BT-Drucksache 18/11876

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz - Umsetzung und Folgen

Vom 29. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11876
18. Wahlperiode 29.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Thomas Gambke, Dieter Janecek,
Nicole Maisch, Brigitte Pothmer, Corinna Rüffer, Katja Dörner,
Sven-Christian Kindler, Steffi Lemke, Dr. Tobias Lindner,
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz – Umsetzung und Folgen

Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz hat die Bundesregierung einen Paradig-
menwechsel in der betrieblichen Altersversorgung (bAV) eingeleitet: Durch den
Wegfall garantierter Mindesthöhen oder fester Leistungszusagen werden die Be-
triebsrenten künftig allein von der Entwicklung des Kapitalmarktes abhängen.
Auch ein Absinken der Renten während der Bezugsphase ist anders als heute in
Zukunft möglich (Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf
die Schriftliche Frage 44 des Abgeordneten Markus Kurth vom 6. Februar 2017
auf Bundestagsdrucksache 18/11119).
Dem Verlust an Sicherheit zuungunsten vieler Betriebsrentnerinnen und Betriebs-
rentner steht die Hoffnung der Bundesregierung gegenüber, mit der Einführung
der reinen Beitragszusage und weiteren Maßnahmen eine größere Verbreitung
der bAV zu erreichen. Dabei sind besonders Geringverdienerinnen und Gering-
verdiener sowie Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im
Fokus. Diese sorgen heute nur selten betrieblich für den Ruhestand vor. Ob die
geplanten Maßnahmen, die zum größeren Teil entsprechende Tarifverträge vo-
raussetzen, gerade KMU erreichen können, ist angesichts der geringen Tarifbin-
dung von kleineren Unternehmen allerdings zweifelhaft (vgl. Dirk Kiesewetter et
al. 2016: Entwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes – Was lange währt, wird
endlich gut?, in: Betriebliche Altersversorgung 8/2016). Von der reinen Beitrags-
zusage werden entgegen der Aufgabenstellung des Betriebsrentenstärkungsgeset-
zes mutmaßlich nach Ansicht der Fragesteller vor allem größere Unternehmen
profitieren.
Der Gesetzentwurf geht darüber hinaus mit einer Reihe von Subventionstatbe-
ständen einher. So ist etwa eine Weitergabe der vonseiten der Arbeitgeberinnen
und Arbeitgeber eingesparten Sozialversicherungsbeiträge bei Entgeltumwand-
lung nur im Falle von tarifvertraglichen Regelungen vorgesehen. Eine allgemeine
Verpflichtung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, ihre Beschäftigten beim
Aufbau von Betriebsrentenansprüchen finanziell zu unterstützen, besteht indes
nicht. Die Einführung von Grundsicherungsfreibeträgen bei der zusätzlichen Al-
tersvorsorge ist zudem aus systematischen Gründen und aufgrund der Ungleich-
behandlung gegenüber Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung
problematisch.

Drucksache 18/11876 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchem Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung und ins-
besondere der neuen Form der Betriebsrente nach dem Betriebsrentenstär-
kungsgesetz rechnet die Bundesregierung in den kommenden Jahren in klei-
nen und mittleren Unternehmen (ggf. bitte nach Betriebsgrößenklassen auf-
schlüsseln), und welche Annahmen liegen den Prognosen zugrunde?

2. Inwieweit ginge nach Auffassung der Bundesregierung „die Reform […] ge-
rade an der Gruppe von Arbeitgebern vorbei, die bislang aufgrund von Haf-
tungsrisiken keine bAV anbieten wollen“ (Dirk Kiesewetter et al. 2016: Ent-
wurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes – Was lange währt, wird endlich
gut?, in: Betriebliche Altersversorgung 8/2016, Seite 650), insofern sich die
Tarifparteien nicht hinreichend oft dazu entscheiden, die im Sinne des Be-
triebsrentenstärkungsgesetzes strukturierten Versorgungseinrichtungen auch
für nicht tarifgebundene und überdurchschnittlich häufig nicht an der bAV
partizipierende Arbeitgeber zu öffnen?

3. Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung denkbar,
„wenn sich zeigt, dass durch die freiwillige zusätzliche Altersvorsorge eine
ausreichende Verbreitung nicht erreicht wurde“ (Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Ge-
setze auf Bundestagsdrucksache 18/11286 vom 22. Februar 2017, Seite 39)?

4. Welchen Grad der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge definiert die
Bundesregierung als nicht „ausreichend“ im Sinne des Betriebsrentenstär-
kungsgesetzes, und welche Kriterien liegen dieser Bewertung zugrunde?

5. Plant die Bundesregierung, Regelungen zu schaffen, die Allgemeinverbind-
licherklärungen von Tarifverträgen vereinfachen?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind vorgesehen?
Wenn nein, warum nicht?

6. Inwiefern erwartet die Bundesregierung im Falle einer nicht ausreichenden
Verbreitung der bAV infolge des Betriebsrentenstärkungsgesetzes, dass mit
einem gesetzlich obligatorischen Betriebsrentensystem oder mit einem für
alle Arbeitgeber verpflichtenden gesetzlichen Options- beziehungsweise Op-
ting-Out-System eine höhere bAV-Teilnahmequote zu erreichen ist (Entwurf
eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Än-
derung anderer Gesetze auf Bundestagsdrucksache 18/11286 vom 22. Feb-
ruar 2017, Seite 1)?

7. Inwieweit besteht nach Einschätzung der Bundesregierung die Gefahr, dass
durch die Neuregelungen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes – insbeson-
dere durch die Ermöglichung der reinen Beitragszusage – bestehende Be-
triebsrentensysteme beschädigt werden könnten, indem die reine Beitragszu-
sage auch in denjenigen tarifgebundenen Unternehmen zunehmend zur Re-
gel wird, in denen bislang üblicherweise zumindest Betriebsrentenangebote
mit Mindestleistungen bestehen (vgl. u. a. die ver.di-Stellungnahme zum Re-
ferentenentwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes, 4. November 2016,
S. 5 ff.)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11876
8. Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung dafür, die
Ermöglichung einer reinen Beitragszusage und damit den Verzicht auf Min-
destleistungen auch auf diejenigen größeren Unternehmen auszudehnen, in
denen bereits überdurchschnittlich häufig Betriebsrenten mit Leistungszusa-
gen angeboten werden, warum verzichtet die Bundesregierung mit dem Be-
triebsrentenstärkungsgesetz auf eine rechtlich zulässige Beschränkung der
Ermöglichung einer reinen Beitragszusage auf KMU (Sachstand der Wissen-
schaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WD 6 – 3000 – 140/15),
und warum verzichtet die Bundesregierung somit auf eine zielgenaue Rege-
lung, die gerade den mit dem Gesetzentwurf adressierten Unternehmen ein
Betriebsrentenangebot erleichtert?

9. Aus welchen Gründen sieht der Gesetzentwurf lediglich eine Verordnungs-
ermächtigung für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie das
Bundesministerium der Finanzen vor, um „Mindestanforderungen an die
Verwendung der Beiträge“ festzulegen (§ 25 des Gesetzentwurfs), und wa-
rum verzichtet die Bundesregierung damit auf die parlamentarische Kon-
trolle bei der Festlegung dieser alterssicherungspolitisch entscheidenden An-
forderungen im Rahmen einer gesetzlichen Regelung?

10. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um zu vermeiden,
dass es bei Inanspruchnahme der im Betriebsrentenstärkungsgesetz vorgese-
henen sogenannten Zielrente während der Auszahlungsphase zu Kürzungen
der Leistungen kommen kann, und inwiefern sind diese Maßnahmen, insbe-
sondere der im Betriebsrentenstärkungsgesetz vorgesehene und tarifvertrag-
lich zu vereinbarende Sicherungsbeitrag, in der Lage, diesen Fall auszu-
schließen (vgl. Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf
die Schriftliche Frage 44 des Abgeordneten Markus Kurth vom 6. Februar
2017 auf Bundestagsdrucksache 18/11119)?

11. Plant die Bundesregierung die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber künftig zu
einem Sicherungsbeitrag zu verpflichten, insofern die bislang im Gesetzent-
wurf vorgesehene Soll-Regelung (§ 23 Absatz 1 des Betriebsrentengesetzes-
Entwurf – BetrAVG-E) in der betrieblichen Praxis unzureichend Anwen-
dung findet?
Wenn ja, welchen Umfang der Anwendung erachtet die Bundesregierung als
nicht hinreichend, sodass eine obligatorische Regelung notwendig wird?
Wenn nein, warum nicht?

12. Welches Ergebnis hat die Prüfung der Bundesregierung nach sich gezogen,
ob und wie durch eine Verschiebung der bisher im Versicherungsaufsichts-
gesetz vorgesehenen Regelung in das Betriebsrentengesetz auch ausländi-
sche Anbieterinnen und Anbieter rechtssicher einbezogen werden können,
und inwiefern wird das Ergebnis der Prüfung in das Gesetzgebungsverfahren
einbezogen, um mögliche Wettbewerbsvorteile von Versorgungsträgern aus
der Europäischen Union gegenüber deutschen Einrichtungen zu vermeiden,
die sich aus der Partizipation von ausländischen Versorgungsträgern an der
neuen Form der Betriebsrente und dem nur einseitig einschlägigen Garantie-
verbot ergeben (vgl. Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-
les auf die Schriftliche Frage 44 des Abgeordneten Markus Kurth vom
6. Februar 2017 auf Bundestagsdrucksache 18/11119)?

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13. Welcher „sachliche Grund“ spricht nach Auffassung der Bundesregierung

für den Fortbestand der Regelungen im Rahmen des bestehenden Betriebs-
rentensystems, nach denen „Arbeitgeber vom Sparverhalten ihrer Arbeitneh-
mer profitieren und bei einer Entgeltumwandlung den Arbeitgeberanteil an
den eingesparten Sozialversicherungsbeiträgen behalten können“ (Entwurf
eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Än-
derung anderer Gesetze auf Bundestagsdrucksache 18/11286 22. Februar
2017, Seite 44)?

14. Inwiefern kann die Bundesregierung bestätigen, dass eine Ausweitung der
steuerlichen Freibetragsregelungen, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, Be-
zieherinnen und Beziehern geringer Einkommen prinzipiell weniger zugute-
kommt als Höherverdienenden?

15. Welche Beweggründe lagen der Entscheidung der Bundesregierung zu-
grunde, mit dem im Gesetzentwurf vorgesehenen Freibetrag bei der Anrech-
nung von Leistungen aus zusätzlicher Altersvorsorge auf die Grundsicherung
im Alter einen sozialpolitisch systematisch neuen Weg zu gehen, und warum
kommt diese Regelung im Kontext der gesetzlichen Rentenversicherung
nicht zur Anwendung?

16. Wie häufig sorgen nach Kenntnis der Bundesregierung Beschäftigte einer
Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) über eine Betriebsrente oder
über eine Form der privaten Altersvorsorge zusätzlich vor, und inwiefern
können vor diesem Hintergrund ehemals in einer Werkstatt beschäftigte Be-
zieherinnen und Bezieher faktisch von einem Freibetrag in der Grundsiche-
rung im Alter profitieren?

17. Wie ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit, „auch Rentenzah-
lungen, die auf Zeiten einer freiwilligen Versicherung nach § 7 oder Zeiten
einer Versicherungspflicht auf Antrag nach § 4 des Sechsten Buches beru-
hen“ von der Freibetragsregelung bei der Grundsicherung im Alter zu erfas-
sen, mit dem Gesamtkonzept zur Alterssicherung des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales zu vereinbaren, wonach künftig alle nicht anderwei-
tig abgesicherten Selbständigen versicherungspflichtig in der gesetzlichen
Rentenversicherung werden sollen, und was würde bei einer solchen Versi-
cherungspflicht mit den Beiträgen, die auf freiwilliger Basis geleistet wur-
den, geschehen?

18. Fallen auch Zahlungen zum Ausgleich von Abschlägen, die durch das soge-
nannte Flexirentengesetz nun bereits ab dem 50. Lebensjahr möglich sind,
unter die Freibetragsregelung bei der Grundsicherung im Alter, weil sie eben
trotz Versicherungspflicht auf freiwilliger Basis geleistet werden, und falls
nicht, wie erklärt die Bundesregierung diese Ungleichbehandlung gegenüber
anderen freiwilligen Beitragszahlungen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11876

19. Wird die Bundesregierung Schritte unternehmen, um eine Reduzierung der

hundertprozentigen Beitragslast zur Krankenversicherung für Betriebsrenten
auch außerhalb betrieblicher Riester-Renten zu erreichen?

Wenn ja, welche Schritte sind geplant?
Wenn nein, welche anderen Maßnahmen sieht die Bundesregierung vor, um
eine Entlastung der betroffenen Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner si-
cherzustellen?
Wie kann dabei aus Sicht der Bundesregierung gewährleistet werden, dass
diese Entlastung nicht zu Lasten der anderen Beitragszahlerinnen und Bei-
tragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt?

Berlin, den 28. März 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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