BT-Drucksache 18/2649

Geringfügige Beschäftigung

Vom 24. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2649
18. Wahlperiode 24.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Markus
Kurth, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae,
Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Geringfügige Beschäftigung

Im Dezember 2013 gab es in Deutschland über 7,6 Millionen geringfügig Be-
schäftigte, sogenannte Minijobber, von denen 5,2 Millionen ausschließlich und
ca. 2,4 Millionen einem Minijob im Nebenjob nachgingen. Geringfügige Be-
schäftigung stellt damit einen signifikanten Teil der insgesamt 42,6 Millionen
Erwerbstätigen in Deutschland dar.
Die Minijobs stehen seit Jahren in der Kritik, zahlreiche Studien weisen auf die
vielfältigen Probleme und Folgen hin. Anders als erhofft, bilden sie keine
Brücke in reguläre Beschäftigung. Stattdessen sind Minijobs zur beruflichen
Sackgasse insbesondere für Frauen geworden. Aufstiegsperspektiven und der
eigenständige Zugang zur sozialen Sicherung werden blockiert (vgl. z. B. Bun-
desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – BMFSFJ – 2012 –,
„Frauen im Minijob“, www.bmfsfj.de).
Längst gibt es Branchen, in denen Minijobs zum Geschäftsmodell gehören und
existenzsichernde Arbeitsverhältnisse verdrängen (vgl. Institut für Arbeits-
markt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit – IAB – 2012 –,
„Umstrittene Minijobs“, www.iab.de). Studien, Presseberichte und Gerichtsur-
teile zeigen zudem, dass vielen Minijobbenden ihre Rechte verwehrt werden und
eine wirkliche Gleichbehandlung mit sozialversicherungspflichtig Beschäftig-
ten nur selten stattfindet (vgl. z. B. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches
Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) – 2012 –, „Niedriglohnfalle Minijob“,
www.boeckler.de)
Minijobbende gelten nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz als Teilzeit-
beschäftigte. Sie haben damit im Arbeitsrecht grundsätzlich die gleichen Rechte
wie Vollzeitbeschäftigte und müssen genauso behandelt werden. Das betrifft den
Urlaubsanspruch, Sonderzahlungen, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall,
Schwangerschaft, Mutterschutz oder Feiertage und den Kündigungsschutz. Ge-
ringfügig beschäftigte Arbeitnehmer dürfen demnach nicht schlechter behandelt
werden als andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sieht keine nennenswerten
Änderungen bei den Minijobs vor. Geringfügig Beschäftigte sollen lediglich
besser über ihre Rechte informiert werden. Zudem sollen die Übergänge aus ge-
ringfügiger in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erleichtert
werden. Ohne weitere flankierende Maßnahmen wird dies jedoch kaum dazu
führen, dass sich die Situation der Minijobbenden faktisch verbessert. Vieles
spricht dafür, dass die Probleme, die mit Minijobs einhergehen, struktureller
Natur sind, die sich somit nur durch grundlegende Änderungen lösen lassen.

Drucksache 18/2649 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
Bestandsaufnahme
1. Wie viele geringfügige Beschäftigungsverhältnisse gab es im Jahresdurch-

schnitt und pro Quartal 2013 sowie in den ersten Quartalen 2014, und wie
viele Sozialversicherungsbeiträge und Steuern wurden dafür in dieser Zeit
abgeführt (bitte insgesamt und getrennt nach Geschlecht der Minijobben-
den darstellen)?

2. Wie hat sich die Struktur der Minijobbenden seit 2003 entwickelt (bitte
nach Geschlecht, Höhe des Verdiensts, Bildungsabschluss und nach Neben-
oder Haupterwerb darstellen)?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die sogenannten Multi-
Jobber, die mehrere geringfügige, sozialversicherungspflichtige oder eine
Kombination von beiden ausüben (Zahl der Multijobber, Zahl der ausge-
übten Beschäftigungsverhältnisse, Geschlecht, Einkommen usw.)?

4. Wie viele erwerbsfähige Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Bezieher
üben aktuell einen Minijob aus, und wie hat sich ihre Zahl seit 2005 pro Jahr
entwickelt (bitte getrennt nach Geschlecht und Verdiensthöhe in den Kate-
gorien bis 100, bis 200, bis 300, bis 400 und bis 450 Euro darstellen)?

5. Wie hat sich im selben Zeitraum der Anteil der Minijobbenden an den er-
werbstätigen Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Beziehern entwickelt
(insgesamt und nach Geschlecht)?

6. In welchen zehn Branchen arbeiten die meisten geringfügig Beschäftigten,
und in welchen zehn Branchen ist der Anteil der geringfügig Beschäftigten
an allen Erwerbstätigen der Branche am höchsten (bitte insgesamt sowie
getrennt nach Geschlecht und unter Angabe der Anteilshöhe darstellen)?

7. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung der durchschnittliche
Stundenlohn von geringfügig Beschäftigten seit 2003 entwickelt, und wie
war im Verhältnis dazu die Entwicklung der durchschnittlichen Stunden-
löhne in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen (bitte insgesamt
und nach Geschlecht sowie getrennt nach geringfügig Beschäftigten im
Nebenjob und ausschließlich geringfügig Beschäftigten)?

Wertung und Mobilität
8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Aufwärtsmobilität

von geringfügig Beschäftigten in regulären, sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnissen (insgesamt und nach Geschlecht)?

9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Aufwärtsmobilität
von geringfügig beschäftigten Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Be-
ziehern in regulären, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsver-
hältnissen (insgesamt und nach Geschlecht)?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Wissenschaft festgestellte so-
genannte Minijobfalle (vor allem für Frauen) und deren Einfluss auf die
soziale Mobilität im Niedriglohnsektor?

11. Wir beurteilt die Bundesregierung die Häufung von Minijobs in Branchen
wie dem Gastgewerbe, Einzelhandel usw. im Zusammenhang mit der so-
zialen Sicherung der Beschäftigten, der Arbeitsqualität und der Arbeits-
zufriedenheit?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die vom IAB gefundenen Hinweise, dass
insbesondere im Gastgewerbe und im Einzelhandel sowie in Kleinbetrieben
eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Minijobs verdrängt
wird?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2649
Absicherung im Alter
13. In welchem Umfang wurden in den Jahren 2012 und 2013 geringfügig Be-

schäftigte von der Rentenversicherungspflicht befreit (bitte nach Monat
darstellen und anteilig an allen geringfügig Beschäftigten und differenziert
nach ausschließlich Minijob/im Nebenjob sowie auch nach Geschlecht)?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen von geringfügigen Beschäf-
tigungsverhältnissen im Haupterwerb für die Altersvorsorge der gering-
fügig Beschäftigten sowie die daraus resultierenden gesamtgesellschaft-
lichen Folgekosten?

15. Welche Rentenansprüche hätten Beschäftigte nach heutigem Stand, die
45 Jahre durchgängig und ausschließlich Minijobs in Höhe von monatlich
450 Euro ausüben würden und nicht von der sogenannten Opt-out-Rege-
lung Gebrauch machen würden?

Diskriminierung gegenüber abhängig Beschäftigten
16. Ist der Bundesregierung das Problem bekannt, dass geringfügig Beschäftig-

ten in einer Vielzahl von Fällen systematisch und flächendeckend grundle-
gendende Arbeitnehmerrechte verwehrt werden?
Wenn ja, seit wann?

17. In welchem Umfang wurden geringfügig Beschäftigten nach Kenntnis der
Bundesregierung
a) Lohnbestandteile,
b) Urlaubsansprüche,
c) Sonderzahlungen,
d) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall,
e) Kündigungsschutz vorenthalten (bitte jeweils aktuellster bekannter Zeit-

raum sowie insgesamt und nach Geschlecht angeben)?
18. Wie oft haben nach Kenntnis der Bundesregierung geringfügig Beschäftigte

ihnen verwehrte Ansprüche, wie z. B. auf bezahlten Urlaub oder Entgelt-
fortzahlung im Krankheitsfall, bezahlte Feiertage, Weihnachtsgeld oder im
Schwangerschaftsfalle, seit dem Jahr 2005 gerichtlich oder außergerichtlich
geltend gemacht (bitte jeweils insgesamt und nach Geschlecht getrennt an-
geben)?

19. Was könnten aus Sicht der Bundesregierung die Gründe sein, dass gering-
fügig Beschäftigte ihnen verwehrte Ansprüche nicht in größerer Zahl ge-
richtlich oder außergerichtlich geltend machen?

20. Welche Studien über die Gewährung bzw. Nichtgewährung von Arbeitneh-
merrechten von Minijobbenden sind der Bundesregierung bekannt, und in
welchem Umfang werden nach diesen Studien Minijobbenden grund-
legende Rechte auf Gleichbehandlung gegenüber mehr als geringfügig be-
schäftigten Angestellten verwehrt?

Kontrollen/Bußgelder
21. In welcher Form wird die Einhaltung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes

kontrolliert, und welche Sanktionen sind möglich, wenn geringfügig Be-
schäftigten nicht die gleichen Rechte wie anderen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern gewährt werden?

22. Wie viele Bußgelder und in welcher Höhe wurden in den Jahren 2005 bis
heute pro Jahr, aufgrund fehlender Gleichbehandlung von geringfügig und
anderen abhängig Beschäftigten, verhängt?

Drucksache 18/2649 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
23. In wie vielen Fällen und in welcher Summe wurden in den Jahren 2005 bis
heute pro Jahr Sozialversicherungsbeiträge nacherhoben, weil festgestellt
wurde, dass Menschen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nicht
die gleichen Lohnbestandteile und Arbeitsbedingungen zuteil kamen, die
vergleichbare Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigte erhalten (bitte auch nach
Branche und Geschlecht der Betroffenen differenzieren)?

Aktivitäten und Vorhaben des Bundes
24. Wie viele Frauen und Arbeitgeber konnten bisher mit dem seit dem Jahr

2012 vom BMFSFJ unterstützten Projekt „Joboption“ angesprochen wer-
den, und in wie vielen Fällen konnte im Rahmen des Projekts ein Beitrag
zur Mobilität der Minijobbenden geleistet und/oder geringfügige in sozial-
versicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt werden?

25. Welche weiteren Projekte mit dem Ziel der Ausweitung geringfügiger in
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind der Bundesregierung be-
kannt, wie viele Minijobber bzw. Arbeitgeber konnten bisher damit erreicht
werden, und in wie vielen Fällen konnte im Rahmen der Projekte gering-
fügige in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt wer-
den?

26. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung selbst ergriffen
bzw. plant die Bundesregierung zu ergreifen, um das im Koalitionsvertrag
zwischen CDU, CSU und SPD verankerte Ziel, die Übergänge aus gering-
fügiger in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erleich-
tern, zu erreichen?

27. Welche Pläne hat die Bundesregierung, um insbesondere in den Branchen,
in denen besonders viele geringfügige Beschäftigungsverhältnisse existie-
ren und in denen in den letzten Jahren eine reguläre Beschäftigung zuguns-
ten von Minijobs aufgegeben wurde, eine Trendwende in die Wege zu leiten,
und mit welchen Mitteln will die Bundesregierung diese erreichen?

28. Welche Maßnahmen sind aus Sicht der Bundesregierung erforderlich, um
Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Beziehern die Ausweitung ihrer
Erwerbstätigkeit über die Minijob-Grenze hinaus zu erleichtern?

29. Engagiert sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Arbeitgeberservice
der Bundesagentur für Arbeit in den Betrieben, um auf die Möglichkeit der
Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigun-
gen hinzuweisen und dahingehend zu beraten?
Wenn nein, wäre dies aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll?

30. Welche Lösungen werden innerhalb der Bundesregierung mit dem Ziel dis-
kutiert, die Gleichbehandlung von Minijobbenden mit anderen abhängig
Beschäftigten in der Praxis auch tatsächlich zu erreichen?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung nachfolgende Maßnahmen, die dazu bei-
tragen könnten, die Praxis der Minijobs zu verbessern:
a) Kampagne, um Rechte und Pflichten bei geringfügigen Beschäftigungs-

verhältnissen sowohl den Arbeitgebern als auch den Beschäftigten deut-
lich zu machen,

b) Einrichtung einer Hotline, bei der anonyme Hinweise gegeben werden
können, wenn in Betrieben Minijobbende und abhängig Beschäftigte
nicht in Bezug auf die wesentlichen Arbeitsbedingungen und die Entloh-
nung gleichgestellt sind,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2649
c) Einführung eines Verbandsklagerechts mit dem Ziel, die Durchsetzung
von Arbeitnehmerrechten von geringfügig Beschäftigten zu verbessern,

d) Einführung bzw. Verschärfung von Sanktionen bei Nichtgewährung von
grundlegenden Rechten,

e) verstärkte Kontrollen, um eine Gleichbehandlung sicherzustellen?

Berlin, den 23. September 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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