BT-Drucksache 17/9902

Einreiseverweigerung von algerischen Geschäftsleuten am Flughafen Frankfurt am Main

Vom 11. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9902
17. Wahlperiode 11. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln),
Ingrid Hönlinger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einreiseverweigerung von algerischen Geschäftsleuten
am Flughafen Frankfurt am Main

Seit einigen Tagen wird in der algerischen Presse breit über einen Vorfall am
Frankfurter Flughafen berichtet. Danach sollen am 5. Mai 2012 drei algerische
Staatsangehörige bei ihrer Einreise am Frankfurter Flughafen drei Tage lang
ohne erkennbaren Grund festgehalten worden sein (vgl. Online-Nachrichten-
portal vom 23. Mai 2012 www.elwatan.com/actualite/des-algeriens-maltraites-
a-l-aerport-de-frankfurt-ils-reclament-une-reaction-de-l-etat-algerien-23-05-2012-
171822_109.php).

Zwei der Reisenden sollen leitende Angestellte eines algerischen Grafikunter-
nehmens gewesen sein, die einer offiziellen Einladung zu einer Grafikmesse in
Frankfurt gefolgt waren. Nach dem Besuch der Messe wollten die Geschäfts-
leute weiter nach Paris reisen. Beide sollen im Besitz eines Visums für den
Schengen-Raum gewesen sein, ausgestellt vom französischen Konsulat in Algier
(vgl. die algerische Zeitung Liberté vom 16. Mai 2012 www.liberte-algerie.com
/actualite/deux-algeriens-racontent-leur-cauchemar-a-l-aeroport-de-frankfurt-re-
foules-d-allemagne-bien-que-detenteurs-d-un-visa-schengen-178146). Bei der
dritten Person soll es sich um eine junge Zahntechnikerin gehandelt haben, die
lediglich in Frankfurt zur Durchreise in die Niederlande war. Auch sie soll im
Besitz eines Schengenvisums gewesen sein.

Die Reisenden sollen stundenlang vom Bundesgrenzschutz am Frankfurter
Flughafen befragt worden sein. Gegenüber dem Nachrichtenportal „elwa-
tan.com“ erklärte die junge Zahntechnikerin: „Sie haben mich durchsucht,
erniedrigt und sich über mich lustig gemacht, dann haben sie mein Visum annul-
liert und mich zurück nach Algier geschickt.“ Ein Mitarbeiter des Grafikunter-
nehmens beschwerte sich: „Die Befragung dauerte acht lange Stunden, ich hatte
einen Schwächeanfall, aber man verweigerte mir einen Arzt. Sie zwangen uns
zur Zahlung einer Strafe von 150 Euro, sonst kämen wir sofort ins Gefängnis.“
Die drei Reisenden sollen zu keinem Zeitpunkt darüber informiert worden sein,
warum sie polizeilich festgehalten bzw. nicht einreisen oder weiterreisen durf-
ten. Schließlich sollen sie die Rückreise nach Algerien angetreten haben.
In dem erwähnten Artikel des Nachrichtenportals „elwatan.com“ wird auch da-
rüber berichtet, dass im März 2011 eine Gruppe von 23 Algeriern, die jeweils im
Besitz eines Schengenvisums waren, unter denselben Umständen in Frankfurt
zunächst tagelang festgehalten und dann zurückgewiesen wurden.

Laut einer Agenturmeldung der „Algérie Presse Service“ vom 23. Mai 2012
wurde ein Vertreter der deutschen Botschaft in Algerien am 16. Mai 2012 vom
algerischen Außenministerium einberufen und zu den Vorkommnissen am

Drucksache 17/9902 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Frankfurter Flughafen befragt. Der deutsche Diplomat soll demzufolge Ver-
ständnis hinsichtlich der Reaktion von algerischer Seite geäußert und versichert
haben, sich in dieser Angelegenheit sofort an sein Ministerium zu wenden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft es zu, dass drei algerische Staatsangehörige, die jeweils im Besitz eines
Schengenvisums waren, am 5. Mai 2012 bei der Einreise am Frankfurter
Flughafen für längere Zeit festgehalten und anschließend nach Algerien zu-
rückgewiesen wurden?

Wenn ja, aus welchen Gründen, über welchen Zeitraum, und aufgrund wel-
cher Rechtsgrundlage?

2. a) Haben die deutschen Behörden die Reisenden über die Gründe der Visa-
annullierungen bzw. der Einreiseverweigerung, wie in Artikel 34 Absatz 6
des Visakodex bzw. Artikel 13 des Schengener Grenzkodex vorgeschrie-
ben, informiert?

b) Wenn ja, wann hat welche deutsche Behörde die Betroffenen in welcher
Form und Sprache unterrichtet?

c) Wenn nein, warum nicht?

3. a) Wurden die Reisenden gemäß Artikel 34 des Visakodex bzw. Artikel 13
des Schengener Grenzkodex auf die Möglichkeit hingewiesen, gegen die
Visaannullierung bzw. die Einreiseverweigerung Rechtsmittel einzule-
gen?

b) Wenn ja, wann hat welche deutsche Behörde die Betroffenen in welcher
Form und Sprache hierüber aufgeklärt?

c) Wenn nein, warum nicht?

4. a) Wurde den Betroffenen in der Zeit, in der sie am Frankfurter Flughafen
festgehalten wurden, Zugang zur algerischen Botschaft bzw. zu einem
Rechtsbeistand gewährt?

Wenn nein, warum nicht?

b) Haben die deutschen Behörden die Betroffenen auf den Zugang zum Flug-
hafensozialdienst hingewiesen?

Wenn nein, warum nicht?

5. a) Haben die deutschen Behörden die zuständige französische Behörde über
die Annullierung der Visa, wie in Artikel 34 Absatz 2 des Visakodex vor-
geschrieben, unterrichtet?

b) Wenn ja, wann hat welche deutsche Behörde die französische Seite hierüber
in welcher Form und Sprache unterrichtet?

c) Wenn nein, warum nicht?

6. a) Hat die Grenzschutzbehörde geprüft, ob den Reisenden am Frankfurter
Flughafen etwa gemäß Artikel 35 des Visakodex ein Visum hätte erteilt
werden können?

b) Wenn eine neue Visumserteilung zulässig gewesen wäre, wurden die Rei-
senden auf diese Möglichkeit hingewiesen?

c) Wenn eine neue Visumserteilung zulässig gewesen wäre, warum hat die
deutsche Grenzbehörde den Reisenden keine neuen Visa ausgestellt?

d) Im Falle, dass eine erneute Visumserteilung nicht zulässig gewesen wäre,

welche Voraussetzungen für eine erneute Visumserteilung haben die Rei-
senden nicht erfüllt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9902

e) Sollte eine Visumserteilung an der Grenze für die Reisenden nicht mög-
lich gewesen sein, sieht die Bundesregierung rechtlichen Änderungs-
bedarf, damit Geschäftsleute, die, wie die Betroffenen, eine Messe in
Deutschland besuchen wollen, kurzfristig ausnahmsweise ein Visum an
der Grenze erhalten können?

7. Trifft es zu, dass einzelne der drei Betroffenen Geldbeträge an die deutschen
Behördenvertreter zahlen mussten?

Wenn ja, in welcher Höhe, zu welchem Zweck, und auf welcher Rechts-
grundlage?

8. Trifft es zu, dass zumindest einer der Reisenden einen Schwächeanfall erlitt?

Wenn ja, wurde diesem dann Zugang zu einem Arzt gewährt?

Wenn nein, warum nicht?

9. a) Trifft es zu, dass ein Vertreter der deutschen Botschaft zu dem Vorfall in
das algerische Außenministerium berufen wurde?

b) Wenn ja, welche Kritikpunkte hat die algerische Regierung vorgetragen?

c) Welche Konsequenzen zieht das Auswärtige Amt aus diesen Kritikpunk-
ten der algerischen Regierung?

10. a) Trifft es zu, dass im März 2011 ca. 23 algerische Staatsangehörige, die
alle im Besitz von Schengenvisa waren, bei der Einreise auf dem Frank-
furter Flughafen tagelang festgehalten, befragt, durchsucht und darauf-
hin nach Algerien zurückgewiesen wurden?

b) Wenn ja, wie viele algerische Staatsangehörige wurden für welchen Zeit-
raum, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Rechtsgrundlage am
Frankfurter Flughafen festgehalten?

11. a) Wie viele algerische Staatsangehörige, die bei ihrer Einreise im Besitz
eines Schengenvisums waren, wurden seit 2005 jährlich an der deut-
schen Grenze aus welchen Gründen zurückgewiesen?

b) Wie viele von ihnen wurden zuvor über welchen Zeitraum auf dem Flug-
hafengelände festgehalten?

12. a) Mit welchen Mitgliedstaaten hat die Bundesregierung Vertretungsver-
einbarungen nach Artikel 8 des Visakodex geschlossen, aufgrund derer
ein Mitgliedstaat im Namen des nach Artikel 5 des Visakodex zustän-
digen Mitgliedstaates Anträge prüfen und Visa erteilen kann?

b) Welche Regelungen enthalten diese Vereinbarungen im Einzelnen?

13. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem abschreckenden
Verhalten, das die deutschen Behörden am Frankfurter Flughafen an den
Tag gelegt haben, vor dem Hintergrund der Bestrebungen der EU-Staaten,
die nachbarschaftlichen Beziehungen zu den südlichen Mittelmeeranrai-
nern zu verbessern und zu vertiefen?

14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Befürch-
tung, dass die in der algerischen Presse beschriebenen Zurückweisungen
von Reisenden dazu beitragen, dass Deutschland international als ein wenig
gastfreundliches und der Welt nicht zugewandtes Land betrachtet wird?

Berlin, den 11. Juni 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.