BT-Drucksache 18/10891

Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die Solidarische Mindestrente einführen

Vom 18. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10891
18. Wahlperiode 18.01.2017
Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Katja Kipping, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Dr. Petra Sitte, Azize Tank,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische
Mindestrente einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine verlässliche Rentenpolitik muss sich an dem Ziel messen lassen, den erarbeiteten
Lebensstandard zu sichern sowie Armut im Alter zu vermeiden. Die Rentenpolitik der
Großen Koalition verfehlt dieses Ziel bei Weitem.
Es ist Zeit für einen grundlegenden Kurswechsel in der Rentenpolitik. Es ist Zeit für
eine solidarische Rentenversicherung. Sie muss nach langjähriger Erwerbsarbeit den
Lebensstandard sichern, Altersarmut vermeiden und zugleich einen gesunden und so-
zial abgesicherten Übergang in den Ruhestand ermöglichen.
Vor rund 15 Jahren hat die damalige Bundesregierung aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN einen bis dato beispiellosen Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspo-
litik eingeleitet. Seitdem orientiert sich die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr
am Ziel der Lebensstandardsicherung im Alter, sondern daran, den Beitragssatz inner-
halb bestimmter Obergrenzen möglichst niedrig zu halten. Der Umbau von einem leis-
tungsorientierten zu einem beitragsorientierten System führt jedoch dazu, dass die
Rente nicht mehr den Löhnen folgt und somit von der Lohnentwicklung dauerhaft ab-
gekoppelt wird. Bis 2045 wird die Rente voraussichtlich mehr als ein Fünftel an Wert
verloren haben. Dieser Politikansatz ist weder verteilungsgerecht noch sozial verant-
wortlich.
Diese politisch aufgerissene Sicherungslücke in der gesetzlichen Rentenversicherung
war mit der Teilprivatisierung der Alterssicherung verbunden. Mit dem sogenannten
„Drei-Säulen-Modell“ durch Kombination von gesetzlicher Rente, betrieblicher Al-
tersversorgung sowie zusätzlicher privater Vorsorge („Riester-Rente“) sollte der ein-
mal erarbeitete Lebensstandard im Alter auch weiterhin gesichert werden können. Zu-
gleich wurde die paritätische Finanzierung faktisch aufgegeben. Denn die Beitrags-
zahlerinnen und Beitragszahler müssen allein für die zusätzlichen Altersvorsorgeauf-
wendungen aufkommen. Bis 2030 wird dieser Anteil auf über 7 Prozent ansteigen. Die
Unternehmen haben sich dagegen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entzogen:
Sie zahlen auch zukünftig deutlich weniger Beiträge als ihre Beschäftigten.

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Neben einer verfehlten Alterssicherungspolitik hat die Deregulierung auf dem Arbeits-
markt im Zuge der Agenda 2010 zu einem verheerenden Abbau der Rechte der Be-
schäftigten geführt. Häufig unterbrochene Erwerbsbiografien, prekäre Beschäftigung
sowie die deutliche Zunahme von Niedriglöhnen sind in einem auf Erwerbsarbeit ba-
sierendem Rentensystem neben dem sinkenden Rentenniveau Gift für auskömmliche
Rentenansprüche.
Verschärft wird diese Fehlentwicklung durch die Rente erst ab 67. Viele Beschäftigte
sind gesundheitlich beeinträchtigt oder finden im Alter keinen Arbeitsplatz mehr.
Ihnen drohen drastische Abschläge auf ihre vorgezogene Altersrente. Auch die von der
Großen Koalition beschlossene „Flexi-Rente“ wird den Anforderungen der Beschäf-
tigten nach passgenauen Übergangsoptionen nicht gerecht. Stattdessen zielt die „Flexi-
Rente“ darauf ab, die Erwerbsphase deutlich über die Regelaltersgrenze hinauszu-
schieben. Arbeiten „bis zum Ende“ ist als Leitbild jedoch weder gesellschafts- noch
sozialpolitisch akzeptabel. Gleichzeitig werden die Arbeitsmarktchancen jüngerer Be-
schäftigter deutlich verschlechtert.
Gute Arbeit, gute Löhne und eine gute Rente sind der beste Schutz vor Altersarmut.
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns war trotz der zu geringen Höhe und der
bestehenden Ausnahmeregelungen ein wichtiger sozialpolitischer Schritt. Er reicht
aber nicht. Vielmehr müssen die Ursachen von prekärer Arbeit und Niedriglöhnen be-
kämpft werden. Wer Leiharbeit, den Missbrauch von Werkverträgen, befristete Be-
schäftigung, unfreiwillige Teilzeitarbeit, Minijobs sowie die ungleiche Bezahlung von
Männern und Frauen weiterhin duldet, verkennt nicht nur die Lebensrealität von Mil-
lionen von Männern und Frauen und deren Familien, sondern gefährdet auch den so-
zialen Zusammenhalt in diesem Land.
Die Gefahr, dass sich Altersarmut durch die fehlgeleitete Renten- und Arbeitsmarkt-
politik der vergangenen Jahre bis in die Mitte der Gesellschaft ausbreitet, wird immer
größer. Die Bundesregierung hat bisher kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie sie
die gesetzliche Rente stärken will. Zwar hat die Bundesministerin Andrea Nahles in
ihrem Gesamtkonzept zur Alterssicherung einen Vorschlag für ein Mindestsicherungs-
niveau von 46 Prozent bis 2045 als unterste „Haltelinie“ gemacht. Dieses wird aber
durch den Koalitionspartner von CDU, CSU strikt abgelehnt. Beide Parteien sehen
„derzeit keinen Handlungsbedarf“ (vgl. ZEIT-ONLINE, 25.11.2016).
Wenn aber ein angemessenes Verhältnis zwischen Beiträgen und Leistungen nicht
mehr gewährleistet werden kann, dann droht die Legitimation der gesetzlichen Rente
als Pflichtversicherungssystem ernsthaft Schaden zu nehmen. Deshalb sind weder
„Haltelinien“ beim Rentenniveau noch beim Beitragssatz geeignet, die gesetzliche
Rentenversicherung langfristig zu stärken.
Dass ein umlagefinanziertes Rentensystem bezahlbare und deutlich bessere Leistun-
gen erbringen kann, zeigt das Beispiel Österreich: Auf eine massive Senkung des Leis-
tungsniveaus, wie es in Deutschland mit der Riester-Reform erfolgte, wurde verzich-
tet. Stattdessen wurde das gesetzliche Rentensystem behutsam reformiert und zu einer
Erwerbstätigenversicherung ausgebaut. Neben Selbstständigen sind auch Beamtin-
nen/Beamte und Abgeordnete pflichtversichert. Die durchschnittliche monatliche Al-
tersrente betrug Ende 2015 bei Männern 1 579 Euro und bei Frauen 963 Euro brutto
(Quelle: Statistik Austria). Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass Renten wie
Löhne in Österreich sogar 14-mal im Jahr ausgezahlt werden. Sie sind damit deutlich
höher als in der Bundesrepublik Deutschland.
Zudem werden niedrige Renten in Österreich unbürokratisch mit einer bedarfsorien-
tierten Ausgleichszulage auf aktuell 883 Euro (brutto) und ab 2017 auf 1 000 Euro
(nach 30 Beitragsjahren) angehoben (bei 14 monatlichen Zahlungen; Jahresdurch-
schnittlich also 1 030 Euro bzw. 1 167 Euro im Monat). Die Ausgleichszulage sichert
so den österreichischen Rentnerinnen und Rentnern ein Mindesteinkommen im Alter.
Dass Österreich wirtschaftlich nicht schlechter dasteht als Deutschland beweist: Eine

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umlagefinanzierte gesetzliche Rente ist finanzierbar und sorgt für einen hohen Schutz
im Alter.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sich an folgenden Eckpunkten orientiert:
1. In einem einkommensbasierten Rentensystem werden mit guter Arbeit und guten

Löhnen die Grundlagen für eine gute Rente im Alter geschaffen. Deswegen sind
gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, die
a) für gute Arbeit im Sinne von geregelten, geschützten, existenzsichernden

und tariflich abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen sorgen, die Entgelt-
gleichheit zwischen Frauen und Männern sowie die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf garantieren,

b) jede Stunde Erwerbsarbeit der Sozialversicherungspflicht unterwerfen,
c) unverzüglich das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Sinne der Leihar-

beitskräfte dahingehend ändern, dass das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche
Arbeit“ ab dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme festgeschrieben, ein 10-
prozentiger Flexibilitätszuschlag eingeführt und Leiharbeit strikt begrenzt
wird,

d) den Missbrauch von Werkverträgen verhindern sowie Scheinselbstständig-
keit eindämmen, indem widerlegbare Vermutungsregelungen in das Sozial-
gesetzbuch IV aufgenommen werden,

e) unbefristete Arbeitsverhältnisse zur Regel machen,
f) den gesetzlichen Mindestlohn schnell auf mindestens 12 Euro brutto pro

Stunde anheben und die bestehenden Ausnahmen beseitigen.
2. Eine gute Rente sichert den erarbeiteten Lebensstandard. Niemand soll hinter den

Standard zurückfallen, der während der Erwerbsphase erreicht wurde.
a) Das Rentenniveau (Sicherungsniveau vor Steuern) als Sicherungsziel der

gesetzlichen Rentenversicherung wird wieder in den Mittelpunkt der Ren-
tenpolitik gerückt. Im Gegenzug ist die staatliche Förderung der zusätzli-
chen Altersvorsorge einzustellen.
– Dazu sind zunächst die gesetzlichen Beitragssatzobergrenzen zur all-

gemeinen Rentenversicherung aufzuheben.
– Die Dämpfungsfaktoren (Riester- und Nachhaltigkeitsfaktor) in der

Rentenanpassungsformel werden gestrichen und die bislang durch die
Dämpfungsfaktoren und gesetzlichen Null-Runden bewirkte Senkung
des Rentenniveaus über einen anpassungserhöhenden Rückholfaktor
schrittweise ausgeglichen, sodass das Rentenniveau von aktuell 48 Pro-
zent (2016) wieder auf mindestens 53 Prozent angehoben und dort sta-
bilisiert werden kann.

– Eine neue Rentenanpassungsformel wird eingesetzt, die wieder dem
Anpassungsgrundsatz „die Rente folgt den Löhnen“ entspricht.

– Die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge wird eingestellt
und die frei werdenden Finanzmittel werden für Leistungsverbesserun-
gen – z. B. für den sozialen Ausgleich – in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung eingesetzt. Für die bereits eingezahlten Eigenbeiträge und
die erhaltenen Zulagen wird Vertrauensschutz gewährt.

– Die Sparerinnen und Sparer mit geförderten privaten Altersvorsorge-
verträgen erhalten das Recht, das bisher im Kapitaldeckungsverfahren
angesparte Kapital (Beiträge, staatliche Zuschüsse und Zinsen) freiwil-

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lig in die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung zu über-
führen, sodass zusätzliche Anwartschaften auf ihrem persönlichen
Rentenkonto bei der Deutschen Rentenversicherung entstehen. Die
Wechselkosten des Riester-Vertrags werden auf ein sachlich gebotenes
Minimum begrenzt. Von den Rentenversicherungsträgern werden
keine Kosten für die Überführung erhoben.

– Außerdem soll es Versicherten und ihren Arbeitgebern erleichtert wer-
den, freiwillig zusätzliche Beiträge in die gesetzliche Rentenversiche-
rung einzuzahlen

b) Mit Blick auf den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche
Rente für gleiche Lebensleistung“ wird ein steuerfinanzierter, stufenweise
steigender Zuschlag eingeführt, der den Wertunterschied zwischen den Ren-
tenwerten in Ost und West sukzessive ausgleicht. Der Zuschlag wird solange
gezahlt, bis der Unterschied zwischen dem jeweiligen Rentenwert (Ost) und
dem jeweiligen allgemeinen Rentenwert im Zuge der Angleichung der
Löhne und Gehälter überwunden sein wird. Bis dahin wird die Umrechnung
(„Höherwertung“) solange bestehen bleiben, bis die Löhne und Entgelte im
Osten annähernd das Westniveau erreicht haben werden.

c) Die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung
(Rente erst ab 67) wie auch in den anderen Alterssicherungssystemen wird
zurückgenommen. Somit beträgt die Regelaltersgrenze wieder 65 Jahre.

d) Das abschlagsfreie Einstiegsalter bei der Rente für besonders langjährig
Versicherte ab 63 Jahren wird beibehalten sowie Zeiten der Langzeiter-
werbslosigkeit bei der Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren berücksichtigt.
Der sogenannte „rollierende Stichtag“ wird gestrichen.

e) Die Regelungen der Altersteilzeit werden an die veränderten Bedürfnisse
der Beschäftigten angepasst und die Förderung der Altersteilzeit durch die
Bundesagentur für Arbeit wieder eingeführt. Damit soll wieder mehr jungen
Erwachsenen nach der Berufsausbildung ein gesicherter und unbefristeter
Arbeitsplatz angeboten werden.

f) Perspektivisch wird Versicherten mit 40 Beitragsjahren (inkl. gleichgestell-
ter Zeiten) ab Vollendung des 60. Lebensjahres ein abschlagsfreier Zugang
zu einer Altersrente gewährt.

g) Der Schutz bei der Erwerbsminderung ist deutlich zu verbessern, indem
– die Zurechnungszeit für Bestandsrentnerinnen und -rentner sowie der

Zugang umgehend vom 62. auf das 65. Lebensjahr verlängert wird,
– die unsystematischen Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten sofort

abgeschafft werden,
– der Zugang zur Erwerbsminderungsrente erleichtert wird, insbesondere

indem die tatsächliche Arbeitsmarktlage berücksichtigt wird,
– Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner mit einer geringen Er-

werbsminderungsrente einen aus Steuern zu finanzierenden Zuschlag
auf 1 050 Euro netto als Teil der einkommens- und vermögensgeprüf-
ten individuellen „solidarische Mindestsicherung“ erhalten.

3. Der Solidaritätsgedanke in der gesetzlichen Rentenversicherung ist zu stärken.
Der Kreis der Pflichtversicherten ist deutlich auszuweiten (Erwerbstätigenversi-
cherung).
a) Künftig werden neben den bisher Pflichtversicherten auch Beamtinnen und

Beamte, Ministerinnen und Minister, Abgeordnete, Freiberuflerinnen und
Freiberufler und Selbstständige in der (gesetzlichen) solidarischen Renten-
versicherung pflichtversichert, sofern sie am Stichtag nicht bereits in einem
anderen Alterssicherungssystem obligatorisch versichert waren.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10891

b) Die Beitragsbemessungsgrenze wird zunächst deutlich erhöht und perspek-
tivisch abgeschafft. Die damit verbundenen Rentensteigerungen bei Besser-
und Bestverdienenden werden abgeflacht.

c) Der soziale Ausgleich wird gestärkt und die eigenständigen Rentenansprü-
che verbessert, indem
– die Regelungen zur „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ für Beschäf-

tigte mit niedrigen Arbeitseinkommen entfristet werden und die Be-
grenzung von 0,75 Entgeltpunkten auf 0,8 Entgeltpunkte pro Jahr an-
gehoben wird, sofern nicht wie bisher 35 Jahre, sondern 25 Jahre mit
rentenrechtlichen Zeiten vorliegen,

– wieder Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose (ALG II) gezahlt wer-
den und zwar auf der Basis des halben Durchschnittsverdienstes aus
Steuermitteln,

– die sogenannte „Mütterrente“ verbessert wird, indem die dreijährige
Kindererziehungszeit auch auf Zeiten vor 1992 ausgeweitet wird,

– die Beiträge für die Pflege von Angehörigen verbessert werden, damit
Zeiten der oft langjährigen Pflege nicht zu Rentenlücken führen,

– der Zeitraum der Bewertung von Fachschulzeiten und Zeiten der Teil-
nahme an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen im Rahmen der
begrenzten Gesamtleistungsbewertung auf fünf Jahre erhöht und auf
Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung ausgeweitet wird.

4. Die Teilhabe darf auch im Alter nicht enden. Die Armutsvermeidung ist neben
der Lebensstandardsicherung als zweites Ziel in der solidarischen Rentenversi-
cherung zu verankern. Niemand soll im Alter in Armut leben müssen.
a) Damit niemand im Alter von weniger als 1 050 Euro netto leben muss, wird

eine durch die Rentenversicherungsträger auszuzahlende einkommens- und
vermögensgeprüfte „solidarische Mindestrente“ ab der Regelaltersgrenze
eingeführt,
– auf die alle in Deutschland lebenden Menschen auf individueller Basis

und auf der Grundlage gesetzlicher Unterhaltsansprüche, unabhängig
von vorheriger Beitragsleistung, einen Rechtsanspruch haben,

– mit der das Einkommen im Alter, Wohngeldanspruch ausgenommen,
sofern es weniger als 1 050 Euro beträgt, mit einem aus Steuern zu fi-
nanzierenden Zuschlag auf 1 050 Euro netto angehoben wird,

– bei der ein Vermögen bis zu 20 000 Euro und zusätzlich ein Betrag in
Höhe von bis zu 48 750 Euro für die Altersvorsorge nicht angerechnet
werden,

– bei der eine selbstgenutzte Immobilie mit einer Wohnfläche von bis zu
130 m² nicht als Vermögen berücksichtigt wird,

– die entsprechend der jährlichen Entwicklung des aktuellen Rentenwerts
angepasst wird.

b) Parallel zur Einführung der solidarischen Mindestrente wird das Wohngeld-
gesetz reformiert und so modifiziert, dass Menschen, die in teuren Wohnge-
bieten leben und auf die solidarische Mindestrente angewiesen sein werden,
nicht in Armut leben müssen.

Berlin, den 17. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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Begründung

Zu den großen Zukunftssorgen gehört die Angst vor dem sozialen Abstieg und vor Armut im Alter. Eine reprä-
sentative Umfrage der IG Metall zeigt: „Fast zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger sind mit Blick auf ihre
persönliche Rente pessimistisch: 64 Prozent der Befragten glauben nicht, dass sie von ihrer Rente im Alter gut
leben können. Unter den 18- bis 34-Jährigen gehen fast drei Viertel (73 Prozent) davon aus, dass sie überhaupt
nicht oder eher nicht gut von ihrer Rente werden leben können“ (IG Metall Vorstand: „Junge Generation und
gesetzliche Rente: Pessimismus und Perspektiven“, März 2016). Diese deprimierende Einschätzung der Men-
schen ist Folge der Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung seit der Jahrtausendwende. Die
politisch aufgerissenen Sicherungslücken sowie die daraus resultierende Akzeptanzkrise der gesetzlichen Ren-
tenversicherung sind nur zu überwinden, wenn die Leistungsansprüche spürbar verbessert werden.
1. Erwerbseinkommen von deutlich unter 12 Euro die Stunde sind nicht ausreichend, um existenzsichernde Ren-
tenansprüche aufbauen zu können. Diese Tatsache belegen selbst Berechnungen der Bundesregierung: Aktuell
müsste der gesetzliche Mindestlohn (ab dem 01.01.2017 8,84 Euro) 11,68 Euro betragen, um eine Nettorente zu
erhalten, die über dem durchschnittlichen Bruttobedarf in der Grundsicherung im Alter in Höhe von 788 Euro
liegt (vgl. BT-Drs. 18/87191, S. 20). Mit dem sinkenden Rentenniveau wird die Fehlentwicklung am Arbeits-
markt zusätzlich verschärft. Arbeit muss für alle existenzsichernd, planbar, geschlechtergerecht und tariflich ab-
gesichert im Sinne eines „neuen Normalarbeitsverhältnis“ gestaltet werden.
2. Gute Arbeit führt dann zu guten Renten, wenn das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente angehoben wird.
Die Rentnerinnen und Rentner sind durch entsprechende Rentensteigerungen am Zuwachs des gesellschaftlichen
Reichtums zu beteiligen. Eine Politik, die trotz steigender Beiträge auf niedrige Leistungen setzt, verwischt die
Grenzen zwischen der leistungsbezogenen Rente und der bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter. Reichten
im Jahr 2000 noch 24,3 Entgeltpunkte aus, um allein mit der Rente den durchschnittlichen Bruttobedarf der
Grundsicherung decken zu können, so sind hierfür aktuell 30,3 Entgeltpunkte erforderlich (vgl. Steffen (2016):
„Fürsorgebedarf und Rentenniveau – Akzeptanz der Pflichtversicherung steht auf dem Spiel“). Leistungsverbes-
serungen, etwa für den sozialen Ausgleich, können zudem nur voll wirken, wenn das Rentenniveau nicht weiter
sinkt.
Um den weiteren schleichenden Wertverlust der Renten zu verhindern, müssen die Renten ohne Ausnahmen
wieder den Löhnen folgen. Tatsächlich wäre ein Rentenniveau von mindestens 53 Prozent für die Beschäftigten
finanziell deutlich attraktiver, als zusätzlich privat vorsorgen zu müssen: Würde das Rentenniveau entsprechend
angehoben, stiege der Beitragssatz nach heutigen Werten um 2,13 Prozentpunkte. Bei einer hälftigen Beitrags-
tragung würde ihr Beitragsanteil lediglich um gut 32 Euro monatlich steigen (bei einem vorläufigen durchschnitt-
lichen Bruttoentgelt von monatlich 3 022 Euro im Jahr 2016). Gleichzeitig könnten die Aufwendungen für die
Riester-Rente in Höhe von 108 Euro monatlich (4 Prozent des Bruttoentgelts von 3 022 Euro, abzüglich der
vollen Zulage) entfallen. Die Standardrente würde von 1 370 Euro um fast 143 Euro auf 1 513 Euro monatlich
steigen. Selbst im Jahr 2029 würden Beschäftigte mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von 4 371
Euro, trotz eines höheren Beitragssatzes, immer noch 67 Euro monatlich sparen. Die tatsächliche Belastung ent-
steht also durch die zusätzlichen Altersvorsorgeaufwendungen, die die Beschäftigten allein zu tragen haben.
Ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau macht zugleich die staatlich subventionierte Riester-Rente überflüs-
sig. Seit ihrer Einführung im Jahr 2003 konnte bis heute nicht annähernd das Potential des förderberechtigten
Personenkreises erreicht werden. Vielmehr entwickelt sich die Riester-Rente zunehmend zu einem Rohrkrepie-
rer: Die Vertragsabschlüsse stagnieren oder sind bei einigen Vorsorgeformen sogar rückläufig. Zu Recht stellt
die „BILD-Zeitung“ fest: „Die Deutschen verlieren die Lust an der Riester-Rente“ (vgl. „Minus bei Verträgen.
Wenig Interesse an der Riester-Rente“, BILD vom 26.09.2016).
Zudem müssen die bestehenden Ungerechtigkeiten im Rentenrecht zwischen Ost und West beseitigt werden. Den
ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern ist nach 26 Jahren der deutschen Einheit nicht mehr vermittelbar, wa-
rum die Teilung zwischen Ost und West in der Rentenversicherung noch immer fortbesteht. Die Große Koalition
hat sich zwar grundsätzlich auf einen Angleichungsprozess verständigt, dieser soll aber erst Ende 2024 abge-
schlossen sein. 35 Jahre nach der deutschen Einheit ist dies viel zu spät. Außerdem soll mit der Rente nach
Mindesteinkommen in West und Ost ein Baustein geschaffen werden, der mit dazu beitragen würde, dass Phasen
der Niedriglohnbeschäftigung und der erzwungenen Teilzeit nicht automatisch zu Altersarmut führen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/10891
3. Die gesetzliche Rente muss zu einer solidarischen Rentenversicherung weiterentwickelt werden. Neben einem
lebensstandardsichernden Rentenniveau muss der soziale Ausgleich gestärkt werden. Dies ist für all jene Versi-
cherten notwendig, die aufgrund der Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt oder aufgrund von familiären
Verpflichtungen nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sein können. Der soziale Absturz kann so im Alter
weitgehend vermieden werden. Profitieren würden vor allem Frauen. Die Rentenlücke (Gender Pension Gap)
zwischen Frauen und Männern könnte deutlich minimiert werden. Als gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind
die vorgeschlagenen Maßnahmen systemgerecht aus Steuern zu finanzieren.
Alle Erwerbstätigen sind in die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung einzubeziehen. Damit
wird einerseits der Schutzbedürftigkeit verschiedener Berufs- und Erwerbsformen Rechnung getragen und ande-
rerseits die Beitragsgrundlage deutlich ausgeweitet. Nur wenn alle Erwerbsformen der Pflichtversicherung un-
terliegen, kann angesichts häufiger Wechsel zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit eine kon-
tinuierliche Versicherungsbiografie basierend auf eigenen Beiträgen aufgebaut werden. Gerade diejenigen, die
bisher nicht oder nicht ausreichend abgesichert sind, erhalten Zugang zum vollen Leistungsspektrum der Ren-
tenversicherung. Eine reine Versicherungspflicht mit Wahlrecht zwischen gesetzlicher oder privater Vorsorge ist
zur Absicherung aller Lebensrisiken (Alter, Invalidität und Tod) ungeeignet. Ohne vorherige Risikoselektion sind
private Versicherungen nicht in der Lage, einen Versicherungsschutz bei Erwerbsminderung zu bezahlbaren
Konditionen und ohne Risikoausschlüsse anzubieten. Auf eine finanziell zumutbare Beitragspflicht ist ebenfalls
zu achten. Dabei sollte an Regelungen, die das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung bereits kennt,
etwa einkommensgerechte Beiträge, angeknüpft werden.
Soll der Solidarcharakter der gesetzlichen Rente unter Einbeziehung aller Erwerbstätigen gestärkt und die Fi-
nanzbasis verbreitert werden, kann die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) nicht einfach angehoben bzw. aufge-
geben werden. Andernfalls würden diesen Beiträgen auch erhöhte Rentenansprüche gegenüber stehen. Um Spiel-
räume für Leistungsverbesserungen zu schaffen, muss das Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung im oberen Einkommensbereich modifiziert werden. Hierzu sollte die BBG in eine Beitragsäquivalenz-
grenze umgewandelt werden. Danach würden sich zusätzliche Beiträge nur noch anteilig leistungssteigernd aus-
wirken. Das Äquivalenzprinzip wäre demnach nicht abgeschafft, sondern lediglich modifiziert. Der Vorschlag
ist sowohl verfassungskonform, als auch gesellschaftlich akzeptabel.
4. Wer bereits heute aufgrund unterbrochener Erwerbsbiographien (vor allem im Osten), auf lange Phasen pre-
kärer Beschäftigungen, Erwerbslosigkeit oder Krankheit zurückblicken muss, hat in der Regel keine Rente, die
im Alter ein Leben frei von Armut und sozialer Ausgrenzung ermöglicht. 16,5 Prozent bzw. mehr als 2,7 Milli-
onen Menschen über 65 Jahre sind arm oder von Armut bedroht. Seit 2003 ist die Zahl der Grundsicherungsbe-
ziehenden im Alter von fast 258 000 auf über 536 000 Personen Ende 2015 gestiegen. Hiervon hatten knapp 415
000 Personen einen Anspruch auf eine eigene Altersrente.
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozial-
gesetzbuch – SGB XII – deckt weder den existenzsichernden Bedarf für den Lebensunterhalt noch ist sie geeig-
net, verdeckte oder verschämte Altersarmut zu vermeiden. Eine Studie der Wissenschaftlerin Dr. Irene Becker
belegt, dass die „Quote der Nichtinanspruchnahme“ von Grundsicherungsleistungen rd. 68 Prozent beträgt. Als
Gründe nennt Becker unter anderem Scham und mangelnde Information (vgl. Böckler Impuls Ausgabe 13/2012:
„Grundsicherung erreicht Arme nicht“, abrufbar unter: www.boeckler.de/40838_40861.htm).
Für Menschen jenseits der Regelaltersgrenze, die über ein individuelles Haushaltseinkommen von weniger als
1 050 Euro pro Person verfügen, soll eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente ein-
geführt werden. Die solidarische Mindestrente muss sicherstellen, dass kein Mensch im Alter ein Nettoeinkom-
men unterhalb der Armutsrisikogrenze hat. Sie soll aus Steuermitteln finanziert und als Zuschlag – oder im Ein-
zelfall – als Vollbetrag von der Rentenversicherung ausgezahlt werden. Eine Vorversicherungszeit in der gesetz-
lichen Rentenversicherung ist nicht notwendig. Liegt das monatliche Gesamtnettoeinkommen inklusive gesetz-
licher Unterhaltsansprüche ohne Berücksichtigung eines Wohngeldanspruchs im Alter bei 1 050 Euro netto oder
darüber, besteht entsprechend kein Anspruch. Mit 1 050 Euro läge die solidarische Mindestrente deutlich ober-
halb des durchschnittlich zuerkannten Bruttobedarfs von 799 Euro (außerhalb von Einrichtungen, Juni 2016) für
Menschen ab der Regelaltersgrenze in der Grundsicherung im Alter.
http://www.boeckler.de/40838_40861.htm
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Drucksache 18/10891 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Zugleich soll die allgemeine Vermögensfreigrenze auf 20 000 Euro pro Person angehoben werden. Sie ist damit
deutlich höher als im heutigen SGB XII vorgesehen (aktuell nur 2 600 Euro). Daneben bleibt es bei einem Betrag
in Höhe von 750 Euro pro Lebensjahr für die Altersvorsorge pro Person. Für selbstgenutzte Immobilien werden
großzügige Verwertungsregelungen vorgesehen. Darüber hinaus ist das Wohngeld so zu modifizieren, dass die
Bruttowarmmiete berücksichtigt wird und ein individualisierter Anspruch besteht, d. h. die derzeitige Berück-
sichtigung der Einkommen der Bedarfsgemeinschaft bzw. Wohngemeinschaft aufgehoben werden wird.

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