BT-Drucksache 18/10197

Integration durch Bildung - Stand: Herbst 2016

Vom 3. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10197
18. Wahlperiode 03.11.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck (Köln), Kai Gehring,
Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, Brigitte Pothmer, Katja Dörner,
Dr. Franziska Brantner, Ulle Schauws, Doris Wagner, Maria Klein-Schmeink,
Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe,
Britta Haßelmann, Katja Keul, Dr. Konstantin von Notz und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Integration durch Bildung – Stand: Herbst 2016

Die Integration hunderttausender Flüchtlinge durch Bildung ist eine zentrale Ge-
meinschaftsaufgabe, der sich Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam
annehmen müssen. Bereits vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes im Sommer
2016 haben Zivilgesellschaft, Kommunen, Länder, Bundeseinrichtungen und
nicht zuletzt die Wirtschaft vieles getan, um Flüchtlingen durch den Zugang zu
Bildungs- und Qualifizierungsangeboten das Ankommen in Deutschland und den
Schritt in ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Mit dem Integrationsgesetz
hat die Bundesregierung schließlich den Versuch unternommen, Bildungs- und
Qualifizierungsangebote für Flüchtlinge zu strukturieren und Zugangshürden für
bestimmte Gruppen gesenkt. Gleichwohl bleibt insbesondere durch die Knüpfung
des Förderzugangs an die „gute“ bzw. „schlechte“ Bleibeperspektive im Asylver-
fahren eine große Gruppe der Neuankommenden nach wie vor von früher Teil-
habe ausgeschlossen. Das Konstrukt der Bleibeperspektive knüpft jedoch not-
wendigerweise an die pauschalisierende Betrachtung von Gruppen an und sagt
daher nichts über die individuelle Bleibeperspektive aus, die zu beurteilen wei-
terhin in der ausschließlichen Kompetenz des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge bleibt. Daher ist die Differenzierung nach der Bleibeperspektive bei
der Wahrnehmung von sozialen und wirtschaftlichen Rechten nach Auffassung
der Fragesteller nicht gerechtfertigt. Zunehmend wird auch Kritik laut, dass die
Umsetzung des Integrationsgesetzes in den Ländern dem vom Bundesgesetzgeber
intendierten Ziel, die Integration in den Ausbildungsmarkt zu fördern, teilweise
zuwiderläuft. So beklagt beispielsweise der Bayerische Industrie- und Handels-
kammertag (BIHK e. V.), dass sich die Aussichten von Flüchtlingen auf eine
Lehrstelle aufgrund der restriktiven Auslegung des Gesetzes durch das bayerische
Innenministerium erheblich verschlechtert hätten (www.bihk.de/bihk/bihk/
Nachrichten/Presse/3-2-modell-19.10.2016-.html). Neben einem ausreichenden
Angebot an qualitativ hochwertigen Bildungsangeboten sowie niedrigschwelli-
gen Zugängen hängt die Frage, ob Integration langfristig erfolgreich sein wird,
darüber hinaus aber auch maßgeblich von einer effektiven und effizienten Koor-
dinierung der unterschiedlichen Maßnahmen und Programme ab.

Drucksache 18/10197 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Betrachtet die Bundesregierung die effektive und effiziente Koordination der
verschiedenen Bildungs- und Qualifizierungsangebote als ihre Aufgabe, und
wenn ja, wie, und in welchem Ressort erfolgt diese Koordination, und wenn
nein, warum nicht?

2. Welche Bildungs- und Qualifizierungsangebote zur Integration von Flücht-
lingen stellen nach Kenntnis der Bundesregierung die Länder bereit, und in-
wiefern sind diese Angebote zwischen Bund und Ländern abgestimmt bzw.
miteinander verzahnt?

3. Welche Bildungs- und Qualifizierungsangebote zur Integration von Flücht-
lingen bietet das bzw. die
a) Bundesministerium für Bildung und Forschung,
b) Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
c) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
d) Bundesministerium des Innern,
e) Bundesministerium für Wirtschaft und Energie,
f) Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration,
und inwiefern sind diese Angebote aufeinander abgestimmt?

4. Welche Konzepte zur Verzahnung von allgemeiner und beruflicher Bildung
bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit, und wie sind die jewei-
ligen Erfahrungen mit diesen Konzepten?

5. In welchem Maße wurden die Bundeshaushaltsmittel zur kommunalen Ko-
ordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte bisher abgerufen?

6. Wie viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber, Inhaberinnen und Inhaber
eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen (Kapitel 2 Abschnitt 5 des
Aufenthaltsgesetzes – AufenthG) und Geduldete befinden sich nach Kennt-
nis der Bundesregierung derzeit in
a) geringqualifizierter Beschäftigung (bitte nach Ländern und Aufenthaltsti-

teln aufschlüsseln),
b) schulischer, betrieblicher oder außerbetrieblicher Berufsausbildung (bitte

nach Ländern, Berufsgruppen und Aufenthaltstiteln aufschlüsseln),
c) Ausbildungsvorbereitung (bitte nach Ländern und Aufenthaltstiteln auf-

schlüsseln)?
7. Wie wird die duale Ausbildung von Menschen mit Fluchterfahrung nach Ein-

schätzung der Bundesregierung als Qualifizierungsweg angenommen?
8. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Anteil derjenigen, die über Aus-

bildung in den Arbeitsmarkt einmünden in Relation zur direkten Arbeitsauf-
nahme sowie dem Verbleib in Arbeitslosigkeit, und welche Konsequenzen
zieht die Bundesregierung aus dieser Einschätzung?

9. Wann wird nach Prognosen der Bundesregierung der Großteil der zwischen
Januar 2015 und Oktober 2016 angekommenen und ausbildungsinteressier-
ten Neuzugewanderten in das Ausbildungsgeschehen einmünden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10197

10. Wie hoch ist der erwartete Anteil an Einmündungen in

a) betriebliche Ausbildung,
b) schulische Ausbildung,
c) Ausbildungsvorbereitung (bitte jeweils nach Bundesländern und Berufs-

gruppen aufschlüsseln)
für die Jahre 2016, 2017 und 2018?

11. Auf welche Erkenntnisse stützt die Bundesregierung ihre Prognose?
12. Inwiefern werden die verschiedenen bundes- und landesseitigen Integrati-

onsstrategien und -angebote im Bildungsbereich nach Kenntnis der Bundes-
regierung wissenschaftlich begleitet bzw. evaluiert?

13. Wie beteiligt sich die Bildungsforschung des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung (BMBF) an der wissenschaftlichen Begleitung und Eva-
luierung von Bildungs- und Qualifizierungsangeboten, und inwiefern fließen
entsprechende Erkenntnisse in die Weiterentwicklung der vom BMBF be-
reitgestellten Maßnahmen und Programme?

14. Sind der Bundesregierung Problemanzeigen bekannt, dass sich die voraus-
schauende Bereitstellung von Bildungs- und Qualifizierungsangeboten auf-
grund fehlender Planungsdaten (sogenannte SoKo-Daten) schwierig gestal-
tet, und wenn ja, wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass trotz feh-
lender Planungsdaten eine ausreichende Zahl von Bildungsangeboten zur
Verfügung gestellt werden kann?

15. Wird die Bundesregierung zukünftig entsprechende Planungsdaten zur Ver-
fügung stellen, und wenn ja, wann und durch wen, und wenn nein, warum
nicht?

16. Welche Rolle sieht die Bunderegierung bei der Koordination der beruflichen
Bildungs- und Qualifizierungsangebote bei der Allianz für Aus- und Weiter-
bildung?

17. An welchen Maßnahmen zur Integration Neuzugewanderter arbeiten die
Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung derzeit (bitte nach den Akti-
vitäten der jeweiligen Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung auf-
schlüsseln)?

18. Planen die Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung, anders als im
Jahr 2015 im Dezember 2016 wieder die übliche Jahresbilanz vorzulegen,
und wenn ja, wann, und mit welchen Ergebnissen, und wenn nein, warum
nicht?

19. Inwiefern hält die Bundesregierung die Weisung des Bayerischen Staatsmi-
nisteriums des Innern vom 1. September 2016 zur Ausbildungsduldung für
vereinbar mit dem Regelungszweck des § 60a Absatz 2 Satz 4 AufenthG, die
Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt im Interesse aller Betei-
ligten zu fördern, und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung
aus integrations- und arbeitsmarktpolitischer Perspektive?

Drucksache 18/10197 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

20. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bayerischen

Staatsministeriums des Innern, dass die Erteilung einer Duldung gemäß
§ 60a Absatz 2 Satz 4 AufenthG an Ausländerinnen und Ausländer, die kei-
nen Asylantrag gestellt oder ihren Antrag zurückgenommen haben, nicht
in Betracht komme, weil dies den Missbrauch des Asylrechts und die Um-
gehung des Visumserfordernisses befördern würde (vgl. Weisung vom
1. September 2016, S. 17 ff.), obwohl es vielmehr einen erheblichen An-
reiz für Geduldete, denen die Beschäftigungserlaubnis verwehrt wird, weil
sie zuvor keinen Asylantrag gestellt haben, darstellen dürfte, einen Asyl-
antrag allein deshalb zu stellen, weil ansonsten die Aufnahme einer Be-
schäftigung unmöglich bliebe?

21. Inwiefern hält die Bundesregierung die Weisung des Bayerischen Staatsmi-
nisteriums des Innern vom 1. September 2016, auch unbegleitete Minderjäh-
rige, die keinen Asylantrag gestellt haben, von der Ausbildungsduldung aus-
zuschließen, für integrations- und bildungspolitisch sachgerecht und verein-
bar mit den unabhängig von Staatsangehörigkeit und aufenthaltsrechtlichem
Status geltenden Kinderrechten?

22. Wie viele Ausbildungsverhältnisse zwischen Betrieben und Asylbewerberin-
nen und Asylbewerbern sowie Geduldeten aus sog. sicheren Herkunftsstaa-
ten mussten nach Kenntnis der Bundesregierung aufgrund einer nicht weiter
erteilten Arbeitserlaubnis seit dem 1. September 2015 aufgelöst werden?

23. Werden die Auswirkungen der Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge
durch die Bundesregierung untersucht bzw. evaluiert, und wenn ja, welche
Institution ist damit beauftragt, und wenn nein, warum nicht?

24. Wie viele Anträge zur Aufhebung einer Wohnsitzauflage wurden nach
Kenntnis der Bundesregierung seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes ge-
stellt (bitte nach Ländern aufschlüsseln)?

25. Wie viele Anträge wurden davon nach Kenntnis der Bundesregierung aus
Bildungsgründen gestellt (bitte nach Bildungsphasen und Ländern aufschlüs-
seln)?

Berlin, den 3. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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