BT-Drucksache 18/11034

Serbischer Nationalismus in Bosnien und Herzegowina

Vom 25. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11034
18. Wahlperiode 25.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Annalena Baerbock,
Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs,
Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Serbischer Nationalismus in Bosnien und Herzegowina

Am 9. Januar 2017 ließ Milorad Dodik, Entitätspräsident des bosnischen Landes-
teils Republika Srpska, in Banja Luka eine Parade zum verfassungswidrigen „Tag
der Republika Srpska“ abhalten. 25 Jahre zuvor war am 9. Januar 1992 innerhalb
der damaligen jugoslawischen Republik Bosnien-Herzegowina von serbischen
Nationalisten eine „Republik des serbischen Volkes in Bosnien-Herzegowina“
ausgerufen worden. Dieser Eskalationsschritt wird als eine der Vorbereitungen
für den folgenden Bosnienkrieg angesehen, in dessen Verlauf es auf dem Gebiet
des heutigen Landesteils und in weiteren Gegenden zu ethnisch motivierter Dis-
kriminierung, Vertreibungen und tausendfachem Mord kam (vgl. u. a. derStan-
dard.at, 9. Januar 2017 und 14. Januar 2017). Ziel der nationalistischen Führung
der bosnischen Serben war die Zerschlagung des multiethnischen Bosnien und
Herzegowinas und die gewaltsame Schaffung eines „großserbischen“ Staates
(vgl. Tages-Anzeiger, 10. Januar 2017). Höhepunkt der ethnischen Massaker war
der Völkermord an über 8 000 Bosniaken in der Stadt Srebrenica, die auf dem
Gebiet des heutigen Landesteils Republika Srpska liegt. Mit dem Friedensvertrag
von Dayton wurde im Jahr 1995 der Krieg beendet, Bosnien und Herzegowina
als souveräner und ungeteilter Staat bekräftigt und die Republika Srpska als eine
von zwei verfassungsmäßigen Entitäten des Landes benannt.
Im November 2015 erklärte das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzego-
wina die Abhaltung des Feiertags am 9. Januar für verfassungswidrig, weil damit
der nicht serbische Teil der bosnischen Bevölkerung diskriminiert würde. Darauf-
hin ließ Milorad Dodik am 25. Oktober 2016 ein Referendum über den Feiertag
ansetzen, das vom Verfassungsgericht wiederum für verfassungswidrig erklärt
wurde. Indem er das Referendum dennoch durchführen ließ, setzte sich der Enti-
tätspräsident über die bosnischen Verfassungsorgane und Warnungen der Euro-
päischen Union und des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina,
Valentin Inzko, hinweg. Dieser bislang folgenlos gebliebene Schritt gilt als wei-
tere Beschädigung der bosnischen Staatsinstitutionen und Testlauf für ein seit
Jahren von Milorad Dodik immer wieder angedrohtes Referendum über eine Ab-
spaltung der Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina (vgl. u. a. ZEIT
ONLINE, 25. September 2016).
An der Parade am 9. Januar 2017 nahm neben Milorad Dodik auch das serbische
Mitglied der bosnischen Präsidentschaft, Mladen Ivanić, teil, dessen Partei PDP
(Partei für Demokratischen Fortschritt) im Entitätsparlament der Republika

http://derstandard.at/
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Drucksache 18/11034 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Srpska der Opposition angehört. Weiterhin reiste der serbische Präsident Tomis-
lav Nikolić sowie weitere Minister aus Serbien zur Parade nach Banja Luka an.
Auch Edouard Ferrand und Dominique Bilde, Europaabgeordneten des französi-
schen Front National, nahmen an der Parade in Banja Luka teil (vgl. Balkan In-
sight, 9. Januar 2017, www.balkaninsight.com/en/article/bosnian-serbs-hold-
national-day-despite-ban-01-09-2017).
Auf der Parade marschierten unter anderem mit Maschinengewehren ausgestat-
tete Angehörige der Polizei, Kriegsveterane, Feuerwehrleute, Mitglieder der Zi-
vilverteidigung und Biker an den Staatsvertretern vorbei (vgl. derStandard.at,
9. Januar 2017). Besonders umstritten ist die Teilnahme von Soldaten der Dritten
Infanterie-Brigade der bosnischen Armee. Die Brigaden der bosnischen Armee
sind weitgehend ethnisch homogen aufgestellt. Die Teilnahme der Brigade war
von Präsidentschaftsmitglied Mladen Ivanić gefordert, aber von der bosnischen
Verteidigungsministerin Marina Pendeš untersagt worden. Die Soldaten nahmen
nicht an der Parade selbst teil, stellten sich aber entlang des Paradeplatzes auf und
erstatteten gegenüber Präsidentschaftsmitglied Mladen Ivanić Bericht. Das bos-
nische Verteidigungsministerium untersucht den Vorfall wegen des Vorwurfs der
Befehlsverweigerung (vgl. derStandard.at, 14. Januar 2017).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass Milorad

Dodik, Entitätspräsident des bosnischen Landesteils Republika Srpska, am
sogenannten Tag der Republika Srpska als Feiertag der Entität festhält, ob-
wohl dieser vom Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina im Jahr
2015 als verfassungswidrig eingestuft worden war (vgl. derStandard.at,
9. Januar 2017; Tages-Anzeiger, 10. Januar 2017), und inwieweit stellt nach
Ansicht der Bundesregierung dieses Verhalten eines Vertreters bosnischer
Staatsstrukturen einen Verstoß gegen die bosnische Verfassung und gegen
den weiterhin gültigen, von der internationalen Gemeinschaft überwachten
Friedensvertrags von Dayton von 1995 dar?

2. Welche Haltung nahm nach Kenntnis der Bundesregierung das bosnisch-
serbische Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina,
Mladen Ivanić, in dieser Frage ein (vgl. Deutschlandradio Kultur,
10. Dezember 2016)?

3. Wie bewertet die Bundesregierung, dass Entitätspräsident Milorad Dodik als
Reaktion auf den Beschluss des Verfassungsgerichts, den Feiertag als ver-
fassungswidrig einzustufen, ein Referendum über die Beibehaltung des Fei-
ertags durchführen ließ, obwohl selbiges zuvor vom Verfassungsgericht
ebenfalls als verfassungswidrig eingestuft worden war (vgl. Tages-Anzeiger,
10. Januar 2017), und was hat die Bundesregierung gegebenenfalls unter-
nommen, um bilateral oder im Rahmen der internationalen Gemeinschaft die
Durchführung eines verfassungswidrigen Referendums zu verhindern?

4. Wie lautet nach Kenntnis der Bundesregierung die Haltung der anderen im
Friedensimplementierungsrat (PIC) vertretenen Staaten – insbesondere
Großbritannien, Frankreich, USA, Italien und Russland – zu diesem Vor-
gang, und wie haben sie sich bisher dazu verhalten (bitte jeweils ausführen)?

5. In welcher Weise wurde im PIC in diesem Zusammenhang der Einsatz der
sogenannten Bonner Befugnisse (engl. Bonn Powers) in Erwägung gezogen,
um gegebenenfalls einen Verstoß gegen die Friedensordnung von Dayton zu
unterbinden, und wie lautete die Haltung der Bundesregierung in dieser
Frage?

http://www.balkaninsight.com/en/article/bosnian-serbs-hold-national-day-despite-ban-01-09-2017
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6. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass der Bot-
schafter Russlands in Bosnien und Herzegowina, Peter Iwanzow, das verfas-
sungswidrige Referendum über die Beibehaltung des verfassungswidrigen
Feiertags öffentlich unterstützte (vgl. derStandard.at, 14. Januar 2017)?

7. Sieht die Bundesregierung eine Beschädigung der (gesamt-)staatlichen Insti-
tutionen Bosnien und Herzegowinas und insbesondere des Verfassungsge-
richts durch das Verhalten von Entitätspräsident Milorad Dodik, und wie
schätzt die Bundesregierung die Handlungsfähigkeit der bosnischen Justiz
ein, jene Politiker zur Verantwortung zu ziehen, welche die Beschlüsse des
Verfassungsgerichts missachteten (vgl. Tages-Anzeiger, 10. Januar 2017).

8. Was unternimmt die Bundesregierung konkret, um die bosnische (gesamt-
staatliche) Justiz zu stärken und ihr insbesondere zu mehr Durchsetzungsfä-
higkeit zu verhelfen?

9. Welche Folgen könnte eine weitere Schwächung der staatlichen Institutionen
Bosnien und Herzegowinas nach Ansicht der Bundesregierung für das Land
haben?

10. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass anlässlich
des für verfassungswidrig erklärten Feiertags am 9. Januar 2017 eine Parade
unter Beteiligung bewaffneter Kräfte in Banja Luka abgehalten wurde (vgl.
u. a. derStandard.at, 14. Januar 2017)?

11. Welche Schlüsse bezüglich der Haltung Serbiens zur staatlichen Verfasstheit
und Souveränität von Bosnien und Herzegowina zieht die Bundesregierung
aus der Tatsache, dass an der Parade in Banja Luka der serbische Staatsprä-
sident Tomislav Nikolić und einige serbische Minister als offizielle Gäste
teilnahmen und zum Teil das Wort an die Anwesenden richteten (vgl. Tages-
Anzeiger, 10. Januar 2017)?

12. Welche Schlüsse hinsichtlich der Haltung von Mladen Ivanić, Mitglied des
Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, zur staatlichen Verfasstheit
des von ihm repräsentierten Landes zieht die Bundesregierung aus dessen
Teilnahme an der Parade in Banja Luka?

13. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Anwesenheit von Solda-
ten der Dritten Infanterie-Brigade der gesamtstaatlichen bosnischen Armee
bei der Parade, die von Mladen Ivanić, Mitglied des bosnischen Staatsprä-
sidiums, nach Banja Luka beordert worden war (vgl. derStandard.at,
14. Januar 2017)?

14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass mit der rechtswidrigen,
trotz Widerspruchs der bosnischen Justiz und der internationalen Gemein-
schaft erfolgten Durchsetzung des Feiertags in Verbindung mit dem gelun-
genen Zugriff auf (serbische) Teile der gesamtstaatlichen Armee durch ser-
bische Führer in Bosnien und Herzegowina eine qualitativ neue Stufe der
schweren Krise der Staatlichkeit in Bosnien und Herzegowinas erreicht
wurde, die die Sicherheit in der Westbalkanregion bedroht (vgl. Ibrahim Pro-
hić, Schreckgespenst der Sezession, 13. Januar 2017, Hrsg.: Heinrich-Böll-
Stiftung, https://www.boell.de/de/2017/01/13/schreckgespenst-der-sezession)?

15. Sieht die Bundesregierung in der Tatsache, dass die einzelnen Truppenteile
der bosnischen Armee weiterhin weitgehend ethnisch homogen aufgestellt
sind, eine Gefahr, dass diese für eine gewaltsame Eskalation ethnischer
Spannungen instrumentalisiert werden könnten (vgl. Kurt Bassuener, The
Armed Forces of Bosnia and Herzegovina: Unfulfilled Promise, AI-DPC
BiH Security Risk Analysis, Oktober 2015)?

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16. Sind nach Ansicht der Bundesregierung die Äußerungen von Entitätspräsi-

dent Milorad Dodik, der in einer Rede im Rahmen der Parade erklärte, man
träume von einem „Anschluss an das Mutterland Serbien“, und der bei ande-
ren Gelegenheiten erklärte, es sei eine „tolle Idee, dass man die Republika
Srpska abteilt und eine Gemeinschaft mit Serbien macht“ und dass zu diesem
neuen Staat auch Teile der Republik Kosovo gehören müssten, mit dem Frie-
densvertrag von Dayton, der territorialen Integrität des Landes und dem Ziel
von Frieden und Sicherheit in der Region vereinbar (vgl. derStandard.at,
9. Januar 2017; Tages-Anzeiger, 10. Januar 2017)?

17. Sind nach Ansicht der Bundesregierung die Äußerungen Milorad Dodiks am
Tag nach der Parade, man wolle sich in absehbarer Zeit der Frage nach einem
Austritt aus dem Abkommen der Streitkräfte Bosnien und Herzegowinas
widmen beziehungsweise das Prozedere für die Wiedereinführung einer ei-
genen Armee der „Republika Srpska“ prüfen, als Androhung zu werten, das
formulierte politische Ziel einer Abspaltung nötigenfalls mit militärischen
Mitteln durchzusetzen, und wäre eine solche Haltung mit dem Friedensver-
trag von Dayton, der territorialen Integrität des Landes und dem Ziel von
Frieden und Sicherheit in der Region vereinbar (vgl. Ibrahim Prohić,
https://www.boell.de/de/2017/01/13/schreckgespenst-der-sezession)?

18. In welcher Weise hat die Bundesregierung ihre Haltung zu den Vorgängen
in Banja Luka um den bzw. am 9. Januar 2017 zum Ausdruck gebracht ge-
genüber
a) Entitätspräsident Milorad Dodik,
b) dem Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina,

Mladen Ivanić, und
c) der serbischen Regierung
(bitte jeweils Stellung nehmen)?

19. Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Abspaltung der bosnischen Entität
Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina als realistische Gefahr an?

20. Welche politischen Interessen und welche Strategie verfolgt nach Einschät-
zung der Bundesregierung und ihr zugänglichen nachrichtendienstlichen
Quellen die russische Führung in Bezug auf Bosnien und Herzegowina und
insbesondere in Bezug auf dessen territoriale Integrität?

21. Welche Bedeutung hat nach Einschätzung der Bundesregierung der in den
letzten Jahren eingeschlagene außenpolitische Kurs Russlands insbesondere
seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der militärischen De-
stabilisierung der Ukraine für die Sicherheit und Stabilität der Westbalkan-
region?

22. Wie kann und sollte die internationale Gemeinschaft nach Ansicht der Bun-
desregierung der Gefahr einer drohenden Abspaltung der Republika Srpska
von Bosnien und Herzegowina konkret entgegenwirken?

23. Welche Folgen hätte die angedrohte Abspaltung der bosnischen Entität Re-
publika Srpska nach Ansicht der Bundesregierung für Frieden und Sicherheit
in Europa?

24. Wie sollte die internationale Gemeinschaft nach Ansicht der Bundesregie-
rung reagieren, falls die politische Führung der Republika Srpska ein Refe-
rendum über die Abspaltung von Bosnien und Herzegowina durchführt?

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25. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass die Re-

gierung der USA am 17. Januar 2017 gegen Milorad Dodik wegen der Miss-
achtung des Urteils des Verfassungsgerichts und Zuwiderhandlung gegen
den Friedensvertrag von Dayton Sanktionen verhängte, und wie lautet die
Haltung der Bundesregierung zu der Frage, ob die Europäische Union ihrer-
seits Sanktionen gegen die politische Führung der Republika Srpska verhän-
gen sollte?

Berlin, den 24. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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