BT-Drucksache 18/1204

Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung der Binnennachfrage

Vom 17. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1204
18. Wahlperiode 17.04.2014

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Michael Schlecht, Susanna Karawanskij,
Jutta Krellmann, Thomas Nord, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost,
Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung der Binnennachfrage

Die Europäische Kommission hat die makroökonomischen Ungleichgewichte in
Deutschland einer vertieften Überprüfung unterzogen, nachdem sich der rol-
lende Dreijahresdurchschnitt der Leistungsbilanzüberschüsse bereits seit dem
Jahr 2007 über der als Grenzwert beschlossenen 6-Prozent-Marke befindet. Die
Europäische Kommission führt die Überschüsse in ihrer Analyse vor allem auf
den privaten Sektor zurück. Zum einen seien die Nettoersparnisse der privaten
Haushalte angestiegen, zum anderen wiesen Unternehmen einen Finanzierungs-
überschuss auf. „Gleichzeitig scheint jedoch eine echte Gefahr zu bestehen, dass
sich die Investitionsschwäche verfestigt hat. Die zunehmende Sparhaltung der
nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften hat den größten Beitrag zur Entstehung
des Leistungsbilanzüberschusses geleistet,“ so heißt es im Kommissionsbericht
(Europäische Kommission: „Makroökonomische Ungleichgewichte – Deutsch-
land 2014“, deutsche Version; S. 26). Darüber hinaus seien die öffentlichen In-
vestitionen viel zu gering. Die von der Europäischen Kommission empfohlenen
Maßnahmen zur Ankurbelung der schwachen Binnennachfrage reichen von
einer Neuordnung der Kommunalfinanzen über die Begünstigung des Lohn-
wachstums bis hin zu mehr öffentlichen Investitionen.
Auch die Bundesregierung muss feststellen, dass die „Binnennachfrage mehr
und mehr zu einer Stütze unserer konjunkturellen Entwicklung“ (Jahreswirt-
schaftsbericht 2014, S. 5) wird. Sie will „mit den im Koalitionsvertrag beschlos-
senen Maßnahmen die staatlichen Investitionen und die binnenwirtschaftlichen
Wachstumskräfte stärken und damit zum Abbau der Ungleichgewichte beitra-
gen“. So wird sie „etwa die Investitionen in Verkehrsinfrastruktur um 5 Mrd.
Euro erhöhen und die Länder um 6 Mrd. Euro entlasten, um Investitionen in
Kinderbetreuung, Schulen und Hochschulen zu befördern“. Auch die Einfüh-
rung des gesetzlichen Mindestlohns sei geeignet, die Binnennachfrage zu stär-
ken (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – BMWi: „Leistungsbilanz-
überschuss 2014“, 4. März 2014).
Dass über die beschriebenen Vorhaben allerdings eine substanzielle Stärkung
der Binnennachfrage und ein ausreichender „Beitrag zum Abbau der Ungleich-
gewichte in der Eurozone“ (BMWi, ebd.) erreicht werden, ist angesichts der im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD genannten Beträge und die
ausdrückliche Bekenntnis gegen Steuererhöhungen und für einen ausgegliche-
nen Haushalt ab dem Jahr 2015 zu bezweifeln.

Drucksache 18/1204 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie haben sich nach Informationen der Bundesregierung die Einkommen

aus Unternehmertätigkeit und Vermögen bzw. die Arbeitnehmerentgelte im
Zeitraum von 2000 bis 2013 jährlich verändert (absolut und relativ)?

2. Wie verteilt sich nach Informationen der Bundesregierung das Auslands-
vermögen bzw. Auslandseinkommen auf die privaten Haushalte nach Ver-
mögensdezilen bzw. -quintilen?

3. Wie verteilen sich nach Informationen der Bundesregierung die Zuflüsse an
Erwerbs- und Vermögenseinkommen aus dem Ausland auf die privaten
Haushalte nach Einkommensdezilen oder -quintilen?

4. Wie verhält sich nach Informationen der Bundesregierung der Anstieg der
Sparquote aufgeteilt nach Einkommensquintilen bzw. -dezilen in den Jah-
ren 2000 bis 2013?

5. Wie verhält sich nach Informationen der Bundesregierung der Anstieg der
Sparquote aufgeteilt nach Vermögensquintilen bzw. -dezilen in den Jahren
2000 bis 2013?

6. Mit welchen Indikatoren erfasst die Bundesregierung die Entwicklung der
Einkommens- und Vermögensverteilung?
Wie haben sich diese Indikatoren seit dem Jahr 2000 entwickelt?

7. Wie viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind über neun Monate in
einem Unternehmen beschäftigt?

8. Wie viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter waren in den Jahren 2011,
2012 und 2013 über 18 Monate in einem Unternehmen beschäftigt?

9. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzlich entstehende Nach-
frage der privaten Haushalte infolge der angedachten Reregulierung in Be-
zug auf die Leiharbeit ein?
Auf welcher Grundlage kommt die Bundesregierung zu dieser Aussage?

10. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzlich entstehende Nach-
frage der privaten Haushalte infolge der angedachten Reregulierung in Be-
zug auf den Mindestlohn?
Auf welcher Grundlage kommt sie zu dieser Einschätzung?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass sich die sehr ungleich ver-
teilten Vermögen (siehe DIW, Wochenbericht Nr. 9.2014) negativ auf die
Binnennachfrage auswirken (bitte begründen)?
Sieht die Bundesregierung diesbezüglich Handlungsbedarf, um die Binnen-
nachfrage zu stärken (bitte begründen)?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine schwache Binnennach-
frage Leistungsüberschüsse mitverursacht (bitte begründen)?

13. Wie viele Haushalte werden um welche Höhe durch die Anhebung des
Grundfreibetrages in den Jahren 2013 und 2014 bei der Einkommensteuer
entlastet (bitte in Klassen des zu versteuernden Einkommens angeben)?

14. Plant die Bundesregierung eine weitere Anhebung des Grundfreibetrages
bei der Einkommensteuer?
Wenn ja, zu welchen Termin?
Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1204

15. Plant die Bundesregierung über die Anhebung des Grundfreibetrages hin-
aus weitere steuerliche Entlastungen für geringe und mittlere Einkommen,
und wenn ja, welche?
Wenn nein, warum nicht?

16. Plant die Bundesregierung, die kalte Progression zu reduzieren?
Wenn ja, wie?
Wenn nein, warum nicht?

17. Inwiefern kann nach Ansicht der Bundesregierung von einer „guten Ent-
wicklung des Arbeitsmarktes“ (Nationales Reformprogramm 2014, Rn. 9,
Bundestagsdrucksache 18/1107) die Rede sein, während sich die Zahl der
Langzeitarbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr um 18 000 auf 1 076 000
erhöht hat, 1,2 Millionen abhängig Beschäftigte ergänzende Hartz-IV-Leis-
tungen beziehen, 2,64 Millionen mittlerweile einem Zweitjob nachgehen
(1,3 Prozent mehr als im Vorjahr), 2,7 Millionen befristeten Arbeitsverträ-
gen und steigender Teilzeitbeschäftigung?

18. Wie bringt die Bundesregierung die Aussage „Bundesregierung und Kom-
mission stimmen darin überein, dass die preisliche Wettbewerbsfähigkeit
als Erklärung für das Anwachsen der deutschen Handelsbilanz nur eine
untergeordnete Rolle spielt“ (Nationales Reformprogramm 2014, Rn. 26,
Bundestagsdrucksache 18/1107) mit folgender Aussage im Kommissionbe-
richt („Makroökonomische Ungleichgewichte – Deutschland 2014“, deut-
sche Version; S. 31) überein: „Der anhaltende Rückgang der Reallöhne und
die Beschneidung der Sozialleistungen (die ein zentrales Element der deut-
schen Arbeitsmarktreformen darstellte) haben die preisliche Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Exporte erhöht und die Binnennachfrage anfänglich
gedämpft und so offenbar in zunehmendem Maße zum Handelsbilanzüber-
schuss beigetragen.“?

19. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Europäischen Kommission, dass
zumindest „vor der Krise […] Deutschland zudem aufgrund seiner Wett-
bewerbsvorteile hinsichtlich der Arbeitskosten und Preise Handelsüber-
schüsse mit seinen Partnern im Euro-Währungsgebiet erzielen [konnte]“
(„Makroökonomische Ungleichgewichte – Deutschland 2014“, deutsche
Version; S. 9)?
Wenn nein, warum nicht?

20. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Löhne der Beschäftigten
von der Wirtschaftsentwicklung abgekoppelt wurden vor dem Hintergrund,
dass das Volkseinkommen seit dem Jahr 2000 um rund 38 Prozent, die Ar-
beitnehmerentgelte hingegen nur um rund 27 Prozent gestiegen sind (bitte
begründen)?

21. Wie viele Milliarden hätten in Deutschland seit dem Jahr 2000 rechnerisch
zusätzlich investiert werden müssen, wenn Deutschland jeweils so viel in-
vestiert hätte, wie der Durchschnitt der Länder der Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (bitte in absoluten
Beträgen für jedes Jahr angeben)?

22. Wie soll sich die durchschnittliche Investitionsquote der OECD-Länder
nach Informationen der Bundesregierung in den kommenden Jahren ent-
wickeln?

23. Mit welchen Einzelmaßnahmen plant die Bundesregierung, das im Koali-
tionsvertrag niedergeschriebene Ziel einer Investitionsquote über OECD-
Durchschnitt zu erreichen?

Drucksache 18/1204 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wann soll dieses Ziel erreicht werden?
In welcher Höhe sollen laut Vorstellung der Bundesregierung die öffentli-
chen Haushalte zur Steigerung der Investitionsquote beitragen (bitte in ab-
soluten Beiträgen für jedes Jahr gesamt und für Bund, Länder und Kommu-
nen getrennt angeben)?

24. Geht die Bundesregierung davon aus, dass eine Entlastung der Bundeslän-
der um 6 Mrd. Euro in der laufenden Legislaturperiode zur Förderung von
Investitionen in Kinderbetreuung, Schulen und Hochschulen ausreicht?
Wenn ja, auf welcher Berechnungsgrundlage?

25. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Aussage der Kommis-
sion „Der Rückgang der öffentlichen Investitionen findet fast ausnahmslos
auf kommunaler Ebene statt und ist u. a. auf begrenzte Finanzmittel zurück-
zuführen und wird auch durch die bestehenden Mechanismen für Investi-
tionsplanung und -finanzierung nicht kompensiert.“ („Makroökonomische
Ungleichgewichte – Deutschland 2014“, deutsche Version; S. 26) ihre im
Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zur Steigerung der öffentlichen
Investitionen für ausreichend?
Wenn ja, warum?
Was unternimmt die Bundesregierung, um flächendeckend die Kommunen
in die Lage zu versetzen, Investitionen zu tätigen?

26. Aufgrund welcher Berechnungen kommt die Bundesregierung zu der Aus-
sage, dass mit den vorgesehenen Investitionen im Bereich öffentliche Infra-
struktur – insbesondere im Verkehrsbereich, wo eine Erhöhung der Ver-
kehrsinvestitionen um 5 Mrd. Euro vorgesehen ist über die gesamte Le-
gislaturperiode – sowie einer Entlastung der Länder um 6 Mrd. Euro die
Bundesregierung „Substanzverzehr und Engpässe“ vermeide (Nationales
Reformprogramm 2014, Rn. 42 f., Bundestagsdrucksache 18/1107)?

27. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die im Koalitionsvertrag ver-
einbarten zusätzlichen Investitionsmittel für ohnehin bereits geplante Inves-
titionen verausgabt werden bzw. zum Ausgleich von Mindereinnahmen
z. B. bei der Maut herangezogen werden und damit nicht mehr „zusätzlich“
wären?

28. Wie kommt die Bundesregierung angesichts des Schaubildes Nummer 6 auf
S. 12 im Nationalen Reformprogramm 2014, Bundestagsdrucksache 18/1107,
darauf, dass „die Bruttoanlageinvestitionen sich in den letzten Jahren güns-
tiger entwickelt haben als im Durchschnitt der Eurozone“ (Rn. 32 ebd.), und
inwiefern ist nach Ansicht der Bundesregierung mit den wirtschaftlichen
Einschnitten in einigen Euroländern eine Vergleichbarkeit gegeben?

29. Welche Maßnahmen zur Ausgestaltung der „Investitions- und Innovations-
politik“ strebt die Bundesregierung an (bitte einzeln aufführen)?

30. Welche Effekte auf die Investitionsquote und welche Wachstumseffekt er-
wartet die Bundesregierung für die einzelnen Maßnahmen (bitte einzeln
aufführen)?

31. Von welchen „besseren Rahmenbedingungen für private Investitionen in
Deutschland“ (Nationales Reformprogramm 2014, Rn. 4, Bundestagsdruck-
sache 18/1107) ist konkret die Rede vor dem Hintergrund, dass die Bun-
desregierung gleichzeitig feststellt „angebotsseitige Hemmnisse bei der
Unternehmensfinanzierung, die die schwache Investitionstätigkeit der Un-
ternehmen erklären würden, sind dagegen nicht erkennbar“ (Rn. 40, ebd.)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1204

32. Plant die Bundesregierung bessere Abschreibungsmöglichkeiten, um die
Investitionstätigkeit zu erhöhen, und wenn ja, welche?

33. Plant die Bundesregierung Steuersenkungen, um die Investitionstätigkeit zu
erhöhen, und wenn ja, welche?

34. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Europäischen Kommission,
dass „die anhaltende Schwäche der Unternehmensinvestitionen in den letz-
ten Jahren […] nicht zu den ausgesprochen günstigen Rahmenbedingungen,
wie den gesunden Unternehmensbilanzen, sehr niedrigen Zinsen und der
besseren Konjunkturlage passt“ („Makroökonomische Ungleichgewichte –
Deutschland 2014“, deutsche Version; S.10)?
Wenn nein, warum nicht?

35. Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen der Steuersenkungen
Anfang der 2000er-Jahre auf die private Investitionstätigkeit ein?
Auf welche Höhe beläuft sich die Summe der Steuerentlastungen für Unter-
nehmen seit dem Jahr 2000?

36. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Europäischen Kommission
(„Makroökonomische Ungleichgewichte – Deutschland 2014“, deutsche
Version; S. 64 ff.), dass diese Steuererleichterungen nicht zu höheren Inves-
titionen geführt haben?
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

37. Mit welchen Indikatoren misst die Bundesregierung die Wettbewerbsfähig-
keit?
Wie haben sich die Indikatoren seit dem Jahr 2000 entwickelt?

38. Hält die Bundesregierung die Aussage, dass die preisliche Wettbewerbs-
fähigkeit als Erklärung für das Anwachsen der deutschen Handelsbilanz nur
eine untergeordnete Rolle spielt (Nationales Reformprogramm 2014, Rn. 26,
Bundestagsdrucksache 18/1107) für alle Gütergruppen gleichermaßen ge-
geben?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, für welche nicht?

39. Welche Ursachen hat laut Ansicht der Bundesregierung der überdurch-
schnittliche Anstieg von ca. 143 Prozent der Ausfuhren in der SITC-Kate-
gorie (SITC = Standard International Trade Classification) „Nahrungsmittel/
lebende Tiere“ zwischen den Jahren 2000 und 2013, wenn die preisliche
Wettbewerbsfähigkeit laut Meinung der Bundesregierung nur eine unterge-
ordnete Rolle für das Anwachsen der deutschen Handelsbilanz hat (Natio-
nales Reformprogramm 2014, Rn. 26, Bundestagsdrucksache 18/1107)?

40. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung vor dem Hintergrund,
dass mittlerweile der Euroraum insgesamt Leistungsbilanzüberschüsse
erzielt, auf den Wechselkurs des Euros, die Wirtschaftsentwicklung, ins-
besondere den Außenhandel, für Deutschland und die anderen Euroländer
(bitte begründen)?

Berlin, den 16. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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