BT-Drucksache 18/3042

Entwurf eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014)

Vom 4. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3042
18. Wahlperiode 04.11.2014
Gesetzentwurf
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Michael Schlecht, Azize Tank,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze
in der gesetzlichen Rentenversicherung
(Beitragssatzgesetz 2014)

A. Problem
Nach der bestehenden Gesetzeslage muss der Beitragssatz zur gesetzlichen
Rentenversicherung vom 1. Januar eines Jahres an verändert werden, wenn am
31. Dezember desselben Jahres bei Beibehaltung des bisherigen Beitragssatzes
die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage den Korridor zwischen dem 0,2fachen
und dem 1,5fachen der durchschnittlichen Ausgaben der allgemeinen Renten-
versicherung in einem Kalendermonat voraussichtlich unterschritten bzw. über-
schritten wird (§ 158 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI).
Aktuell wird zum 1. Januar 2015 eine Beitragssatzsenkung von 0,2 Prozent-
punkten erwartet: Der Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung müsste
demnach von 18,9 Prozent auf 18,7 Prozent sinken. Angesichts des seit Jahren
sinkenden Rentenniveaus, der erkennbaren Gefahr drohender Altersarmut und
vor dem Hintergrund der unsicheren konjunkturellen Entwicklung im Zuge der
noch immer schwelenden Finanz- und Eurokrise wäre eine Beitragssatzsenkung
die falsche Antwort auf diese Herausforderungen.
Zudem wurden die Handlungsspielräume mit der systemwidrigen Finanzierung
der sogenannten „Mütterrente“ im Zuge des RV-Leistungsverbesserungsgeset-
zes erheblich eingeschränkt und zugleich die historische Chance für dringend
notwendige systemgerecht aus Beiträgen zu finanzierende Leistungsverbesse-
rungen in der gesetzlichen Rente leichtsinnig verspielt. Zugleich wird die Nach-
haltigkeitsrücklage der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich schneller sin-
ken, als ursprünglich vorgesehen. Eine Absenkung des Beitragssatzes wird die-
sen Prozess weiter beschleunigen. Dies würde einen deutlich rascheren Bei-
tragssatzanstieg notwendig machen. Ein Vertrauensverlust in die Leistungsfä-
higkeit der gesetzlichen Rentenversicherung wäre die Folge. Die gesetzlichen
Grundlagen zur Festsetzung der Beitragssätze müssen daher noch in diesem
Jahr geändert werden.
Drucksache 18/3042 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
B. Lösung
Durch den Verzicht auf die Begrenzung der Rücklagen bei gleichzeitiger Stabi-
lisierung der derzeit gültigen Beitragssätze wird der Automatismus zur Senkung
der Beitragssätze außer Kraft gesetzt. Damit werden zugleich neue Handlungs-
spielräume für dringend notwendige Leistungsverbesserungen geschaffen, die
bereits durch die Fehlfinanzierung der sogenannten „Mütterrente“ aus Beiträ-
gen stark eingeschränkt wurden. Zugleich wird mit der Anhebung der Unter-
grenze der Nachhaltigkeitsrücklage (Mindestreserve) von derzeit 0,2 Monats-
ausgaben auf 0,5 Monatsausgaben ein ausreichender Schwankungspuffer im
Jahresverlauf bei den Einnahmen und Ausgaben geschaffen. Eine Mindestre-
serve von 0,2 Monatsausgaben sichert bei konjunkturellen Einbrüchen nicht
verlässlich die Liquidität der gesetzlichen Rentenversicherung.

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Durch die Anbindung des allgemeinen Bundeszuschusses an die Beitragssatz-
entwicklung erhöhen sich die jährlichen Ausgaben des Bundes in 2015 gegen-
über dem Alternativszenario eines Beitragssatzes von 18,7 Prozent um 0,38
Milliarden Euro.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3042

Entwurf eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze
in der gesetzlichen Rentenversicherung

(Beitragssatzgesetz 2014)

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Gesetz zur Weitergeltung des Beitragssatzes 2014 in der gesetzlichen Rentenversicherung

Der Beitragssatz beträgt für das Jahr 2015 in der allgemeinen Rentenversicherung 18,9 Prozent und in der
knappschaftlichen Rentenversicherung 25,1 Prozent. Im Übrigen bleibt die Regelung des § 158 Absatz 4 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch unberührt.

Artikel 2

Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch

§ 158 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl. I S. 754, 1404, 3384), das zuletzt durch … geändert worden ist,
wird wie folgt geändert:
1. Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

„Der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung ist vom 1. Januar eines Jahres an zu verändern,
wenn am 31. Dezember dieses Jahres bei Beibehaltung des bisherigen Beitragssatzes die Mittel der Nach-
haltigkeitsrücklage das 0,5fache der durchschnittlichen Ausgaben zu eigenen Lasten der Träger der allge-
meinen Rentenversicherung für einen Kalendermonat (Mindestrücklage) voraussichtlich unterschreiten.“

2. Absatz 2 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„Der Beitragssatz ist so neu festzusetzen, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen unter Berück-
sichtigung der voraussichtlichen Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 Satz 1) und der Zahl der Pflichtversicherten zusammen mit den Zuschüssen
des Bundes und den sonstigen Einnahmen unter Berücksichtigung von Entnahmen aus der Nachhaltig-
keitsrücklage ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben in dem auf die Festsetzung folgenden Ka-
lenderjahr zu decken und sicherzustellen, dass die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage am Ende dieses
Kalenderjahres im Falle von Absatz 1 Satz 1 dem Betrag der Mindestrücklage voraussichtlich entspre-
chen.“

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2015 in Kraft.

Berlin, den 4. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 18/3042 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Die Nachhaltigkeitsrücklage wird nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund Ende des Jahres
33 Milliarden Euro, bzw. knapp 1,8 Monatsausgaben betragen (Vgl. Ausschussdrucksache 18(11)200). Nach
geltendem Recht ist gemäß § 158 Absatz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) der Beitragssatz
in der allgemeinen Rentenversicherung vom 1. Januar eines Jahres an zu verändern, wenn am 31. Dezember
desselben Jahres bei Beibehaltung des bisherigen Beitragssatzes die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage den
Korridor zwischen dem 0,2fachen und dem 1,5fachen der durchschnittlichen Ausgaben zu eigenen Lasten der
Träger der allgemeinen Rentenversicherung für einen Kalendermonat voraussichtlich unterschreiten oder über-
steigen. Im Fall einer zu erwartenden Überschreitung ist der Beitragssatz so festzusetzen, dass die Mittel der
Nachhaltigkeitsrücklage voraussichtlich dem Betrag der Höchstnachhaltigkeitsrücklage (1,5 Monatsausgaben)
entsprechen. Vor dem Hintergrund der prognostizierten Entwicklung der Einnahmen und der Ausgaben der
allgemeinen Rentenversicherung müsste ab dem Jahr 2015 der Beitragssatz abgesenkt werden.
Die systemwidrige Finanzierung von Maßnahmen (Stichwort: „Mütterrente“) des RV-Leistungsverbesserungs-
gesetzes führt dazu, dass die Reserven der Rentenversicherung schnell abschmelzen und die dann zu erwarten-
den Beitragserhöhungen ab dem Jahr 2019 umso drastischer ausfallen, als bisher erwartet. Eine weitere Absen-
kung des Beitragssatzes der allgemeinen Rentenversicherung würde diese Entwicklung noch beschleunigen.
Die Anfälligkeit der Rentenversicherung für konjunkturelle Schwankungen wird dadurch zusätzlich verstärkt.
Den Trägern der allgemeinen Rentenversicherung werden Rücklagen genommen, die angesichts des demogra-
fischen Wandels, der sozialpolitischen Erfordernisse und als Reserven für wirtschaftliche Krisen dringend not-
wendig wären. Zugleich hat eine Untersuchung des IMK im Auftrag des Netzwerkes Alterssicherung der deut-
schen Rentenversicherung Bund aus dem Jahr 2009 zum Thema „Konjunktur und Rentenversicherung – ge-
genseitige Abhängigkeit und mögliche Veränderungen durch diskretionäre Maßnahmen“ gezeigt, dass die ge-
genwärtige Höchstgrenze für die Nachhaltigkeitsrücklage zu niedrig ist, um von Seiten der Rentenversicherung
in stärkeren und/oder längeren anhaltenden Rezessionsphasen konjunkturstabilisierend wirken zu können. Auf-
grund des seit längerem anhaltenden unsicheren konjunkturellen Umfelds in der Eurozone wird dies umso
nötiger. Als vertrauensbildende Maßnahme ist deshalb auch die Anpassung der Mindestreserve auf 0,5 Mo-
natsausgaben der Rentenversicherung notwendig.
Ziel muss es sein, die Nachhaltigkeitsrücklage aufzufüllen und so eine mittelfristige Beitragskontinuität zu
ermöglichen. Beitragssprünge sollten deshalb aus Gründen der Planungssicherheit und Verlässlichkeit vermie-
den werden. Diese bergen die Gefahr eines Akzeptanzverlustes der umlagefinanzierten gesetzlichen Renten-
versicherung: Denn gerade denjenigen, die ein politisches Interesse an der Schwächung der umlagefinanzierten
Rentenversicherung haben, würden den zu erwartenden deutlichen Beitragssatzanstieg als Ausdruck grund-
sätzlicher Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung interpretieren. Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern würden dagegen von einem niedrigeren Beitragssatz kaum profitieren: Eine mögliche Beitragssatzsen-
kung um 0,2 Prozentpunkte würde bei einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von 2.900 Euro 2,90 Euro
weniger Rentenbeitrag im Monat bedeuten. Gleichzeitig würden aber die Beitragseinnahmen der Rentenkasse
um 2,1 Milliarden Euro sinken.
Die über zehnjährige Erfahrung mit der kapitalgedeckten sog. Riester-Rente haben vor dem Hintergrund der
Finanzkrise deren gravierende Defizite offengelegt. Insgesamt zeigt sich: Die mit der sog. Riester-Reform ver-
knüpften Erwartungen einer Kompensation der Sicherungslücke in der gesetzlichen Rentenversicherung durch
die Leistungen aus der betrieblichen und privaten Altersvorsorge haben sich nicht erfüllt. Das Drei-Säulen-
Modell ist gescheitert. Gerade deshalb sollten sich aber die Versicherten in der Rentenversicherung auf ein
Höchstmaß an Stabilität der ersten Säule verlassen können. Von Verlässlichkeit und Stabilität kann aber nur
geredet werden, wenn die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur finanziell berechenbar bleibt, sondern ins-
besondere ihre Funktion zur Lebensstandardsicherung im Alter sowie zur Armutsvermeidung erfüllt.
Außerdem erschwert die Absenkung des Beitragssatzes dringend notwendige, systemgerecht aus Beiträgen zu
finanzierende Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Hierzu gehört auch die Ab-
schaffung der Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel zur Anhebung des Rentenniveaus. Damit

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3042
könnte zugleich verhindert werden, dass bei einer Kontinuität des Beitragssatzes über das Jahr 2015 hinaus,
der Nachhaltigkeitsfaktor, wie durch das RV-Leistungsverbesserung geschehen, sich langfristig ausgabenmin-
dernd auswirkt. Allein das Rentenpaket wird dazu führen, dass das Rentenniveau 2030 nochmals um 0,7 Pro-
zentpunkte niedriger ausfallen wird, als ursprünglich vorausberechnet (vgl. Entwurf eines Gesetzes über Leis-
tungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, Bundestagsdrucksache 18/909, S. 18).
Darüber hinaus sind die Mehreinnahmen, die durch eine Stabilisierung und gegebenenfalls später einzuleitende
Anhebung des Beitragssatzes generiert werden, für systemgerecht aus Beiträgen zu finanzierende Leistungsver-
besserungen zu verwenden und nicht zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben, die aus Steuermit-
teln zu bestreiten sind.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Gesetz zur Weitergeltung des Beitragssatzes 2014 in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung)

Artikel 1 regelt die Weitergeltung des derzeitigen Beitragssatzes von 18,9 Prozent in der allgemeinen und
25,1 Prozent in der knappschaftlichen Rentenversicherung für das Jahr 2015.

Zu Artikel 2 (Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch)

Durch die Neufassung des § 158 Absatz 1 Satz 1 SGB VI wird die Regelung einer Höchstnachhaltigkeitsrück-
lage aufgehoben. Zugleich wird die Untergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben der
durchschnittlichen Ausgaben für einen Kalendermonat auf 0,5 Monatsausgaben angepasst. In den kommenden
Jahren steigt somit das Volumen der Rücklagen der Rentenversicherung über den bisherigen Wert von maximal
1,5 Monatsausgaben, die Beitragssatzentwicklung wird so stabilisiert und verstetigt. Die Neufassung des § 158
Absatz 2 Satz 1 ist eine Folgeänderung.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Artikel 3 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2015.

C. Finanzielle Auswirkungen

I. Auswirkungen auf den Beitragssatz in der Rentenversicherung
Eine Stabilisierung des Beitragssatzes in der angestrebten Weise führt dazu, dass dieser im Jahr 2015 nicht
absinken würde, sondern auf dem gegenwärtigen Niveau von 18,9 Prozent verbliebe. Die gesetzliche Renten-
versicherung wird dadurch ca. 2,1 Milliarden Euro mehr an Beitragseinnahmen zur Verfügung haben, als wenn
der Beitragssatz auf 18,7 Prozent sänke. Zusammen mit den Bundeszuschüssen stünden insgesamt ca. 2,5 Mil-
liarden Euro mehr zur Verfügung.
II. Auswirkungen auf den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung
Der allgemeine Bundeszuschuss zur Rentenversicherung ist sowohl an die Veränderung der Bruttolöhne und -
gehälter je Arbeitnehmer gekoppelt als auch an die Entwicklung des Beitragssatzes; eine Veränderung des
Beitragssatzes um 0,1 Prozentpunkte wirkt sich auf den Bundeszuschuss derzeit um ca. 189 Mio. Euro aus.
Somit würde der Bundeszuschuss bei einem Beitragssatz von 18,9 Prozent im Jahr 2015 gegenüber dem Alter-
nativszenario eines Beitragssatzes von 18,7 Prozent um 0,38 Milliarden Euro höher ausfallen, der Beitrag des
Bundes für die Kindererziehungszeiten um 126 Millionen Euro.

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