BT-Drucksache 18/12121

Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12121
18. Wahlperiode 26.04.2017
Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir,
Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr.
Franziska Brantner, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Claudia
Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris
Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Jemen wird seit zwei Jahren von einem blutigen Krieg zermürbt. Dieser Krieg hat
zur größten humanitären Krise der Welt geführt. Auf unverantwortliche Weise und
ohne jeglichen politischen Plan haben Staaten innerhalb und außerhalb der Region in
den ursprünglich innerjemenitischen Konflikt eingegriffen. Eine Koalition vornehm-
lich arabischer Staaten unter Führung Saudi-Arabiens und mit Unterstützung der USA
fliegt seit Ende März 2015 Luftangriffe, rüstet Kämpfer am Boden aus und hat auch
eigene Truppen in den Jemen entsandt. Die Koalition der Houthi-Milizen mit dem ehe-
maligen Diktator Ali Abdullah Saleh wird vom Iran unterstützt.
Tausende Zivilistinnen und Zivilisten wurden durch die militärischen Auseinanderset-
zungen getötet, viele weitere starben an Hunger und heilbaren Krankheiten. Millionen
Menschen leiden unter dem fast vollständigen Kollaps öffentlicher Dienstleistungen
inklusive der Gesundheitsversorgung und der großflächigen Zerstörung ziviler Infra-
struktur im ärmsten Land der arabischen Halbinsel. Allein in den letzten zwei Jahren
wurden drei Millionen Menschen vertrieben. Sieben Millionen Menschen sind von
Hungersnot bedroht; alle zehn Minuten stirbt in Jemen ein Kind an Hunger. Fast die
gesamte Bevölkerung ist mittlerweile von humanitärer Hilfe abhängig. Der Import von
Lebensmitteln und die Lieferung humanitärer Güter werden durch umständliche Kon-
trollmechanismen und den schwierigen Zugang zu Häfen erschwert. Durch die Schlie-
ßung des Flughafens Sana’a können Jemenitinnen und Jemeniten für medizinische Be-
handlungen das Land nicht mehr verlassen.
Durch die Bombardierungen ist zudem das einzigartige Kulturerbe des Landes in Ge-
fahr, darunter die Altstadt von Sana’a. Ihre Zerstörung wäre ein unermesslicher Ver-
lust für die kulturelle Identität des Landes.
Alle kämpfenden Parteien im Jemen haben massive Kriegsverbrechen begangen und
verstoßen täglich gegen humanitäres Völkerrecht. Sowohl die Houthi-Milizen und
Saleh als auch die nominelle jemenitische Regierung unter Abd Rabbuh Mansur Hadi

Drucksache 18/12121 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
und ihre internationalen Verbündeten setzen Kindersoldaten ein, attackieren wissent-
lich Zivilistinnen und Zivilisten, foltern und töten Gefangene und erschweren die Lie-
ferung humanitärer Hilfe.
Eine große Fluchtbewegung aus dem Land ist bislang nur wegen der äußerst schwie-
rigen Fluchtmöglichkeiten ausgeblieben. Dschihadistische Organisationen wie Al-
Qaida profitieren von dem Konflikt.
Auch Deutschland und einige seiner engsten Verbündeten sind an diesem Krieg betei-
ligt. Fast alle Mitglieder der Golfstaaten-Koalition sind Empfänger von direkten oder
indirekten Waffenlieferungen aus Deutschland. Zudem produziert Saudi-Arabien in
Lizenz deutsche Gewehre. Die Zerstörung des Jemen wird auch mit deutschen Waffen
betrieben. Die USA und Großbritannien sind aktiv in die Planung und Durchführung
der Luftangriffe involviert. Unter der Regierung Donald Trumps scheint die US-Re-
gierung ihren militärischen Einsatz im Land auszuweiten und dabei immer weniger
Rücksicht auf die Vermeidung ziviler Oper zu nehmen. Deutschland und Europa müs-
sen deswegen deutlicher als je zuvor eine Stimme für ein Ende des Kriegs und für die
humanitäre Versorgung der Jemenitinnen und Jemeniten sein. Die Resolution des Eu-
ropäischen Parlaments zum Stopp aller europäischen Waffenexporte an die kriegfüh-
renden Staaten ist ein guter Ausgangspunkt für eine solche Politik und muss dringend
von den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden.
Die Antwort der internationalen Gemeinschaft, der Bundesregierung und ihrer Partner
war bislang viel zu zaghaft und einseitig. Die Resolution des VN-Sicherheitsrats
2216 (2015) ist einseitig. Sie verurteilt zwar zu Recht das militärische Vorgehen der
Houthi-Milizen und ihrer Verbündeten, schweigt aber zur Eskalationsstrategie der
saudi-arabisch geführten Koalition. Selbst der Versuch, eine unabhängige Untersu-
chung der Kriegsverbrechen beider Seiten zu unternehmen, wurde durch Saudi-Ara-
bien im UN-Menschenrechtsrat torpediert. Die an ihrer statt eingesetzte Kommission
der Regierung hat einen einseitigen Zwischenbericht vorgelegt, der internationalen
Standards nicht genügt. Wenn sich so eine der Konfliktparteien nun zur Richterin
macht, ist eine gerechte und unabhängige Aufarbeitung der begangenen Verbrechen
nicht möglich.
Der Krieg im Jemen ist weder einfach ein Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran
noch ein konfessioneller Konflikt. Der Einfluss der iranischen Regierung auf und ihre
Unterstützung für die Houthis ist begrenzt. Die islamische Republik aber gießt mit
ihrer Unterstützung für die Houthis weiter Öl in das Feuer. Dieses illegitime Engage-
ment kann aber keine Entschuldigung für die großflächigen saudischen Bombarde-
ments sein. Denn letztlich haben diese Bombardements den Krieg im Jemen im Sinne
einer selbsterfüllenden Prophezeiung erst zu einem Regionalkrieg gemacht.
Der Konflikt ist im Wesentlichen eine Auseinandersetzung um die Ressourcen- und
Machtverteilung im Jemen. Für diese Fragen muss eine Lösung gefunden werden, die
eine faire Teilung der Macht und einen Übergangsprozess zu einer demokratischen
und rechtsstaatlichen Ordnung vorsieht. Die bereits erzielten Einigungen bei den Ge-
sprächen in Kuwait im Jahr 2016 weisen in die richtige Richtung. Das vordringlichste
Ziel müssen ein rascher Waffenstillstand und die humanitäre Versorgung der gesamten
Bevölkerung sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ihre Jemenpolitik grundlegend zu ändern, sich deutlich vom Vorgehen der saudi-
arabisch geführten Militärkoalition zu distanzieren und jegliche Lieferungen von
Rüstungsgütern an die ihr angehörenden Staaten vollständig einzustellen;

2. die iranische Parteinahme für die Houthis und deren illegitime Machtübernahme
klar zu verurteilen und die iranische Regierung aufzufordern, zur Deeskalation
der Lage beizutragen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12121
3. sich im Sinne der Resolution des Europäischen Parlaments bei seinen europäi-

schen Partnern für einen vollständigen Lieferstopp europäischer Waffen an die
kriegsführenden Staaten einzusetzen;

4. sich sowohl gegenüber Saudi-Arabien als auch gegenüber den Houthis und ihren
Verbündeten für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen;

5. sich gegenüber der US-Regierung und der Regierung Großbritanniens für ein
Ende der militärischen Unterstützung der saudi-arabisch geführten Koalition ein-
zusetzen;

6. sich für einen freien und direkten Zugang zu allen Häfen einzusetzen;
7. sich für eine Wiedereröffnung des Flughafens Sana’a für den zivilen Luftverkehr

einzusetzen;
8. die Arbeit an einer Friedenslösung, vor allem auch des Sondergesandten der Ver-

einten Nationen für den Jemen, nach allen Kräften zu unterstützen;
9. ihre Beiträge zur humanitären Hilfe für die jemenitische Bevölkerung noch weiter

zu erhöhen und ihre Partner ebenfalls dazu aufzurufen;
10. die humanitäre Hilfe für die Länder Jemen, Südsudan, Somalia und Nigeria auf

insgesamt 1 Mrd. Euro zu erhöhen;
11. alle Nachbarländer, insbesondere Dschibuti, aber auch Somalia und die Region

Somaliland politisch und materiell bei der Aufnahme der jemenitischen Flücht-
linge zu unterstützen;

12. sich im Rahmen des VN-Sicherheitsrats für eine Resolution einzusetzen, die das
Vorgehen aller Konfliktparteien verurteilt und den bedingungslosen Zugang für
humanitäre Hilfe fordert;

13. sich im Rahmen des VN-Menschenrechtsrats für die Einrichtung einer unabhän-
gigen Kommission zur Untersuchung der Kriegsverbrechen einzusetzen mit dem
Ziel, diese Verbrechen rechtlich zu verfolgen und Verantwortliche zur Rechen-
schaft zu ziehen;

14. allen Hinweisen auf den Einsatz verbotener Waffen wie Streubomben nachzuge-
hen;

15. weiter aufzuklären, inwieweit Rüstungsgüter deutscher Unternehmen oder deren
Tochterunternehmen im Jemenkrieg durch die einzelnen Konfliktakteure einge-
setzt wurden und werden;

16. die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Jemen dazu zu nutzen, die Lebensbe-
dingungen der Menschen zu verbessern, die Wirtschaft wieder in Gang zu brin-
gen, Menschenrechte und Zivilgesellschaft zu stärken und so zur politischen Sta-
bilisierung und Transformation beizutragen;

17. sich als Vermittlerin für einen politischen Übergangsprozess und eine langfristig
angelegte Befriedung des Landes anzubieten;

18. sich dem Golf-Kooperationsrat gegenüber dafür stark zu machen, dass die krieg-
führenden Staaten die Verantwortung für den Wiederaufbau des Jemen tragen
müssen;

19. sich für den Schutz der Weltkulturerbestätten des Jemen einzusetzen.

Berlin, den 25. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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