtern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Zuge der Verabschiedung des Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsge-
setzes hat sich die Große Koalition darauf verständigt, darüber zu beraten, wie zum
einen das flexible Weiterarbeiten bis zum regulären Renteneintrittsalter (zukünftig
ab 67 Jahren) verbessert werden und zum anderen das Weiterarbeiten nach Erreichen
der Regelaltersgrenze attraktiver gemacht werden kann. Während die SPD vor allem
den Ausstieg vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze für bestimmte Versicherten-
gruppen erleichtern und flexibilisieren will, kann es Teilen der CDU/CSU nicht
schnell genug gehen, die Lebensarbeitszeit über die Regelaltersgrenze weiter hinaus
zu schieben. So soll doch noch das politische Ziel einer Rente erst ab 70 erreicht
werden.
Dabei ist die Beschäftigungssituation der Älteren nach wie vor schlecht. Gerade in
der Altersübergangsphase weist nach wie vor ein Großteil dieser Beschäftigten kei-
nerlei Erwerbsbeteiligung mehr auf. Die Quote der sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigten stürzt nach dem 60. Lebensjahr regelrecht ab. Im Alter von 64 Jahren ist
nur noch knapp jeder Zehnte (9,1 %) in einem solchen Beschäftigungsverhältnis,
knapp ein Drittel davon in Teilzeit. Zum Vergleich: Die Beschäftigungsquote der
55-60-Jährigen beträgt 55 % (Zweiter Bericht der Bundesregierung gemäß § 154
Absatz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch zur Anhebung der Regelalters-
grenze auf 67 Jahre, Bundestagdrucksache 18/3261). Entgegen dem allgemeinen
Trend hat die Zahl älterer Arbeitsloser deutlich zugenommen: Sie ist für die 55 Jahre
Alten und Älteren bundesweit von 423.000 im Jahr 2008 auf 571.000 in 2013 ange-
stiegen (ebd.). Dies entsprach einem Anteil von 23,2 % an allen Arbeitslosen und
einer Zunahme um 35 % innerhalb von fünf Jahren. Auch die Erwerbsminderungs-
rente (EM-Rente) ist für die meisten gesundheitsgeschädigten älteren Beschäftigten
keine Option. Mit der rot-grünen Reform der Renten wegen verminderter Erwerbs-
fähigkeit im Jahr 2000 wurde der Zugang in eine Erwerbsminderungsrente drastisch
eingeschränkt. Allein 2013 lag die Ablehnungsquote bei Neuanträgen von EM-Ren-
ten bei 42 %.

Drucksache 18/3312 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Nach § 154 Absatz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat die Bun-
desregierung zum zweiten Mal ihren Überprüfungsbericht zur Anhebung der Regel-
altersgrenze auf 67 Jahre vorgelegt. Danach muss sie Bericht erstatten, „ob die An-
hebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeits-
marktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer
weiterhin vertretbar erscheint und die getroffenen gesetzlichen Regelungen bestehen
bleiben können“. Allerdings hatten sich bereits mit dem ersten Bericht im Jahr 2010
die Befürchtungen bestätigt, dass die „Überprüfungsklausel“ faktisch wertlos ist.
Denn weder wurde die Beschäftigungssituation hinreichend und mit geeigneten In-
dikatoren dargestellt noch wurden konkrete Kriterien der zu überprüfenden Sachver-
halte festgelegt. Dieses Defizit hat die Bundesregierung bis heute nicht behoben. Es
überrascht deshalb nicht, dass auch mit dem zweiten Überprüfungsbericht keine ehr-
liche Bestandsaufnahme der Beschäftigungssituation Älterer und keine Abwägung
der Vertretbarkeit der Rente erst ab 67 vorgenommen wurde. Trotz der im Bericht
nachweislich ausgewiesenen schlechten Arbeitsmarktlage Älterer hält die Bundes-
regierung weiterhin unbeirrt an der Anhebung der Regealtersgrenze auf 67 fest.
Der Geburtsjahrgang 1947 war der erste Jahrgang, der im Jahr 2012 von der schritt-
weisen Anhebung der Regelaltersgrenze auf perspektivisch 67 Jahre betroffen war.
Eines der wesentlichen Ziele des Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsge-
setzes von 2008 war es, die Beitrags- und Niveausicherungsziele in der gesetzlichen
Rentenversicherung einzuhalten. Denn ohne die Anhebung des Renteneintrittsalters
um zwei Jahre wäre das Beitragssatzziel von nicht mehr als 20 Prozent im Jahr 2020
bzw. 22 Prozent im Jahr 2030 trotz der gleichzeitig stattfindenden dramatischen Ab-
senkung des Rentenniveaus (Sicherungsniveau vor Steuern) auf 46 Prozent bis zum
Jahr 2020 und 43 Prozent bis zum Jahr 2030 gefährdet gewesen.
Die rentenrechtliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die Rente erst ab 67
bedeutet aber für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass sie mit
erhöhten Abschlägen in Rente gehen müssen. Denn viele sind aufgrund körperlicher
und/oder seelischer Belastungen und/oder wegen Arbeitslosigkeit oft nicht in der
Lage, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze durchzuhalten. Die Anhebung des
abschlagsfreien Renteneintrittsalters auf 67 Jahre führt jedoch dazu, dass sich die
höchstmöglichen Abschläge auf bis zu 14,4 Prozent verdoppeln. Gerade bei Er-
werbsgeminderten reicht bereits heute vielfach die Rente nicht aus, unabhängig von
staatlichen Leistungen zu leben. Die Kombination von Rentenabschlägen mit einem
gleichzeitig sinkendem Rentenniveau wird dazu führen, dass immer mehr Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer im mittleren und unteren Einkommensbereich auch
für die Altersrente nicht mehr in der Lage sein werden, sich Rentenanwartschaften
aufzubauen, die deutlich oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen werden.
An dieser Entwicklung wird die im Zuge des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes
(„Rentenpaket“) zum 1. Juli 2014 eingeführte vorübergehende abschlagsfreie Rente
ab 63 Jahren für besonders langjährig Versicherte nichts ändern: Die Regelung ist
zeitlich begrenzt. Voll profitieren werden von der Regelung lediglich eineinhalb
Rentenjahrgänge, die ohne Abschläge tatsächlich ab 63 in Rente gehen können. Für
die Geburtsjahrgänge ab 1953 steigt die Altersgrenze mit jedem Jahrgang um zwei
Monate. Aus der vorübergehenden abschlagsfreien Rente ab 63 wird bis zum Jahr
2030 die Rente ab 65. Zudem werden Zeiten des Hartz-IV-Bezugs und der Arbeits-
losenhilfe im Gegensatz zu Zeiten der kurzzeitigen Arbeitslosigkeit bei der Warte-
zeiterfüllung für die Rente ab 63 nicht berücksichtigt. Somit werden Versicherte, die
allein aus dem Grund, dass sie nicht mehrfach kurzzeitig erwerbslos waren, sondern
in einem längeren Zeitraum keine Arbeit gefunden haben, ansonsten aber die glei-
chen Voraussetzungen zum Erreichen der Rente ab 63 erfüllen, grob benachteiligt.
Zudem wird an der generellen schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze auf das
67. Lebensjahr für alle anderen festgehalten. Nur etwa ein Drittel erfüllt jedoch die
Bedingungen für die Rente für besonders langjährig Versicherte, bei den Frauen nur

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3312
knapp 14 Prozent. Von denen, die weiter arbeiten müssen, sind aber im Alter von 64
Jahren gerade noch 16,2 Prozent in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.
Nicht zuletzt führen die Maßnahmen im Rentenpakt dazu, dass aufgrund des Nach-
haltigkeitsfaktors in der Rentenanpassungsformel das Rentenniveau vor Steuern bis
2030 voraussichtlich um 0,7 Prozentpunkte mehr – auf 43,7 Prozent – absinken wird,
als ohne diese Reform. Somit werden gerade die dringend notwendigen Leistungs-
verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente langfristig wieder zunichte ge-
macht. Wenn aber Leistungsverbesserungen für Wenige das Rentenniveau für Alle
senken, dann ist offensichtlich, dass die Politik der Dämpfungsfaktoren und des Bei-
tragssatzdogmas gescheitert ist.
Die Rente erst ab 67 ist und bleibt für die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer ein gigantisches Rentenkürzungsprogramm. Sie muss deshalb zusam-
men mit allen mit ihr verbunden Anhebungen von Altersgrenzen in der gesetzlichen
Rentenversicherung und anderen Alterssicherungssystemen umgehend zurückge-
nommen werden. Stattdessen muss alles dafür getan werden, dass die Beschäftigten
aus guter Arbeit spätestens ab 65 abschlagsfrei und sozial abgesichert in Altersrente
gehen können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Voraussetzungen dafür geschaffen
werden, dass ältere Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in guter und
sicherer Beschäftigung arbeiten können, mit dem die Rente erst ab 67 zurückgenom-
men und zugleich erleichterte und flexiblere Übergänge in eine Altersrente geschaf-
fen werden. Hierzu sind die nachfolgendend genannten Maßnahmen erforderlich.
1. Mit guter Arbeit bis zur Rente:

a) Damit ältere Versicherte die Regelaltersgrenze in guter und sicherer Be-
schäftigung erreichen können, wird das unbefristete Arbeitsverhältnis zur
Regel gemacht, indem im Teilzeit- und Befristungsgesetz insbesondere in
§ 14 die Absätze 2, 2a und 3 gestrichen werden.

b) Regelungen zum Schutz vor psychischen Belastungen sind im Arbeits- und
Gesundheitsschutz zu verankern und die Schutzrechte zu stärken. Hierzu ist
eine Anti-Stress-Verordnung zu erlassen und die Mindestanforderungen an
die Gefährdungsbeurteilungen nach dem Arbeitsschutzgesetz sind gesetz-
lich festzuschreiben. Zugleich ist das Arbeitszeitgesetz an die Bedürfnisse
der Beschäftigten anzupassen. Außerdem sind bei Fragen der Gestaltung der
Arbeitsaufgaben, der Arbeitsorganisation und des Arbeitsumfeldes die Mit-
bestimmungs- und Kollektivrechte der Beschäftigten zu stärken.

c) Da die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten steigen und die
lebenslange Beschäftigung in einem Betrieb immer mehr zur Ausnahme
wird, sind die beruflichen Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkei-
ten zu stärken.

d) Indem ein Teil der Unternehmen mit ihrem diskriminierenden Einstellungs-
verhalten zur Verfestigung von Langzeiterwerbslosigkeit beiträgt und sich
zugleich immer weniger Unternehmen an den daraus entstehenden Kosten
beteiligen, wird die Erstattungspflicht in der Arbeitslosenversicherung wie-
der eingeführt.

2. Die Rente erst ab 67 sofort zurücknehmen:
a) Die mit dem Altersgrenzenanpassungsgesetz von 2008 vorgenommene

schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre sowie anderer
Altersgrenzen wird rückgängig gemacht. Dabei wird dem Grundsatz ge-
folgt, dass alle Versicherten wieder ab 65 abschlagsfrei in eine Altersrente
gehen können. Damit beträgt die Regelaltersgrenze wieder 65 Jahre.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/3312 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

b) Das abschlagsfreie Einstiegsalter bei der Rente für besonders langjährig
Versicherte ab 63 Jahren wird beibehalten sowie Zeiten der Langzeiter-
werbslosigkeit bei der Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren berücksichtigt.
Der sogenannte „rollierende Stichtag“ bei der Rente ab 63 Jahren wird ge-
strichen.

c) Den § 51 Abs. 3a Ziff. 3 um einen Buchstaben d um Zeiten des Mutterschut-
zes vor der Geburt zu erweitern.

3. Erleichterte und flexiblere Übergänge in eine Altersrente schaffen:
a) Die Regelungen der Altersteilzeit werden an die veränderten Bedürfnisse

der Beschäftigten angepasst und die Förderung der Altersteilzeit durch die
Bundesagentur für Arbeit wird wieder eingeführt. Damit soll wieder mehr
jungen Erwachsenen nach der Berufsausbildung ein gesicherter und unbe-
fristeter Arbeitsplatz angeboten werden.

b) Perspektivisch wird Versicherten mit 40 Beitragsjahren (inkl. gleichgestell-
ter Zeiten) ab Vollendung des 60. Lebensjahres ein abschlagsfreier Zugang
zu einer Altersrente gewährt.

4. Den Zugang und die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos verbessern:
a) Der Zugang zur Erwerbsminderungsrente wird deutlich erleichtert.
b) Die nicht sachgerechten Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten werden

abgeschafft.
c) Die Zurechnungszeit wird bis zu dem Zeitpunkt verlängert, an dem nach der

derzeit geltenden Rechtslage in der Regel frühestens eine Altersrente in An-
spruch genommen werden kann.

Berlin, den 24. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.