BT-Drucksache 18/11724

Tierversuche beenden

Vom 28. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11724
18. Wahlperiode 28.03.2017
Antrag
der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Herbert
Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Roland Claus, Susanna Karawanskij,
Kerstin Kassner, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Dr. Gesine Lötzsch, Michael
Leutert, Thomas Lutze, Dr. Kirsten Tackmann, Hubertus Zdebel und der
Fraktion DIE LINKE.

Tierversuche beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Richtlinie 2010/63/EU schuf die Europäische Union im Jahr 2010 ein Instru-
ment, welches den Mitgliedstaaten ermöglicht, wirksame Einschränkungen bei Tier-
versuchen gesetzlich festzulegen. Die Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten ebenso
dazu auf, Tierversuche durch Alternativen zu ersetzen und zukünftig komplett darauf
zu verzichten. Einen Zeitraum oder Rahmenplan, in dem dieser Prozess stattfinden
soll, legt die EU jedoch nicht fest. Im Rahmen der Tierschutznovelle aus dem Jahr
2013 passte Deutschland das Tierschutzgesetz hinsichtlich Brüsseler Vorgaben zu
Tierversuchen an. Ebenso sieht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
aus dem Jahr 2013 eine verstärkte Erforschung von Ersatzmethoden zum Tierversuch
vor (vgl. Koalitionsvertrag S. 123). Darüber hinaus betonte Bundeslandwirtschaftsmi-
nister Christian Schmidt bei der Eröffnung des Deutschen Zentrums zum Schutz von
Versuchstieren am 25. September 2015, dass es das langfristige Ziel sei, Tierversuche
zukünftig komplett zu ersetzen und kurzfristig Alternativmethoden stärker zu fördern
(vgl. www.bmel.de). In der Beantwortung der Kleinen Anfrage auf Drucksachennum-
mer 18/10778 betont die Bundesregierung abermals, möglichst viele Tierversuche
durch alternative Methoden ersetzen zu wollen. Bisher gibt es jedoch weder einen kon-
kreten Zeit- noch einen geeigneten Maßnahmenplan, der ein gezieltes Ausstiegsszena-
rio oder die strukturierte Förderung alternativer Methoden mit dem Ziel des Verzichts
von Tierversuchen in Deutschland zur Folge hat.
Die Richtlinie 2010/63/EU formuliert in diesem Zusammenhang nicht nur den Rah-
men, der einen Ausstieg möglich macht, sondern skizziert zugleich die gesellschaftli-
che Weiterentwicklung im Bereich der Tierversuche und des Tierschutzes allgemein.
Mit der Richtlinie 2010/63/EU haben sich die Mitgliedstaaten darauf verständigt, Ver-
suche mit lebenden Tieren für wissenschaftliche Zwecke vollständig zu ersetzen, so-
bald dies möglich ist. Will Deutschland seiner Vorbildfunktion in Sachen Tierschutz
nachkommen, muss die Bundesregierung auch bereit sein, eine entsprechende Rolle
als Vorreiter bei der tierversuchsfreien Forschung zu übernehmen.

Drucksache 18/11724 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Als erstes EU-Land haben die Niederlande eine Planung zum Abbau der Tierversuche
vorgelegt. Danach ist der Ausstieg aus dem Tierversuch in den Bereichen regulatori-
sche Tests und Chargenprüfungen möglich. Die Niederlande wollen zudem bis zum
Jahr 2025 eine weltweite Spitzenposition für tierversuchsfreie Verfahren in diesen Be-
reichen einnehmen. Die Initiative der Niederlande in dieser Form ist einzigartig und
zukunftsweisend. Die Förderung tierfreier Laborinnovationen ist nicht nur aus Per-
spektive des Tierschutzes ein Fortschritt, sie beinhaltet auch großes wissenschaftliches
und wirtschaftliches Potenzial. Oftmals versagen Medikamente beim Menschen, ob-
wohl diese zuvor erfolgreich an Tieren getestet wurden. Es ist daher essenziell, die
Weiterentwicklung neuer Ansätze voranzutreiben, um die Möglichkeiten zur Erfor-
schung menschlicher Erkrankungen weiter zu verbessern.
Mit der Veröffentlichung der Tierversuchszahlen für das Jahr 2015 konnte auch dies-
mal keine Entwicklung festgestellt werden, der effektive Maßnahmen zur deutlichen
Reduzierung wissenschaftlicher Tierversuche vorangegangen wären. In den letzten
Jahren stagnierten die Zahlen zwischen 2,7 und 3 Millionen zu Versuchszwecken ver-
wendeter Tiere. Vergleicht man die Zahlen des Jahres 2013 mit denen des Jahres 2000,
ist festzustellen, dass im Jahr 2013 gut eine Million mehr Tiere für Versuchszwecke
verwendet wurden als noch 13 Jahre zuvor (vgl. www.bmel.de). Die derzeitigen För-
dermittel und Anreize reichen bei weitem nicht aus, um Maßnahmen im Sinne des 3R-
Prinzips voranzutreiben, die den Ersatz oder die Reduzierung von Tierversuchen als
Ziel haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Übergang von der tierexperimentellen zur tiergebrauchsfreien Forschung zu
unterstützen sowie ein Konzept zu entwickeln, welches als Ziel den Verzicht auf
Versuchstiere für die wissenschaftliche Forschung bei gleichzeitigem Ausbau der
Förderstrukturen für alternative Methoden vorsieht und darüber hinaus folgende
Punkte beinhaltet:
a) die Umverteilung von Forschungsmitteln zugunsten der Weiter- und Neu-

entwicklung tierversuchsfreier Methoden sowie zur institutionellen Stär-
kung der ZEBET (Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz-
und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch) sowie des ECVAM (Europäi-
sches Zentrum zur Validierung alternativer Methoden);

b) die stärkere Förderung von ersetzenden Verfahren (Replacement) sowie spe-
zieller Förderprogramme zur Erzielung serienreifer tierverbrauchsfreier
Technologien;

c) die Ausweitung von Lehre und Forschung einer tierverbrauchsfreien Wis-
senschaft in Form von tierversuchsfreien Studiengängen in den Lebenswis-
senschaften, verbunden mit der Einrichtung von Lehrstühlen und Professu-
ren für tierverbrauchsfreie Verfahren;

d) die Einführung klarer Verbotsregeln zur Reduktion der Tierversuche, wie
ein Verbot der Patentierung von Tieren oder ein Tierversuchsverbot für
Haushaltsprodukte und deren Inhaltsstoffe;

e) die Einführung von Kontrollmaßnahmen, die eine Zunahme tierverbrauchs-
freier Verfahren sowie die Abnahme aller durchgeführten Tierversuche do-
kumentieren;

f) die nachträgliche Bewertung aller durchgeführten Tierversuche und Veröf-
fentlichung der Daten in Verbindung mit der Einführung eines zentralen Re-
gisters, in dem sämtliche Tierversuche aus der Grundlagen- und angewand-
ten Forschung sowie aus den Bereichen Stoffprüfung und Lehre erfasst wer-
den;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11724

g) die Grundlagenforschung soll aufgefordert werden, geordnet nach For-
schungsschwerpunkten anzugeben, welche Ziele in Bezug auf die Vermei-
dung von Tierversuchen sie konkret in den nächsten fünf bis zehn Jahren, in
welchem Umfang und zu welchen Fragestellungen sie sich an der Entwick-
lung von Ersatzmethoden (Replacement) beteiligen und anschließend regel-
mäßig über ihre Fortschritte berichten will;

2. sich auf EU-Ebene für die Abschaffung des Artikels 55 der Richtlinie
2010/63/EU einzusetzen, um Ausnahmen auszuschließen, die einer funktionie-
renden Schmerz-Leidens-Obergrenze entgegenwirken;

3. die Erarbeitung eines Handbuchs zur ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen
nach einheitlichen Kriterien bei der Zulassung von Tierversuchen einzuleiten und
sich aktiv daran zu beteiligen;

4. dafür zu sorgen, dass Tierversuche in Aus-, Fort- und Weiterbildung zukünftig
der Genehmigungspflicht unterliegen;

5. eine unabhängige Schaden-Nutzen-Analyse durch die zuständige Genehmi-
gungsbehörde einzuführen, bei der der erwartete wissenschaftliche Nutzen sowie
das Vorhandensein von Ersatz- oder tierschonenderen Methoden zu prüfen sind;

6. einen Gesetzesentwurf vorzulegen, durch den
a) Tierversuche, die mit schweren und voraussichtlich lang anhaltenden

Schmerzen und Leiden verbunden sind, verboten werden,
b) Versuche an Menschenaffen verboten werden,
c) das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereine, -verbände und

-stiftungen und damit einhergehend das Recht einer Anfechtungsklage ge-
gen Tierversuche eingeführt wird;

7. ein nationales Kompetenzzentrum mit den Schwerpunkten der Schaffung von
Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit sowie der Überwachung der Einhal-
tung der EU-Tierversuchsrichtlinie zu errichten;

8. Einschränkungen von Tierversuchen durch die Stärkung der Forschung und För-
derung von Alternativmethoden zum Tierversuch sowie ein Verbot aller bereits
vollumfänglich ersetzbaren und medizinisch nicht notwendigen Tierversuche zu
veranlassen.

Berlin, den 28. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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