BT-Drucksache 18/1208

Aktuelle Situation in der Zentralafrikanischen Republik

Vom 17. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1208
18. Wahlperiode 17.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt,
Tom Koenigs, Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brantner, Omid Nouripour,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Katja Keul, Dr. Tobias Lindner,
Cem Özdemir, Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin, Doris Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aktuelle Situation in der Zentralafrikanischen Republik

Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) belegte im Jahr 2012 Platz 180 von 187
des Human Development Index. Die ohnehin kritische Situation im Land hatte
sich seit Anfang des Jahres 2013 noch einmal rapide verschlechtert. Von der der-
zeitigen Krise ist die gesamte Bevölkerung des Landes betroffen. Über 2,5 Mil-
lionen Menschen – und damit mehr als die Hälfte der Bevölkerung – sind derzeit
auf humanitäre Hilfe angewiesen. Seit der gewaltsamen Machtübernahme der
muslimischen Rebellenallianz der Séléka im Frühjahr 2013 kam es vermehrt zu
gewaltsamen Auseinandersetzungen, die sich zunehmend religiös aufluden. Im
Januar 2014 musste Michel Djotodia, selbsternannter Präsident aus den Reihen
der Séléka, unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft zurücktreten.
Seitdem regiert die Interimspräsidentin Catherine Samba-Panza, ehemalige Bür-
germeisterin der Hauptstadt Bangui.
Seit Ausbruch des Konflikts kommt es laut Angaben der Vereinten Nationen zu
schweren Menschenrechtsverletzungen und einer bislang unbekannten Anzahl
von Toten. Laut Schätzungen des UNHCR sind fast eine Million Menschen auf
der Flucht – darunter über 700 000 Binnenflüchtlinge und beinahe 325 000 in
den Nachbarländern. Die Situation in den Flüchtlingslagern innerhalb der ZAR
und in den Nachbarstaaten wie Tschad, Kamerun und der Demokratischen Re-
publik Kongo ist katastrophal. Nichtregierungsorganisationen, wie Ärzte ohne
Grenzen, berichten von einer chronischen medizinischen Notlage. Laut dem
United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA)
sind 1,25 Millionen Menschen akut auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen und
fast eine Million Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Laut
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon handelt es sich bei der Situation in der ZAR
um eine humanitäre Katastrophe „epischen Ausmaßes“. Er fügt hinzu, das Land
befände sich „im freien Fall“ (www.un.org/sg/statements/?nid=7408).
Im Rahmen des im Jahr 2004 beschlossenen „Aktionsplanes Zivile Krisenprä-
vention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ wurden die Prinzipien der
Früherkennung (early warning) und des rechtzeitigen Handelns (early action) in
der deutschen Außenpolitik festgeschrieben. Angesichts der dramatischen Lage
vor Ort und vor dem Hintergrund des bevorstehenden Mandates für eine deut-
sche Beteiligung an der europäischen Mission European Forces Republic of
Central Africa (EUFOR RCA) stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung die
Situation vor Ort bewertet und welche Konsequenzen sie gegebenenfalls aus
ihrer Bewertung zieht.

Drucksache 18/1208 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle politische Situation in der

ZAR?
a) Welche Schlüsse zieht sie aus ihrer Bewertung, sowohl für die Beteiligung

der Bundeswehr an EUFOR RCA als auch für den Bereich der humanitä-
ren Hilfe?

b) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung über die Beteiligung an
EUFOR RCA hinaus?

c) Wie beurteilt sie den Zustand der Verwaltung, besonders hinsichtlich der
Bezahlung der Beamten, die im März 2014 nach Medienberichten („Faule
Kredite, betrogene Staatsdiener“, taz vom 11. März 2014) noch nicht
funktionierte, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

d) Wie beurteilt sie den Zustand des Militärs, und welche Konsequenzen
zieht sie daraus?

2. Inwiefern sieht die Bundesregierung ein koordiniertes Vorgehen der bewaff-
neten Gruppen der Anti-Balaka bzw. der Séléka?
a) Welche Staaten der Region unterstützen nach Kenntnis der Bundesregie-

rung welche der Gruppierungen?
b) Wie schätzt die Bundesregierung die Bewaffnung dieser Gruppen ein?

3. Wie wird sich nach Einschätzung der Bundesregierung die aktuelle Situation
in der ZAR auf die Region auswirken?
Wie schätzt sie im Besonderen die Auswirkungen auf den Tschad ein, in den
zahlreiche der muslimischen Vertriebenen, darunter viele bewaffnete Grup-
pen, geflohen sind (SWP-Aktuell 10, „Die zentralafrikanische Republik in
der Krise“ der Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2014)?

4. Wie schätzt die Bundesregierung die Arbeit der AU-Truppe MISCA (AU =
Afrikanische Union) ein, und inwiefern sieht sie dabei Unterschiede in der
Leistung der einzelnen Truppensteller?

5. Wie ist die humanitäre Lage in der ZAR nach Kenntnis der Bundesregierung
derzeit einzuschätzen?
a) Wie viele Menschen sind laut Kenntnis der Bundesregierung seit dem

Putsch durch die Séléka im März 2013 ums Leben gekommen (bitte auf
die Zeit vor und nach dem Rücktritt Michel Djotodias aufschlüsseln)?

b) Wie arbeitet die Bundesregierung mit anderen Nationalregierungen und
der Europäischen Union zusammen, um Informationen über die Lage in
der ZAR zu teilen und zu bewerten?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Lage der Zivilgesellschaft in der
ZAR, und wie unterstützt sie Organisationen, die sich in der gegenwärti-
gen Situation für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen?

d) Auf welche Höhe schätzt sie den Bedarf an humanitärer Unterstützung
durch die internationale Geberschaft?

e) Inwieweit kennt die Bundesregierung die Berichte der Peace Mission Sup-
port and Rapid Response Section des Office of the High Commissioner for
Human Rights, und wie bewertet sie die dort dargestellten massiven Men-
schenrechtsverletzungen sowie die Lage der intern Vertriebenen?

6. Welche Mittel hat die Bundesregierung für die ZAR bereits zugesagt (bitte
nach Ressort, Höhe und Verwendungszweck auflisten)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1208
a) Welche nationalen Akteure werden durch die Bundesregierung mit wel-
chen Mitteln unterstützt, und inwieweit handelt es sich dabei um die
Unterstützung regierungsnaher oder regierungsferner Maßnahmen (bitte
um Auflistung)?

b) Welche Mittel stellt die Bundesregierung den Nachbarländern für die Be-
wältigung der Flüchtlingsströme aus der ZAR zur Verfügung (bitte nach
Ländern, Höhe und Maßnahmen auflisten)?

c) Plant die Bundesregierung, darüber hinaus zusätzliche Mittel für die
ZAR und ihre Nachbarstaaten zur Verfügung zu stellen?
Wenn ja, in welcher Höhe (bitte einzeln nach Ländern und gegebenen-
falls Höhe auflisten)?

7. Existiert neben den notwendigen kurzfristigen Maßnahmen eine langfristige
entwicklungspolitische Strategie der Bundesregierung, um das Land zu sta-
bilisieren und nachhaltig zu unterstützen und dabei besonders den zerrütte-
ten Staatsapparat wiederaufzubauen?
Wenn ja, welche?
Wenn nein, warum nicht?

8. Was bedeutet die Ankündigung des Bundesministers für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, in seiner Bundestagsrede
vom 21. März 2014, die ZAR als „Zielland“ der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit aufzunehmen?
a) Soll die ZAR ein Partnerland nach Kategorie „A“, „B“ oder „C“ werden?
b) Wann und wie wurde diese Entscheidung innerhalb der Bundesregierung

abgestimmt?
c) Erhöht sich dadurch die Anzahl der Partnerländer Deutschlands?

Oder wird die Zusammenarbeit mit einem anderen Partnerland einge-
stellt?
Falls ja, mit welchem?

d) Sollte sich die Zahl erhöhen, bedeutet dies, dass die Bundesregierung
sich von dem Ziel verabschiedet, entsprechend der Paris Declaration und
der Accra Agenda for Action die Anzahl der Partnerländer zu reduzie-
ren?

9. Was ist unter dem „neuen Ansatz“ zu verstehen, den Bundesminister
Dr. Gerd Müller in eben dieser Rede angekündigt hat, und der zusammen
mit Frankreich umgesetzt werden soll?

10. In welcher Form findet eine Abstimmung zwischen Akteuren der Entwick-
lungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe und des Militärs statt?

11. Wie stellt die Bundesregierung angesichts des äußerst schwierigen Zugangs
für humanitäre Hilfsmaßnahmen, vor allem außerhalb Banguis, die Unab-
hängigkeit der humanitären Hilfe sicher?

12. Was passiert derzeit mit den Mitteln aus dem Europäischen Entwicklungs-
fonds (EEF), aus der African Peace Facility und dem Instrument für Stabi-
lität und Frieden?

13. Inwiefern trifft es zu, dass die Bundesregierung die Mittel für die African
Peace Facility auf 900 Mio. Euro erhöhen wird, wie es Bundesminister
Dr. Gerd Müller in seiner Bundestagsrede vom 21. März 2014 angekündigt
hat?
a) Wofür sollen diese Mittel eingesetzt werden?
b) Kann die Bundesregierung ausschließen, dass von dieser Erhöhung auch

Militäreinsätze finanziert werden?

Drucksache 18/1208 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
c) Wenn nein, wie passt diese Erhöhung mit dem Papier zur neuen Afrika-
politik des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) zusammen, in dem es heißt, „wir dürfen unseren mi-
litärischen Einfluss nicht überschätzen“?

14. Wie soll vor dem Hintergrund zahlreicher Medienberichte über Koordi-
nationsprobleme (so beispielsweise die Tatsache, dass SANGARIS seine
Lufttransportkapazitäten nicht den Truppen der AU MISCA zur Verfü-
gung stellt, vgl. „Erst denken, dann handeln“, taz vom 6. März 2014) die
Zusammenarbeit der verschiedenen Missionen in der ZAR, AU MISCA,
SANGARIS und EUFOR RCA sichergestellt werden?

15. Hat sich die Bundesregierung im Rahmen der EU für ein europäisches Ge-
samtkonzept zur Lösung der humanitären Krise und dem zivilen Wiederauf-
bau in der ZAR eingesetzt?
a) Wenn ja, wie ist dieses ausgestaltet, und inwiefern sind die Zeitpläne für

die militärische Stabilisierung unter Mithilfe der EUFOR RCA und für
den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens aufeinander abge-
stimmt?

b) Wenn nein, warum nicht?
Und hat die Bundesregierung vor, sich in Zukunft für ein europäisches
Gesamtkonzept einzusetzen?

16. Inwiefern plant die Bundesregierung, sich im Anschluss an die europäische
Überbrückungsmission EUFOR RCA an der UN-Friedensmission MINUSCA
zu beteiligen?
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass in diesem Falle dem Deut-
schen Bundestag ein neues Mandat zur Entsendung deutscher Streitkräfte
vorgelegt werden müsste, und wenn nein, warum nicht?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung, besonders vor dem Hintergrund der Tat-
sache, dass sich ein wichtiger Truppensteller wie der Tschad aus MISCA
zurückgezogen hat, die Chancen, dass sich genügend Truppensteller für
MINUSCA finden lassen?

18. Sieht die Bundesregierung Anzeichen für Völkermord, Verbrechen gegen
die Menschlichkeit und/oder ethnische Säuberungen in der ZAR, und wenn
ja, welche?

19. Wurde eine ressortübergreifende Ad-hoc-Task-Force zur ZAR im Auswär-
tigen Amt eingerichtet?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

20. Ist der „Focal Point“ für die Responsibility to Protect und der Beirat Zivile
Krisenprävention im Auswärtigen Amt mit der ZAR befasst, und wenn ja,
inwiefern, und mit welchem Ergebnis?

21. Plant die Bundesregierung, einen Beitrag zu Dialog, Konfliktmediation und
Versöhnung zwischen verfeindeten Gruppen zu leisten?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, wann, und in welcher Form?

Berlin, den 17. April 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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