BT-Drucksache 17/9934

Werbung der Bundeswehr durch Einsatz von Materialien der Schriftenreihe "Frieden & Sicherheit" im Schulunterricht

Vom 11. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9934
17. Wahlperiode 11. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Nicole Gohlke,
Annette Groth, Dr. Rosemarie Hein, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Jens Petermann, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Werbung der Bundeswehr durch Einsatz von Materialien der Schriftenreihe
„Frieden & Sicherheit“ im Schulunterricht

Die Bundesregierung versucht auf vielfältige Weise, die Kriegseinsätze der
Bundeswehr gegenüber Schülerinnen und Schülern zu legitimieren. Sie bedient
sich des Mittels der Jugendoffiziere, die auf Einladung von Lehrkräften im Rah-
men des regulären Unterrichts die offizielle Sicherheitspolitik vorstellen. Sie
versucht, auf die Lehrkräfte einzuwirken, indem sie zahlreiche Seminare für
Lehrerinnen und Lehrer sowie Referendarinnen und Referendare anbietet. Zu
den Werbestrategien an Schulen gehört aber auch der verdeckte Einsatz von
scheinbar neutralem Unterrichtsmaterial. Die Angebote des Medienpaketes
„Frieden & Sicherheit“ werden an Schulen zu Hunderttausenden genutzt. Zu
dem Paket zählen gedruckte Schülermagazine, Lehrerhandreichungen, Arbeits-
blätter und das Schulportal „www.frieden-und-sicherheit.de“. Die Magazine sind
kostenlos, im Jahr 2007 wurden 325 000 Schülerhefte bestellt. Herausgeber ist
die „Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e. V.“, das Impressum verrät
allerdings, dass es eine „fachliche Beratung“ durch das Bundesministerium der
Verteidigung (BMVg) gibt.

Diese Materialien dienen nicht der neutralen Unterrichtung der Schülerinnen und
Schüler, sie geben vielmehr der Bundesregierung Gelegenheit, für ihre eigene
Position, beispielsweise im Afghanistan-Krieg, zu werben. So ist nach regie-
rungsoffizieller Darstellung die Internetseite „www.frieden-und-sicherheit.de“
Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr (Antwort der Bundes-
regierung auf die Schriftliche Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 16/10006,
S. 4). Aus diesem Grund hat das BMVg in den Jahren 2006/2007 223 000 Euro
für den Vertrieb der Materialien bezahlt, für 2008/2009 waren gar 330 000 Euro
bereitgestellt (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Frak-
tion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 16/8852).

Als roter Faden zieht sich eine affirmative Darstellung der offiziellen Sicher-
heitspolitik und selbst des Afghanistan-Krieges durch die Materialien.

So heißt es im aktuellen Schülermagazin für die Sekundarstufe II, die Bundesre-

publik Deutschland wirke „an der Eindämmung von Konflikten und am Aufbau
tragfähiger Strukturen weltweit und in internationalen Bündnissen mit“ – das
mag die Selbsteinschätzung der Bundesregierung sein, aber keine neutrale Dar-
stellung. Diese müsste zumindest darauf eingehen, dass es auch kritische Stim-
men gibt, die der Bundesregierung vorwerfen, durch ihre eigene Politik sowie
ihre Rolle in Militärbündnissen konflikteskalierend zu wirken. Doch davon er-
fahren die Leserinnen und Leser von „Frieden & Sicherheit“ nichts.

Drucksache 17/9934 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Da wird behauptet, der Iran betreibe ein Atomwaffenprogramm – das ist eine in
den Medien vielzitierte Auffassung, die aber nicht einmal von der Internationa-
len Atomenergieorganisation (IAEO) bestätigt wird. Die IAEO berichtete Ende
2011, es gebe Hinweise, dass der Iran bis 2003 ein militärisches Atomprogramm
betrieben habe, in Hinblick auf die Entwicklung seither spricht die IAEO aber
wesentlich vorsichtiger von „möglichen“ militärischen Dimensionen des irani-
schen Atomprogramms.

Da wird als unstrittige Tatsache behauptet, die NATO wolle durch ihren welt-
weiten Handlungsanspruch lediglich „Konflikten vorbeugen und Stabilität
schaffen“, ohne zu erwähnen, dass viele Stimmen der NATO aggressive Absich-
ten zuschreiben.

Da wird behauptet, „die internationale Gemeinschaft“ wäge bei der Entscheidung
für oder gegen Kriegseinsätze „moralische“ Bedenken gegeneinander ab – an-
dere Überlegungen werden von „Frieden & Sicherheit“ als nichtexistent betrach-
tet, zumindest soweit es die NATO betrifft. Dabei werfen zahlreiche Kritiker in
Medien und Politik den NATO-Mitgliedstaaten vor, eigennützig ökonomische,
geostrategische und machtpolitische Interessen mit militärischer Gewalt durch-
zusetzen.

Auch der Kriegseinsatz in Afghanistan wird als Versuch dargestellt, dort Sicher-
heit und Stabilität herzustellen. Kritisch wird allenfalls die Frage beleuchtet, in-
wiefern das gelungen ist – dass der „gute Wille“ der kriegführenden Regierun-
gen gegeben sei, wird aber nicht in Frage gestellt.

Aus Sicht der Fragesteller verstößt diese massive, verdeckte Einflussnahme der
Bundeswehr bzw. der Bundesregierung gegen elementare schulpolitische Ge-
bote, wie etwa das Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsens. Dieses be-
sagt, dass Sachverhalte, die gesellschaftlich kontrovers behandelt werden, auch
im Unterricht als kontrovers dargestellt werden müssen. Davon kann bei diesen
Materialien nicht die Rede sein. Sie lesen sich wie nur leicht modifizierte Werbe-
broschüren der Bundeswehr. Schülerinnen und Schüler werden nicht dazu ange-
regt, sich mit oppositionellen Stimmen zu beschäftigen. Die angegebenen Links
führen größtenteils zu offiziellen Stellen, mitunter zu konservativen Medien, aber
in keinem einzigen Fall etwa zu Organisationen der Friedensbewegung.

Ein weiterer brisanter Punkt stellt die Tatsache dar, dass die Materialien vom
Universum Verlag GmbH herausgegeben werden. Dieser befindet sich zu
48 Prozent im Besitz der FDP (Antwort des hessischen Ministers des Innern und
für Sport auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU auf Landtagsdrucksache
16/6803). Was das BMVg ausgibt, fließt so letztlich teilweise in die Kasse einer
Partei, die zugleich an der Umsetzung der Sicherheitspolitik beteiligt ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Schülermagazine sind in den Jahren 2008, 2009, 2010, 2011
jeweils bestellt worden, und wie interpretiert die Bundesregierung allfällige
signifikante Veränderungen bei den Bestellzahlen?

2. Inwiefern sind der Bundesregierung statistische Werte zu den Bestellungen
bekannt, etwa zu den Fragen

– wie sich die Bestellungen auf verschiedene Schultypen verteilen,

– wie sich die Bestellungen auf die Bundesländer verteilen und

– in welchem Ausmaß außerschulische Zusammenschlüsse die Magazine
bestellen

(bitte soweit möglich konkrete Zahlen angeben)?

3. Wie viele Downloads von Arbeitsblättern und Schülermagazinen wurden

2008, 2009, 2010 und 2011 jeweils registriert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9934

4. Welche Kosten hat die Bundesregierung seit 2007 pro Jahr bzw. Schuljahr
für die Kooperation mit „Frieden & Sicherheit“ aufgewendet, und auf wel-
che einzelnen Posten verteilen sich diese Kosten?

Welche Kosten sind für das Jahr 2012 sowie darüber hinaus kalkuliert?

Aus welchem Haushaltsposten werden sie bestritten?

5. Deckt der Beitrag des BMVg die Gesamtkosten der Materialien und der
Schulplattform, und wenn nicht, wie hoch sind diese, und wer beteiligt sich
mit welchen Beträgen noch an der Finanzierung?

6. Wie genau gestaltet sich die „fachliche Beratung“ durch das BMVg, und
wer genau führt sie durch?

7. Warum enthalten die Linkhinweise im Schülermagazin 2012/2013 aus-
schließlich Links zu Behörden, Institutionen oder Medien, die der Sicher-
heitspolitik der Bundesregierung entweder unvoreingenommen oder zu-
mindest tendenziell positiv gegenüberstehen und keine Links zu Internet-
auftritten, auf denen die Kriegseinsätze der Bundeswehr abgelehnt werden?

8. Warum enthalten die Beiträge im Schülermagazin 2012/2013 ausschließ-
lich Beiträge, die der offiziellen Sicherheitspolitik affirmativ gegenüberste-
hen und keine Beiträge, die sich grundsätzlich kritisch mit den Prämissen
dieser Politik beschäftigen, um so die Schülerinnen und Schüler auf vorhan-
dene kontroverse Positionen aufmerksam zu machen und zu kritischem
Denken anzuregen?

9. Warum enthalten die Beiträge zwar ausführliche Schilderungen des deut-
schen Beitrags zum Aufwuchs und zur Ausbildung afghanischer Sicherheits-
kräfte, aber keinen einzigen Hinweis etwa von UNO-Instanzen oder Men-
schenrechtsorganisationen, dass diese Sicherheitskräfte – trotz der west-
lichen Ausbildung – massive Menschenrechtsverletzungen begehen und der
afghanischen Bevölkerung nicht mehr Sicherheit, sondern mehr Gewalt
bescheren (www.hrw.org/news/2011/09/12/afghanistan-rein-abusive-militas-
and-afghan-local-police oder www.oxfam.org/en/policy/notime-to-lose)?

10. Warum wird in den Materialien behauptet, der Iran verfüge über ein Atom-
waffenprogramm, ohne zumindest auf die erheblich vorsichtigere Einschät-
zung der IAEO einzugehen, die diesen Vorwurf nicht als Tatsache, sondern
als Möglichkeit anführt?

Wäre es aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich, Schülerinnen und
Schüler darüber zu informieren, dass die Frage, ob der Iran ein Atomwaf-
fenprogramm betreibt, kontrovers diskutiert wird und es keine zweifels-
freien Belege dafür gibt?

11. Welche Bedeutung kommt der Kooperation mit „Frieden & Sicherheit“ aus
Sicht der Bundesregierung für die Vermittlung ihrer Sicherheitspolitik und
des Kriegseinsatzes in Afghanistan zu?

12. Inwiefern hält die Bundesregierung die Materialen angesichts ihrer thema-
tischen Ausrichtung für vereinbar mit den Prinzipien des Beutelsbacher
Konsens?

13. Inwiefern hält es die Bundesregierung für eine demokratische Bildungs-
politik angemessen, wenn der Schulunterricht dazu benutzt wird, nicht neu-
tral und unabhängig über die sicherheitspolitischen Positionen der Bundes-
regierung zu informieren, sondern für diese zu werben?

Drucksache 17/9934 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
14. Ist die Bundesregierung bereit, Organisationen der Friedensbewegung die
gleiche Summe, die das BMVg für seine Öffentlichkeitsarbeit im Schulun-
terricht aufwendet, zur Verfügung zu stellen, um diesen zu ermöglichen, in
gleichem Umfang zu werben und so das Kontroversitätsgebot zu erfüllen,
und wenn nein, warum nicht?

15. Inwiefern hat die Bundesregierung hinsichtlich der Materialien bzw. ihrer
inhaltlichen Ausrichtung Kontakt mit Elternvertretungen, Schülervertretun-
gen, Schulkonferenzen oder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
aufgenommen?

16. Hat die Bundeswehr über den in der Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache
16/6803 genannten Film hinaus seither weitere Filme für die Verwendung
im Unterricht produzieren lassen bzw. finanziert, und wenn ja, welche?

Welche Kosten sind dabei entstanden?

17. Welche weiteren von Dritten herausgegebenen Druckerzeugnisse sind seit
dem Jahr 2007 vom BMVg fachlich betreut worden (bitte Titel, Kurzangabe
des Inhalts, Auflage, Herausgeber, Verteilerkreis angeben sowie ggf. die
Kosten, mit denen sich die Bundesregierung oder das BMVg an Herstellung
bzw. Verbreitung beteiligt haben)?

Berlin, den 11. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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