BT-Drucksache 18/12783

Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewährleisten

Vom 20. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12783
18. Wahlperiode 20.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Cornelia Möhring, Norbert
Müller (Potsdam), Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland entstanden die ersten Emanzipationsbewegungen, die für die ge-
schlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Gesellschaft und im Recht stritten. Zeitschrif-
ten wie „Das 3. Geschlecht“ (1930 bis 1932) artikulierten die ersten Forderungen an
die Gesellschaft und klagten Menschenrechte ein. Der Nationalsozialismus zerstörte
diese rege und weltweit führende Aufbruchsbewegung. Nach dem Ende des Faschis-
mus konnte an diese Kultur nicht wieder angeknüpft werden. Homosexuelle, aber auch
andere Menschen, die von der bestehenden geschlechtlichen und sexuellen Norm ab-
wichen, wurden massiv ausgegrenzt, manche auf der Grundlage des §175 StGB der
Bundesrepublik Deutschland bzw. des § 151 (ab 1968) in der DDR strafrechtlich ver-
folgt und inhaftiert. Es hat lange Zeit gedauert, bis wieder Emanzipationsbewegungen
auftraten, die ebenso lautstark diese Forderungen erheben.
Die Menschrechte von Transgeschlechtlichen, Intergeschlechtlichen und Trans-
gendern sind in der Bundesrepublik Deutschland nicht gewahrt. Erst mit einer umfang-
reichen Reform bestehender Gesetze und der Einführung eines Mantelgesetzes, das
auf die Spezifika dieser Personengruppen eingeht, können Rechte geschaffen werden
und damit die Menschenrechte gewahrt werden, die notwendig sind zur sozialen Teil-
habe an der Gesellschaft.
Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf sexuelle
Selbstbestimmung. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Absatz 1
in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungs-
gericht (BVerfG) am 11. Januar 2011 (1 BvR 3295/07) erneut bestätigt. Das Transse-
xuellengesetz (TSG) ist mit diesem Urteil in wesentlichen Punkten für nicht mit dem
Grundgesetz vereinbar erklärt und außer Kraft gesetzt worden.
Das TSG sieht eine sog. kleine und eine sog. große Lösung vor. Die „kleine Lösung“
ermöglicht den Betroffenen eine Vornamensänderung. Die „große Lösung“ führt zu
einer personenstandsrechtlichen Anerkennung. Die Betroffenen können also den Vor-
namen und den Personenstand an das empfundene Geschlecht angleichen. Die sog.
große Lösung setzte gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 3 und 4 TSG zusätzlich voraus, dass
die Person dauernd fortpflanzungsunfähig ist (Nummer 3) und sich einem ihre äußeren
Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den

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eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht
worden ist (Nummer 4). Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurden die
wesentlichen Erfordernisse der „großen Lösung“ außer Kraft gesetzt, die Forderungen
von Betroffenen und Menschenrechtsgruppen erfüllt und das gesamte TSG letztlich
zur Disposition gestellt.
Das TSG ist in zahlreichen Entscheidungen vom Bundesverfassungsgericht für grund-
gesetzwidrig erklärt worden, dabei wurden viele Regelungen außer Kraft gesetzt. Einer
der Hauptkritikpunkte am noch bestehenden TSG ist aus Sicht der Betroffenen die
Begutachtung, der eine rasche Angleichung des Vornamens und des Personenstands
entgegensteht.
Erstmals wurden mit der Änderung des § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes am
1. November 2013 intersexuelle Menschen als Rechtssubjekte anerkannt. Hier wurde
festgelegt, dass bei der Geburt eines intersexuellen Kindes kein Geschlechtseintrag
beurkundet wird. Hiermit hat der Gesetzgeber de jure ein drittes Geschlecht geschaf-
fen, ohne jedoch die Folgen dieser weitreichenden Änderung zu beachten.
Zudem werden die Menschenrechte von intersexuellen Menschen massiv verletzt, da
es trotz der rechtlich nicht bindenden Stellungnahmen der Bundesärztekammer und
der Änderung der Richtlinien der Fachverbände weiterhin zu frühkindlichen Operati-
onen zur Herstellung der Geschlechtseindeutigkeit kommt.
Erst ein Mantelgesetz, wie es das BMFSJ in einem Gutachten Anfang 2017 erarbeiten
ließ, kann die umfangreichen Dimensionen der gegenwärtigen Verletzung der
Menschrechte beheben und Rechte für Trans- und Intergeschlechtliche sowie Trans-
gender schaffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, der folgende Regelungen beinhaltet:

1. Die bisherige verpflichtende psychiatrische Begutachtung zur Vornahme einer
Vornamens- oder Personenstandsänderung entfällt ersatzlos.

2. Die derzeitige Praxis der frühkindlichen Operationen zur Herstellung von Ge-
schlechtseindeutigkeit wird gesetzlich unterbunden. Operationen zur Herstellung
der Geschlechtseindeutigkeit sind nur mit eigener Einwilligung der Betroffenen
zulässig. Daraus folgt, dass keine Operationen an Intersexuellen vor der Einwil-
ligungsfähigkeit zulässig sind.

III. Des Weiteren wird die Bundesregierung aufgefordert, den durch das BMFSJ er-
arbeiteten Entwurf eines Mantelgesetzes (Geschlechtervielfalt im Recht, Begleit-
material zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter - & Trans-Sexualität – Band
8, Berlin 2017) zu beschließen und noch in dieser Legislaturperiode in den Bun-
destag einzubringen.

Berlin, den 20. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12783
Begründung

Obwohl in Deutschland die Ursprünge der modernen Emanzipationsbewegungen für die Anerkennung der ge-
schlechtlichen und sexuellen Vielfalt in der Gesellschaft liegen, hinkt es in der internationalen Anerkennung der
Rechte massiv hinterher. Diesem Fakt will dieser Antrag Abhilfe schaffen und Menschenrechte ermöglichen, die
bislang massiv verletzt werden.
Die Debatte um die Umsetzung und die juristische Bewertung des Mantelgesetzes könnte zu Verzögerungen
führen, die eine Beschlussfassung in der laufenden Legislaturperiode unmöglich machen. Deshalb sind die For-
derungen 1 und 2 umgehend umzusetzen, da sie zügig behandelt werden können und sie nach Ansicht der An-
tragsteller und einer Vielzahl Betroffener die gröbsten Menschenrechtsverletzungen beheben.
Die gesellschaftliche Debatte um die Menschenrechte von Transgendern, inter- und transgeschlechtlichen Men-
schen beginnt darüber hinaus erst und die Gesetzgebung steht in der Pflicht diese voranzutreiben.

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