BT-Drucksache 18/12967

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/12491, 18/12868 Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA

Vom 28. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12967
18. Wahlperiode 28.06.2017
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger,
Luise Amtsberg, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska
Brantner, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin, Doris Wagner
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/12491, 18/12868 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
EUNAVFOR MED Operation SOPHIA

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer lässt sich nicht mit militärischen Mitteln lösen.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zählt über 65 Millionen Menschen, die sich
weltweit auf der Flucht befinden. Diese Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, exis-
tenzieller Not oder Naturkatastrophen. Die meisten fliehen innerhalb ihres Landes oder
in Nachbarstaaten, die oft selbst unter Armut, Konflikt und politischer Instabilität lei-
den. Die humanitäre Lage vieler Geflüchteter ist katastrophal. Das gilt insbesondere
für die Menschen, die in libyschen Gefangenenzentren eingesperrt und schwer miss-
handelt werden. In ihrer Verzweiflung begeben sich Flüchtende auf die gefährliche
Reise nach Europa und vertrauen ihr Leben skrupellosen und kriminellen Schlepper-
banden an. Auch im Mittelmeer sind über 10.000 Menschen ums Leben gekommen.
Allein im Jahr 2016 starben mehr als 5.000 Menschen vor den Toren Europas. Die
gefährliche Fluchtroute über das zentrale Mittelmeer hat vor allem seit der Schließung
der Balkan-Route und in Folge des EU-Türkei-Deals wieder an Bedeutung gewonnen.
Dies verdeutlicht einmal mehr, dass die Einstellung der italienischen Seenotrettungs-
mission „Mare Nostrum“ Ende 2014 aufgrund der fehlenden Unterstützung durch die
EU-Mitgliedstaaten ein beschämender Fehler war.
Deutschland beteiligt sich seit Juni 2015 an der EU-Mission EUNAVFOR MED. Ob-
wohl im Mandat für die Bundeswehr die Seenotrettung nicht als Auftrag und nur am
Rand erwähnt wird und der Schwerpunkt auf der militärischen Bekämpfung des
Schlepperwesens liegt, haben die Soldatinnen und Soldaten dabei geholfen, bisher

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/124/1812491.pdf
Drucksache 18/12967 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
circa 20.300 Menschen das Überleben zu sichern. Der Deutsche Bundestag spricht da-
für den Soldatinnen und Soldaten der Einsatzkräfte ebenso wie den zivilen Organisa-
tionen seinen Dank aus. Es ist unerträglich und zynisch, wenn Bundestagsabgeordnete
der Unionsfraktion die zivile Seenotrettung dafür verantwortlich machen, dass immer
mehr Schutzsuchende den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen. Eine
Reihe von wissenschaftlichen Analysen widerlegen klar, dass es einen solchen Pull-
Effekt gibt. Der Schwerpunkt des deutschen Engagements muss ausdrücklich auf der
Seenotrettung liegen. Derzeit versuchen Boote von privaten Hilfsorganisationen wie
Sea Watch das aufzufangen, was mit Mare Nostrum eingestellt wurde. Aufgrund der
steigenden Zahl an Flüchtenden kam es aber bereits zu Fällen, in denen Schiffe von
Hilfsorganisationen selbst in Seenot zu gerieten. Deshalb ist der Ausbau von zivilen
Kapazitäten der Seenotrettung dringend erforderlich. Das dramatische Sterben im Mit-
telmeer muss endlich aufhören. Die weitgehend unwirksame und riskante militärische
Schlepperbekämpfung bleibt jedoch der Kernauftrag des Bundeswehreinsatzes. Dem
Problem der Schlepperkriminalität ist dadurch nicht beizukommen.
Die Schleppernetzwerke sind nach Angaben der VN zudem auch mit denjenigen Mi-
lizen verbunden, die seit 2016 von EUNAVFOR MED als Küstenwache der libyschen
Regierung ausgebildet werden. Wenn auch im neuen Mandat immerhin eine Überprü-
fung der Ausbildungsergebnisse enthalten ist, sind die Grundfragen doch weiterhin
ungeklärt: Welche libyschen Kräfte sollen ausgebildet werden, was war die bisherige
Rolle dieser Einheiten oder Einzelpersonen im libyschen Bürgerkrieg und in welchem
Rechtsrahmen soll die libysche Küstenwache künftig eingesetzt werden? Zudem bleibt
offen, ob diese Einheiten in der Lage sind, den Schutz der Rechte von Geflüchteten zu
gewährleisten. Die Bundesregierung hat nicht einmal eine Antwort auf die Frage, in-
wiefern die fragile Einheitsregierung überhaupt Kontrolle über die Küstenwache aus-
üben kann. Darüber hinaus häufen sich in jüngster Zeit Vorfälle, bei denen Teile der
libyschen Küstenwache Hilfsorganisationen in ihrem Einsatz zur Rettung Schiffsbrü-
chiger systematisch an ihrer Arbeit hindern, statt diese dem völkerrechtlichen Gebot
entsprechend zu unterstützen.
Außerdem ist die Bundesregierung nicht in der Lage zu erklären, wieviele der seit Be-
ginn der Operation insgesamt gerade einmal 93 der Schlepperei verdächtigten Perso-
nen überhaupt in Italien rechtskräftig der Schlepperei verurteilt wurden. Damit ist die
Erfüllung der Hauptaufgabe der Operation mehr als fraglich.
Mit dem neuen Mandat wird der Auftrag um die Lagebilderstellung und -bereitstellung
sowie den Austausch mit anderen Organisationen und Einrichtungen erweitert.
EUNAVFOR MED soll die NATO-geführte Operation Sea Guardian unterstützen und
Lagebilder austauschen. Offen bleibt die genaue Verwendung der Informationen durch
die NATO, insbesondere ob sie mithilfe dieses Materials auch militärisch vorgehen
kann. Durch diese problematische Vermischung der EU- und der NATO-Mission wird
die Mandatsklarheit unnötig verringert.
Es besteht zudem die Gefahr, dass die Ausweitung des Mandatsauftrags dazu führt,
dass die ohnehin schon zu geringen Kapazitäten zur Seenotrettung weiter zurückge-
fahren werden. Die Bundesregierung hätte die Mandatserweiterung dazu nutzen sol-
len, diese falsche Ausrichtung der Mission zu korrigieren und der Rettung von Men-
schenleben oberste Priorität einzuräumen. Die falsche Ausrichtung von EUNAVFOR
MED wird durch diese Erweiterung des Mandats weiter fortgeschrieben.
Die Durchsetzung des UN-Waffenembargos vor der Küste Libyens ist ein sinnvoller
Ansatz. Allerdings gibt es, bedingt durch eine uneinheitliche Position einiger EU-Staa-
ten, massive Defizite in der Umsetzung, wie sie zuletzt der Bericht der VN offenbarte.
Unter den Augen der EU werden Waffen von der libyschen Einheitsregierung an ter-
roristische Kämpfer im Osten Libyens geschickt. Der Strom von Waffen nach und in-
nerhalb von Libyen stellt so weiter ein enormes Problem dar. Wenn die Europäische
Union das Waffenembargo nicht geschlossen und konsequent befolgt, werden die In-
spektionen von EUNAVFOR MED vollends zur Farce.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12967
Problematisch ist darüber hinaus, dass das Bundestagsmandat die Zurückweisung von
Flüchtlingen auf hoher See (Refoulement-Verbot) nicht ausdrücklich ausschließt. Ein
Abdrängen von Flüchtlingsbooten und deren Rückführung an die afrikanische Küste
lehnt der Deutsche Bundestag ab. Statt des vorgelegten Mandats zur militärischen
Flüchtlingsabwehr braucht es jetzt einen unmissverständlichen Auftrag an die Bundes-
wehr, die Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer zu unterstützen und ihr
oberste Priorität einzuräumen. Der Deutsche Bundestag lehnt daher eine Beteiligung
der Bundeswehr an dieser Mission ab.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Seenotrettung als oberste Priorität des Einsatzes deutscher Soldatinnen und
Soldaten im Mittelmeer festzuschreiben, damit das Sterben unzähliger Schutzsu-
chender an den Außengrenzen der EU beendet wird;

2. sicherzustellen, dass die Arbeit der zivilen Rettungsmissionen im Mittelmeer un-
terstützt wird und nicht, wie gegenwärtig zu beobachten, durch die libysche Küs-
tenwache behindert wird;

3. das Waffenembargo der VN wirkungsvoll zu überwachen und umzusetzen und
sich für eine einheitliche EU-Politik in dieser Frage einzusetzen;

4. die militärische Bekämpfung der Schlepper im Rahmen der Mission EU-
NAVFOR MED zu beenden und diese in erster Linie durch Entzug des ihr zu-
grunde liegenden Geschäftsmodells zu bekämpfen sowie sichere Fluchtwege
nach Europa zu schaffen, insbesondere:
a. sich dafür einzusetzen, dass alle EU-Mitgliedstaaten bereits bestehende

Möglichkeiten der legalen Einreise für Schutzsuchende, wie etwa die Fami-
lienzusammenführung, humanitäre Aufnahmeprogramme oder das Resettle-
ment-Programm der Vereinten Nationen, ausschöpfen und ausbauen,

b. eigene Anstrengungen deutlich zu verstärken, etwa indem die Konsularab-
teilungen der deutschen Auslandsvertretungen der Region endlich personell
adäquat ausgestattet werden, so dass Visaanträge auf Familienzusammen-
führung in akzeptablen Fristen gestellt und bearbeitet werden können,

c. zusätzlich weitere legale und geschützte Einreisemöglichkeiten für Schutz-
suchende, wie etwa die Vergabe humanitärer Visa, zu schaffen;

5. sich dafür einzusetzen, dass zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und
des Schlepperwesens im südlichen Mittelmeer die Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union ihre polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit verbessern;

6. für das Recht auf Asyl von Geflüchteten auf hoher See, wie es insbesondere auch
vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil Hirsi Jamaa
2012 und vom UN-Menschenrechtsrat (CAT/C41/D/323/2007) schon im Jahr
2008 festgestellt worden ist, einzutreten und sicherzustellen, dass sich die Bun-
deswehr und die europäischen Partner nicht an Zurückweisungen von Geflüchte-
ten auf hoher See oder an Land beteiligen;

7. Anstrengungen zur Krisenbewältigung, Einhaltung der Menschenrechte und po-
litischen Stabilisierung der Herkunfts- und Transitländer zu verstärken und ins-
besondere die Vereinten Nationen in diesen Bemühungen mit noch größerem En-
gagement zu unterstützen;

8. die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit in den Herkunfts-
und Transitländern auszuweiten und enger miteinander zu verknüpfen, um gezielt
und effizient den notleidenden Menschen vor Ort helfen zu können, sowie dar-
über hinaus dazu beizutragen, dass insbesondere das Flüchtlingshilfswerk der
Vereinten Nationen endlich finanziell adäquat ausgestattet und die finanzielle

Drucksache 18/12967 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Unterstützung für das World Food Programme auf deutlich höherem Niveau ver-
stetigt werden;

9. dem Deutschen Bundestag sämtliche für die Meinungsbildung und Kontrolle der
Bundesregierung relevanten Informationen zu EUNAVFOR MED umfassend,
zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend zur Verfügung zu stellen.

Berlin, den 27. Juni 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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