BT-Drucksache 18/12366

Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren - UN-Treaty-Prozess unterstützen

Vom 16. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12366
18. Wahlperiode 16.05.2017
Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger, Annette
Groth, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Karin Binder, Christine Buchholz,
Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Katrin Kunert,
Stefan Liebich, Thomas Lutze, Dr. Alexander S. Neu, Thomas Nord, Michael
Schlecht, Azize Tank, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren –
UN-Treaty-Prozess unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 2014 beschäftigt sich der UN-Menschenrechtsrat mit der Erstellung eines Men-
schenrechtsabkommens, um wirtschaftliche Aktivitäten zu regeln. Dieser so genannte
UN-Treaty-Prozess soll den Opfern von Menschenrechtsverletzungen erstmals ver-
bindlichen Schutz garantieren und die dafür verantwortlichen transnational agierenden
Unternehmen in Haftung nehmen.
Bereits Mitte der Neunzigerjahre gab eine Untergruppe des UN-Menschenrechtsrats
mehrere Gutachten über transnationale Unternehmen und ihre Menschenrechtsverlet-
zungen in Auftrag, die eine Notwendigkeit für ein international bindendes Abkommen
begründen (www.rosalux.de/fileadmin/rls_ uploads/pdfs/sonst_publikationen/Glo-
bale_Unternehmensregeln.pdf, Seite 11).
Während Freihandelsabkommen die klassischen Arbeitsmärkte immer weiter öffneten,
stärken sie nicht automatisch Menschenrechte, demokratische Mitbestimmung oder
die soziale Infrastruktur der betroffenen Staaten. Der weltweite Wettbewerb zwingt
vor allem Regierungen im Globalen Süden, Investoren attraktive Bedingungen anzu-
bieten, was oft zu einem Unterbietungswettlauf um Steuersenkungen, den Abbau von
Menschenrechten und Arbeitsschutzgesetzen führt. Abkommen wie TTIP, CETA oder
TiSA sollen die Rechte international agierender Unternehmen weiter stärken, während
zugleich geeignete Instrumente fehlen, um sie zur Einhaltung von Menschenrechten
zu verpflichten.
Auch deutsche Unternehmen missachten im Ausland grundlegende menschenrechtli-
che Sorgfaltspflichten: Besonders bekannt wurde der Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik
in Bangladesch, bei dem 1127 Arbeiterinnen und Arbeiter ums Leben kamen, die auch
für deutsche Modemarken genäht hatten. Andernorts werden Menschen durch Planta-
gen oder Staudammprojekte von ihrem Land vertrieben (vgl. Presseberichte zu Vor-
würfen an die Firmen Neumann in Uganda und Lahmeyer im Sudan). Dabei handelt
es sich nicht um Einzelfälle: Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, die Verletzung
von Arbeitsschutzgesetzen, rücksichtslose Umweltverschmutzung und ein Lohnni-
veau, das nicht zum Leben reicht, sind oft globales Geschäftsmodell. Dabei stammen

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die global agierenden Unternehmen mehrheitlich aus westlichen Industriestaaten, wel-
che sich in vielen Fällen durch Beitritt zum UN-Sozialpakt, zu ILO-Konventionen oder
anderen Menschenrechtsabkommen rechtsverbindlich zur Einhaltung elementarer
wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte verpflichtet haben.
Opfer solcher Menschenrechtsverletzungen finden nur selten ausreichend starken
Rechtsschutz vor den lokalen Gerichten, obwohl bereits 138 Staaten die acht Kernnor-
men der ILO ratifiziert haben. Die bestens ausgestatteten Rechtsabteilungen transnati-
onaler Unternehmen, investorenfreundliche Gesetze sowie schwache staatliche und
gewerkschaftliche Strukturen machen es häufig unmöglich, dass sich Arbeiterinnen
und Arbeiter selbst bei eklatanten Verstößen erfolgreich juristisch zur Wehr setzen
können.
Deutsche Gerichte haben aufgrund zu schwacher gesetzlicher Regelungen überhaupt
erst eine einzige zivilrechtliche Klage auf Schadenersatz gegen ein heimisches Unter-
nehmen zugelassen: Der Textildiscounter KiK muss sich wegen des Brandes in einer
Fabrik des Subunternehmens Ali Enterprises 2012 in Pakistan, bei dem 260 Menschen
starben, wegen der Mitverantwortung für die katastrophalen Brandschutzvorkehrun-
gen verantworten. In zahlreichen anderen Industriestaaten gibt es bereits wesentlich
weitergehende Klagemöglichkeiten für Opfer von Menschenrechtsverletzungen hei-
mischer Konzerne. Frankreich hat gerade als erstes Land weltweit menschenrechtliche
und ökologische Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette gesetzlich gere-
gelt. Diese gelten auch für Tochterunternehmen. Zahlreiche Nichtregierungsorganisa-
tionen loben das Vorgehen als vorbildhaft und Meilenstein für die Menschenrechte
(www.sonnenseite.com/de/politik/meilenstein-fuer-den-schutz-der-menschen-
rechte.html).
Auch international wird die Handlungsnotwendigkeit längst erkannt: Die Vereinten
Nationen legten bereits im Jahr 2011 Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen-
rechte („Ruggie-Prinzipien“) vor. Die Bundesregierung beharrt jedoch auch nach ei-
nem langjährigen Prozess in ihrem Ende 2016 erstellten Nationalen Aktionsplan Wirt-
schaft und Menschenrechte weiter auf dem Prinzip der „Corporate Social Responsibi-
lity“ (CSR), das nicht über unverbindliche, freiwillige Regelungen hinausgeht. Sie for-
dert die deutschen Unternehmen zwar auf, angemessene Sorgfalt („due diligence“) in
ihren Geschäftsbeziehungen walten zu lassen, sieht jedoch keine rechtsverbindlichen
Sanktionen bei Verstößen vor. Auch mit dem im März 2017 verabschiedeten Gesetz
zur Umsetzung der CSR-Richtlinie (Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Bericht-
erstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten) verpflichtet sie
nur wenige Unternehmen über ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung bei
ihrer transnationalen Geschäftstätigkeit zu berichten. So verweigert sie jede Verbesse-
rung der Rechtslage der Opfer von Menschenrechtsverletzungen deutscher Konzerne
im Ausland.
Im Juni 2014 setzte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auf Initiative von
Ecuador und Südafrika eine Arbeitsgruppe ein, die einen verbindlichen Völkerrechts-
vertrag („Binding Treaty“) konzipieren soll. Die EU und die USA stimmten geschlos-
sen gegen die Einrichtung der Arbeitsgruppe. Auch die Bundesregierung beteiligte
sich zunächst nicht an der Arbeitsgruppe und begründete dies mit einer „möglichen
negativen Auswirkung auf die Akzeptanz und Umsetzung der UN-Leitprinzipien“
(Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., BT-Drs. 18/10157). Zu-
dem forderte sie eine stärkere Einbeziehung der Wirtschaft in den Treaty-Prozess. Zur
zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe Ende 2016 entsandte die Bundesregierung zwar
eine Praktikantin, brachte sich aber nicht aktiv ein (https://info.brot-fuer-die-
welt.de/sites/default/files/blog-downloads/bericht _zweite_tagung_treaty.pdf). Auch
eine angemessene finanzielle Unterstützung der Arbeitsgruppe blieb bislang aus.
Im Sommer 2017 will der ecuadorianische Vorsitz der Arbeitsgruppe die ersten Text-
vorschläge vorlegen. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern, dass das künftige
Abkommen den Unterzeichnerstaaten vorschreiben solle, dort ansässige Unternehmen

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durch klare Gesetze zur Achtung der Menschenrechte zu verpflichten, auch bei Ge-
schäften im Ausland, bei Tochterunternehmen sowie entlang ihrer Lieferketten. Im
Schadensfall sollten Betroffene auch im Heimatstaat des Unternehmens ihre Rechte
einklagen können. Insbesondere sollten die Normen des Abkommens Vorrang vor
Pflichten aus Handels- und Investitionsschutzabkommen haben (www.ci-
romero.de/fileadmin/media/mitmachen/cora/CORA_FLyer_UN-TREATY_web.pdf).
Angesichts fortwährender Verletzung der Sorgfaltspflichten auch in Deutschland an-
sässiger international geschäftstätiger Unternehmen genügen die bisherigen, auf Frei-
willigkeit basierenden Initiativen nicht. Im UN-Treaty-Prozess besteht die historische
Möglichkeit, erstmals ein völkerrechtsverbindliches Abkommen zum Schutz der Men-
schenrechte gegenüber Unternehmen zu verabschieden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Treaty-Prozess des UN-Menschenrechtsrates aktiv zu unterstützen und dabei
– bei der nächsten Tagung der UN-Arbeitsgruppe vom 23. bis zum 27. Okto-

ber 2017 eine produktive Rolle zugunsten eines verbindlichen Vertrags-
werks zur Regelung der menschenrechtlichen Verantwortlichkeit von Un-
ternehmen zu spielen;

– bereits vor der nächsten Tagung mit dem ecuadorianischen Vorsitz der Ar-
beitsgruppe Gespräche über die mögliche Ausgestaltung des Vertragswerks
aufzunehmen;

– die Aktivitäten der Arbeitsgruppe auch finanziell zu unterstützen;
2. davon abzusehen, Bedingungen für die produktive Mitwirkung der Bundesregie-

rung in der Arbeitsgruppe zu stellen, insbesondere die Einbeziehung von Wirt-
schaftsverbänden oder die Behandlung der unverbindlichen UN-Leitprinzipien
für Wirtschaft und Menschenrechte als Vorbedingung zu formulieren;

3. im Rahmen des Treaty-Prozesses auf ein unmittelbar anwendbares Vertragswerk
hinzuarbeiten,
– in dem die Unterzeichnerstaaten zusagen, ansässige Unternehmen rechtlich

auf die Einhaltung der Menschenrechte zu verpflichten;
– das Menschenrechtsverletzungen bei Geschäften im Ausland, entlang inter-

nationaler Lieferketten und von Tochterunternehmen in den Anwendungs-
bereich einschließt;

– in dem mindestens die acht Kernnormen der ILO untergeordnet sind;
– in dem die Unterzeichnerstaaten zusagen, Betroffenen auch im Heimatstaat

des Unternehmens Klagerechte zu gewähren;
– dessen Normen Vorrang vor zwischenstaatlichen Pflichten aus Handels- und

Investitionsschutzabkommen haben;
4. sich auch auf Ebene der EU für eine Unterstützung des Treaty-Prozesses einzu-

setzen;
5. selbst einen Gesetzentwurf zur verbindlichen Regelung der menschenrechtlichen

Verantwortung von Unternehmen im Sinne des Treaty-Prozesses vorzulegen.

Berlin, den 16. Mai 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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