BT-Drucksache 18/12794

Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen

Vom 21. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12794
18. Wahlperiode 21.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, Katja
Dörner, Beate Müller-Gemmeke, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska
Brantner, Markus Kurth, Doris Wagner, Corinna Rüffer, Kai Gehring, Britta
Haßelmann, Dieter Janecek, Sven-Christian Kindler, Tabea Rößner, Elisabeth
Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Teilzeitarbeit ist in Deutschland vor allem Frauensache. Häufig reagieren die Frauen
damit auf die nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Für diejenigen, die ihre Arbeitszeit freiwillig reduzieren, erweist
sich diese Entscheidung allerdings als folgenschwer. Sie arbeiten oft gegen ihren Wil-
len dauerhaft in Teilzeit, selbst wenn die Arbeitszeitreduzierung nur als vorüberge-
hende Lösung gedacht war.
Diese sogenannte Teilzeitfalle hat erhebliche negative Konsequenzen für die berufli-
che Entwicklung, das Einkommen und die finanzielle Unabhängigkeit sowie die Al-
terssicherung von Frauen. Ohne eine Rückkehr zu einem höheren Arbeitsvolumen und
Verdienst droht vielen von ihnen Altersarmut. Denn trotz gesetzlichem Benachteili-
gungsverbot nehmen Teilzeitbeschäftigte seltener an beruflichen Fortbildungen teil
und haben schlechtere Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten.
Aus diesen Gründen entscheiden sich Männer nur selten für die Teilzeit. Sie sehen,
was aus ihren teilzeitbeschäftigten Kolleginnen alles nicht wird und verzichten deshalb
darauf, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. So zementieren sich Rollenstereotype im Er-
werbsleben und bei der privaten Arbeitsteilung.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken wird seit langer Zeit gefordert, das beste-
hende Recht auf Teilzeit um ein Rückkehrrecht auf den vorherigen Stundenumfang zu
ergänzen. Getragen wird die Forderung von einem breiten Bündnis aus Verbänden,
Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik. Auch die jetzige Regierungskoalition von
CDU, CSU und SPD hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf festgelegt und ange-
kündigt, das Teilzeitrecht weiterentwickeln und einen Anspruch auf befristete Teilzeit-
arbeit schaffen zu wollen.
Trotz dieses Versprechens hat die Bundesregierung jetzt bekannt gegeben, dass sie das
Rückkehrrecht nicht mehr einführen will. Das ist vor allem aus zwei Gründen inak-
zeptabel:

Drucksache 18/12794 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

• Immer mehr Mütter und Väter wollen Erwerbsarbeit und Kindererziehung part-
nerschaftlich gestalten. Durch die existierende „Teilzeitfalle“ werden sie jedoch
in alte Rollenmuster zurückgedrängt.

• Ohne die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt wird der Fach-
kräftebedarf aber zukünftig nicht zu decken sein. Dies würde die wirtschaftliche
Entwicklung Deutschlands hemmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legis-
laturperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der bestehende Rechtsan-
spruch auf Teilzeit um ein Rückkehrrecht auf den früheren Stundenumfang er-
gänzt wird.

Berlin, den 20. Juni 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

In Deutschland sind vorwiegend Frauen in Teilzeit beschäftigt. Im Jahr 2014 hat fast jede zweite erwerbstätige
Frau zwischen 20 und 64 Jahren (47 %) Teilzeit gearbeitet. Unter den Männern betrug der Anteil der Teilzeitar-
beit lediglich 9 %. Nach der aktuellen OECD-Studie Dare to Share ist die traditionelle Rollenverteilung in Fami-
lien in Deutschland weiter verbreitet als in anderen Ländern. Mütter tragen nur rund ein Fünftel zum Familien-
einkommen bei und übernehmen überdurchschnittlich viel Haushalts- und Betreuungsarbeit. Da etliche Sozial-
leistungen vom Arbeitsentgelt abhängen und die Ehe als lebenslange Versorgungsinstitution in vielen Fällen
nicht mehr trägt, droht den betroffenen Frauen spätestens im Alter Armut. Nicht nur Frauen sind unzufrieden mit
dem Status quo: Auch immer mehr Männer beklagen, dass sie zu wenig Zeit für ihre Familie haben, aber aus
Sorge vor Karriereeinschnitten ihre Arbeitszeit nicht reduzieren könnten.
Die meisten Paare wünschen sich heute eine partnerschaftliche Teilung der Aufgaben im Beruf und zu Hause.
Sie, aber auch Alleinerziehende brauchen dringend mehr Beweglichkeit und mehr Spielräume für bedarfsge-
rechte, temporäre Arbeitszeitarrangements. Mit einer Befristung von Teilzeit könnten Beschäftigte sich darauf
verlassen, auf eine Vollzeittätigkeit bzw. den früheren Stundenumfang zurückkehren zu können. Das ist sowohl
für Frauen als auch für Männer wichtig.
Ein Recht auf befristete Teilzeit führt zu mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt und zur Entstigmatisierung
der Teilzeit. Heute gelten Teilzeitbeschäftigte häufig als weniger leistungsorientierte Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter. Wenn vorübergehende Arbeitszeitreduzierungen oder -verlängerungen für Frauen und Männer zur Nor-
malität werden und auch Führungskräfte von diesen Angeboten Gebrauch machen, kann dies die Haltung und
Einschätzung in Betrieben und Unternehmen verändern und letztlich zu einem positiven Mentalitätswechsel
führen.
Mehr Arbeitszeitflexibilität für Beschäftigte ist auch volkswirtschaftlich geboten. Noch nie war eine Frauenge-
neration so gut ausgebildet wie heute. Ohne dieses Potenzial wird der Fachkräftebedarf zukünftig nicht mehr zu
decken sein. Es liegt also im Interesse der Wirtschaft, das Leistungs- und Qualifikationspotenzial dieser hoch-
motivierten Frauen noch besser zu nutzen, wie es auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf
seiner Homepage ausführt (vgl. www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/fachkraeftesicherung.html).
Frauen und Männer brauchen mehr Rechte und mehr passgenaue Arbeitszeiten. Ein erster wichtiger Schritt dahin
kann getan werden, wenn der bestehende Rechtsanspruch auf Teilzeit um eine Befristungsmöglichkeit ergänzt
wird. Mit dem Rückkehrrecht auf den früheren Stundenumfang wird die Formel „Einmal Teilzeit, immer Teil-
zeit“ der Vergangenheit angehören. Die Bundesregierung hat mit ihrem Koalitionsvertrag vielen Frauen und
Männern Hoffnung gemacht, dass dieser erste Baustein nach jahrelangem Kampf nun endlich kommt. Sie darf
ihr Versprechen nicht brechen, sondern muss das Rückkehrrecht wie angekündigt einführen.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/fachkraeftesicherung.html

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