BT-Drucksache 18/10060

Ausstieg und Umstieg bei dem Bahnprojekt Stuttgart 21

Vom 19. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10060
18. Wahlperiode 19.10.2016
Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, Karin Binder,
Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Annette Groth, Heike
Hänsel, Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Ralph Lenkert, Michael
Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Birgit Menz, Michael Schlecht,
Dr. Kirsten Tackmann, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Ausstieg und Umstieg bei dem Bahnprojekt Stuttgart 21

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ ist in hohem Maße unwirtschaftlich. Dies ist inzwi-
schen durch mehrere Gutachten – unter anderem durch den Bundesrechnungshof –
nachgewiesen. Es bringt das in Bundesbesitz befindliche Unternehmen Deutsche Bahn
AG in eine gefährliche Schieflage, belastet die Bundesfinanzen und gefährdet wichtige
Schienenprojekte. Außerdem würde „Stuttgart 21“ mit seiner Fertigstellung einen
neuen Engpass im Bahnnetz schaffen. Schließlich sind viele essentielle Sicherheitsfra-
gen des Bahnprojekts nach wie vor nicht geklärt. Ein Weiterbau ist daher nicht zu
vertreten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle notwendigen Schritte für einen sofortigen Stopp der Baumaßnahmen für
„Stuttgart 21“ sowie den Umstieg beim Ausbau des Bahnknotens Stuttgart zu
veranlassen, indem sie
a) in ihrer Rolle als Vertreterin des Alleineigentümers der Deutschen Bahn AG

darauf hinwirkt, dass diese einen sofortigen Baustopp und den Ausstieg aus
dem Projekt „Stuttgart 21“ beschließt und auch schnellstmöglich vollzieht,
um wirtschaftlichen Schaden vom Unternehmen abzuwenden, sowie zeitnah
ein Alternativkonzept für den Umbau des Bahnknotens Stuttgart in Anleh-
nung an das Konzept „Umstieg 21“ entwickelt;

b) sämtliche Finanzmittel, die von Seiten des Bundes in den Bau des Projektes
„Stuttgart 21“ fließen sollen, zurückstellt, bis ein Konzept für den Umstieg
mit einem kapazitätserweiternden Umbau des existierenden Bahnhofs vor-
liegt und die finanziellen Mittel für diesen verwendet werden können;

c) die Vorschläge des Bundesrechnungshofs aufgreift und „alle mit Stuttgart
21 zusammenhängende Mittel […] an einer Stelle übersichtlich und voll-
ständig veranschlagt und transparent erläutert“ und dem „Parlament zu den

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jährlichen Haushaltsberatungen über den Stand des Projektes Stuttgart 21
gesondert […] berichtet“;

2. personelle Konsequenzen sowohl im Bundesministerium für Verkehr und digitale
Infrastruktur (BMVI) als auch an der Spitze der Deutschen Bahn AG zu ziehen.

Berlin, den 18. Oktober 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Begründung

1. Unwirtschaftlichkeit des Projekts und weitere Risiken
Es ist seit Jahren überdeutlich, dass das Projekt „Stuttgart 21“in hohem Maße unwirtschaftlich ist. Diese Tatsache
ist spätestens jetzt nach mehreren neuen Gutachten nicht mehr abzustreiten. Bis zum Jahr 2012 wurde noch der
sogenannte „Kostendeckel“ in Höhe von 4,526 Milliarden Euro beschworen, der Teil der Finanzierungsverein-
barung von „Stuttgart 21“ war und nach Angaben des DB-Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Grube gleichzeitig die
Grenze der Rentabilität des Projekts darstellte. Dieser „Kostendeckel“ wurde bei der Volksabstimmung über das
Projekt im Land Baden-Württemberg am 27.11.2011 auch ausdrücklich in der Information, die die damalige
grün-rote Landesregierung im Vorfeld der Volksabstimmung an alle Haushalte des Landes versandte, genannt.
Dabei hatte es schon damals deutliche Hinweise auf erhebliche Kostensteigerungen gegeben.
Im Jahr 2013 wurden die Gesamtkosten dann auf 6,8 Milliarden Euro (einschließlich eines Puffers von 0,5 Mil-
liarden Euro) angehoben. Schon damit war also die von Rüdiger Grube gesetzte Grenze für die Wirtschaftlichkeit
des Projekts um 2,3 Milliarden Euro oder gut 50 Prozent überschritten. Dennoch entschied sich der Aufsichtsrat
der Deutschen Bahn AG (DB AG) am 05.03.2013 für den Weiterbau des Projektes „Stuttgart 21“, obwohl zu
dem Zeitpunkt keine belastbare Kostenkalkulation vorlag. Diese Entscheidung kam offiziell aufgrund eines an-
geblichen Vorteils des Weiterbaus gegenüber dem Ausstieg in Höhe von 77 Millionen Euro zustande. Die Glaub-
würdigkeit einer solchen Kalkulation in Anbetracht von gerade erst eingestandenen Kostensteigerungen von 2,3
Milliarden Euro – der angebliche Unterschied beträgt also gerade einmal 3 Prozent der eingestandenen Steige-
rung – war von Anfang an nicht gegeben. Sie wurde aber noch weiter dadurch in Frage gestellt, dass die Kalku-
lation der von der DB AG ins Feld geführten Ausstiegskosten erhebliche Unstimmigkeiten u. a. bei der Einschät-
zung der Kosten für die Rückabwicklung der Grundstücksverkäufe beinhaltete. Später wurde nachgewiesen, dass
der damalige Kanzleramtsminister und heutige DB-Vorstand Ronald Pofalla in rechtlich höchst fragwürdiger
Weise auf mehrere Mitglieder des DB-Aufsichtsrats eingewirkt hatte, um die entsprechende Entscheidung des
Gremiums herbeizuführen („Kanzleramt gibt geschwärzte S-21-Vermerke frei“, Stuttgarter Zeitung vom
30.05.2016; Anzeige gegen BED, vertreten durch das Bundeskanzleramt, Aktenzeichen VG Berlin 2 K 3.15).
Ein am 16.12.2015 in Berlin präsentiertes Gutachten des Verkehrsberaters Dr. Martin Vieregg, das die aktuellen
Rahmenbedingungen sowie den Baufortschritt berücksichtigt, prognostiziert eine weitere Steigerung der wahr-
scheinlichen Baukosten auf 9,8 Milliarden Euro. Darüber hinaus sind in dem Gutachten zusätzliche Risiken dar-
gelegt, die auch noch zu deutlich höheren Kosten führen können. Der Gutachter rechnet auf Basis seiner ersten
Untersuchung aus dem Jahre 2008 und nach den zahlreichen, nicht aufholbaren Verzögerungen mit einer Fertig-
stellung erst im Jahr 2024 (Martin Vieregg: „Aktualisierung der Baukosten-Prognose von 2008 für das Projekt
Stuttgart 21“. München (Vieregg-Rössler GmbH), 15.12.2015). Derselbe Gutachter Dr. Martin Vieregg hatte
bereits im Juli 2008 ein vergleichbares Gutachten zur Kostensituation des Projekts „Stuttgart 21“ vorgelegt und
damals im Gegensatz zum offiziellen sogenannten „Kostendeckel“ von 4,526 Milliarden Euro eine Kostenstei-
gerung für die Projektrealisierung auf 6,9 Milliarden Euro prognostiziert. Diese Prognose wurde von der DB AG
zunächst massiv bestritten, dann jedoch mit der Anhebung des Finanzierungsrahmens im Jahr 2013 im Nach-
hinein bestätigt.
Im Übrigen kommt auch eine weitere, bereits im Juni 2015 vorgestellte Studie vom 28. Oktober 2014 von Prof.

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Roland Ostertag, Peter Grohmann und Peter Kappes mit einer ganz anderen Berechnungsmethode zu vergleich-
baren Ergebnissen: Dort werden bei einer Fertigstellung im Jahre 2022 Kosten in Höhe von 9,77 Milliarden Euro
und bei einer Fertigstellung im Jahre 2025 von 12,56 Milliarden Euro prognostiziert (Roland Ostertag, Peter
Grohmann und Peter Kappes: „Kostensituation Stuttgart 21“, Stand 28.10.2014).
Im September 2016 überreichte der Bundesrechnungshof den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestags
eine Kostenschätzung für das Projekt, die sich hinsichtlich der Gesamtkosten offensichtlich ebenfalls mit den
beiden letztgenannten Gutachten deckt und zusätzliche, von der DB AG bislang nicht berücksichtigte Risiken in
Höhe von zwei Milliarden Euro sowie ebenfalls bislang nicht berücksichtigte Bauzeitzinsen in Höhe von einer
Milliarde Euro aufführt. Generell würde die DB AG Risiken des Projekts als zu gering und Chancen als zu groß
einschätzen. Der Bundesrechnungshof warnt dabei davor, dass das Projekt die DB AG in eine erhebliche finan-
zielle Schieflage bringen könne („Prüfbericht schlüsselt S21-Risiken auf“, SWR vom 20.09.2016; „Stuttgart 21
wird viel teurer“, Stern Online vom 21.09.2016).
Damit sind die Kostensteigerungen mehrfach mit unterschiedlichen Methoden in ähnlicher Größenordnung prog-
nostiziert worden. Das Festhalten der DB AG an dem Finanzierungsrahmen von 6,8 Milliarden Euro und an dem
Termin einer Fertigstellung im Jahr 2021 erscheint damit unglaubwürdig. Es ist mit tatsächlichen Gesamtkosten
in der Größenordnung von mindestens zehn Milliarden Euro sowie einer Fertigstellung nicht vor dem Jahr 2023
zu rechnen. Schon ohne diese erneuten Kostensteigerungen war das Projekt für die DB AG nicht mehr wirtschaft-
lich (so DB-Vorstandsvorsitzender Rüdiger Grube im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 95.
Sitzung am 27.02.2013). Die zusätzlichen Kosten treiben dieses Projekt daher in den Bereich einer offensichtli-
chen und hochgradigen Unwirtschaftlichkeit. Dies widerspricht den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit. Gemäß den Vereinbarungen zwischen den Projektpartnern DB AG, Land Baden-Württemberg und
Stadt Stuttgart trägt die DB AG sämtliche Mehrkosten, die über den damals vereinbarten „Kostendeckel“ von
4,526 Milliarden Euro hinausgehen. Aus der sogenannten „Sprechklausel“ (§ 4 Absatz 4 des Finanzierungsver-
trags) lässt sich kein weiterer Anspruch der DB AG gegenüber den Projektpartnern ableiten. Im Abstimmungs-
heft der Landesregierung hieß es dazu ausdrücklich: „Die Finanzierung von Stuttgart 21 ist nur bis zu einem
Betrag von 4,526 Milliarden Euro vertraglich geregelt. […] Die Landesregierung, die Stadt Stuttgart [und] die
Region Stuttgart […] haben schon jetzt erklärt, dass sie keine Mehrkosten übernehmen werden.“ Am 14. Januar
2013 schrieb der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor dem Hintergrund der
Kostensteigerung auf 6,5 Milliarden Euro ausdrücklich und ergänzend: „Entscheidend in diesem Zusammenhang
sind die Kostenbeteiligung des Landes in Höhe von maximal 930 Millionen Euro und der klare Beschluss der
Landesregierung, darüber hinaus keine Mittel für Stuttgart 21 zur Verfügung zu stellen.“ (Brief Winfried Kre-
tschmann an Walter Sittler vom 14. Januar 2013; wiedergegeben in: C. Engelhardt, E. Hopfenzitz, S. Leidig, V.
Lösch, W. Sittler und W. Wolf: „Empört Euch - weiter! Neue Argumente gegen Stuttgart 21“. Köln (Papyrossa
Verlag) 2013, S. 19 f.).
Das bedeutet in der Konsequenz, dass zusätzliche Kosten in Höhe von über fünf Milliarden Euro auf die DB AG
zukommen. Damit ist erheblicher wirtschaftlicher Schaden für das Unternehmen zu befürchten, vor dem auch
der Bundesrechnungshof in seinem Bericht warnt. Das Projekt „Stuttgart 21“ ist damit nicht nur das mit Abstand
teuerste Infrastrukturprojekt in Deutschland (als Gesamtkosten des Berliner Großflughafens BER werden offizi-
ell aktuell 5,4 Milliarden Euro genannt), sondern auch die Kostensteigerungsrate ist rekordverdächtig: In der
ersten ausführlichen Machbarkeitsstudie für „Stuttgart 21“ aus dem Jahr 1995 waren noch Gesamtkosten in Höhe
von 4,807 Millionen DM errechnet worden.
Eine große Bedeutung misst der Bundesrechnungshof (BRH) in seinem ersten Bericht zu „Stuttgart 21“ dem
Thema Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuVF) und hierbei der Frage bei, inwieweit deutlich mehr
Bundesmittel als bislang zugegeben in das Projekt „Stuttgart 21“ fließen. Der BRH warnt ausdrücklich vor einer
solchen stillen Quersubventionierung aus Mitteln der LuFV II, die eigentlich für die Instandhaltung des Schie-
nennetzes vorgesehen sind. („Bericht des Bundesrechnungshofs nach § 88 Abs. 2 BHO über haushaltsrelevante
Risiken bei der Förderung des Projektes Stuttgart 21, notwendige Schlussfolgerungen und die Voraussetzungen
für eine parlamentarische Budgetkontrolle des Großprojektes“), Ausschussdrucksache 18(15)348). Damit gerät
die Unwirtschaftlichkeit des Projekts auch zunehmend in Konflikt mit der Gewährleistungsverantwortung des
Bundes „für den Erhalt und Ausbau des Schienennetzes“ (Art. 87e Absatz 4 Grundgesetz).
Ein Ausstieg aus dem Projekt „Stuttgart 21“ wäre demgegenüber auch jetzt noch um mehrere Milliarden Euro
günstiger als der Weiterbau. Ein weiteres Gutachten von Dr. Martin Vieregg zu den Ausstiegskosten, das am
12.02.2016 vorgestellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass der Ausstieg aus dem Projekt auch zum jetzigen

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Zeitpunkt noch um 5,9 Milliarden Euro günstiger wäre als der Weiterbau (Martin Vieregg: „Ermittlung der Aus-
stiegskosten für das Projekt Stuttgart 21 zum Stand Ende Januar 2016“. München (Vieregg-Rössler GmbH),
12.02.2016). Es ist daher nach wie vor von einer Kosteneinsparung von mindestens fünf Milliarden Euro bei
einem schnellstmöglichen Ausstieg auszugehen. Der Bundesrechnungshof bezieht sich in seinem zweiten neuen
„Stuttgart 21“-Bericht indirekt auf die Vieregg-Studie und wirft selbst das Thema Ausstieg auf – wenn auch in
der diplomatischen Formulierung, dass er (der BRH) „keine Aussage darüber“ treffen wolle, „ob das Projekt
Stuttgart 21 abgebrochen oder weitergebaut werden sollte.“ („Stuttgart 21 wird viel teurer“, Stern Online vom
21.09.2016).
Zusätzlich zu der dargestellten Unwirtschaftlichkeit des Projekts würde der Tiefbahnhof bei Fertigstellung einen
erheblichen Kapazitätsengpass im Schienennetz darstellen Die Längsneigung der Gleise und der Bahnsteige bei
Überschreitung der Norm der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung um das Sechsfache stellt ein immanentes Si-
cherheitsrisiko dar und der Bau hat noch immer mit erheblichen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. (Chris-
toph Engelhardt: „Bestandsaufnahme: Warum der Weiterbau des Projekts Stuttgart 21 nicht zu rechtfertigen ist“
(Studie im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag), veröffentlicht am 06.06.2015; detaillierte Dokumentation
auch auf http://wikireal.org/wiki/Stuttgart_21).
Überdies bestehen weitere unkalkulierbare Risiken für den Fall des Weiterbaus des Projektes „Stuttgart 21“: So
klagt die Stuttgarter Netz AG inzwischen vor dem Bundesverwaltungsgericht für den Weiterbetrieb eines Teils
des oberirdischen Kopfbahnhofs, was den beabsichtigten Nutzen der Tieferlegung des Bahnhofs durch das Ent-
stehen oberirdischer Bebauungsflächen erheblich in Frage stellt. Zudem hat das Eisenbahn-Bundesamt klarge-
stellt, dass es über die Konsequenzen und möglichen Sicherheitsauflagen für den Betrieb des Bahnhofs insbe-
sondere in Anbetracht der Norm-überschreitenden Längsneigung mit der Inbetriebnahmegenehmigung, die nach
der Fertigstellung des Bahnhofs erteilt wird, entscheiden wird (Protokoll der 61. Sitzung des Ausschusses für
Verkehr und digitale Infrastruktur am 16.03.2016, Protokoll-Nr. 18/61; Briefe des EBA an Jobst Knoblauch vom
04.05.2015 und an den VCD Landesverband Baden-Württemberg vom 11.08.2014). Dies kann erhebliche nega-
tive Konsequenzen sowohl für die ohnehin zu geringe Kapazität als auch für die Betriebsqualität des Bahnhofs
haben. Auch der BRH greift in seinem bereits zitierten zweiten Bericht das Thema Gleisneigung explizit auf und
verbindet dies mit der Feststellung, es sei bis heute offen, ob es der Bahn gelingen werde unter diesen Umständen
„im neuen Tiefbahnhof eine Betriebsgenehmigung zu erlangen.“ („Stuttgart 21 wird viel teurer“, Stern Online
vom 21.09.2016)
Ein Weiterbau des Projektes „Stuttgart 21“ ist unter diesen Umständen nicht mehr zu rechtfertigen, und der Bund
als Alleineigentümer der DB AG steht in der Verantwortung, auf einen sofortigen Baustopp hinzuwirken, um
erheblichen Schaden von dem Unternehmen abzuwenden.
2. Umstiegskonzept
Für einen Ausstieg aus dem Projekt „Stuttgart 21“ gibt es mit „Umstieg 21“ inzwischen ein durchdachtes und
überzeugendes Umstiegskonzept, das von einer Expertengruppe in Stuttgart erarbeitet wurde (Arbeitsgruppe Um-
stieg 21 des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21: „Umstieg 21 – Stuttgart 21 umnutzen, Auswege aus der Sack-
gasse“. Stuttgart 2016, online unter www.umstieg-21.de). Das Konzept zeigt nicht nur, dass ein Ausstieg aus
„Stuttgart 21“ auch jetzt noch sinnvoll, wirtschaftlich und technisch umsetzbar ist, sondern liefert überdies viele
kreative Vorschläge, wie die bereits begonnenen Bauleistungen für das Projekt „Stuttgart 21“ zweckmäßig um-
genutzt werden können. Unter anderem soll die bereits ausgehobene Baugrube des Tiefbahnhofs für einen Bus-
bahnhof sowie für Fahrradabstellanlagen verwendet werden. Dadurch könnte der Bahnhofsvorplatz neu gestaltet
und erheblich aufgewertet werden. Des Weiteren umfasst das Konzept Vorschläge für eine Umgestaltung und
Verbesserung des bestehenden Kopfbahnhofs in Stuttgart, der damit gegenüber dem Ist-Zustand in seiner Kapa-
zität noch erweitert werden könnte. Auch eine Anbindung der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm an den beste-
henden Bahnhof wäre problemlos möglich und böte die gleichen Fahrzeitverkürzungen wie die geplanten Zu-
laufstrecken zu dem Tiefbahnhof „Stuttgart 21“. Teil der Gesamtkonzeption sind ferner Erweiterungsmöglich-
keiten für die überlastete Stuttgarter S-Bahn und eine weitgehende verkehrliche Trennung der unterschiedlichen
Verkehrsarten, was beides mit dem Projekt „Stuttgart 21“ nicht möglich wäre. Durch den Wegfall der Baulogistik
für „Stuttgart 21“ könnten viele freiwerdende ehemalige Bahnflächen sogar schon sehr viel früher einer neuen
Nutzung zugeführt werden. Viele Elemente dieses Konzepts bieten erhebliche verkehrliche und stadtplanerische
Vorteile gegenüber den Planungen für das Projekt „Stuttgart 21“, als Gesamtpaket wäre es aber dennoch um
mehrere Milliarden Euro günstiger als der Weiterbau entlang der jetzigen Planungen.

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Dieses Konzept sollte daher als Grundlage für eine dringend notwendige neue Planung des Stuttgarter Bahnkno-
tens und der betroffenen Innenstadtbereiche herangezogen werden. Für die Neuplanung muss schnellstmöglich
ein Bürgerbeteiligungsprozess initiiert werden, um alle relevanten Akteure in die Entscheidungsfindung mit ein-
zubeziehen.
3. Personelle und rechtliche Konsequenzen
Neben dem überfälligen Baustopp mitsamt der Umplanung in Stuttgart sind auch Konsequenzen für diejenigen
zu prüfen, die den Weiterbau von „Stuttgart 21“ wider besseren Wissens seit Jahren weiter betrieben haben und
einen Ausstieg aus dem Projekt bereits zu einem früheren Zeitpunkt verhindert haben, als dieser noch mit we-
sentlich geringeren Verlusten für die DB AG und für die Bevölkerung in Stuttgart in Form einer deutlich ver-
schlechterten Lebensqualität möglich gewesen wäre. So wurde der Bau trotz noch fehlender Planfeststellungen
von Bauabschnitten und trotz ungeklärter technischer Fragen und Sicherheitsfragen begonnen. Einige Bauleis-
tungen – so der Abriss der beiden Seitenflügel des Bonatz-Baus – wurden sogar ohne technische Notwendigkei-
ten im Zeitplan vorgezogen, um Fakten zu schaffen und die angebliche „Unumkehrbarkeit“ des Projekts zu kon-
struieren. Hierdurch sind der DB AG und den Projektpartnern erhebliche finanzielle Verluste entstanden. Offen-
sichtlich hat hier sowohl das Management der DB AG versagt als auch das BMVI seine Kontrollfunktion nicht
ausreichend wahrgenommen. In Anbetracht dieser Tatsache sind personelle Konsequenzen an beiden Stellen
unabdingbar.
Um die bestehende Intransparenz bei der Finanzierung von Stuttgart 21 zu beenden und um eine weitere Ver-
schwendung von Bundesmitteln in diesem Zusammenhang auszuschließen, schlägt der Bundesrechnungshof in
seinem zitierten „Stuttgart 21“-Bericht vor, alle „mit Stuttgart 21 zusammenhängenden Mittel […] möglichst an
einer Stelle […] übersichtlich und vollständig veranschlagt und transparent [zu] erläutern“, wobei das BMVI
„dem Parlament zu den jährlichen Haushaltsberatungen über den Stand des Projektes Stuttgart 21 gesondert […]
berichten“ solle. Dies sei politisch sinnvoll angesichts der „zahlreichen parlamentarischen Nachfragen zu den
Projektkosten“ und der „seit Jahren deutlich steigenden Projektkosten“. Dies sei auch verfassungsrechtlich ge-
boten. Die „Transparenzdefizite“ beim Projekt S21 beeinträchtigten „die Budgetkontrolle des Parlaments nach-
haltig“. Eine solche Kontrolle sei „unverzichtbar“, da Stuttgart 21 letzten Endes, wenn fertig gebaut, Teil der
„Schienenwege des Bundes“ sei. Würde so nicht verfahren, so könnten „durch die bisherige Verwaltungspraxis“
bei dem Projekt „bedeutende Risiken für den Bundeshaushalt entstehen“. („Bericht des Bundesrechnungshofs
nach 88 Abs. 2 BHO über haushaltsrelevante Risiken beider Förderung des Projektes „Stuttgart 21“, notwendige
Schlussfolgerungen und die Voraussetzungen für eine parlamentarische Budgetkontrolle des Großprojektes“,
Ausschussdrucksache 18(15)348). Die vom BRH aufgeforderten beiden Ministerien, das Bundesministerium der
Finanzen (BMF) und BMVI haben laut BRH-Bericht zunächst die BRH-Vorschläge abgelehnt, schließlich je-
doch mitteilen lassen, man könne so verfahren, „sofern die Abgeordneten dies wünschten“.

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