BT-Drucksache 18/1665

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksache 18/1415, 18/1653 - Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Vom 4. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1665
18. Wahlperiode 04.06.2014

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Manuel Sarrazin, Omid Nouripour,
Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz,
Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg),
Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner, Luise Amtsberg und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/1415, 18/1653 –

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen
Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der
Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag stimmt der Verlängerung des Einsatzes der Bundes-
wehr im Kosovo im Rahmen der internationalen Sicherheitspräsenz KFOR
auf Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen zu. Die Sicherheitslage im Kosovo ist ruhig aber weiterhin fragil.
Angesichts wiederholter Gewaltakte und Übergriffe in der jüngeren Vergan-
genheit bleibt das Eskalationspotential hoch. Es kann nicht ausgeschlossen
werden, dass serbische Extremisten und Angehörige der organisierten Krimi-
nalität erneut Gewalt anwenden, um die weitere Umsetzung des ersten Ab-
kommens zwischen dem Kosovo und Serbien vom 19. April 2013 zu behin-
dern. Zuletzt störten radikale Kräfte durch schwere Ausschreitungen die
Kommunalwahlen am 3. November 2013 in einigen Wahlbezirken im Nord-
kosovo und machten für den geordneten Ablauf der Nachwahlen eine ver-
stärkte Sicherheitspräsenz auch durch KFOR erforderlich. Angesichts der be-
stehenden Sicherheitsrisiken erscheint die Beibehaltung der bisherigen Trup-
penstärke der Bundeswehr im Kosovo angemessen.

2. Der Deutsche Bundestag bekräftigt die Beschlüsse, die auf dem Gipfel von
Thessaloniki 2003 getroffen wurden und die allen Staaten in der Westbalkan-

Drucksache 18/1665 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

region eine Mitgliedsperspektive für die Europäische Union zusichern. Dieses
Versprechen gilt auch für die Republik Kosovo. Die Beitrittsperspektive
bleibt der stärkste Anreiz für eine demokratische, rechtstaatliche und wirt-
schaftliche Transformation des Kosovo. Ein demokratisches und prosperie-
rendes Kosovo ist für die Stabilität der gesamten Region unabdingbar und
liegt im Interesse Europas.

3. Der Deutsche Bundestag begrüßt den Abschluss der Verhandlungen über ein
Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen als wichtigen Schritt auf dem
Weg zur EU-Mitgliedschaft. Auch die Bemühungen um Reiseerleichterungen
müssen nun zügig vorangebracht werden, um das Land, das als einziges in der
Region noch einer Visumspflicht für den Schengen-Raum unterliegt, nicht
von den europäischen Integrationsbemühungen in der Region abzuhängen.

4. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bemühungen der Europäischen Union
zum Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen im Kosovo insbesondere durch ih-
re Rechtsstaatsmission EULEX. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass wei-
terhin fünf Mitgliedstaaten der EU das Kosovo völkerrechtlich nicht anerken-
nen. Sie erschweren damit die politischen Bemühungen der EU im Kosovo
und der gesamten Region. Die Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft der
EU sind durch die erzwungene Statusneutralität der Mission EULEX einge-
schränkt. Die Gestaltung vertraglicher Beziehungen etwa in Visa- und Asso-
ziierungsfragen wird durch die ausstehende Anerkennung erschwert.

5. Der Deutsche Bundestag zeigt sich besorgt über weit verbreiteten Klientelis-
mus, Korruption und Vetternwirtschaft bis in hohe Regierungskreise sowie
organisierte Kriminalität. Dies stellt eine erhebliche Belastung für die
kosovarische Gesellschaft und ein schweres Hemmnis für die sozioökonomi-
sche Entwicklung des Landes dar.

6. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass die Grenzen des Kosovo festgelegt
sind. Er begrüßt das Abkommen vom 19. April 2013. Es stellt einen wichtigen
Schritt in der Annäherung zwischen Serbien und dem Kosovo und auf ihrem
Weg in die EU dar. Insbesondere bei der Ausgestaltung des vorgesehenen
Verbands serbischer Gemeinden ist dafür Sorge zu tragen, dass dessen bislang
kaum definierte Kompetenzen nicht den im Ahtisaari-Plan und der
kosovarischen Verfassung niedergelegten Prinzipien eines demokratischen
und multiethnischen Gemeinwesens zuwiderlaufen und kein Potenzial für Ob-
struktionen und Blockaden bei der angestrebten EU-Integration des Kosovo
bieten. Der Deutsche Bundestag verurteilt den wiederholten Einsatz schwerer
Gewalt durch radikale Kräfte und Angehörige der organisierten Kriminalität,
die auf diese Weise die Eingliederung des Nordkosovo in den kosovarischen
Staat und den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen zu behindern suchen.

7. Der Deutsche Bundestag bekräftigt, dass für den angestrebten Beitritt Serbi-
ens zur EU die völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo notwendig ist. Es
muss ausgeschlossen werden können, dass Serbien einen späteren Beitritt des
Landes behindert oder gar verhindern kann. Diese Grundsätze und eine strikte
Konditionalität in allen Phasen der Verhandlungen sind aus Sicht des Deut-
schen Bundestages unerlässlich für erfolgreiche Beitrittsverhandlungen.

8. Die Lage der Roma und weiterer nichtserbischer Minderheiten ist nach wie
vor von Ausgrenzung, Armut und Perspektivlosigkeit geprägt. Der Bundestag
zeigt sich besonders besorgt über die Situation der rückkehrenden Minderhei-
tenangehörigen. Eine zwangsweise Rückführung ist insbesondere unter Be-
rücksichtigung des Wohls der Kinder nicht verantwortbar.

9. Der Deutsche Bundestag hält eine engagierte Westbalkanpolitik der Europäi-
schen Union für dringend geboten. Grundlage hierfür bleibt das Prinzip der
strikten Konditionalität entsprechend der Kopenhagener Kriterien. Gleichzei-
tig gilt es, sich aktiv um eine Überwindung der bestehenden Spannungen und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1665

Blockaden zu bemühen und so einem Auseinanderfallen der Integrationspro-
zesse in der Region entgegenzuwirken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich innerhalb der Europäischen Union für eine völkerrechtliche Anerkennung
des Kosovo durch alle Mitgliedstaaten einzusetzen und damit auch der
Rechtsstaatsmission EULEX ein glaubwürdiges Mandat für den Einsatz im
gesamten Gebiet des Kosovo zu ermöglichen;

2. sich innerhalb der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass der Abschluss
des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens energisch vorangetrieben
und als Ergebnis des Visadialogs die Visumspflicht für das Kosovo zügig
aufgehoben wird;

3. sich innerhalb der Europäischen Union für eine weiterhin enge Begleitung des
Verhandlungsprozesses zwischen dem Kosovo und Serbien sowie bei der
Umsetzung des bereits Vereinbarten einzusetzen und hierbei besonderes Au-
genmerk darauf zu richten, dass die zu schaffenden Strukturen den europäi-
schen Prinzipien eines demokratischen und multiethnischen Gemeinwesens
entsprechen und kein Potenzial für Obstruktionen und Blockaden im Annähe-
rungsprozess an die EU bieten;

4. gegenüber Serbien deutlich zu machen, dass Fortschritte bei den Beitrittsver-
handlungen in engem Zusammenhang mit der Entwicklung gutnachbarschaft-
licher Beziehungen und dem aktiven Bemühen um Fortschritte in den Bei-
trittsprozessen der anderen Staaten der Region stehen und dies insbesondere
mit Blick auf das Kosovo gilt;

5. ausreichend Mittel für Aussöhnung und Verständigung zwischen den unter-
schiedlichen Bevölkerungsgruppen etwa mithilfe von Mediationsbemühungen
durch europäische und lokale Organisationen zur Verfügung zu stellen;

6. gegenüber der kosovarischen Regierung nachdrücklich auf die Wahrung der
Minderheitenrechte zu drängen und die Berücksichtigung der entsprechenden
Regelungen des Ahtisaari-Plans anzumahnen;

7. sich gegenüber den Bundesländern für eine Aussetzung der zwangsweisen
Rückführung von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo einzusetzen und
dabei insbesondere das Wohl der Kinder vorrangig zu berücksichtigen und die
Regierungen anderer EU-Mitgliedstaaten aufzufordern, ebenso zu verfahren;

8. sich gegenüber der kosovarischen Regierung für den Schutz religiöser Heilig-
tümer einzusetzen.

Berlin, den 3. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Die sozioökonomische Entwicklung des Kosovo bleibt trotz jahrelanger und erheblicher Bemühungen der
internationalen Gemeinschaft hinter den Erwartungen zurück. Das Land zählt weiterhin zu den ärmsten, die
Arbeitslosenquote insbesondere unter jungen Menschen zu den höchsten in Europa. Das Problem der Jugend-
arbeitslosigkeit wird sich durch die junge Altersstruktur absehbar weiter verstärken. Hindernis für Fortschritt
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ist unter anderem die schwache Wirtschaftsstruktur, für deren Wachstum und Ausbau bislang kaum erfolg-
versprechende Perspektiven existieren. Erschwerend hinzu kommt die Benachteiligung von Frauen mit der
Folge ihrer extrem niedrigen Erwerbsbeteiligung. Das unzureichende Bildungssystem ist bislang nicht in der
Lage, das Potenzial der jungen Bevölkerung für die kosovarische Gesellschaft auszuschöpfen.
Die Integrationsmaßnahmen für Roma und weitere nichtserbische Minderheiten im Kosovo sind völlig unzu-
reichend. Leidtragende sind insbesondere Kinder, von denen laut UNICEF 74 Prozent nach ihrer Rückkehr in
das Kosovo keine Schule mehr besuchen. UNICEF beschreibt in einer Studie vom März 2012 psychosoziale
und gesundheitliche Probleme bei rückkehrenden Kindern aus den benachteiligten Minderheiten. Dennoch
schloss die Bundesregierung 2010 ein Rückübernahmeabkommen mit dem Kosovo ab, das die Rückführung
von etwa 12 000 kosovarischen Minderheitenangehörigen in den nächsten Jahren vorsieht. Amnesty Interna-
tional hat die deutsche Abschiebepraxis im Staatenbericht von 2013 erneut angeprangert, da Roma im Koso-
vo vielfach diskriminiert werden.
Das Abkommen vom 19. April 2013 stellt einen wichtigen Schritt in der Annäherung zwischen Serbien und
dem Kosovo und auf ihrem Weg in die EU dar. Die zwischen dem Kosovo und Serbien erreichten Vereinba-
rungen über eine zwischenstaatliche Annäherung sowie die Auflösung und Eingliederung der serbischen
Parallelstrukturen in Nordkosovo in den kosovarischen Staat sind zu begrüßen. Die erreichten Übereinkünfte
haben bereits zu spürbaren Verbesserungen für die Menschen in beiden Ländern geführt, auch wenn ein Teil
der Vereinbarungen bislang nur unzureichend oder schleppend umgesetzt wird. Nun kommt es darauf an, das
Abkommen mit Leben zu füllen. Besorgniserregend sind Versuche innerhalb des Kosovo, in der Auseinan-
dersetzung zwischen den Bevölkerungsgruppen Änderungen der auf dem Ahtisaari-Plan fußenden Verfas-
sung zu erreichen. Solche Entwicklungen säen in einer kritischen Phase der Integrationsbemühungen Miss-
trauen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Es muss sichergestellt werden, dass an den Bestimmungen des
Ahtisaari-Plans festgehalten und den Minderheiten entsprechend europäischen Prinzipien angemessene Teil-
habe zugesichert wird.
Der Westbalkan und insbesondere das Kosovo bleiben aufgrund der anhaltenden Spannungen eine für dauer-
haften Frieden und Stabilität in Europa kritische Region. Im Verhältnis zwischen dem Kosovo und Serbien
sind in den vergangenen Monaten auch dank großer Anstrengungen der Europäischen Union Fortschritte
erreicht worden. Dennoch mangelt es weiterhin an einer engagierten und strukturierten Westbalkanpolitik der
Europäischen Union, die sich mit Nachdruck der Bewältigung von Konflikten und Blockaden in der Region
widmet und die EU-Integration aller Westbalkanländer entschlossen vorantreibt. Die Integrationsprozesse der
unterschiedlichen Länder drohen auseinanderzufallen. Die Gefahr besteht, dass durch das Zurückbleiben
einzelner Länder die ohnehin erheblichen Spannungen in der Region erneut verschärft werden.

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