BT-Drucksache 18/12795

Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen

Vom 21. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12795
18. Wahlperiode 21.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae,
Dr. Franziska Brantner, Özcan Mutlu, Markus Kurth, Corinna Rüffer, Beate
Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
Katja Dörner, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Tabea
Rößner, Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen
sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf Bildung und Teilhabe am gesell-
schaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Dafür steht auch der Bund in der
Pflicht. So urteilte eindeutig das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2010 (BVerfG, 1
BvL 1/09). Dennoch sind auch heute die Teilhabechancen von Kindern und Jugendli-
chen etwa an Freizeit- und Kulturangeboten oder an Bildung nach wie vor maßgeblich
vom Einkommen der Eltern bestimmt und ungleich verteilt. In Deutschland sind rund
2,5 Millionen Kinder und Jugendliche von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht.
In Armut aufzuwachsen bedeutet für viele Kinder, nur eingeschränkt teilhaben zu kön-
nen. Sie erfahren früh, was es bedeutet, wenn der Musikunterricht nicht mehr drin ist,
das Geld nicht reicht, um mit Freunden und Freundinnen ins Kino zu gehen oder die
ausgelatschten Sportschuhe noch eine weitere Saison halten müssen. Neben einer aus-
reichenden materiellen Absicherung von Kindern und Jugendlichen kann nur mit einer
besseren frühkindlichen Bildung und qualitativ guten Ganztagsangeboten größere Bil-
dungsgerechtigkeit erreicht werden.
Der Bund trägt bis jetzt auf zwei Wegen dazu bei, Kindern und Jugendlichen aus ein-
kommensarmen Familien ein Mindestmaß an Teilhabe und guter Bildung zu ermögli-
chen. Einerseits wird ein Teil der Bedarfe der sozialen Teilhabe über den Regelsatz
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) abgedeckt. Der Regelsatz reicht
aber für eine echte gesellschaftliche Teilhabe nicht aus. So ist beispielsweise für ein
Eis oder Malstifte im Regelsatz bisher kein Geld vorgesehen.
Zum anderen wurde im Jahr 2010 als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts (1 BvL 1/09) das Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt, um dem individu-
ellen Rechtsanspruch auf ein Mindestmaß an gesellschaftlicher, kultureller und politi-
scher Teilhabe von Kindern aus einkommensarmen Familien zu entsprechen.
Aus Sicht des BVerfG könnte der Bundesgesetzgeber dann von der Gewährung ent-
sprechender Leistungen absehen, wenn sie in Einrichtungen durch die Länder gewährt
würden, etwa durch die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Lernmitteln

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oder durch ein kostenloses Angebot von Nachhilfeunterricht. Dies könnte, so das
BVerfG, durchaus ein „sinnvolles Konzept jugendnaher Hilfeleistung darstellen, das
gewährleistet, dass der tatsächliche Bedarf gedeckt wird“ (Rn. 197). Das Kooperati-
onsverbot zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich ist allerdings ein Hindernis
zur Finanzierung dessen durch den Bund. Das Bildungs- und Teilhabepaket wurde
umständlich um das Kooperationsverbot herum gebaut mit hohen Antragshürden für
die Leistungsberechtigten und einem überbordendem bürokratischen Aufwand für alle
Beteiligten. Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket wird das Ziel, die Bedarfe verläss-
lich und in ausreichender Höhe abzusichern, nicht erreicht, obwohl viele Kommunen
bei der Umsetzung besondere Anstrengungen unternommen und Engagement gezeigt
haben. Im Bundesdurchschnitt erreichen die Leistungen nur wenige Kinder und Ju-
gendliche. So ergibt die regierungseigene Evaluation (Schlussbericht des Soziologi-
schen Forschungsinstituts Göttingen vom Mai 2016, Evaluation der bundesweiten In-
anspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe): Nur knapp
die Hälfte der grundsätzlich leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen nutzt min-
destens eine Leistung des Bildungs- und Teilhabepakets und bei einzelnen Leistungen
ist die Inanspruchnahmequote noch deutlich geringer. Die über das Bildungs- und Teil-
habepaket abgedeckten Leistungen, wie der Zuschuss zum Mittagessen in der Schule,
die Fahrt zur Schule oder die Übernahme von Ausflugskosten, sind äußerst bürokra-
tieaufwändig, so dass der Nutzen kaum im Verhältnis zum Aufwand der Beantragung
steht. Ähnlich verhält es sich für die Mitgliedskosten im Sportverein, der Musikschule
oder der Kosten für Nachhilfe. Letztere gibt es häufig auf Antrag auch nur dann, wenn
das Kind schon versetzungsgefährdet ist – also zu spät. Unkenntnis, Sprachbarrieren
oder auch Scham halten manche Eltern davon ab, diese Leistungen in Anspruch zu
nehmen. Außerdem werden die tatsächlichen Bedarfe bei weitem nicht durch die vor-
gesehenen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets gedeckt. Während das Schul-
bedarfspaket jährlich 100 Euro vorsieht, zeigen empirische Studien, dass die Ausgaben
der Familien deutlich darüber liegen. Ebenso verhält es sich mit den monatlichen 10
Euro für Sport und Musik.
Dem muss ein Ende gesetzt werden. Kinder und Jugendliche dürfen nicht länger ihrer
elementaren Rechte beraubt sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Maßnahmenpaket vorzulegen, mit dem gesellschaftliche, kulturelle und politische
Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen tatsächlich sichergestellt
wird und dazu
1. das Bildungs- und Teilhabepaket abschafft;
2. stattdessen die bisherigen Leistungen für Bildung und Teilhabe zum Teil im Re-

gelsatz und zum Teil durch einen kostenlosen Zugang zu Angeboten bei entspre-
chenden Trägern und Einrichtungen gewährt. Hierfür gilt es:
a. die Regelsätze für Kinder und Erwachsene in der Grundsicherung so zu er-

mitteln, dass sie das Existenzminimum verlässlich und in ausreichender
Höhe absichern. Sowohl die Bedarfe der Kinder als auch die kinderbeding-
ten Bedarfe der Eltern müssen tatsächlich gedeckt werden, auch die zur Teil-
habe am sozialen Leben, an Bildung, Kultur und Mobilität, soweit diese
nicht durch kostenfreie Infrastruktur-Angebote gedeckt werden,

b. das Kooperationsverbot im Bildungsbereich ganz abzuschaffen und im Ein-
verständnis mit Ländern und Kommunen eine Regelung zu treffen, wonach
der Bund kostenfreie institutionelle Angebote für die Anspruchsberechtigten
vor Ort finanziell fördern kann,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12795

c. den qualitativen und quantitativen Ausbau sowohl von ganztägiger Kinder-
betreuung als auch von Ganztagsschulen weiter voranzutreiben sowie den
Wandel zu einem inklusiven Bildungssystem zu unterstützten;

3. bis zum Erlangen einer entsprechenden Bund-Länder-Kommunen-Regelung
beim Bildungs- und Teilhabepaket folgende Änderungen vorzunehmen:
a. den Zugang zu den Bildungs- und Teilhabeleistungen zu vereinfachen, in-

dem
i. diese nicht mehr einzeln, sondern zusammen mit dem Antrag auf lau-

fende Leistungen (aktuell Wohngeld, Kinderzuschlag, Grundsiche-
rung) dem Grunde nach beantragt werden können (Globalantrag),

ii. die Abrechnung direkt mit Trägern und Einrichtungen, bei denen Kin-
der und Jugendliche an Aktivitäten und Maßnahmen teilnehmen, unbü-
rokratisch, einfach und möglichst stigmatisierungsfrei zu gestalten und
hierbei die vielfältigen Erfahrungen aus den Ländern und Kommunen
einzubeziehen;

b. die bestehenden Leistungen zu verbessern und dafür
i. die Lernförderung nicht nur bei Versetzungsgefährdung, sondern auch

zum Erreichen von Bildungszielen, rechtssicher zu gewähren,
ii. die monatlichen Teilhabeleistungen (Sport, Musik etc.) zu erhöhen,

iii. die Schulbedarfe, die im Rahmen des Schulbedarfspakets erstattet wer-
den, an den tatsächlichen Bedarf anzupassen,

iv. den Eigenanteil beim Mittagessen abzuschaffen,
v. eine Pauschale für die Kostenerstattung für eintägige Ausflüge in den

Regelsatz zu integrieren und bei sehr kostenaufwändigen Ausflügen
die Kostenerstattung auf Antrag zu gewähren und

vi. die bildungs- und teilhabebedingten Mobilitätsbedarfe einfacher und
verlässlicher zu gewähren und zumindest sicherzustellen, dass die
Fahrtkosten zu allen Schulen in angemessener Entfernung übernom-
men werden;

c. eine bundesweite und aussagekräftige Leistungsstatistik der Bildungs- und
Teilhabeleistungen zu erstellen.

Berlin, den 20. Juni 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Das von der schwarz-gelben Koalition zum 01. Januar 2011 eingeführte Bildungs- und Teilhabepaket (BuT)
bleibt ein leeres Versprechen für Kinder und Jugendliche aus einkommensarmen Familien. Das BuT erreicht das
gesetzte Ziel nicht, den leistungsberechtigten Kindern und Jugendlichen die gleichen Möglichkeiten zu geben,
Lern- und Freizeitangebote in Anspruch zu nehmen, und ihnen somit bessere Bildungs- und Entwicklungschan-
cen zu eröffnen, wie sie Gleichaltrigen offen stehen, die nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind. Dies spiegelt
sich in unterschiedlichen Kritikpunkten am BuT wider: 1) mit einem Verwaltungsaufwand von ca. 183 Millionen
Euro pro Jahr verschlingt das Bildungs- und Teilhabpaket enorme finanzielle Ressourcen auf Seiten der Leis-
tungsanbieter, Leistungsstellen und Schul- und Kitaverwaltung (Sofi-Gutachten 2016, S.28); 2) nur knapp die
Hälfte der grundsätzlich leistungsberechtigten Kinder und Jugendliche nutzen mindestens eine Leistungsart des

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BuT (ebd., S. 63) und 3) der Umfang der Leistungen ist nicht ausreichend, da zum Beispiel die Kosten für den
Schulbedarf nie von der Bundesregierung ermittelt und darüber hinaus seit der Einführung des BuT nicht mehr
angehoben wurden.
Um soziale Teilhabe und gute Bildung von allen Kindern sicherzustellen, braucht es eine effektive Strategie, die
aufeinander abgestimmt Geldleistung sowie unterstützende Infrastruktur kombiniert. Das BuT muss abgeschafft
werden und die Leistungen stattdessen zum Teil im Regelsatz und zum Teil durch einen kostenlosen Anspruch
auf Sachleistungen durch eine verbesserte Infrastruktur gewährt werden.
Hierzu muss die Höhe der Regelsätze für Kinder und Jugendliche endlich auf sachgerechte Weise und auf der
Grundlage aussagekräftiger Zahlen ermittelt und die tatsächlichen Bedarfe der Betroffene in ausreichender Höhe
gedeckt werden. Die Bundesregierung hat auch bei der letzten Regelsatzneuberechnung an ihrem teils willkürlich
festgesetzten Verfahren festgehalten und die Regelsätze durch eine Vielzahl an Rechentricks künstlich kleinge-
rechnet. Die Regelsätze sind verfassungsrechtlich auf Kante genäht und decken die tatsächlichen Bedarfe von
Kindern und Jugendlichen nur unzureichend ab. Jedes Kind hat das Recht auf ein gutes Aufwachsen. Damit die
Leistungen für Bildung und Teilhabe auch bei den betroffenen Familien ankommen, sind diese in den Regelsatz
zu integrieren, soweit sie nicht durch kostenfreie Infrastruktur-Angebote gedeckt werden, und die Höhe der Leis-
tungen in einem transparenten Verfahren empirisch zu ermitteln. Weiterhin muss sichergestellt werden, dass
Wohngeld- und Kinderzuschlagsberechtigte ihren Anspruch auf Leistungen zur Bildung und Teilhabe geltend
machen können.
Der Bundesgesetzgeber ist solange verpflichtet, das erforderliche Mindestmaß an Bildung und Teilhabechancen
innerhalb des SGB II bzw. SGB XII zu gewährleisten, bis eine Abdeckung der vom Bundesverfassungsgericht
als individuellen Rechtsanspruch benannten Bedarfe durch eine flächendeckende institutionelle Regelung der
Bedarfsdeckung durch die Länder gewährleistet ist. So heißt es im Urteil: „Der Bundesgesetzgeber könnte erst
dann von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie durch landesrechtliche Ansprüche sub-
stituiert und hilfebedürftigen Kindern gewährt würden. Dann könnte eine einrichtungsbezogene Gewährung von
Leistungen durch die Länder, zum Beispiel durch Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Lernmitteln
oder durch ein kostenloses Angebot von Nachhilfeunterricht, durchaus ein sinnvolles Konzept jugendnaher Hil-
feleistung darstellen, das gewährleistet, dass der tatsächliche Bedarf gedeckt wird. Solange und soweit dies je-
doch nicht der Fall ist, hat der Bundesgesetzgeber, der mit dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ein Leistungs-
system schaffen wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleistet, dafür Sorge zu tragen, dass mit
dem Sozialgeld dieser zusätzliche Bedarf eines Schulkindes hinreichend abgedeckt ist.“ (1 BvL 1/09, Rn. 197).
Eine qualitativ hochwertige Infrastruktur vor Ort ist Voraussetzung für gute Bildung und Teilhabe an zentralen
gesellschaftlichen Gütern. In den nun abgeschlossenen Verhandlungen zur Neuregelung der Bund-Länder-Fi-
nanzbeziehungen wurde jedoch die Chance vertan, dass sich der Bundesgesetzgeber in Gänze zu seiner Verant-
wortung für den Bildungsbereich bekennt. Die Aufhebung des Kooperationsverbotes ist geboten, um Bildungs-
gerechtigkeit endlich gemeinsam anzugehen und zu verwirklichen. Damit der Bund eine flächendeckende insti-
tutionelle Regelung der Bedarfsdeckung an den Schulen finanziell fördern kann, braucht es eine Abschaffung
des Kooperationsverbotes. Der Bund soll Kitas und Schulen finanziell dabei unterstützen können, inklusive und
kostenlose Angebote an öffentlichen Einrichtungen auszubauen, die effektiver und zielgerichteter Kinder aus
einkommensarmen Familien erreichen und die Basis für Chancengerechtigkeit schaffen – denn Schulen und Kitas
sind nach wie vor der Ort, wo alle Kinder erreicht werden können. Der flächendeckende Ausbau guter und bar-
rierefreier ganztägiger Kinderbetreuung und Ganztagsschulen, in denen alle Kinder und Jugendlichen miteinan-
der und voneinander lernen, Wissen vertiefen und ihre Kreativität entfalten können, ist ein zentrales Instrument
für mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit und damit auch für eine inklusive Gesellschaft mit einem inklusi-
ven Bildungssystem.
Bis zum Erlangen einer entsprechenden Bund-Länder-Kommunen-Regelung ist es unmittelbar geboten, das Bil-
dungs- und Teilhabepaket grundlegend unter Berücksichtigung der nachfolgenden Ausführungen zu reformieren,
um die Bedarfe für Bildung und Teilhabe verlässlich und in ausreichender Höhe sicherzustellen.

Zugang zu den Leistungen erleichtern:
Der Gesetzgeber hat die Hürden für die Beantragung von BuT-Leistungen hoch angehängt. § 37 Absatz 1 Satz 2
SGB II sieht vor, dass abgesehen von der Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf sämtliche Bedarfe des BuT
(§ 28 Absatz 2 und Absatz 4-7 SGB II) gesondert zu beantragen sind. Dass zusätzlich zum Antrag auf Grundsi-
cherungsleistungen (SGB II, SGB XII, AsybLG) sowie zum Antrag auf Kinderzuschlag und Wohngeld die Leis-
tungen des Bildungs- und Teilhabepakets einzeln beantragt werden müssen, wird von den betroffenen Familien

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als ein großes Hemmnis der Inanspruchnahme und einfacherer Verwaltungsverfahren wahrgenommen (Sofi-Gut-
achten 2016, S. 233). Dies ist höchst bürokratisch, legt die Hemmschwelle für die Betroffenen hoch, die oftmals
aus Scham oder Unkenntnis die Leistungen nicht in Anspruch nehmen, und führt für die Leistungsträger zu einem
erhöhten Verwaltungsaufwand.
Statt die Leistungen des BuT einzeln zu beantragen, würde die Einführung eines sogenannten Globalantrags die
Beantragung der Leistungen und das Verfahren insgesamt erleichtern. Hiernach können zusammen mit dem
Grundantrag auf Grundsicherungsleistungen, Kindergeld oder Wohngeld dem Grunde nach global alle Bildungs-
und Teilhabeleistungen beantragt werden, ohne dass sich hieraus bereits Höhe und Umfang des geltend gemach-
ten Anspruches ergeben. Die dem Grunde nach beantragten Leistungen bedürfen hinsichtlich der Ansprüche auf
Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Konkretisierung durch Vorlage entsprechender Nachweise.
Die Nachweise sind immer einzureichen, wenn eine Bewilligung von Leistungen erfolgen soll, z. B. für die Ver-
einsmitgliedschaft eine Rechnungsaufforderung des Leistungsanbieters oder ggf. Quittungen über bereits bezahl-
ten Beiträge. Für den Leistungsträger liegt der Vorteil eines Globalantrags bzw. eines Antrags dem Grunde nach
darin, dass eine Kongruenz zwischen den Bewilligungszeiträumen der Hauptleistung sowie der Bildungs- und
Teilhabeleistungen hergestellt wird. Für die Leistungsberechtigten wirkt er anspruchssichernd. Zudem kann ein
Globalantrag die Eintrittsschwelle zur Inanspruchnahme von Bildungs- und Teilhabeleistungen herabsetzen.

Leistungen unbürokratisch und stigmatisierungsfrei gewähren:
Den kommunalen Träger trifft zwar kein Sicherstellungsauftrag für die Bereitstellung eines hinreichenden Leis-
tungsangebots, aber er hat im Rahmen seiner Gewährungspflicht gemäß § 17 Absatz I SGB I auf die mögliche
Inanspruchnahme hinzuwirken. Der kommunale Träger entscheidet entsprechend, ob Leistungen durch Direkt-
zahlungen an den Anbieter oder durch Ausgabe von personalisierten Gutscheinen erbracht werden. In der Praxis
haben sich unterschiedliche Modelle der Leistungsgewährung bewährt. Zum Beispiel hat Lübeck einen Bildungs-
fonds eingerichtet, aus dem die Einrichtungen wie Schule, Kita oder Tagespflegeverbund ein Budget zugeteilt
wird, aus dem Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder und Jugendliche aus einkommensarmen Familien
durch den entsprechenden Träger vor Ort finanziert werden. Ansprechpartner für die Eltern sind die Fachkräfte
vor Ort wie Erzieherinnen und Erzieher oder Tagespflegepersonal (www.familie.luebeck.de/bildungsfonds/in-
dex.html.). Schwerin hat im Jahr 2013 eine elektronische Bildungschipkarte eingeführt, mit der die einzelnen
Bildungs- und Teilhabeleistungen, z. B. Vereinsbeiträge oder die Kosten für Nachhilfe, unkompliziert genutzt
und abgerechnet werden können. Auf der elektronischen Bildungschipkarte werden die bewilligten Leistungen
für die leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen über ein virtuelles Konto gutgeschrieben und die Kosten-
abrechnung erfolgt dann zwischen dem Leistungsanbieter und dem Leistungsträger. Für die Leistungsberechtig-
ten hat sich seither der Bürokratieaufwand verringert und insgesamt ist die Inanspruchnahmequote gestiegen.
Allerdings gilt neben anderen Kritikpunkten an einer Chipkarte für Kinder aus einkommensarmen Familien zu
berücksichtigen, dass ein stigmatisierungsfreier Zugang zu den Leistungen erst dann gewährleistet ist, wenn diese
Karte für alle Kinder und Jugendliche gleichermaßen gilt. Wie solch eine Karte ungefähr aussehen könnte, ist
u. a. in Stuttgart zu beobachten: mit der sogenannten FamilienCard erhalten Familien, deren Jahreseinkünfte
60.000 Euro nicht übersteigen, Ermäßigungen auf verschiedene Freizeit- und Bildungsangebote. Seit der Einfüh-
rung des BuT (2011) wurde das Guthaben auf der FamilienCard um die Teilhabeleistungen ergänzt (www.stutt-
gart.de/familiencard). Diese vielfältigen Beispiele zur Umsetzung der BuT zeigen einerseits, dass Länder und
Kommunen große Anstrengungen unternommen haben, um die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern und
Jugendlichen aus einkommensarmen Familien zu erhöhen; andererseits bleibt das BuT ein Bürokratiemonster,
das umständlich um das Kooperationsverbot herumgebaut werden musste und nur eine unzureichende Antwort
auf die Herstellung von gleichen Chancen für alle Kinder unabhängig vom Einkommen der Eltern ist.
Grundsätzlich gilt, dass durch eine besondere Ansprache der Zielgruppe die Leistungsberechtigten zusätzlich
besser erreicht werden können. Gerade potentielle Leistungsberechtigte mit z. B. niedrigerem Bildungsgrad oder
geringen Deutschkenntnissen benötigen niedrigschwellige und spezielle Formen der Unterstützung bei der Infor-
mation und der Beantragung von BuT-Leistungen. Informationen zu BuT-Leistungen sollten z. B. in allen rele-
vanten Sprachen vorliegen, die Erläuterungen sollten klar strukturiert sein. Darüber hinaus sollten sie informie-
ren, an welchen Stellen weitergehende und persönliche Beratung angeboten werden. Sinnvoll wäre es, wenn die
Materialien z. B. in Schulen und Kitas ausliegen. Des Weiteren könnten die Kinder und Jugendlichen selbst mit
einer für sie zielgruppengerechten Ansprache der Anstoß für eine Initiierung einer Inanspruchnahme von BuT-
Leistungen sein.

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Verbesserung und Erweiterung bestehender Leistungen:

Lernförderung:
Die Regelungen zur Lernförderung sind äußerst restriktiv ausgestaltet, denn sie wird nur bewilligt, wenn sie
geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentli-
chen Lernziele zu erreichen (§ 28 Absatz 5 SGB II). Regelmäßig wird dies so interpretiert, dass die Versetzung
in die nächste Klassenstufe oder die Erreichung des Schulabschlusses gefährdet sein muss, um Anspruch auf
Lernförderung geltend machen zu können. Angesichts der restriktiven Tatbestandsvoraussetzungen fallen die
Nutzungsquoten der Lernförderung von allen Leistungsarten des Bildungs- und Teilhabepakets mit 59 Prozent
der Antragstellenden für das Jahr 2014 am niedrigsten aus (Sofi-Gutachten 2016, S. 62). Um sicherzustellen,
dass alle Kinder die schulische Förderung erhalten, die sie brauchen oder wünschen, braucht es eine gesetzliche
Klarstellung, wonach Lernförderung auch dann möglich sein muss, wenn das individuelle Lernniveau unabhän-
gig von der Versetzungsgefährdung gesteigert werden kann, so dass de facto die beruflichen Entwicklungsmög-
lichkeiten gefördert oder ggf. der Hochschulzugang ermöglicht werden kann.

Teilhabe an Kultur, Sport und Freizeit:
Mit 10 Euro monatlich erweisen sich die Teilhabeleistungen in vielen Fällen als deutlich zu niedrig und bedeutet,
dass Kinder allein deshalb ihren Interessen nicht nachgehen können, weil das Geld fehlt. So liegen die monatli-
chen Gebühren für soziokulturelle Aktivitäten wie z. B. Musikschulunterricht mit durchschnittlich 22 Euro pro
Monat deutlich darüber. Zwar ist mit der zum 01. August 2013 in Kraft getretenen Gesetzesänderung die Rege-
lung erweitert worden, so dass nunmehr weitere, mit der Inanspruchnahme von Teilhabeleistungen in Zusam-
menhang stehende tatsächliche Aufwendungen ebenfalls über die Teilhabeleistungen finanziert werden, dies zielt
aber vorrangig auf die Finanzierung der notwendigen Ausrüstung (z. B. Musikinstrumente) ab. Daher ist es not-
wendig die Teilhabeleistung deutlich anzuheben, um die Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Kinder und
Jugendlichen im Freizeit- und Kulturbereich zu erhöhen.

Persönlicher Schulbedarf:
Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf werden bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 01. Au-
gust und 30 Euro zum 01. Februar jeden Jahres berücksichtigt (§ 28 III SGB II). Dazu zählen neben Schulranzen,
Schulrucksack und Sportzeug insbesondere die für den persönlichen Ge- und Verbrauch bestimmten Schreib-,
Rechen- und Zeichenmaterialien. Wie die Teilhabeleistungen, sind auch die pauschalierten Leistungen für den
persönlichen Schulbedarf nicht bedarfsdeckend. Eine Studie der Diakonie Niedersachsen kommt zu dem Ergeb-
nis, dass die tatsächlichen Ausgaben für das Schulbedarfspaket pro Jahr durchschnittlich bei 153 Euro liegen,
während derzeit nur 100 Euro gewährt werden (Schulbedarfskosten in Niedersachsen, 2016, Sozialwissenschaft-
liches Institut der EKD). Eine Anhebung ist unmittelbar geboten, um die Bedarfsdeckung für den persönlichen
Schulbedarf sicherzustellen. Ein Verweis auf die im Regelsatz enthaltenen Leistungen wie z. B. sonstige Ge-
brauchsgüter für die Schule mit 2,88 Euro monatlich bei den 6- bis 14-Jährigen greift zu kurz.

Eigenanteil beim Mittagsessen:
Da die Mittagsverpflegung auch Bestandteil des Regelsatzes ist, schreibt das Gesetz einen Eigenanteil in Höhe
von einem Euro pro Tag und Mahlzeit vor. Der Gesetzgeber sieht den Eigenanteil als zumutbar, da der Betrag
der Ersparnis entspricht, die durch die Verpflegung der Kinder außerhalb des Elternhauses entsteht. Allerdings
bringt die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung durch den vorgesehenen Eigenanteil für die Leistungsberech-
tigten mit Abstand den höchsten Zeitaufwand in der Nachweisführung und für die Leistungsanbieter, Leistungs-
träger und die Schul- und Kitaverwaltung den höchsten Verwaltungsaufwand mit knapp 80 Millionen Euro pro
Jahr mit sich (Sofi-Gutachten 2016, S. 28). Die Zeit- und Verwaltungskosten, die allein durch den Eigenanteil
entstehen, übersteigen für alle Beteiligten deutlich den Nutzen. Für die Vereinfachung der Leistung ist die Ab-
schaffung des Eigenanteils in vielen Fällen auch im Sinne der kommunalen Träger und der Anbieter (ebd, S.
239). Zudem würde eine Stigmatisierung wegfallen, die viele Eltern, Kinder und Jugendliche bisher von der
Inanspruchnahme der Leistung abgehalten hat.

Schulausflüge:
Der Gesetzgeber sieht vor, dass die tatsächlichen Aufwendungen für eintägige und mehrtätige Klassenfahrten im
Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen bei Schülerinnen und Schüler übernommen werden. Allerdings zei-
gen sich bei den Leistungen für eintägige Fahrten, dass die Belastung für die Leistungsberechtigten insbesondere

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bei der wiederholten Antragstellung dieser Leistungen besonders stark ist (Sofi-Gutachten 2016, S. 239). Die
Antragstellung könnte dadurch vereinfacht werden, indem eine Pauschale für die Kostenerstattung für eintägige
Ausflüge in den Regelsatz integriert wird. Bei kostenaufwendigen Klassenfahrten empfiehlt sich hingegen wei-
terhin eine Gewährung der Leistungen auf Antrag.

Schülerbeförderung:
Schließlich besteht Änderungsbedarf bei der Abdeckung der Mobilitätsbedarfe. Die bestehende Regelung sieht
vor, dass die Schülerbeförderungskosten für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungs-
gangs übernommen werden. In der Regel führt das Kriterium der „nächstgelegenen Schule“ (Entfernung) dazu,
dass nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler von dieser Leistung profitieren. Fraglich ist, ob auch eine besser
an den öffentlichen Personennahverkehr angebundene und damit zeitlich näher gelegene Schule als „nächstgele-
gene“ anerkannt werden kann. Entsprechend bedarf es auch an dieser Stelle einer rechtlichen Klarstellung, so
dass unterschiedliche Wertunterschiede je nach Auslegung des kommunalen Trägers bzw. der Länder nicht dazu
führen, dass Kinder und Jugendliche von dieser Leistung ausgeschlossen werden. Bei einer Konkretisierung der
Leistung der Schülerbeförderung ist sicherzustellen, dass die Fahrtkosten zu allen Schulen in angemessener
Entfernung übernommen werden.
Um eine zielgenaue Evaluation der Leistungen der Bildungs- und Teilhabepaktes vorzunehmen und sicherzustel-
len, dass die Leistungen bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen in ausreichender Höhe tatsächlich an-
kommen, braucht es endlich eine bundesweite und aussagekräftige Leistungsstatistik der Bildungs- und Teilha-
beleistungen.
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