BT-Drucksache 18/12466

Qualifizierung in Werkstätten für behinderte Menschen und Übergangsmöglichkeiten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Vom 18. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12466
18. Wahlperiode 18.05.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Corinna Rüffer, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, Sven-Christian Kindler,
Dr. Tobias Lindner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Qualifizierung in Werkstätten für behinderte Menschen und
Übergangsmöglichkeiten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen haben das gleiche Recht auf Arbeit
wie alle Menschen. Damit sie es auch wahrnehmen können, muss der Arbeits-
markt inklusiv werden. Das heißt, es muss auch für diejenigen Arbeitsplätze ge-
ben, die viel Unterstützung brauchen, um eine Tätigkeit zu erlernen oder auszu-
führen.
Für mehr als 310 000 Menschen mit Behinderungen beschränkt sich die Teilhabe
am Arbeitsleben zurzeit noch darauf, in einer Werkstatt für behinderte Menschen
(WfbM) zu arbeiten. Dort bleiben behinderte Menschen in der Regel unter sich.
Sie haben in der Werkstatt einen Rechtsanspruch auf einen Arbeitsplatz, verdie-
nen mit einer Vollzeitbeschäftigung allerdings nur durchschnittlich 180 Euro.
Wer einmal in der Werkstatt arbeitet, hat zudem kaum eine Chance, sie wieder zu
verlassen. Mit unter 1 Prozent ist die Vermittlungsquote auf den allgemeinen Ar-
beitsmarkt nahezu nichtexistent. Ein schlechtes Bild gaben einige Werkstätten
zuletzt in einem Bericht des „Team Wallraff“ im Februar 2017 ab. Er zeigte, dass
selbst im Berufsbildungsbereich die Qualifizierung und Förderung zurückstehen
muss, wenn Aufträge aus der Industrie zu erledigen sind. Selbst Menschen, deren
Beeinträchtigung sich durch eintönige, aus wenigen sich wiederholenden Ver-
richtungen bestehende Arbeiten verschlechtert, waren mit solchen Aufgaben be-
traut. Schließlich zeigte der Bericht Fälle expliziter Gewalt gegen behinderte
Menschen in Werkstätten und Wohneinrichtungen.
Sowohl Werkstattbeschäftige als auch einige Geschäftsführer setzen sich schon
seit vielen Jahren für eine Weiterentwicklung der Werkstätten ein. So erklärt bei-
spielsweise Detlef Springmann, Geschäftsführer der Lebenshilfe Braunschweig
gGmbH, es fehle den Werkstätten an konsequent übergangsfördernden Struktu-
ren (vgl. z. B. hier: www.lag-wfbm-niedersachsen.de/uploads/migrate/Aktuelles/
111125_FachkongreBVLBerlin2011-ManuskriptDSpringmann-Internetfassung.
pdf, Zugriff am 8. Mai 2017). Einige Werkstätten erkennen dieses Problem und
bemühen sich, verstärkt Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermög-
lichen, z. B. durch Bildungsmodule, die sich stärker am allgemeinen Arbeits-
markt orientieren. Einige Werkstattträger gründen Inklusionsfirmen. Werkstatt-
beschäftigte selbst setzen sich seit Jahren unter anderem für die Stärkung ihrer
Mitwirkungsrechte und eine bessere Bezahlung ein.
Damit der Übergang aus der Werkstatt besser gelingt, muss selbstverständlich
auch der allgemeine Arbeitsmarkt inklusiver werden. Die Bundesregierung bzw.
die Koalitionsfraktionen aus CDU, CSU und SPD haben es nach Auffassung der
Fragesteller versäumt, hier konsequent weitere Schritte zu gehen. Das zeigt sich

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zum Beispiel daran, dass Reichweite und Umfang des Budgets für Arbeit, das mit
dem Teilhabegesetz bundesweit eingeführt wurde, hinter dem zurückbleibt, was
in anderen Bundesländern bereits praktiziert wurde
Der Fachausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Be-
hinderungen empfahl im Jahr 2015, die Werkstätten schrittweise abzuschaffen.
Die Bundesregierung möchte diese Empfehlung nicht umsetzen (vgl. z. B. NAP
2.0, S. 37) und gibt bisher auch sonst nicht zu erkennen, in welcher Weise sie
beabsichtigt, Werkstätten entscheidend weiterzuentwickeln.

Wir fragen die Bundesregierung:

Bildung und Qualifizierung
1. Welche Möglichkeiten stehen Werkstattbeschäftigen offen, im Arbeitsbe-

reich der Werkstätten berufsqualifizierende Fortbildungen zu absolvieren,
und welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung hier?

2. Warum hat die Bundesregierung im Zuge der Entwicklung des Teilhabege-
setzes darauf verzichtet, den Berufsbildungsbereich und die entsprechenden
sozialrechtlichen Regelungen zur Erwerbsminderung so umzugestalten, dass
Menschen mit Beeinträchtigungen im Berufsbildungsbereich verstärkt be-
rufsqualifizierende Abschlüsse absolvieren können?

Qualität der Arbeit
3. Wie wird sichergestellt, dass Werkstattbeschäftigte sowohl im Berufsbil-

dungsbereich als auch im Arbeitsbereich Tätigkeiten ausführen, die sie kurz-
oder langfristig für die Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt qualifizie-
ren, indem diese z. B. regelmäßig mit Bildungsinhalten verknüpft sind?

Aufsicht und Qualitätssicherung
4. Wie häufig und von welcher Stelle wird nach Kenntnis der Bundesregierung

die Qualität der Arbeit von WfbM in Hinblick auf die Förderung und Quali-
fizierung der Leistungsberechtigten im Berufsbildungsbereich und im Ar-
beitsbereich der Werkstätten überprüft (bitte getrennt nach Berufsbildungs-
bereich und Arbeitsbereich angeben)?

5. Wie kann sichergestellt werden, dass Werkstätten zukünftig über Konzepte
zur angemessenen Beschäftigung von Menschen mit schweren und mehrfa-
chen Behinderungen verfügen, auch vor dem Hintergrund, dass die Staats-
sekretärin Gabriele Lösekrug-Möller in der Fragestunde am 26. April 2017
erläutert hat, dass sie hier eine bundesweite Leerstelle sieht (vgl. Plenarpro-
tokoll 18/230, S. 23158)?

6. In welcher Weise hat die Bundesregierung im Rahmen des internen Fachge-
spräches des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Thema am
12. Mai 2017 die in Frage 5 angesprochene Fragestellung erläutert?

Fortbildung und Qualifizierung der Fachkräfte
7. Inwieweit sind Werkstattbeschäftigte nach Kenntnis der Bundesregierung als

Ausbilderinnen und Ausbilder für diejenigen Fachkräfte tätig, die eine son-
derpädagogischen Zusatzqualifikation absolvieren?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, dies zu erreichen, sollte
es nicht bereits der Fall sein?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12466

Gewaltprävention und Gewaltschutz

8. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Forderung der
Werkstatträte Deutschland, eine bessere Kontrollinstanz einzurichten, um
emotionale Gewalt gegen Werkstattbeschäftige zu verhindern sowie den
Werkstatträten Mitbestimmungsrechte bei neuen Personaleinstellungen der
Werkstätten zu geben (vgl. www.bvwr.de/geschaeftsbereich/neuigkeiten/
beitrag.html?tx_ttnews%5Btt_news%5D=144&tx_ttnews%5BbackPid%5D=
20&cHash=4afdfb9d99d580c37a529859f68f4df8, Zugriff am 8. Mai 2017)?

Stärkung und politische Beteiligung der Werkstatträte
9. Wann fanden im Zuge der Beratungen zum Teilhabegesetz Gespräche mit

Werkstatträten statt, zu denen ausschließlich die Werkstatträte selbst einge-
laden waren, so dass diese im vertraulichen Gespräch ihre Vorstellungen und
Forderungen schildern konnten?

10. Wie könnte aus Sicht der Bundesregierung die Weiterleitung des in den Ta-
geskostensätzen je Tag/Beschäftigten vorgesehenen Betrags in Höhe von
0,50 Euro für die Arbeit der Werkstatträte an die Werkstatträte transparenter
und einheitlicher gestaltet werden?

Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
11. Warum verzichtet die Bundesregierung darauf, regelmäßig Daten zum Über-

gang von Menschen mit Behinderungen aus der Werkstatt für behinderte
Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt – differenziert nach Übergang
nach Abschluss des Berufsbildungsbereiches und aus dem Arbeitsbereich –
zu erheben?

12. Warum verzichtet die Bundesregierung im aktuellen Teilhabebericht darauf,
differenziert darzustellen, wie Werkstätten den Übergang ihrer Beschäftigten
auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gestalten, gerade angesichts der dort skiz-
zierten sehr stark ansteigenden Zahl der Arbeitsplätze in Werkstätten für be-
hinderte Menschen (eine Steigerung von 20 Prozent in der Zeit zwischen
2007 und 2014)?

13. Welche übergangsfördernden Effekte hat das im aktuellen Teilhabebericht
aufgeführte „Fachkonzept WfbM“ der Bundesagentur für Arbeit, das laut
Teilhabebericht 2013 zwischen den Jahren 2010 und 2012 in den Berufsbil-
dungsbereichen der WfbM umgesetzt wurde, bisher erzielt, und wieso wer-
den diese Effekte im aktuellen Teilhabebericht nicht dargestellt?

14. Wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung, dass mit dem Budget
für Arbeit hinreichend abgesichert ist, dass Beschäftigte in Werkstätten für
behinderte Menschen für den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
qualifiziert werden (vgl. Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdruck-
sache 18/12241 S. 19 f.)?

15. Wie viele Inklusionsfirmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bis-
her von Organisationen gegründet, die auch Träger von WfbM sind, und wie
beurteilt die Bundesregierung die Verbindung von WfbM und Inklusionsfir-
men durch einen gemeinsamen Träger?

16. Wie viele Personen sind in den letzten drei Jahren nach Kenntnis der Bun-
desregierung aus einer Werkstatt in eine Inklusionsfirma des gleichen Trä-
gers gewechselt?

Drucksache 18/12466 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Ausgelagerte Arbeitsplätze
17. Welche Kriterien definieren einen ausgelagerten Arbeitsplatz, und auf wel-

che Weise wird durch diese Kriterien aus Sicht der Bundesregierung sicher-
gestellt, dass es sich um Arbeitsplätze handelt, die das Inklusionsprinzip ver-
wirklichen?

18. Wie viele Werkstattbeschäftige sind nach Kenntnis der Bundesregierung auf
ausgelagerten Arbeitsplätzen beschäftigt (bitte für die letzten fünf Jahre nach
Jahren und Art des Außenarbeitsplatzes differenziert angeben), und wie viele
dieser Beschäftigten konnten von einem solchen Außenarbeitsplatz in ein re-
guläres Beschäftigungsverhältnis wechseln?

19. Wie lange sind WfbM-Beschäftigte nach Kenntnis der Bundesregierung
durchschnittlich auf einem Außenarbeitsplatz beschäftigt, und welche Er-
kenntnisse hat die Bundesregierung zu der Frage, ob die Möglichkeit, Werk-
stattbeschäftigte dauerhaft auf Außenarbeitsplätzen zu beschäftigen, deren
Übernahme in den Betrieb hemmen?

Finanzierung von Werkstätten
20. Welche Ausgaben der WfbM sollen durch die Vergütungen der Rehabilitati-

onsträger gedeckt werden, und welche aus dem Arbeitsergebnis?
21. Entspricht die tatsächliche Finanzierungsstruktur der Werkstätten nach

Kenntnis der Bundesregierung der in Frage 20 genannten Aufteilung?
22. Wie bewertet die Bundesregierung Zuschüsse zu Investitionen von WfbM

aus Mitteln der Ausgleichsabgabe?

Budget für Arbeit
23. Ist der Bundesregierung bekannt, inwiefern Kostenträger Werkstattbeschäf-

tigte und Werkstätten bereits über die neuen Möglichkeiten mit dem Budget
für Arbeit informieren, so dass schon vor Beginn des nächsten Jahres zum
Beispiel Betriebspraktika vermittelt werden können, die mit dem Budget für
Arbeit dann in Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden können?

24. Welche Daten wird die Bundesregierung erheben (lassen), um die Entwick-
lung des „Budget für Arbeit“ in den nächsten Jahren beobachten und beur-
teilen zu können, und wie wird die Bundesregierung die Nutzung des Budget
für Arbeit aktiv unterstützen?

Weiterentwicklung der Werkstätten
25. Zu welchen Gelegenheiten und mit welchen Gesprächspartnern hat die Bun-

desregierung nach der Empfehlung des UN-Fachausschusses, die Werkstät-
ten schrittweise abzuschaffen und dabei sicherzustellen, dass Menschen mit
Behinderungen keine Minderung der gegenwärtig an die WfbM gebundenen
Sozial- und Altersversicherung erfahren, über die Weiterentwicklung der
Werkstätten in diesem Sinne gesprochen?

26. Wie müssen sich Werkstätten aus Sicht der Bundesregierung weiterentwi-
ckeln, um Teil eines inklusiven Arbeitsmarktes zu werden?

27. Wie müssten WfbM aus Sicht der Bundesregierung auf die Tatsache reagie-
ren, dass der Anteil beruflich bereits qualifizierter psychisch beeinträchtigter
Menschen unter den WfbM-Beschäftigten deutlich zunimmt, und wie reagie-
ren Werkstätten nach Kenntnis der Bundesregierung tatsächlich darauf?

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Weiterentwicklung des Arbeitsmarktes und Alternativen zur Werkstatt
28. Warum hält es die Bundesregierung weiterhin für angemessen, dass Arbeit-

geber die Zahlung der Ausgleichsabgabe durch Aufträge an WfbM reduzie-
ren können, und was wurde aus dem Vorhaben des Bundesministers für
Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, aus dem Jahr 2015, die Ausgleichsabga-
be zu erhöhen (vgl. z. B. www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wolfgang-
schaeuble-will-strafen-fuer-unternehmen-verdoppeln-a-1044167.html, Zu-
griff 8. Mai 2017)?

29. Wieso hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf zum Bundesteilhabegesetz
in § 102 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch einen Vorrang der Leistun-
gen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgeschlagen, und hält sie Arbeit in je-
dem Fall für die beste Tagesstruktur?

Berlin, den 16. Mai 2017

Katrin Göring-Eckhardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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