BT-Drucksache 18/1336

Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien

Vom 7. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1336 (neu)
18. Wahlperiode 07.05.2014

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Uwe
Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Doris
Wagner, Matthias Gastel, Kai Gehring, Steffi Lemke, Peter Meiwald, Markus
Tressel, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung
atomarer Technologien

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Katastrophe von Fukushima am 11. März 2011 hatte in Deutschland eindeutige
Konsequenzen: Der Deutsche Bundestag beschloss am 30. Juni 2011 mit einer
breiten Mehrheit, dass Deutschland bis spätestens Ende 2022 aus der Nutzung der
Atomenergie aussteigen wird. Der parteiübergreifend beschlossene Atomausstieg
sollte richtungsweisend für alle europäischen und internationalen Aktivitäten der
Bundesregierung sein. Wer Zuhause aus der Atomkraft aussteigt, weil ihre Risiken
zu groß und die hochgefährlichen Hinterlassenschaften nicht verantwortbar sind,
kann sie im Ausland nicht durch gezielte Außenwirtschaftsförderung begünstigen.

Obwohl sich die Bundesregierung gegen eine weitere Nutzung der Atomenergie
ausspricht und sich zu ihren unbeherrschbaren Risiken bekennt, bestehen weiterhin
bilaterale Abkommen zur Förderung der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“.

Unter den Prämissen eines nationalen Atomausstiegs erscheinen diese bilateralen
Abkommen (beispielsweise mit Brasilien v. 27. Juni 1975 und mit Indien v. 19.
Mai 1972) anachronistisch und inkonsequent zugleich. Ein Verzicht auf die Auf-
rechterhaltung bilateraler Kooperationen im Bereich der Förderung der Kernener-
gie ist nicht zuletzt eine Frage der Glaubwürdigkeit der Atomausstiegspolitik. Dies
gilt auch für die Gewährung von Exportkreditversicherungen, sog. Hermesdeckun-
gen. Insbesondere der Beirat für Nachhaltigkeit hatte sich in der letzten Legislatur
fraktionsübergreifend gegen weitere Kreditförderungen von Atomprojekten ausge-
sprochen.

Laut der Antwort der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 18/968) auf eine
Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 18/691) soll derzeit am Abkommen mit
Brasilien festgehalten werden, um einen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit
von kerntechnischen Anlagen in Brasilien leisten zu können. Dass Brasilien sich
auch zum Ziel gesetzt hat, den gesamten Brennstoffkreislauf zu beherrschen und
damit die Fähigkeit zur Herstellung von Atomwaffen zu erlangen, scheint für die

Drucksache 18/1336 (neu) – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Bundesregierung ebenso wenig ein Grund zu sein, diese Atomkooperation einzu-
stellen.

Das bestehende Atomabkommen mit Indien konterkariert genauso die Haltung der
Bundesrepublik Deutschland, sich für eine Nichtverbreitung von Massenvernich-
tungswaffen einzusetzen. Zwar ist Indien Mitglied der internationalen Atomener-
giebehörde (IAEA), dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) hingegen ist
es bis heute nicht beigetreten. Im Zuge des indisch-amerikanischen Atomabkom-
mens hat die IAEA im Jahr 2008 mit Indien ein Sicherheitsabkommen geschlossen.
Indien ist seitdem Nutznießer einer Ausnahmeregelung: Sie ermöglicht den Import
ziviler Atomtechnologie, ohne wesentliche Kontrollmechanismen für das militäri-
sche Atomprogramm zu schaffen. Dies widerspricht eindeutig den Grundprinzipien
globaler Rüstungskontrolle.

Die Bundesregierung handelt verantwortungslos und im Widerspruch zu geltenden
Prinzipien der internationalen nuklearen Nichtverbreitungspolitik, wenn sie eine
Aufnahme Indiens in die Nuclear Suppliers Group (NSG) befürwortet oder in ir-
gendeiner Form unterstützt. Am 6. September 2008 hatte die NSG unter deutschem
Vorsitz und mit Zustimmung der Bundesregierung eine länderspezifische Ausnah-
meregelung zur Aufnahme des Nuklearhandels mit Indien geschlossen. Dies mar-
kierte einen bis dato einmaligen Bruch der Prinzipien internationaler Nichtverbrei-
tungspolitik.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

das Abkommen über die Zusammenarbeit bei der friedlichen Verwendung der
Kernenergie und der Weltraumforschung zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Indien vom
19. Mai 1972 fristgerecht bis zum 15. Mai 2014 zu kündigen und somit eine
automatische Verlängerung um zwei Jahre auszuschließen;
das Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nut-
zung der Kernenergie zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Regierung der Föderativen Republik Brasilien vom 27. Juni 1975
fristgerecht bis zum 18. November 2014 zu kündigen und somit eine automati-
sche Verlängerung um fünf Jahre auszuschließen;
Brasilien und Indien insbesondere beim Ausbau erneuerbarer Energien zu
unterstützen und die engen bilateralen Kooperationen ausschließlich auf bereits
bestehende oder neue bilaterale Verträge zur Förderung und zum Ausbau er-
neuerbarer Energien, verstärkter Energieeffizienz und gezielte CO2-Emissions-
minderungen zu fokussieren;
die wissenschaftlich-technische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Indi-
en und Brasilien in allen Bereichen der nichtatomaren Energieversorgung zu
verstärken und in den Bereichen der Energieeinsparung, Energieeffizienz und
Emissionsminderung zu fördern;
Indien in Bezug auf Nukleartechnologien keine Ausnahmeregelungen zuzuge-
stehen, solange das Land nicht Mitglied im Nuklearen Nichtverbreitungsver-
trag (NVV) ist;
sich für eine Rücknahme der NSG-Ausnahmeregelung für Indien einzusetzen
und eine Aufnahme Indiens in die NSG mit ihrem Vetorecht zu verhindern, bis
Indien

o dem NVV beigetreten ist;
o dem Atomteststoppvertrag (Vertrag über das umfassende Verbot von

Nuklearversuchen – CTBT) beigetreten ist;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1336 (neu)

o ein überprüfbares Moratorium für die Produktion von waffenfähigem,
spaltbarem Material erklärt hat und versichert, einem zukünftigen
Vertrag über ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material für
Waffenzwecke (FMCT) ebenfalls beizutreten;

o alle bestehenden sowie zukünftigen zivilen Nuklearanlagen rechtsver-
bindlich unter dauerhafte Aufsicht der IAEO stellt;

ab sofort keine Hermesbürgschaften für Nukleartechnologien oder andere
Technologien, die für den Bau von Atomkraftwerken bestimmt sind, mehr zu
vergeben und damit auch die dem Interministeriellen Ausschuss für Exportga-
rantien des Bundes vorliegenden Anträge auf Exportkreditgarantien für Zulie-
ferungen für Atomanlagen bzw. den Export von Atomtechnologie abzulehnen;
die Hermes-Umweltleitlinien von 2001 umgehend wieder in Kraft zu setzen
und zukünftig konsequent einzuhalten.

Berlin, den 6. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Für eine glaubwürdige Ausstiegspolitik ist eine Kohärenz der gesamten Politik, nach innen wie nach außen,
unabdingbar. Dies gilt für bilaterale Abkommen ebenso wie für die Außenwirtschaftsförderung der Bundes-
regierung.

Die stillschweigende Verlängerung von Atomabkommen, die einst in der Atomeuphorie der Siebzigerjahre
beschlossen wurden, stellt die Atomausstiegspolitik Deutschlands infrage. Die Atomkatastrophe von Fuku-
shima hat gezeigt, dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der nuklearen Stromer-
zeugung unbeherrschbar sind.

Mit einer Weiterführung der Deutsch-Indischen und Deutsch-Brasilianischen Atomabkommen wird die Bun-
desrepublik Deutschland ihrer außenpolitischen Mitverantwortung nicht gerecht. Denn für die ökologischen
und sicherheitspolitischen Risiken, die die Nutzung der Atomenergie in Indien oder Brasilien automatisch mit
sich bringt, steht auch die Bundesrepublik Deutschland durch Aufrechterhaltung solcher Abkommen mit in
der Verantwortung.

Es ist ein Anachronismus, dass Deutschland auf der einen Seite aus der atomaren Risikotechnologie aussteigt
und sich für eine Nichtverbreitung von Atomwaffen ausspricht und auf der anderen Seite den weltweiten
Ausbau der Atomkraft fördert. Mehr noch, es untergräbt sämtliche Bemühungen im Bereich der Nichtver-
breitung von Massenvernichtungswaffen und weicht die Standards des Nichtverbreitungsregimes auf.

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