BT-Drucksache 18/1873

Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel einschränken

Vom 24. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1873
18. Wahlperiode 24.06.2014

Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Roland
Claus, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter,
Kerstin Kassner, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Cornelia Möhring, Hubertus Zdebel und der
Fraktion DIE LINKE.

Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel einschränken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Glyphosat galt lange Zeit als ein relativ umweltfreundlicher Wirkstoff zur Be-
kämpfung so genannter Unkräuter. In den vergangenen Jahren mehren sich jedoch
Berichte, die eine gesundheits- und umweltgefährdende Wirkung des Pflanzen-
schutzmittelwirkstoffs selbst oder in Kombination mit so genannten Beistoffen,
zum Beispiel den Netzmitteln POE-Tallowamine (polyethoxylierte Alkylamine),
nahelegen. Im Rahmen der Bewertung zur erneuten EU-Zulassung wurde durch
das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Anfang 2014 eine grundsätzliche
Unbedenklichkeit von Glyphosat festgestellt. Allerdings konnten hinsichtlich öko-
logischer Risiken und der Kombinationswirkung mit den Beistoffen nicht alle Fra-
gen abschließend geklärt werden. Zudem gibt es eine Debatte zur Zulässigkeit der
Kriterien, nach denen wissenschaftliche Studien in die Bewertung einbezogen
wurden.

Ein Komplettverbot des umstrittenen Wirkstoffs ist auf diesen Grundlagen derzeit
nicht angemessen. Das Vorsorgeprinzip gebietet jedoch dringend, nicht unbedingt
notwendige Anwendungsbereiche auszuschließen, insbesondere solche, bei denen
das größte Risiko eines Glyphosat-Eintrages in die menschliche Nahrungskette
besteht. Dies betrifft einerseits die Vorerntebehandlung zur Beschleunigung der
Erntereife (Sikkation) und andererseits die Anwendung im privaten und öffentli-
chen Haus- und Gartenbereich. Um Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam
zu schützen ist die Bundesregierung gefordert, ein Verbot dieser beiden Anwen-
dungsbereiche zu erlassen. Das hat bereits der Bundesrat gefordert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes vorzulegen,
welcher die Grundlage schaffen soll,

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o die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel für die Anwen-
dung als Sikkation verbieten zu können und verbindlich definiert, dass
Sikkation nicht zur guten fachlichen Praxis (§3 des Pflanzenschutzgeset-
zes) gehört;

o die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel für den privaten
und öffentlichen Haus- und Gartenbereich zu verbieten und ihren Verkauf
an Laien zu untersagen;

sich im Rahmen des EU-Zulassungsverfahrens dafür einzusetzen, dass auch
die Risiken der Anwendung im privaten und öffentlichen Haus- und Kleingar-
tenbereich untersucht werden;
gemeinsam mit den Bundesländern die Rückstandsuntersuchungen auf
Glyphosat sowie seinem Hauptabbauprodukt AMPA (Aminomethyl-
phosphonic acid) und die Netzmittel POE-Tallowamine zu intensivieren;
ein Forschungsprogramm aufzulegen, in welchem mittel- und langfristig wir-
kende sowie chronische und subklinische gesundheitliche Risiken sowie die
Akkumulation von Glyphosat im menschlichen Körper und ihre Folgen gründ-
lich untersucht werden;
ein Forschungsprogramm aufzulegen, um die möglichen Einflüsse von
Glyphosat oder glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln und seinen Abbau-
produkten auf die Nutztiergesundheit (z. B. Rinder) zu untersuchen;
ein Forschungsprogramm zu potenziellen ökologischen Risiken für die biolo-
gische Vielfalt und Ökosystemwirkungen durch die Anwendung von
glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln, z. B. durch die Veränderung von
Pflanzengemeinschaften und Reduktion von Nahrungspflanzen für Insekten,
aufzulegen;
sich auf EU-Ebene gegen alle Anträge auf Anbauzulassung gentechnisch ver-
änderter Pflanzen, insbesondere diejenigen, die eine eingebaute Glyphosat-
Resistenz besitzen, auszusprechen;
eine intensive Öffentlichkeitsarbeit zum sorgsamen Umgang mit chemischen
Pflanzenschutzmitteln, insbesondere mit dem Wirkstoff Glyphosat, im privaten
und öffentlichen Bereich sowie der Agrarwirtschaft zu führen.

Berlin, den 24. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Pflanzenschutzmittelwirkstoff Glyphosat wird immer öfter in Getreideprodukten gefunden. Dies hängt
mit der immer stärker praktizierten Vorerntebehandlung zur Beschleunigung der Erntereife (Sikkation) zu-
sammen. Der Bundesrat sagt dazu: „Das Spritzen beispielsweise von Getreide kurz vor der Ernte ist aus Ver-
brauchersicht als besonders problematisch anzusehen, da hierbei eine erhöhte Gefahr besteht, dass Rückstän-
de im Lebensmittel verbleiben. Die gefundenen Mengen liegen zwar regelmäßig nicht über dem zulässigen
Rückstandshöchstgehalt. Aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes ist jedoch ein verbesserter
Schutz der Bevölkerung vor vermeidbaren Rückständen erforderlich.“ Die Sikkation entspreche nicht der
guten fachlichen Praxis, so die Länderkammer. Daher fordert der Bundesrat „ein grundsätzliches Verbot der

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Anwendung von Glyphosat zur Abreifebeschleunigung von Getreide.“ Auch die Anwendung im Haus- und
Gartenbereich solle untersagt werden (Beschluss 704/13).

Die Bundesregierung weißt in ihrer Stellungnahme gegenüber der Länderkammer darauf hin, dass keine
Möglichkeit bestünde, „durch Verordnung eine Verwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel zur
Abreifebeschleunigung zu verbieten“ und begründet dies mit §14 Absatz 3 PflSchG. Zwölf Bundesländer
sehen das allerdings anders und gaben bei der Agrarministerkonferenz im April 2014 eine Protokollerklärung
ab: Sie „teilen jedoch nicht die Auffassung des Bundes, dass eine Einschränkung des Glyphosateinsatzes in
den Bereichen Sikkation sowie Haus- und Kleingärten rechtlich nicht möglich sei. Sie bitten den Bund zu
prüfen, welche Rechtsgrundlagen für die Einschränkung des Glyphosateinsatzes geschaffen werden müssen.“
Darüber hinaus betonten sie, „dass eine Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, insbesondere Glyphosat als
Regelanwendung zur Arbeitserleichterung (Druschoptimierung, Verzicht auf Stoppelbearbeitung) nicht der
guten fachlichen Praxis entspricht“ (Ergebnisprotokoll der Agrarministerkonferenz, 4. April 2014).

Im Mai 2014 erließ das BVL überraschend und entgegen der vorherigen Aussage der Bundesregierung eine
Anwendungseinschränkung für den Wirkstoff Glyphosat. Die „Spätanwendung in Getreide“ sei nur noch
„auf Teilflächen“ erlaubt, „auf denen aufgrund von Unkrautdurchwuchs in lagernden Beständen bzw.
Zwiewuchs in lagernden oder stehenden Beständen eine Beerntung sonst nicht möglich wäre“, so das BVL in
seiner Pressemitteilung vom 21.5.2014. Diese Einschränkung der Sikkation ist ein erster, wichtiger Schritt,
um die Glyphosat-Belastung von Lebens- und Futtermitteln zu reduzieren. Unklar ist allerdings, wie die be-
reits heute überforderten Landesbehörden diese Einschränkung der Sikkation überwachen sollten. Besser
wäre folglich, die Sikkation komplett zu verbieten oder zumindest unter einen Gemehmigungsvorbehalt sei-
tens der Behörde zu stellen.

Glyphosat wird zunehmend in Lebensmitteln, im Urin europäischer Stadtbewohnerinnen und -bewohner
sowie im Urin von Milchkühen nachgewiesen (Krüger, M., Schrödl, M., Neuhaus, J., Shehata, A.A. (2013):
Field investigations of glyphosate in urine of Danish dairy cows. J Environ Anal Toxicol 2013). Doch weder
die zuständigen Behörden in Deutschland, das Bundesamt für Risikoforschung (BfR) und das Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), noch die europäische Lebensmittelbehörde (EFSA)
halten es bisher für notwendig, die Effekte von Glyphosat durch eigene Untersuchungen neu zu bewerten
(Sprenger, U. (2014): Umweltrisiko Glyphosat).

Auch wenn das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zu der Einschätzung kommt, dass es bislang keine
Nachweise gesundheitlicher Folgen gibt, muss im Sinne des Vorsorgegedankens gehandelt werden. Außer-
dem sollte es Langzeituntersuchung zur Akkumulation des Stoffes im Körper geben. Die Akkumulation der
Abbauprodukte (Metabolite) von Glyphosat im menschlichen Körper ist umstritten. Wissenschaftliche Streit-
fragen sollten jedoch nicht auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgetragen werden.

Glyphosat gehört seit seiner Markteinführung 1974 zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Herbizid-
wirkstoffen. Es wird in der Landwirtschaft eingesetzt, auf Bahngleisen, in Parkanlagen und in Gärten. Das
erste glyphosathaltige Herbizid wurde unter dem Handelsnamen „Roundup“ verkauft. Mittlerweile wird der
Wirkstoff in etlichen Pflanzenschutzmitteln unter verschiedenen Handelsnamen weltweit vertrieben. In der
EU werden auf Glyphosat basierende Herbizide hauptsächlich dazu benutzt, Unkräuter vor oder nach dem
Anbau von Feldfrüchten, in Obst- oder Weinanlagen zu bekämpfen. Einige EU-Mitgliedstaaten, darunter die
Bundesrepublik Deutschland, setzen die Herbizide auf etwa einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten
Flächen ein.

Glyphosat ist ein Totalherbizid, das ausnahmslos alle Pflanzen schädigen kann. Da 80 Prozent der weltweit
angebauten gentechnisch veränderten Pflanzen eine Herbizidresistenz tragen, viele davon gegen Glyphosat,
nahm der Glyphosat-Einsatz in den letzten Jahren massiv zu. Glyphosat tötet alle Pflanzen, die keine einge-
baute Herbizidresistenz gegen den Wirkstoff besitzen.

Im Jahr 2002 erhielt der Wirkstoff Glyphosat eine Zulassung in der Europäischen Union. Die (aktuelle)
rechtliche Grundlage ist die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzen-
schutzmitteln. Nach zehn Jahren Gültigkeit befindet sich der Wirkstoff im Wiederzulassungsverfahren. An-
fang 2014 legten die zuständigen deutschen Behörden ihre Sicherheitsbewertung für den Herbizidwirkstoff
Glyphosat der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vor. Dieser Bericht wird im Rahmen
eines wissenschaftlichen Peer-Review-Verfahrens überprüft. Noch im Jahr 2014 wird mit einer Entscheidung
der EFSA bezüglich Glyphosat gerechnet.
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Die Abbauprodukte (AMPA) und die verstärkenden Netzmittel (POE-Tallowamine) stellen bezüglich der
toxischen Wirkung im Vergleich mit dem Wirkstoff Glyphosat oft das viel größere Problem dar. Doch sie
sind bei den meisten Laborproben von Lebens- und Futtermittelproben nur unzureichend untersucht. Darüber
hinaus wird im EU-Zulassungsverfahren nur der Wirkstoff selbst, nicht aber die Pflanzenschutzmittel, die
konkret versprüht werden, geprüft.

Laut der Risikobewertung durch das BfR soll von Glyphosat kein unzumutbares Risiko für die Gesundheit
von Mensch und Tier sowie für die Umwelt ausgehen. Ebenso wenig konnten mutagene, krebserregende oder
fruchtschädigende Wirkungen festgestellt werden. Trotzdem stellt die Bundesregierung fest, dass „gesund-
heitliche Risiken für Anwender im Haus- und Kleingartenbereich nicht gezielt bewertet“ wurden im Rahmen
des Neuzulassungsprozesses (Bundestagsdrucksache 18/1250). Gleichzeitig bestätigt sei eine „oft fehlende
Sachkunde dieser Anwendergruppe“.

Auch wenn gesundheitliche Schäden durch Glyphosat bei Mensch und Tier wissenschaftlich umstritten sind,
ist nach dem Vorsorgeprinzip der Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet, wenn sich Gesundheitsrisiken nicht
ausschließen lassen.

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