BT-Drucksache 18/1193

Zur aktuellen Lage der Menschenrechte in Kasachstan

Vom 11. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1193
18. Wahlperiode 11.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Omid Nouripour, Tom Koenigs, Luise Amtsberg,
Kordula Schulz-Asche, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Dr. Tobias Lindner,
Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Jürgen Trittin, Doris Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur aktuellen Lage der Menschenrechte in Kasachstan

Die menschenrechtliche Situation in Kasachstan verschlechtert sich zunehmend.
Große Einschränkungen sind unter anderem beim Recht auf freie Meinungsäu-
ßerung, Versammlungsfreiheit und Religionsfreiheit auszumachen. Aktuelle Be-
strebungen der kasachischen Regierung, neue Rechtsreformen zu verankern,
könnten weitere Einschnitte der Grundfreiheiten nach sich ziehen. Es sind ver-
schiedene Fälle bekannt, in denen Regierungskritikerinnen bzw. Regierungskri-
tiker zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, mit einer Zwangseinweisung in die
Psychiatrie bestraft oder unter psychiatrische Beobachtung gestellt wurden. Das
kasachische Versammlungsgesetz schränkt die Versammlungsfreiheit in erheb-
lichem Maße ein; alle Versammlungen müssen mindestens zehn Tage im Vor-
hinein genehmigt werden und für die Durchführung von nichtgenehmigten Ver-
anstaltungen sind im Strafgesetzbuch unverhältnismäßig hohe Geldbußen und
Haftstrafen von bis zu einem Jahr Freiheitsentzug festgelegt. Seit dem Jahr 2012
können sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen mit der Begründung der
„Anstiftung zu sozialem Unfrieden“ schuldig gesprochen werden. Dies ent-
spricht nicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
Im Dezember 2011 kam es in der Stadt Shanaosen zu gewalttätigen Ausschrei-
tungen zwischen streikenden Ölarbeiterinnen bzw. Ölarbeiter und der Polizei,
bei der die Polizei mit scharfer Munition auf Demonstrierende schoss und zwölf
Menschen tötete. Im Anschluss daran wurden 34 Angeklagte (mutmaßliche Or-
ganisatoren oder an den Ausschreitungen Beteiligte) schuldig gesprochen und
zu Haftstrafen von bis zu sieben Jahren verurteilt. Menschenrechtsorganisatio-
nen geben an, dass die Aussagen der Angeklagten jedoch unter Folter oder an-
derweitigen Misshandlungen seitens der Sicherheitskräfte erpresst wurden. Die
staatlichen Behörden lehnten die strafrechtliche Ermittlung der Beschuldigun-
gen von Folter und Misshandlung ab (Amnesty International, Bericht 2013).
Kasachstan befindet sich laut des Weltpressefreiheitsindex 2014 von „Reporter
ohne Grenzen“ auf Platz 161 von 179, 85 Prozent der kasachischen Medienland-
schaft sind zwar nicht unmittelbar staatlich, befinden sich jedoch in staatsnaher
Hand. Bereits seit dem Jahr 2012 sind Einschränkungen der Medienfreiheit zu
verzeichnen, jedoch werden insbesondere unabhängige und oppositionelle
Medien zunehmend stärker von der Regierung kontrolliert. Die Zeitungen
„Vzglyad“, „Golos Respubliki“ und „Assandi-Times“ sowie die Fernsehsender
„Stan“ und „K+“ wurden verboten und mehrere Webseiten werden von der Re-

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gierung blockiert. Im Jahr 2013 wurden weitere Zeitungen aufgrund technischer
Verstöße bis zu drei Monate lang suspendiert. Des Weiteren wird wiederholt von
Übergriffen auf Journalisten und Blogger berichtet, die sich zuvor kritisch über
Machtmissbrauch und Korruption von regionalen Funktionären geäußert haben.
Bereits seit dem Jahr 2005 ist die Religionsfreiheit ebenfalls großen Einschrän-
kungen unterworfen; die Religionsausübung hängt von der offiziellen Registrie-
rung einer Religionsgemeinschaft ab, nichtregistrierte Religionsgemeinschaften
drohen Geld- und Haftstrafen, Ausweisung, Konfiszierung und das Verbot der
Religionsausübung. Seit dem Jahr 2011 hat sich die Situation nach der Verab-
schiedung eines restriktiven Gesetzes zur Religionsausübung verschärft. Das
Religionsrecht wird vor dem Hintergrund von so bezeichneten „religiös moti-
vierten Gewalttaten“ strenger gefasst, was beispielsweise zur Zensur von reli-
giösem Schriftgut aus dem Ausland führt. Viele kleinere religiöse Gemeinschaf-
ten konnten sich nicht mehr registrieren lassen, da sie den Anforderungen des
neuen Gesetzes nicht genügten. Im Jahr 2013 wurden Änderungen im Anti-Ter-
rorismus-Gesetz aufgenommen, die der Regierung in der Folge die umfassende
Kontrolle religiöser Aktivitäten erlaubt (Human Rights Watch, Bericht 2014).
Zwar hat Kasachstan das Zusatzprotokoll zur Anti-Folter-Konvention ratifiziert,
im Juli 2013 eine entsprechende rechtliche Grundlage verabschiedet und koope-
riert insgesamt besser mit internationalen Akteuren, wie beispielsweise dem
UN-Sonderberichterstatter, dennoch bestehen nach wie vor Probleme mit Fällen
von Menschenrechtsverletzungen durch Folter. Allein im ersten Halbjahr 2013
berichtete die kasachische zivilgesellschaftliche Organisation „Anti-Folter-
Koalition“ von 201 Beschwerden über Folter und andauernde Gewalt im Poli-
zeigewahrsam sowie der gerichtlichen Verwendung von Geständnissen, die
unter Folter erzielt wurden.
Am 11. Februar 2014 erfolgte die Abwertung der kasachischen Währung Tenge
gegenüber dem US-Dollar um 19 Prozent. Daraufhin kam es zu Demonstra-
tionen in den Städten Almaty, Uralsk und Astana. Die Kundgebungen waren im
Vorhinein nicht genehmigt worden und wurden nach kurzer Zeit von der Polizei
aufgelöst.
Die letzte Überprüfung von Kasachstan durch den UN-Menschenrechtsrat im
Rahmen des Universal Periodic Review fand im Jahr 2010 statt, die nächste ist
für Oktober und November 2014 geplant.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung insgesamt die aktuelle Lage der Men-

schenrechte in Kasachstan?
2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Lage der Menschen-

rechte in Kasachstan, insbesondere
a) über Verstöße gegen das Recht auf Pressefreiheit,
b) das Recht auf freie Meinungsäußerung,
c) das Recht auf Versammlungsfreiheit und
d) die Religionsfreiheit?

3. Inwiefern steht die menschenrechtliche Lage Kasachstans auf der Agenda der
Bundesregierung?
Wenn ja, welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt die Bundesregierung in die-
sem Zusammenhang?

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4. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um Verstöße
gegen das Recht auf Pressefreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung,
das Recht auf Versammlungsfreiheit und Religionsfreiheit in Kasachstan zu
verhindern?

5. Ist
a) die politische und
b) die strafrechtliche Aufarbeitung
der tödlichen Schüsse auf die streikenden Ölarbeiter am 16. Dezember 2011
in Shanaosen durch die kasachischen Autoritäten nach Kenntnis der Bun-
desregierung mittlerweile abgeschlossen?

6. Genügt die unternommene Aufarbeitung nach Kenntnis der Bundesregie-
rung rechtsstaatlichen Grundsätzen?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung den EU-Menschenrechtsdialog mit Ka-
sachstan, und welche Themen werden in dessen Rahmen insbesondere be-
sprochen?
Welche Rolle nimmt hierbei die Bundesregierung ein?

8. Welche Mechanismen stehen der Bundesregierung zur Verfügung, um die
Wirksamkeit des EU-Menschenrechtsdialogs zu evaluieren?

9. Werden auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Akteure in den EU-
Menschenrechtsdialog mit Kasachstan einbezogen?
Wenn ja, in welcher Weise?
Steht die Bundesregierung zu diesen Organisationen in regelmäßigem Kon-
takt?

10. Wie sehen derzeit die konkreten zeitlichen und inhaltlichen Zielvereinba-
rungen im Menschenrechtsdialog der Europäischen Union mit Kasachstan
aus?

11. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung in Bezug auf
Kasachstan aus der Rechtsstaatsinitiative der Europäischen Union für Zen-
tralasien, deren Koordination Deutschland im Jahr 2007 gemeinsam mit
Frankreich übernommen hat?

12. Welche Maßnahmen hat Deutschland im Rahmen der EU-Rechtsstaatsini-
tiative in Kasachstan ergriffen, und mit welchem Erfolg?

13. Was sind bestehende Herausforderungen im Rahmen der EU-Rechtsstaats-
initiative in Kasachstan, und welche konkreten Maßnahmen schlägt die
Bundesregierung vor, um diese anzugehen?

14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Zusammen-
arbeit mit der EU-Sonderbeauftragten für Zentralasien seit dem Jahr 2012?

15. Welchen Handlungsbedarf für den Menschenrechtsschutz in Kasachstan
zieht die Bundesregierung aus der Zusammenarbeit mit der EU-Sonderbe-
auftragten für Zentralasien?

16. Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Verhandlungen
zu einem erweiterten Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA)
der Europäischen Union mit Kasachstan, und wie schätzt sie die Realisie-
rungschancen ein?

17. Welche Rolle nimmt die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen
zu einem erweiterten PKA mit Kasachstan ein?

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18. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die Hal-
tung des Europäischen Parlaments (Resolutionen vom November 2012 und
April 2013), dass verstärkte EU-Kasachstan-Beziehungen mit Verbesserun-
gen im Bereich der Menschenrechte einhergehen sollten, praktisch umzu-
setzen?

19. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Umsetzung der
von ihr im Rahmen des jüngsten universellen Staatenüberprüfungsverfah-
rens im Jahr 2010 ausgesprochenen Empfehlungen an Kasachstan?

20. Welche Schritte hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2010 unternommen,
um die Umsetzung der Empfehlungen des Menschenrechtsrates an die ka-
sachische Regierung mit zu verfolgen?

21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Fälle von Zinaida M.,
Aleksander K. und Bakhutzan K. und weitere Fälle von Zwangseinweisun-
gen in Psychiatrien (bitte gesondert auf die Fälle eingehen)?

22. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verlegung des
schwerkranken Häftlings Muchtar D., ehemals Vorsitzender des nationalen
Atomenergieunternehmens Kazatomprom, ins Gefängnis Dolinka und
seinen Gesundheitszustand (Amnesty International „Kazakhstan: No
Effective Safeguards Against Torture“, Bericht 2010; Human Rights Watch,
Bericht 2014)?
Ist es der Bundesregierung möglich, eine unabhängige Gesundheitsexper-
tise und eine Behandlung durch ausländische Ärzte für Muchtar D. zu be-
antragen?

23. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Prozess gegen den
ehemaligen kasachischen Spitzenfunktionär Mukhtar A. in Frankreich
(SPIEGEL ONLINE, 9. Januar 2014), und wie beurteilt sie die drohende
Überstellung von Mukhtar A. nach Russland oder in die Ukraine, von wo
aus er an Kasachstan ausgeliefert würde, wo ihm nach Ansicht von Interna-
tional Partnership for Human Rights ein unfaires Verfahren und weitere
Menschenrechtsverletzungen (einschließlich Folter) drohen (IPHR Briefing
Paper for EU-Kazakhstan Human Rights Dialogue, März 2014)?

24. Hält die Bundesregierung den neuen Entwurf der kasachischen Regierung
für das Strafgesetzbuch in Bezug auf Gewerkschaften und Arbeitnehmerin-
nen- und Arbeitnehmerrechte für voll vereinbar mit Kasachstans Verpflich-
tungen im Rahmen des Internationalen Rechts?

25. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Verbot der Zeitungen
„Vzglyad“, „Golos Respubliki“ und „Assandi-Times“?

26. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Verbot der Fernseh-
sender „Stan“ und „K+“?

27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den neuen Vor-
schriften der kasachischen Regierung bezüglich der medialen Berichterstat-
tung im Falle eines Notstandes vom 2. April 2014?

28. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Inhaftierung von
Vladimir K. und dem Vorsitzenden der Oppositionspartei „Algha“ in Spa-
nien?

29. Unterstützt die Bundesregierung die Aufforderung des UN-Sonderbericht-
erstatters über Folter, Juan Ernesto Méndez, Vladimir K. nicht nach Kasach-
stan zu überstellen, wo glaubwürdige Informationen darauf hindeuten, dass
ihm nach seiner Rückkehr nach Kasachstan Folter droht (United Nations
High Commissioner for Human Rights, Pressemitteilung, 10. Januar 2014)?

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Falls ja, in welcher Form unterstützt sie diese Aufforderung?
Falls nein, mit welcher Begründung unterstützt sie diese Aufforderung
nicht?

30. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Fälle der an den Pro-
testen in Shanaosen beteiligten Ölarbeiterinnen bzw. Ölarbeiter und Ge-
werkschafterinnen bzw. Gewerkschafter Rosa T. und Maksat D.?

31. Wo sieht die Bundesregierung im Allgemeinen Handlungsbedarf im Men-
schenrechtsschutz in Kasachstan, und welche Schritte plant die Bundes-
regierung im Speziellen in Bezug auf die erwähnten Fälle einzuleiten?

32. Was unternimmt die Bundesregierung, um den bedrohten und verfolgten
Akteuren aus der kasachischen Zivilgesellschaft Hilfe zu leisten?

33. Welche Erklärung hat die Bundesregierung für die Abwertung der nationa-
len Währung Tenge am 11. Februar 2014 in Höhe von 19 Prozent, und wel-
che Auswirkungen hat dies nach Auffassung der Bundesregierung für die
einkommensschwachen Gruppen der Bevölkerung?

34. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die jüngsten Demonstra-
tionen, die sich als Reaktion auf die Entwertung der Nationalwährung am
15. und 26. Februar 2014 in mehreren kasachischen Städten ereigneten?

35. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über Inhaftierungen und
Bestrafungen von Demonstrierenden vor, die im Anschluss an die Proteste
vom Februar 2014 veranlasst wurden?

36. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der WTO-Beitritts-
verhandlungen Kasachstans (WTO = World Trade Organization), und in-
wiefern werden Menschenrechtsaspekte dabei berücksichtigt?

37. Welche bi- und polylateralen Wirtschaftsabkommen hat Kasachstan nach
Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 2010 verhandelt und unter-
zeichnet, und inwiefern werden Menschrechtsaspekte dabei berücksichtigt?

38. Welche Empfehlungen an die kasachische Regierung plant die Bundesre-
gierung im Rahmen des kommenden Universal Periodic Review-Verfah-
rens abzugeben?

Berlin, den 11. April 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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