BT-Drucksache 18/1014

Schlussfolgerungen aus dem Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses zur so genannten Armutsmigration

Vom 14. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1014
18. Wahlperiode 14.05.2014

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Sevim Dağdelen, Sabine Zimmermann
(Zwickau), Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Petra Pau, Harald Petzold
(Havelland), Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Schlussfolgerungen aus dem Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses
zur so genannten Armutsmigration

Mit Beschluss vom 8. Januar 2014 setzte die Bundesregierung einen Staatsse-
kretärsausschuss unter Beteiligung von elf Ressorts ein, dessen Zielsetzung ist,
„Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen
Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ zu klären. Hin-
tergrund für die Einsetzung des Ausschusses war die seit 1. Januar 2014 geltende
völlige Freizügigkeit auch für rumänische und bulgarische EU-Staatsangehö-
rige. In dessen Zuge hatten Ende 2013 und Anfang 2014 verschiedene Politike-
rinnen und Politiker einen Missbrauch der sozialen Sicherungssysteme be-
schworen und nach Auffassung der Fragesteller in einer teils rassistischen und
chauvinistischen Art gegen Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union
(EU) gehetzt. Unter der Überschrift „Wer betrügt, der fliegt“ hatte die Regie-
rungspartei CSU den Ton dieser Debatte vorgegeben.
Ergebnisse des Ausschusses der Staatssekretäre sollen bis Juni 2014 vorliegen,
am 26. März 2014 legte er bereits einen Zwischenbericht vor (auch erschienen
auf Bundestagsdrucksache 18/960, hierauf beziehen sich im Folgenden auch die
jeweiligen Seitenangaben). Der Bericht betont einerseits die Freizügigkeit als
„tragende Grundfreiheit“ und „eine der sichtbarsten Vorzüge Europas für seine
Bürger“ (S. 5). Anderseits sollen aber „Fälle von betrügerischer oder miss-
bräuchlicher Inanspruchnahme der Freizügigkeit“ verhindert werden. Unter
dem Begriff des „Missbrauchs“ werden wiederum unterschiedliche Phänomene
zusammengefasst, wie beispielsweise die Anmeldung eines Gewerbes, ohne
dass real die Absicht besteht, wirtschaftlich aktiv zu werden, „Schein-Selbstän-
digkeit“ zur Verdeckung besonders ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse, die Ein-
wanderung zur Arbeitssuche, ohne dass ausreichend Aussicht auf Erfolg be-
steht, weshalb die Einwanderer auf Sozialleistungen angewiesen sind, Erschlei-
chen von Aufenthaltskarten durch Drittstaatsangehörige, die als Ehepartner von
Unionsangehörigen indirekt von der Freizügigkeit Gebrauch machen, Miss-
brauch von Kindergeldleistungen durch Doppelmeldungen.
Bei der Vorstellung des Berichts kündigte der Bundesminister des Innern,
Dr. Thomas de Maizìere, an, auch verstärkt gegen jene Arbeitergeber vorgehen
zu wollen, die Einwanderinnen und Einwanderer mit falschen Angaben zur Ver-
diensthöhe bzw. zu Arbeitsbedingungen anwerben und sie hier krassen Formen
der Arbeitsausbeutung unterwerfen. Maßnahmen, die in diese Richtung gehen,

Drucksache 18/1014 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

lassen sich im Bericht jedoch nicht finden. Die seit den 90er-Jahren grassierende
Arbeitsausbeutung mittels Werkverträgen wird nicht einmal erwähnt.
Der Bericht enthält zahlreiche Fakten, die zur Versachlichung der Debatte über
die sogenannte Armutsmigration beitragen können, die aber auch schon zu
einem großen Teil aus Antworten auf parlamentarische Anfragen bekannt waren
(u. a. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/223).
Demnach haben sich sowohl die Zuzugszahlen als auch die Wanderungssaldi bei
bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen in den vergangenen zwei Jah-
ren deutlich erhöht. Die Kommunen, die einen hohen Einwanderungsanteil
haben, sollen dem Bericht zufolge besondere Hilfeleistungen durch den Bund
erhalten. Die Einwanderung konzentriere sich hauptsächlich auf etwa acht Kom-
munen. Duisburg (+4 025) und Frankfurt (+2 246) nehmen dabei die Spitzen-
position ein, der Wanderungssaldo nach Dortmund ist mittlerweile eher margi-
nal (+252 im Jahr 2013). Diese Einwanderer sind überwiegend sozialversiche-
rungspflichtig, aber auch ausschließlich geringfügig beschäftigt. Im Wirt-
schaftszweig „Land- und Forstwirtschaft, Fischerei“ gibt es die meisten dieser
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, also wenig überraschend in Berei-
chen mit geringen Anforderungen an die Qualifikation, aber auch zum Teil mit
extrem niedrigen Löhnen und legalen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen
durch Zeitarbeit und Werkverträge. Der Anteil der Sozialleistungsempfänger
unter bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen (EU-2) lag im Juni 2013
bei 10 Prozent (16,2 Prozent in der ausländischen Bevölkerung und 7,5 Prozent
in der Gesamtbevölkerung).
Neu sind einzelne Daten zum Kindergeldbezug. Bekannt war bereits, dass mit
Stand Dezember 2013 für 24 736 bulgarische und 35 719 rumänische Kinder
Kindergeld gezahlt wurde. Von den bulgarischen Kindern lebten 3,9 Prozent
nicht in Deutschland, bei den rumänischen Kindern lag dieser Anteil bei 9,5 Pro-
zent. Dieser Anteil ist vergleichsweise gering: 28,7 Prozent der polnischen
Kinder im Kindergeldbezug lebten Ende des Jahres 2013 nicht in Deutschland,
28,2 Prozent der tschechischen, 25,9 Prozent der slowakischen, 23,4 Prozent der
ungarischen, 14,2 Prozent der niederländischen und 13,7 Prozent der belgischen
Kinder. Dies dürfte schlicht die Realität von Pendelmigration wiedergeben; ein
vermeintlicher Missbrauch ist daraus nach Ansicht der Fragesteller nicht herzu-
leiten.
Staatsangehörige aus Bulgarien und Rumänien nehmen vermehrt Integrations-
kurse in Anspruch. Obwohl sie keinen Rechtsanspruch haben, gehören sie mit
Polen, der Türkei und Syrien zu den fünf Hauptherkunftsländern bei den neu
angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Jahres 2013; zusammen-
genommen stellen sie unter diesen 11,4 Prozent. Auffallend sind die sehr unter-
schiedlichen Bestehensquoten: Rumänische Staatsangehörige schlossen im ers-
ten Halbjahr 2013 zu 80 Prozent den Kurs auf dem Sprachniveau B1 ab, aber nur
59 Prozent der bulgarischen Staatsangehörigen (Schnitt aller Staatsangehörigen
der Europäischen Union: 74 Prozent). Für sie ist die Umstellung von der kyrilli-
schen auf die lateinische Schrift wahrscheinlich eine wesentliche Schwierigkeit.
Der Bericht geht auf diese Problematik nicht ein.
Bei der Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen wurden die
meisten Anträge im Jahr 2012 von rumänischen Staatsangehörigen gestellt
(1 155 von 10 989 insgesamt), zu 89 Prozent betrafen die Anträge medizinische
Gesundheitsberufe (u. a. Ärzte). Für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union
wurden 5 538 Anträge gestellt, davon 4 605 (83 Prozent) für medizinische Ge-
sundheitsberufe. Die Anerkennungsquote lag für bulgarische mit 89,2 Prozent
bzw. rumänische Staatsangehörige mit 89,9 Prozent über dem EU-Durchschnitt
von 82 Prozent.

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Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist mittlerweile die Zahl der Fälle des Nichtbestehens des Freizügigkeits-

rechts nach § 2 Absatz 7 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU,
Missbrauch des Freizügigkeitsrechts durch Täuschung) im Ausländerzentral-
register abrufbar?
Falls ja, welche Zahlen über welche Zeiträume liegen mittlerweile vor (bitte
nach Staatsangehörigkeiten auflisten)?
Falls nein, warum nicht, und welche quantitativen Erkenntnisse liegen der
Bundesregierung zum Umfang zu etwaigen Täuschungshandlungen, bei-
spielsweise über eine vermeintliche Gewerbegründung oder über die Vorlage
gefälschter bzw. verfälschter Dokumente, vor bzw. waren Grundlage der Be-
ratung der Staatssekretäre (bitte ausführen)?

2. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zum Umfang des Phäno-
mens in der Bundesrepublik Deutschland „erschlichener“ Aufenthaltskarten
vor, die an Drittstaatsangehörige ausgegeben werden, die eine Ehe mit einem
freizügigkeitsberechtigten Bürger der Europäischen Union angeblich nur mit
dem Ziel eingehen, eine solche Aufenthaltskarte zu erhalten, ohne tatsächlich
eine familiäre Lebensgemeinschaft führen zu wollen?
a) Wie viele Drittstaatsangehörige halten sich derzeit nach Kenntnis der

Bundesregierung bzw. jeweils zu Ende des Jahres im Zeitraum 2007 bis
2013 mit einer Aufenthaltskarte nach § 5 Absatz 1 FreizügG/EU in
Deutschland auf (bitte zusätzlich nach Geschlecht, minderjährig, volljäh-
rig und den zehn Hauptherkunftsstaaten auflisten)?

b) Wie oft wurde nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen
fünf Jahren der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Absatz 4 Frei-
zügG/EU in welchen Fallkonstellationen festgestellt, und wie oft wurde
deshalb eine Aufenthaltskarte eingezogen (bitte zusätzlich nach Ge-
schlecht und den zehn Hauptherkunftsstaaten auflisten)?

c) Welche konkreten Angaben welcher Ausländerbehörden oder anderer
Stellen oder sonstige Erkenntnisse liegen den Aussagen im Staatssekre-
tärsbericht zu dieser Problematik zugrunde, und in wie vielen der auf S. 58
des Berichts angegebenen Zahl von 250 Verdachtsfällen kam es nach
Kenntnis der Bundesregierung tatsächlich zum Einzug der entsprechen-
den Aufenthaltskarte bzw. dazu, dass eine Aufenthaltskarte nicht erteilt
wurde, und was ergaben gerichtliche Überprüfungen solcher behördlicher
Maßnahmen nach Kenntnis der Bundesregierung?

d) Ist nach Ansicht der Bundesregierung allein die Tatsache, dass die Ehe-
leute jedenfalls zeitweise keinen gemeinsamen Haushalt in der Bundes-
republik Deutschland führen – beispielsweise aufgrund einer wirtschaft-
lichen Betätigung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union –
ein hinreichender Anhaltspunkt, von einer Täuschung i. S. v. § 2 Absatz 7
FreizügG/EU auszugehen, bzw. welche Aspekte sollen zur Feststellung
einer solchen Täuschungshandlung herangezogen werden, bzw. welche Um-
stände müssen für eine entsprechende Annahme vorliegen (bitte ausführen)?

e) Welche Erkenntnisse aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union sind der Bundesregierung zu dieser Problematik bekannt, insbeson-
dere solche, die sich auf valide Daten und nicht im Wesentlichen auf sub-
jektive Eindrücke aus den zuständigen (Ausländer-)Behörden stützen?

f) Welche Erfahrungen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in ande-
ren Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit der Einführung der Straf-
barkeit von so genannten Scheinehen zur Erschleichung von Aufenthalts-
titeln für Drittstaatsangehörige gemacht, und welche Fallzahlen sind dazu
jeweils bekannt?

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3. Welche Zahlen liegen der Bundesregierung über die in den letzten drei Jahren
nachweislich missbräuchlich in Anspruch genommenen Sozialleistungen
vor, und wie stellt sich hier das Verhältnis von deutschen Staatsangehörigen
zu Menschen mit einer Staatsbürgerschaft aus den Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union und Menschen mit einer Staatsbürgerschaft außerhalb der
Europäischen Union dar (bitte gesondert aufschlüsseln)?

4. Auf welche unionsrechtliche Grundlage soll die im Staatssekretärsbericht
vorgeschlagene Wiedereinreisesperre nach einer Verlustfeststellung des Frei-
zügigkeitsrechts nach § 2 Absatz 7 FreizügigG/EU gestellt werden, und wel-
che Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Ausle-
gung dieser Grundlage ist dabei gegebenenfalls zu beachten (bitte mit Fund-
stellen und Leitsätzen angeben; Angaben zur Rechtsprechung des EuGH, die
bei etwaigen Gesetzesvorhaben zu beachten ist – dies gilt auch für nachfol-
gende Fragen – bitte unabhängig von etwaigen Auskünften der Bundesregie-
rung zu geplanten Gesetzesvorhaben beantworten)?

5. Auf welche unionsrechtliche Grundlage soll die im Staatssekretärsbericht
vorgeschlagene Befristung des Aufenthalts zur Arbeitssuche gestellt werden
(bitte mit konkretem Verweis auf die hierbei zu beachtende EuGH-Recht-
sprechung ausführen)?
a) Wenn, wie im Bericht angegeben, der Bezug von Sozialleistungen allein

nicht zu Ausweisungsmaßnahmen führen soll, welche weiteren Kriterien
sollen herangezogen werden, und wie sollen diese gesetzestechnisch ab-
gebildet werden?

b) Durch welche Behörde soll eine entsprechende Prüfung vorgenommen
werden, angesichts des Umstandes, dass nach Auffassung der Fragesteller
in den Ausländerbehörden regelmäßig eine ausreichende Expertise über
Beschäftigungsaussichten fehlen dürfte, oder soll allein die fehlgeschla-
gene Suche nach Beschäftigung innerhalb des ersten halben Jahres nach
Einreise ausschlaggebend sein?

c) Welche Handhabe sieht die Bundesregierung im Unionsrecht, eine unmit-
telbare Wiedereinreise von arbeitssuchenden freizügigkeitsberechtigten
Unionsbürgern, die ausgewiesen worden sind, zu unterbinden, und welche
Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung sind dabei zu beachten (bitte kon-
kret mit Aktenzeichen und Leitsätzen benennen)?

6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Darstellung
des Berichts, dass – Effekte durch die Krise in den südlichen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union beiseite gelassen – ein Anstieg an Kindergeld-
berechtigten jeweils dann zu verzeichnen ist, wenn Staaten neu der EU bei-
treten, also junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus diesen Ländern
in die Bundesrepublik Deutschland einwandern und eine Familie gründen,
und welche Schlussfolgerungen können aus diesen Fakten insbesondere auf
die Gefahr des „Missbrauchs“ von Kindergeld gezogen werden?

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Darstellung
des Berichts, demzufolge der Anteil von Kindern, für die Kindergeld bezogen
wird, augenscheinlich um so höher ist, je näher der Herkunftsstaat der Eltern
an der Bundesrepublik Deutschland liegt, inwieweit teilt sie die Einschätzung
der Fragesteller, dass eine räumliche Nähe zur Bundesrepublik Deutschland
Formen der „Pendelmigration“ und damit einen höheren Anteil von im Aus-
land lebenden kindergeldberechtigten Kindern begünstigt, und welche Schluss-
folgerungen können aus diesen Fakten insbesondere auf die Gefahr des „Miss-
brauchs“ von Kindergeld gezogen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1014

8. Welche konkreten Hinweise und quantitativen Erkenntnisse liegen der Bun-
desregierung zum Umfang des Missbrauchs des Kindergeldbezugs im Hin-
blick auf
a) nicht existente Kinder,
b) mehrfachen Bezug von Kindergeld für ein einziges Kind, entweder in der

Bundesrepublik Deutschland oder durch Bezug in der Bundesrepublik
Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (inkl.
des Herkunftsstaates),

c) andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die angeben, mit ent-
sprechendem Missbrauch zu kämpfen zu haben,

im Einzelnen vor?
9. Wie soll die Anregung aus dem Bericht, in Zukunft immer die Steueridenti-

fikationsnummer des Kindergeldberechtigten und des zum Kindergeldbe-
zug berechtigenden Kindes zu prüfen, umgesetzt werden, erhalten auch jetzt
schon neu zuziehende Kinder eine Steueridentifikationsnummer, welche
Neuregelungen sind diesbezüglich eventuell erforderlich, und mit welchen
zusätzlichen Kosten ist hierbei zu rechnen?

10. Welchen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und welche zusätzlichen Kos-
ten erwartet die Bundesregierung, wenn die Familienkassen, der Anregung
des Berichts folgend, zukünftig prüfen müssen, ob sie gegebenenfalls die
Ausländerbehörde zur Prüfung des Bestehens der Freizügigkeit konsultie-
ren sollen?

11. Wie soll bei einer solchen Einbindung der Familienkassen in die Durchset-
zung des Freizügigkeitsrechts (was nicht ihren originären Aufgaben im
Rahmen des Familienleistungsausgleichs entspricht) ausgeschlossen wer-
den, dass Familien mit Kindergeldbezug zukünftig deutlich engmaschiger
als Alleinstehende oder Kinderlose im Bestehen ihrer Freizügigkeit kontrol-
liert werden, um eine Diskriminierung aufgrund des Kindergeldbezugs zu
verhindern?

12. Inwieweit sieht es die Bundesregierung als problematisch an bzw. als einen
Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot von Unionsangehörigen, dass
es laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit (vgl. DIE WELT vom
29. April 2014: „Zahl der Kindergeldanträge aus Ausland unterschätzt“) in-
folge eines EuGH-Urteils vom Juni 2012 zum Kindergeldbezug von Leih-
und Saisonarbeitern 30 000 unbearbeitete „Kindergeldanträge von Auslän-
dern“ (gemeint sind vermutlich vor allem Unionsangehörige) „mit Kindern
im Heimatland“ gibt und „in vielen Fällen die Antragsteller seit mehr als
einem Jahr auf ihr Geld“ warten, was hat die Bundesagentur in Verhandlun-
gen mit dem Bundesministerium der Finanzen bei Verhandlungen um mehr
Geld und Personal zur Auflösung des Antragstaus erreichen können, und in-
wieweit stellt die Bundesregierung sicher, dass geplante Maßnahmen zur
genaueren Prüfung von Kindergeldanträgen bei diesem Personenkreis nicht
zu noch längeren Bearbeitungszeiten und damit zu einer Benachteiligung
von Unionsangehörigen führen (bitte im Detail darlegen)?

13. Sind die Formulierungen des Berichts in Bezug auf die sozialrechtliche Be-
handlung freizügigkeitsberechtigter Bürger der EU und zum Leistungsaus-
schluss aus dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) dahingehend zu
verstehen, dass die Bundesregierung hierzu erst einmal die Rechtsprechung
des EuGH abwarten will, bevor sie sich dazu weiter positioniert?
a) Bleibt diese Fragestellung dann auch im Abschlussbericht ausgeklam-

mert, falls bis dahin keine Entscheidung des EuGH in den Vorlageverfah-
ren zur Frage des Leistungsausschlusses ergangen sein sollte, oder wel-
ches weitere Vorgehen plant die Bundesregierung für diesen Fall?

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b) Soll der Abschlussbericht im Abschnitt „Mögliche weitere Maßnahmen
auf europäischer Ebene“ einen Vorschlag enthalten, wie die Bundes-
regierung auf EU-Ebene zu einer Klärung der sozialrechtlichen Aspekte
der Freizügigkeit weiter agieren soll oder kann?

14. Welche Daten liegen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zum Umfang von
Scheinselbständigkeiten und so genannter Schwarzarbeit vor, in deren Rah-
men Sozialbeiträge vorenthalten wurden, und welche Erkenntnisse gibt es
insbesondere zu den Staatsangehörigkeiten der Opfer und der Profiteure sol-
cher verdeckten ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse und zur Summe des
entstandenen Schadens für die Sozialversicherungsträger?

15. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hierzu aus den anderen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor?

16. Soll der Vorschlag des Berichts, zukünftig alle Gewerbeanzeigen auf An-
haltspunkte für Scheinselbständigkeit zu prüfen, tatsächlich für alle Gewer-
beanzeigen gelten oder auf Bürgerinnen und Bürger der EU oder sogar ein-
zelne Herkunftsstaaten begrenzt werden?
a) Mit welchen Folgekosten rechnet die Bundesregierung für die Gewerbe-

ämter insbesondere hinsichtlich des notwendigen Personalaufwuchses?
b) Warum enthält der Bericht keinerlei Vorschläge im Hinblick auf die Be-

kämpfung der Profiteure der durch Scheinselbständigkeit verdeckten
ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse, etwa hinsichtlich der systematischen
Vorenthaltung von Sozialleistungen, Zahlung sittenwidriger Löhne etc.?

c) Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen oder in Pla-
nung, die nicht im Bericht erwähnt werden, die der Bekämpfung der
durch Scheinselbständigkeit verdeckten ausbeuterischen Arbeitsverhält-
nisse dienen?

d) Wenn diese Problematik ansonsten von der Bundesregierung bislang
noch nicht weiter angegangen wurde, warum wird dieses Phänomen, von
dem eine große Zahl von Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern in
Deutschland betroffen ist, ausgerechnet im Kontext der Debatte um
„Missbrauch der Freizügigkeit“ nicht angegangen?

e) Warum wird die Prüfung von weiteren Maßnahmen im Bereich von
Scheinselbständigkeit und so genannter Schwarzarbeit im Bericht auf
den Zusammenhang mit „Organisierter Kriminalität“ und „bandenmä-
ßige Begehung“ der Vorenthaltung von Beiträgen zur Sozialversicherung
beschränkt, obwohl in der Regel solche Formen der Ausbeutung und des
Sozialbetruges im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen mit ganz le-
galen Unternehmen, beispielsweise in der Fleischindustrie oder im Bau-
gewerbe, begangen werden?
Warum enthält der Bericht an dieser Stelle lediglich einen Prüfauftrag,
während bei den gegen die Opfer solcher Ausbeutung gerichteten Maß-
nahmen die Umsetzung empfohlen wird?

f) Welche konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um
gegen ausbeuterische Beschäftigung, wie z. B. „Knebelverträge“, vorzu-
gehen, und was will sie tun, um Beschäftigten ihre Rechte zuzusichern,
wenn sie beispielsweise über Monate ihre Gehälter nicht ausbezahlt be-
kommen?

17. An welche Behörden bzw. Stellen können sich Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer aus der EU wenden, und welche Beratungsstellen gibt es nach
Kenntnis der Bundesregierung auf Ebene der Länder und Kommunen?

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Welche Anstrengungen werden von der Bundesregierung unternommen, um
die Arbeit von Beratungsstellen für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer
bzw. Arbeitnehmerinnen und Gewerbetreibende aus der EU zu fördern und
zu unterstützen, in denen diese sich über ihre Rechte informieren können,
und in welchem Maße ist die Bundesregierung an der Finanzierung von Be-
ratungsstellen bzw. freien Trägern beteiligt?

18. Ist die Bundesregierung bereits an die gesetzlichen Krankenversicherungen
(GKV) mit dem Anliegen herangetreten, zur Entlastung der Kommunen die
Kosten für Impfstoffe für diejenigen Kinder zu übernehmen, deren Kran-
kenversicherungsschutz noch nicht abschließend festgestellt ist, und wie hat
der GKV-Spitzenverband darauf ggf. reagiert?

19. Wie hat nach Kenntnis der Bundesregierung der GKV-Spitzenverband auf
das im Bericht formulierte Ansinnen des Bundesministeriums für Gesund-
heit reagiert, in einem klarstellenden Rundschreiben an die GKV über die
Zugangsvoraussetzungen von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern zu in-
formieren und für eine einheitliche Rechtsanwendung Sorge zu tragen, und
welche Probleme hat der GKV-Spitzenverband ggf. aus seiner Sicht hierzu
thematisiert?

20. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in anderen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union ähnliche Vorhaben und Maßnahmen wie diejenigen,
die in dem Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses erarbeitet wur-
den, und inwieweit stimmt die Bundesregierung ihre geplanten Maßnahmen
auf EU-Ebene mit welchen Partnern ab?

21. Welche konkreten bedarfsgerechten Integrationsangebote für Bürgerinnen
und Bürger aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, über die in § 11
FreizügG/EU i. V. m. § 44 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) ge-
regelten Möglichkeiten hinaus, will die Bundesregierung schaffen, und wel-
che Mittel sieht sie ggf. hierfür vor?

22. In welcher Höhe wird die Bundesregierung zusätzliche Mittel zur Fortfüh-
rung des ESF-BAMF-Programms bis zum Jahresende 2014 zur Verfügung
stellen, woher sollen diese Mittel stammen, und welche Zukunft soll das
ESF-BAMF-Programm über das Jahr 2014 haben?

Berlin, den 14. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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