BT-Drucksache 18/197

Stand der Abschiebungen von Roma in den Kosovo im Herbst 2013

Vom 17. Dezember 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/197
18. Wahlperiode 17.12.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Annette Groth, Inge Höger,
Andrej Hunko, Katrin Kunert, Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland),
Kathrin Vogler, Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Stand der Abschiebungen von Roma in den Kosovo im Herbst 2013

Zum letzten bekannten Stand (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-
frage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/8224) lebten in
der Bundesrepublik Deutschland Ende des Jahres 2011 noch knapp 7 000 aus-
reisepflichtige Roma aus dem Kosovo bzw. gut 8 000 Minderheitenangehörige
(Roma, Ashkali und Ägypter). Im Jahr 2009 waren es noch ca. 12 000 Minder-
heitenangehörige, von etwa 14 400 ausreisepflichtigen kosovarischen Staatsan-
gehörigen insgesamt (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 16/14129). In der letztgenann-
ten Antwort der Bundesregierung war davon die Rede, dass bis zu 2 500 koso-
varische Staatsangehörige jährlich über ein Rückübernahmeabkommen mit der
von der Bundesrepublik Deutschland anerkannten Republik Kosovo abgescho-
ben werden sollten. Die Betroffenen sind zumeist infolge des NATO-Krieges
gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und der folgenden Pogrome und Vertrei-
bungen durch die albanische Mehrheit geflohen und leben häufig schon seit fast
15 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Nach Ansicht der Fragesteller
hätte diesen Menschen schon lange ein Bleiberecht in Deutschland gewährt wer-
den müssen; sie sind hier verwurzelt, gerade ihren Kindern sind die Lebensver-
hältnisse im Kosovo vollkommen fremd. Hinzu kommt die besondere politisch-
historische Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Gruppe der
Sinti und Roma, von denen 500 000 dem rassistischen Vernichtungswahn Nazi-
Deutschlands zum Opfer fielen. Dieser Verantwortung und der aufgrund bis
heute andauernder Diskriminierungen besonders ausgegrenzten Lage der Roma
wurden die bisherigen allgemeinen Altfall- und Bleiberechtsregelungen für gut
integrierte ausreisepflichtige Ausländer in keiner Weise gerecht.
Eine Folge dieser Abschiebungspolitik gegenüber den Roma aus dem Kosovo
ist, dass die Betroffenen es in der Mehrheit vorziehen, in Deutschland oder an-
deren Ländern der Europäischen Union in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität
zu leben, statt sich abschieben zu lassen. Übereinstimmend heißt es in mehreren
Antworten der Bundesregierung (zuletzt auf Bundestagsdrucksache 17/8224),
dass ca. 75 Prozent der Personen mit einem konkreten Abschiebetermin unter-
getaucht seien. Der Weg zurück in die aufenthaltsrechtliche Legalität ist für die
einmal Untergetauchten versperrt, jegliche Inanspruchnahme oder Durch-
setzung ihrer sozialen Menschenrechte (Bildung, Gesundheit, Schutz vor
Arbeitsausbeutung, Mieterschutz etc.) ist mit der Gefahr ihrer Aufdeckung und
folgenden Abschiebung verbunden. Dass die Betroffenen dieses prekäre Leben
in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität einer „Rückkehr“ in den Kosovo vorzie-
hen, zeigt aus Sicht der Fragesteller die verzweifelte Lage der Menschen. Die

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Lösung kann nur in einer großzügigen Bleiberechtsregelung für Minderheiten-
angehörige aus dem Kosovo bestehen.
Von abgeschobenen oder aufgrund des aufenthaltsrechtlichen Drucks zurückge-
kehrten Roma ist bekannt, dass viele aufgrund der Ausgrenzung und Not im
Kosovo dort nicht bleiben (können) und sich erneut auf die Flucht begeben müs-
sen. Sie leben dann unter unsäglichen Bedingungen z. B. in Roma-Ghettos in
Serbien oder unter den Bedingungen aufenthaltsrechtlicher Illegalität in einem
Mitgliedstaat der Europäischen Union.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele ausreisepflichtige Personen aus dem Kosovo lebten zum letzten der

Bundesregierung bekannten Stand in Deutschland (bitte wie zu Frage 1 auf
Bundestagsdrucksache 17/8224 antworten, d. h. nach Bundesländern, Per-
sonen- und Altersgruppen differenzieren), wie viele von ihnen waren voll-
ziehbar ausreisepflichtig, und wie viele von ihnen hatten eine Duldung bzw.
eine Grenzübertrittsbescheinigung oder andere Papiere?

2. Wie viele geduldete bzw. ohne Duldung ausreisepflichtige Personen (bitte
differenzieren) weisen nach dem Ausländerzentralregister zum Stand 31. No-
vember 2013 eine „kosovarische“ bzw. serbische (inklusive Vorgänger-
staaten) Staatsangehörigkeit auf (bitte auch nach Bundesländern und Alter
differenzieren)?

3. Wie viele Asylanträge von Personen aus dem Kosovo wurden im Jahr 2012
bzw. bislang im Jahr 2013 gestellt, wie hoch war jeweils der Anteil der
Roma-Angehörigen (bzw. Ashkali und Ägypter), wie viele davon waren Fol-
geanträge, und wie hoch waren die Gesamtschutzquoten insgesamt bzw. bei
Roma-Angehörigen (bzw. Ashkali und Ägypter) aus dem Kosovo (bitte alle
Angaben auch nach Monaten und gewährtem Schutzstatus differenzieren)?

4. Wie viele Asylsuchende aus dem Kosovo mit Roma-Volkszugehörigkeit
(bzw. Ashkali und Ägypter) leben derzeit in der Bundesrepublik Deutschland
(bitte nach Bundesländern und Alter – über bzw. unter 18 Jahre alt – differen-
zieren)?

5. Wie viele „Abschiebungsaufträge“ aus den einzelnen Bundesländern wurden
den Koordinierungsstellen in Karlsruhe und Bielefeld im Jahr 2012 und bis-
lang im Jahr 2013 (bitte getrennt beantworten) übermittelt, und wie verteilten
sich diese Aufträge auf die Personengruppen
– Straftäter,
– alleinreisende Erwachsene,
– Familien/Kinder,
– alleinerziehende Elternteile,
– Alte und Pflegebedürftige,
– langjährig Aufhältige (seit 1. Januar 1998),
– unbegleitete Minderjährige,
– Roma-Angehörige,
– andere Minderheitenangehörige,
– Empfänger von Sozialleistungen,
– Personen, bei denen Ausweisungsgründe vorliegen
(bitte in der Form wie zu Frage 7 auf Bundestagsdrucksache 17/8224 antwor-
ten, jedoch zusätzlich noch die Summen beider Koordinierungsstellen ange-
ben)?

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6. Wie viele Ersuchen im Rahmen des Rückübernahmeabkommens wurden im
Jahr 2012 bzw. bislang im Jahr 2013 gestellt?
a) Wie viele dieser Rücknahmeersuchen wurden in den genannten Zeiträu-

men aus welchen Gründen abgelehnt (bitte getrennt angeben)?
b) Wie viele dieser Rücknahmeersuchen wurden innerhalb der 30-Tage-

Frist, wie viele innerhalb der 45-Tage-Frist und wie viele erst später be-
antwortet?

7. Welchen Anteil machen Abschiebungen aus, in denen es zuvor keine aus-
drückliche Zustimmung zur Rückübernahme gab, und wie ist dieses Ver-
hältnis bei Roma-Angehörigen?

8. Welche Probleme sind in den vergangenen zwei Jahren in Ersuchens- und
Abschiebungsverfahren aus Sicht der Bundesregierung ggf. aufgetreten,
und welche Probleme wurden von der kosovarischen Seite angesprochen?

9. Wurde insbesondere problematisiert, dass ein Vermerk über die Staatsange-
hörigkeit in kosovarischen Personenstandsurkunden keine rechtsverbind-
liche Feststellung der Staatsangehörigkeit darstellt und in der Folge Rück-
kehrer bzw. Abgeschobene de facto staatenlos sind und keinerlei Zugang zu
öffentlichen Leistungen im Kosovo haben?

10. Für wie viele Personen erfolgten im Jahr 2012 bzw. bislang im Jahr 2013
(bitte differenzieren) „Fluganmeldungen/Abschiebungsaufträge“, und wie
viele Abschiebungen wurden tatsächlich vollzogen (bitte wie zu Frage 11
auf Bundestagsdrucksache 17/8224 antworten)?

11. Wie viele der Abschiebungen in den Kosovo im Jahr 2012 bzw. im Jahr
2013 (bitte differenzieren) wurden im Rahmen von Sammelabschiebungen
per Charterflug durchgeführt (bitte die einzelnen Flüge mit Datum, Start-
flughafen in Deutschland, Fluggesellschaft, Zahl der „Buchungen“, Zahl
der Abgeschobenen, Anteil von Minderheiten- bzw. Roma-Angehörigen,
Kosten je Flug auflisten und die jeweiligen Summen nennen)?

12. Welche Abschiebungsaktionen unter der Leitung oder Beteiligung von
FRONTEX (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den
Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) gab es im Jahr
2012 bzw. 2013 (bitte differenzieren), und welche genaueren Angaben
hierzu sind der Bundesregierung bekannt (z. B. Datum, beteiligte Länder,
Fluggesellschaft, Zahl der „Buchungen“, Zahl der Abgeschobenen, Anteil
von Minderheiten- bzw. Roma-Angehörigen, Kosten je Flug; Angaben bitte,
soweit möglich, länderspezifisch differenzieren und jeweilige Summen
nennen)?

13. Wie ist aus Sicht der Bundesregierung die Bilanz der Abschiebungen und
der Rückkehr in den Kosovo seit Abschluss des Rückübernahmeabkom-
mens, in quantitativer und qualitativer Hinsicht, und inwieweit wurden die
Erwartungen in das Abkommen erfüllt?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Erklärung der Differenz
des Anteils von Roma bei den in den Kosovo Abgeschobenen im Vergleich
zu ihrem Anteil an den Rückübernahmeersuchen (vgl. Bundestagsdruck-
sache 17/8224, Frage 14), welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung,
um die Einschätzung der Ausländerbehörde Bielefeld zu validieren, ca.
75 Prozent der Personen entzögen sich der Abschiebung durch Untertau-
chen, und wie bewertet die Bundesregierung diese Folge der Abschiebungs-
politik in ordnungs- sowie in menschenrechtspolitischer Hinsicht?

15. Wie hoch war die Zahl der „freiwilligen“ Rückkehrerinnen und Rückkehrer
im Jahr 2012 bzw. bislang im Jahr 2013 (bitte differenzieren, auch nach

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Bundesländern), und wie hoch war jeweils der Anteil bzw. die Zahl der
Roma?

16. Wie viele Personen mit kosovarischer Staatsangehörigkeit sind im Jahr
2012 und bislang im Jahr 2013 jeweils beim Versuch des unerlaubten
Grenzübertritts an bundesdeutschen bzw. anderen Grenzen der Euro-
päischen Union (bitte differenzieren) angehalten worden, und in wie vielen
Fällen wurde der unerlaubte Aufenthalt oder die unerlaubte Einreise (bitte
differenzieren) von zuvor aus Deutschland oder anderen Staaten der Euro-
päischen Union ausgereisten oder abgeschobenen Personen aus dem
Kosovo festgestellt (bitte nach Jahren und Staaten der Europäischen Union,
in denen der Grenzübertritt/Aufenthalt festgestellt wurde, differenzieren)?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung für die Jahre 2012 und 2013
zur Zahl der aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesenen kosovari-
schen Staatsangehörigen, die versuchten, entgegen einer gültigen Wieder-
einreisesperre in den Schengenraum einzureisen (Gesamtzahlen, Alters-
struktur, Geschlecht, Dauer des Aufenthalts im Kosovo, Ort der Feststellung
der versuchten Einreise)?

18. Welche Erkenntnisse oder Einschätzungen hat die Bundesregierung dazu,
wie viele der serbischen oder mazedonischen Asylsuchenden (insbesondere
Roma) in Deutschland in den Jahren 2012 und 2013 aus dem Kosovo
stammten (bitte ausführen)?

19. Welche Einschätzungen oder Informationen kann die Bundesregierung dazu
geben, wie viele Personen mit kosovarischer Staatsangehörigkeit und dar-
unter insbesondere Minderheiten- bzw. Roma-Angehörige bislang infolge
von Altfall- bzw. Bleiberechtsregelungen eine Aufenthaltserlaubnis erhal-
ten haben (bitte so genau wie möglich darlegen)?

20. Welche Programme und Maßnahmen wurden im Jahr 2012 und bislang im
Jahr 2013 zur Unterstützung von zurückgekehrten bzw. abgeschobenen
kosovarischen Staatsangehörigen unter Beteiligung des Bundes und nach
Kenntnis der Bundesregierung der Länder im Kosovo durchgeführt (bitte
jeweils die Maßnahmen mit der Zahl der Teilnehmer angeben)?
a) Welche Erkenntnisse zur Nachhaltigkeit der durchgeführten Maßnahmen

zur Integration in den kosovarischen Arbeitsmarkt hat die Bundesregie-
rung?

b) Wie viele der durch die Programme geförderten Personen sind nach
Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen fünf Jahren (uner-
laubt) wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist (bitte so
differenziert wie möglich antworten)?

c) Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung sichergestellt, dass die von
der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellten Mittel effektiv
verwendet werden?

d) Wurde unterdessen die systematische Evaluation des URA 2-Programms
durchgeführt (vgl. die Ankündigung auf Bundestagsdrucksache 17/8224,
Frage 16), wenn nein, warum nicht, und wenn ja, was waren die wesent-
lichen Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen, und was wurde in-
folge der Evaluierung unternommen bzw. geändert (bitte so genau wie
möglich darstellen)?

e) Suchen die Mitarbeiter des URA 2-Projekts mögliche Hilfeempfänger
auch im serbisch dominierten Norden des Landes auf, und wenn nicht,
wie können die bereits im Norden des Kosovo lebenden Rückkehre-
rinnen und Rückkehrer dann überhaupt von den Angeboten profitieren,
da ihnen eigenständige Fahrten nach Pristina aus finanziellen Gründen
meist nicht möglich sein werden?

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21. Welche Formen der Unterstützung können nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Rückkehrer von Seiten der kosovarischen Behörden in Anspruch
nehmen, welche Haushaltsmittel stehen dazu bereit, und gibt es nach Kennt-
nis der Bundesregierung weitere Formen von Unterstützung zur Integration
von Rückkehrern durch internationale oder nationale Organisationen im
Kosovo?

22. Welche Rolle spielen nach Kenntnis der Bundesregierung für die Existenz-
sicherung von Minderheitenangehörigen im Kosovo die Überweisungen
von in Deutschland lebenden Verwandten, und welche Konsequenzen hat
demnach eine (zwangsweise) Rückkehr dieser hier lebenden Verwandten
und damit das Ausbleiben der Überweisungen?

23. Wie viele Häuser bzw. Siedlungen von Roma, die durch Intervention der
NATO in der Bundesrepublik Jugoslawien oder daran anschließend durch
die UCK (Befreiungsarmee des Kosovo) zerstört worden waren, sind nach
Kenntnis der Bundesregierung seitdem aus Mitteln der kosovarischen Re-
gierung wieder aufgebaut worden?

24. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung durch kosovarische Behörden
oder eine andere Organisation geprüft, inwieweit die gesamte Umgebung
von Mitrovica bleiverseucht ist, in der die Menschen aus den Lagern
Cesmin Luge und Osterode neu angesiedelt worden sind, und welche Belas-
tungen insbesondere das Grundwasser dort aufweist?

25. Welche Schwierigkeiten bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung
weiter, wenn zurückkehrende kosovarische Staatsangehörige und insbeson-
dere Roma zurückgelassenes Wohneigentum zurückfordern, und welche
Maßnahmen hat die kosovarische Regierung nach Kenntnis der Bundesre-
gierung ergriffen, um spezifische Probleme von Roma bei der Restitution
ihres Eigentums zu beheben?

26. Welche Maßnahmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch die
kosovarische Regierung ergriffen, um in den von Roma bewohnten Sied-
lungsgebieten den Anschluss an zentrale öffentliche Infrastruktur (Wasser
bzw. Abwasser, Strom, Straßen und öffentlicher Personennahverkehr, Schu-
len, Krankenhäuser) sicherzustellen?

27. Welche Maßnahmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von der
kosovarischen Regierung ergriffen, um Antiziganismus in Gesellschaft und
Behörden wirksam entgegenzuwirken?

28. Wie schätzt die Bundesregierung den Willen und die Möglichkeiten der
kosovarischen Autoritäten ein, die Menschenrechte der Minderheiten und
insbesondere der Rückkehrer in den Kosovo wirkungsvoll zu schützen,
wenn selbst der Ombudsmann für Menschenrechte im Parlament des
Kosovo erklärt, „ich sehe nicht, wie dieser Staat […] noch Menschen helfen
könnte, die zurückkehren“ (Interview im Magazin der Freitag, 29. Juli
2010)?

29. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der UNICEF-Studie „Stilles Leid. Zur psychosozialen Gesundheit abge-
schobener und rückgeführter Kinder“ vom März 2012?
a) Wie will sie insbesondere ihrer Verpflichtung aus der UN-Kinderrechts-

konvention zum Schutz des Kindeswohls auch in der Abschiebungs-
praxis bzw. im aufenthaltsrechtlichen Verfahren nachkommen, und wie
können die Perspektive und die Interessen der Kinder als eigenständig zu
prüfende Aspekte und zu wahrende Rechte in der geltenden Rechtslage
und aufenthaltsrechtlichen Praxis wirksam berücksichtigt werden, d. h.
nicht nur formelhaft oder lediglich als „bloßes Anhängsel“ der Entschei-
dung bezüglich der Eltern (bitte ausführen)?

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b) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie daraus, dass
nach der Studie etwa die Hälfte der aus Deutschland und Österreich in
den Kosovo „zurückgeführten“ (Abschiebungen und Rückkehr) Kinder
ihre Rückkehr als schlimmste Erfahrung ihres Lebens beschreiben und
dass insbesondere die im Ausland geborenen Kinder oder Minderheiten-
kinder die „Rückführung“ als traumatisches Ereignis erleben und zur
Hälfte an Depressionen leiden, zu einem Drittel an einer Posttrauma-
tischen Belastungsstörung (Abgeschobene etwa doppelt so häufig wie
Zurückgekehrte) und zu einem Viertel Suizidgedanken haben, während
zugleich das Gesundheitssystem im Kosovo nicht in der Lage sei, dem
tatsächlichen Behandlungsbedarf gerecht zu werden (vgl. z. B. Zusam-
menfassung auf S. 8, bitte ausführen)?

c) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie daraus, dass
nach der Studie 70 Prozent der Minderheitenkinder nach ihrer Rückkehr
in den Kosovo keine Schule mehr besuchten (ebd., bitte ausführen)?

d) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus den Auswirkungen und Folgen der bundesdeutschen Abschie-
bungs- und Rückkehrpolitik, wenn fast die Hälfte der vom kosovarischen
Innenministerium genannten abgeschobenen Personen nicht mehr er-
reichbar waren, weil sie – so die Autoren der Studie – das Land mög-
licherweise wieder verlassen haben, umgezogen sind oder niemals wirk-
lich zurückgekehrt sein mögen (S. 17)?

e) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus dem Umstand, dass drei Viertel der aus Deutschland Abgescho-
benen den Kosovo bereits Anfang der 90er-Jahre oder während des Krie-
ges verlassen hatten, d. h. vor ihrer Abschiebung etwa zehn bis 20 Jahre
in Deutschland gelebt haben (S. 20, bitte ausführen)?

f) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus dem Umstand, dass das Versprechen einer Broschüre des URA
2-Programms eines „Neuanfangs“ angesichts der „schmerzlichen Re-
integrationserfahrungen“ vieler Familien nach Aussagen der Studie
„weit hergeholt“ sei (S. 33)?

g) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Studie, wonach auch der
Kosovo-Reintegrationsfonds nur „ein Versprechen auf dem Papier“ sei
(S. 33; bitte begründen): die Hälfte der Befragten habe keinerlei Hilfen
erhalten, mitunter gebe es nur finanzielle Kurzzeithilfen, der Etat für das
Jahr 2011 sei zu weniger als 9,3 Prozent abgerufen worden, bis Ende
2011 sei kein einziges Haus für eine rückgeführte Familie in Not errichtet
worden, nur 119 von 440 000 vorgesehenen Euro seien für einen Zugang
zum Gesundheitssystem ausgegeben worden, kein einziger Cent hinge-
gen für Sprachkurse zur Erleichterung des Schulbesuchs?

30. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Studie „Abschiebungen in den Kosovo enden in der Ausweglosig-
keit“ infolge einer Delegationsreise in den Kosovo vom Förderverein PRO
ASYL e. V. und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V. vom Juli 2012?
a) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie insbesondere

aus dem Ergebnis, wonach trotz kosovarischem Reintegrationspro-
gramm und deutscher Rückkehrunterstützung Hilfeversprechen „viel-
fach nur auf dem Papier“ stünden und bei abgeschobenen Minderheiten-
angehörigen nicht einmal Unterbringung und Ernährung gesichert seien
(S. 4)?

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b) Teilt sie die Einschätzung, dass angesichts der „psychischen Schocksitu-
ation, in der sich Abgeschobene, insbesondere die Kinder abgeschobener
Familien, noch Monate nach ihrer Ankunft im Kosovo befinden“, beste-
hende Hilfsangebote nicht ausreichend sein, „um auch nur eine erste Re-
integration zu begleiten“ (S. 4; bitte begründen)?

c) Teilt sie die Einschätzung, dass Roma-Angehörige angesichts der eth-
nischen Spannungen im Kosovo und angesichts der ausschließlich alba-
nischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von psychologischen Hilfen
keinen oder kaum Gebrauch machen könnten (S. 4; bitte begründen)?

d) Teilt sie die Einschätzung, dass Abschiebungen in den Kosovo „nicht
vertretbar“ seien und dass die bestehenden Rückkehrhilfen und -pro-
gramme „nur geringfügig den Zeitpunkt, an dem Abgeschobene ins
Elend stürzen oder sich wieder auf den Weg machen“, verschöben (S. 26;
bitte begründen)?

e) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie daraus, dass da-
von ausgegangen werden muss, dass insbesondere die in Deutschland ge-
borenen und/oder aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen sich auch
nach einer Abschiebung weiter als Deutsche fühlen und in aller Regel
Mittel und Wege finden werden, um nach Deutschland zurückzukehren
– legal oder illegal –, dass es also im Interesse der Betroffenen und der
deutschen Gesellschaft wäre, für eine gelingende Integration dieser Men-
schen in Deutschland zu sorgen (vgl. S. 26 f., bitte ausführen)?

31. Befürwortet die Bundesregierung angesichts der oben aufgeführten Berichte
und Erkenntnisse ein Bleiberecht und gegebenenfalls auch ein Rückkehr-
recht insbesondere für (abgeschobene oder noch in Deutschland verblie-
bene) Minderheitenangehörige bzw. Roma aus dem Kosovo bzw. zumindest
Abschiebestopp-Regelungen für die Wintermonate (bitte begründen), von
welchen geplanten oder bereits in Kraft getretenen Winterabschiebestopp-
Regelungen welcher Bundesländer hat die Bundesregierung Kenntnis, und
welche solcher Regelungen auf Länderebene gab es im vergangenen Winter?

Berlin, den 17. Dezember 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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