BT-Drucksache 18/10726

Offene Fragen zum Freihandelsabkommen CETA - Gemeinsames Auslegungsinstrument und Protokollerklärungen

Vom 16. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10726
18. Wahlperiode 16.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Susanna Karawanskij,
Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Thomas Lutze, Dr. Alexander S. Neu,
Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Petra Sitte,
Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Offene Fragen zum Freihandelsabkommen CETA – Gemeinsames
Auslegungsinstrument und Protokollerklärungen

Dies ist die zweite von drei Kleinen Anfragen zu CETA und enthält Fragen zum
Gemeinsamen Auslegungsinstrument und Protokollerklärungen. Denn nicht zu-
letzt aufgrund der erheblichen Bedenken aus der Zivilgesellschaft wurden dem
CETA-Abkommen ein Gemeinsames Auslegungsinstrument und Protokollerklä-
rungen beigefügt, die für Klarstellungen sorgen sollen. Deren rechtliche Wirkung
ist jedoch sehr umstritten (vgl. etwa www.europarl.europa.eu/news/en/news-
room/20161123IPR52848/committee-on-international-trade-meeting-29112016).

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Gemeinsames Auslegungsinstrument (Dokumentenummer 13541/16)
1. Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung des Juristischen Dienstes

des Rates in der Erklärung Nr. 38 (Ratsdokument Nr. 13463/1/16/REV 1),
dass es sich bei dem Gemeinsamen Auslegungsinstrument um ein Bezugs-
dokument i. S. d. Artikels 31 Absatz 2b der Wiener Vertragsrechtskonven-
tion (WVK) handele, das heranzuziehen sei, wenn bei der Umsetzung des
CETA-Problems im Hinblick auf die Auslegung seines Wortlauts auftreten –
deshalb habe es Rechtskraft und verbindlichen Charakter (bitte begründen)?

2. In welchem Verhältnis steht nach Auffassung der Bundesregierung das
Gemeinsame Auslegungsinstrument zu den anderen Auslegungsmitteln,
insb. Wortlaut, Ziel und Zweck von CETA?
a) Kann sich das Gemeinsame Auslegungsinstrument nach Auffassung der

Bundesregierung bspw. gegen einen anderslautenden Wortlaut im CETA
durchsetzen?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragestellenden, dass über
die Auslegung eines Begriffes am Ende das Investitionsgericht entschei-
den wird?

http://www.europarl.europa.eu/news/en/news-room/20161123IPR52848/committee-on-international-trade-meeting-29112016
http://www.europarl.europa.eu/news/en/news-room/20161123IPR52848/committee-on-international-trade-meeting-29112016
Drucksache 18/10726 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. Welche Begriffe im CETA werden durch das Gemeinsame Auslegungs-
instrument jeweils ausgelegt (bitte sowohl Begriff als auch Vorschrift nen-
nen und nicht lediglich auf die Entsprechungstabelle verweisen, wo nicht die
Begriffe genannt werden, sondern lediglich die CETA-Artikel und das auch
nicht immer korrekt und vollständig wie bspw. zum Gliederungspunkt 6.d)?
Inwiefern wurden dazu von den Vertragsparteien jeweils unterschiedliche
Auslegungen vertreten, und welche erhalten die Begriffe durch das Gemein-
same Auslegungsinstrument?

4. Sieht die Bundesregierung Widersprüche zwischen dem Gemeinsamen Aus-
legungsinstrument und Wortlaut bzw. Sinn und Zweck von CETA?

Wenn ja, an welchen Stellen?
5. Warum wurden umstrittene Begriffe wie „gerechte und billige Behandlung“,

„offensichtliche Willkür“, „spezifische Erklärung“, „berechtigtes Vertrauen“,
„wesentliche Geschäftstätigkeit“ nicht ausgelegt?

6. Erweitert die Bestätigung der Vertragsparteien ihres Regulierungsrechts in
Nr. 2, 4, 5, 6, 9 etc. im Vergleich zum CETA-Vertragstext die tatsächlichen
Regulierungsmöglichkeiten der Regierungen, oder sind die konkreten Regu-
lierungsmaßnahmen weiterhin an den CETA-Bestimmungen zu messen?
Inwiefern wird das finanzielle Risiko, dass sich die Regierungen durch Re-
gulierungsmaßnahmen, die gegen CETA verstoßen, Schadensersatzforde-
rungen aussetzen, durch das Gemeinsame Auslegungsinstrument reduziert?

7. Was bedeutet die Erklärung in Nr. 6a, CETA werde nicht dazu führen, dass
ausländische gegenüber einheimischen Investoren begünstigt werden, konk-
ret?
Heißt das, dass auch inländische Investoren vor dem Investitionsgericht kla-
gen dürfen (bitte begründen)?

8. Geht die Erklärung in Nr. 6b, wonach die Regierungen ihre Gesetze ändern
dürfen, und zwar auch, wenn sich dies negativ auf eine Investition oder die
Gewinnerwartungen eines Investors auswirkt über den Anhang 8-A hinaus?
a) Bedeutet dies, dass die Erwartungen des Investors unbeachtlich sind?
b) Sind damit Schadensersatzzahlungen für entgangene Gewinne ausge-

schlossen?
9. Was bedeutet die Erklärung in Nr. 6d konkret, die besagt, dass die Europäi-

sche Union (EU) und Kanada gehalten sind, den Inhalt der Verpflichtung zur
gerechten und billigen Behandlung regelmäßig zu überprüfen, um sich zu
vergewissern, dass sie ihren Absichten entspricht und nicht weiter ausgelegt
werden kann als von ihnen beabsichtigt?
a) Inwiefern unterscheidet sie sich von Artikel 8.10.3 CETA?
b) Was passiert, wenn sich die Vertragsparteien nicht auf eine enge Defini-

tion einigen können?
c) Warum wurde die Erklärung für erforderlich gehalten, wenn CETA laut

Nr. 6c klare Investitionsschutzstandards wie die „gerechte und billige Be-
handlung“ enthält?

10. Auf welche Begriffe in Artikel 19.3.2 und 19.9.6. CETA bezieht sich die Er-
klärung Nr. 12 konkret, wonach CETA die Fähigkeit der Beschaffungsstel-
len wahrt, bei Ausschreibungsverfahren umwelt-, sozial- und arbeitsrechtli-
che Kriterien wie etwa die Pflicht zur Einhaltung und Übernahme von Kol-
lektivverträgen anzuwenden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10726

II. Protokollerklärungen (Dokumentennummer 13463/1/16 REV 1)

11. Wie wurden die Protokollerklärungen dem Ratsbeschluss zur vorläufigen
Anwendung beigefügt?
Sind sie als Anhang Teil des Ratsbeschlusses geworden oder wurden sie ihm
lediglich als Erklärungen beigefügt?

12. Hat Kanada die Protokollerklärungen als Urkunden i. S. d. Artikels 31 Ab-
satz 2b WVK angenommen?

13. Welche rechtliche Wirkung haben die Protokollerklärungen zu CETA, die
laut Ratsdokument Nr. 13463/1/16/REV 1 „integraler Bestandteil des Kon-
textes [sind], in dem der Rat den Beschluss über die Unterzeichnung des
CETA im Namen der Union annimmt“ (bitte begründen)?
a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Fachbereichs Europa, wo-

nach die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur
rechtlichen Wirkung von Protokollerklärungen zum abgeleiteten Recht
grundsätzlich auf die Protokollerklärungen übertragbar ist (vgl. PE 6 –
3000 – 156/16)?

b) Inwiefern hat der Inhalt der 38 Erklärungen jeweils Ausdruck im Ratsbe-
schluss zur vorläufigen Anwendung gefunden, inwiefern leistet er inhalt-
lich einen Beitrag zur konkretisierenden Auslegung, und inwiefern stößt
die so ggf. festgestellte unionsrechtliche Auslegungsrelevanz jeweils an
Grenzen (insb. des Wortlauts und der Systematik)?

c) Inwiefern kommt eine völkerrechtliche Auslegungsrelevanz der 38 Erklä-
rungen nach Artikel 31 Absatz 2b oder Artikel 32 WVK jeweils in Be-
tracht, und inwiefern stößt sie hier an Grenzen?

d) Inwiefern wurden nach Auffassung der Bundesregierung mit welchen
Erklärungen jeweils unionsrechtliche Vertrauenstatbestände geschaffen?

14. Welche rechtliche Wirkung hat bspw. die Bestätigung der Kommission in
der Erklärung Nr. 7 zum Schutz des Vorsorgegrundsatzes, dass CETA keine
Bestimmungen enthalte, die eine Anwendung des Vorsorgegrundsatzes in
der EU verhindere?
a) Wie verhält sich das zu den Artikeln 5.4 i. V. m. Artikel 2 SPS-Überein-

kommen (Übereinkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen),
24.11.2c, 25.2.2b und 28.3 CETA, in denen der wissenschaftsbasierte An-
satz Niederschlag gefunden hat?

b) Wie ist das Verhältnis zu Erklärung Nr. 23 zum Vorsorgegrundsatz?
15. Welche rechtliche Wirkung hat bspw. die Bekräftigung der Kommission in

der Erklärung Nr. 8 zu Wasser?
a) Auf welche CETA-Vorschriften bezieht sich das im Einzelnen?
b) Wie ist das Verhältnis zur Erklärung Nr. 23?
c) Kann die Bundesregierung erfolgreiche Schiedsverfahren zur Mitnutzung

der Infrastruktur oder um Wegerechte ausschließen, welche durch die
Vorbehalte für die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung in
den Annexen nicht geschützt sind (vgl. Stellungnahme der Allianz der
öffentlichen Wasserwirtschaft e. V. vom August 2016; bitte begründen)?

d) Trifft es zu, dass mit CETA neue Aufgaben wie energieautarke Anlagen
oder die Rückgewinnung und Verwendung von Rohstoffen aus Abwasser
für Unternehmen in öffentlicher Hand der Trinkwasser- und Abwasser-
branche nicht von CETA ausgenommen werden, so dass hier für von
CETA begünstigte Investoren Marktzugang gewährt werden muss (vgl.
ebd., bitte begründen)?

Drucksache 18/10726 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

16. Welche rechtliche Wirkung hat bspw. die Erklärung Sloweniens in Nr. 23?

a) Welche Konsequenzen hätte es, wenn das System der Investitionsge-
richtsbarkeit nicht kontinuierlich weiterentwickelt wird?

b) Wie ist das Verhältnis zur Erklärung Nr. 36?
17. Welche rechtliche Wirkung hat die Erklärung Polens u. a. zu Investitionen in

Nr. 25?
a) Handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung um einen völker-

rechtlichen Vorbehalt?
b) Welchen Einfluss hat sie auf den Investitionsbegriff im CETA?
c) Welchen Einfluss auf die Richterauswahl?

18. Welche konkreten Vorschriften in CETA (bitte einzeln nennen) werden nach
Auffassung der Bundesregierung durch die Erklärung der Kommission in
Nr. 27 bestätigt, welche besagt, dass die Beschaffungsstellen umweltbezo-
gene, soziale oder beschäftigungsbezogene Kriterien und Bedingungen bei
ihren Vergabeverfahren anwenden können?
a) Unter welchen Tatbestand des Artikels 19.3. Absatz 2 CETA lassen sich

Tariftreueklauseln subsummieren?
b) Welche rechtliche Wirkung hat die Erklärung der Kommission zu öffent-

lichen Dienstleistungen in Nr. 29?
c) Wie verhält sich das dazu, dass diese nicht generell und umfassend von

CETA ausgenommen wurden (vgl. Gutachten „Model clauses for the
exclusion of public services from trade and investment agreements“ von
Prof. Dr. Krajewski, Februar 2016)?

d) Welche rechtliche Wirkung hat die Erklärung der Kommission zu gene-
tisch veränderten Erzeugnissen in Nr. 30?

e) Auf welche Vorschriften in CETA bezieht sich die Erklärung?
f) Wie ist das Verhältnis zu den Erklärungen Nr. 23 und 25?

19. Welche rechtliche Wirkung hat die Erklärung der Kommission zum Unter-
nehmensbegriff in Nr. 31?

Wie verhält sie sich zu Artikel 8.1 CETA?
Sind Kanada, kanadische Unternehmen oder das Investitionsgericht an diese
Definition gebunden (bitte begründen)?

20. Welche rechtliche Wirkung hat die Erklärung des Rates und der Kommission
zur Landwirtschaft in Nr. 32?
a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen Diens-

tes des Deutschen Bundestages, dass der Verweis auf die Schutzmaßnah-
men lediglich deklaratorisch die geltende Rechtslage wiedergibt (WD 2 –
3000 – 145/16 – PE 6 – 3000 – 159/16)?

b) Enthält die Aussage, die Kommission werde die Schutzmaßnahmen in
vollem Umfang ergreifen, wann immer dies erforderlich ist, sowie die
Verpflichtung, bei einem Marktungleichgewicht bei einem Agrarpro-
dukt, unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, eine zu-
sätzliche Verpflichtung – bspw. durch Schaffung eines Vertrauenstatbe-
standes – im Verhältnis zu den Verordnungen (EU) 2015/478 und (EU)
Nr. 1308/2013?

c) In welchem Verhältnis steht die Erklärung Nr. 32 zu der Erklärung Belgi-
ens in Nr. 37 D?

d) Welche rechtliche Wirkung hat die Erklärung Belgiens?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10726
e) Bezieht sie sich auf die Verordnungen (EU) Nr. 1308/2013 und/oder (EU)
2015/478?

f) Welche zusätzlichen Rechte bekommt Belgien dadurch?
g) Wird die Kommission dadurch verpflichtet, nicht nur auf Antrag des Fö-

deralstaats, sondern auch auf Antrag einer föderierten Einheit tätig zu
werden?

h) Entscheidet danach weiterhin die Kommission über das Ergreifen von
Schutzmaßnahmen?

i) Wer legt nach welchem Verfahren die Schwellenwerte fest, um zu bestim-
men, was unter einem Marktungleichgewicht zu verstehen ist?

j) Welche Konsequenzen hätte es, wenn die Schwellenwerte für das Markt-
ungleichgewicht nicht innerhalb von zwölf Monaten festgelegt werden?

k) Was bedeutet es, dass Belgien die festgelegten Schwellenwerte im Rah-
men des europäischen Beschlussfassungsprozesses verteidigen wird?

l) Welche Durchsetzungsmöglichkeiten hat Belgien hier?
21. Welche rechtliche Wirkung hat die Erklärung der Kommission und des Rates

zum Investitionsgerichtshof in Nr. 36?
a) Welche Position vertritt Kanada nach Kenntnis der Bundesregierung zu

den dort vorgesehenen Änderungen?
b) Warum wurden die Änderungen nicht vor der Unterzeichnung von CETA

vorgenommen?
22. Teilt die Bundesregierung die Auflassung von Mauro Petriccione, dem EU-

Verhandlungsführer für CETA, dass es sich bei den Protokollerklärungen
um Unionsinterna ohne Relevanz für Kanada handelt, und wenn ja, was folgt
daraus (vgl. Dokument Nr. BRUEEU 46010/2016)?

Berlin, den 15. Dezember 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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