BT-Drucksache 17/9865

Auswirkung des Fiskalvertrages auf die Kommunalfinanzen

Vom 4. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9865
17. Wahlperiode 04. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Katrin Kunert, Roland Claus, Dr. Barbara Höll
und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkung des Fiskalvertrages auf die Kommunalfinanzen

Am 2. März 2012 unterzeichneten die Regierungen von 25 Mitgliedstaaten der
Europäischen Union (EU) den „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steu-
erung in der Wirtschafts- und Währungsunion“, den so genannten Fiskalvertrag.
Dieser Vertrag sieht vor, dass das jährliche gesamtstaatliche strukturelle Defizit
von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschritten werden
darf, solange der öffentliche Schuldenstand nicht erheblich unter 60 Prozent des
BIP liegt. Ausnahmen gelten nur bei Naturkatastrophen und ähnlichen volks-
wirtschaftlich relevanten Schadensfällen. Bei Verstoß sieht der Fiskalvertrag im
Höchstfall Strafzahlungen an die EU vor. Alternativ können die Vertragsstaaten
zu Strukturreformen verpflichtet werden, die von der Europäischen Kommission
und dem Rat genehmigt und überwacht werden. Im Gegensatz zur so genannten
Schuldenbremse im deutschen Grundgesetz (Artikel 109 des Grundgesetzes)
umfasst der Begriff des gesamtstaatlichen Defizits im Fiskalvertrag neben Bund
und Ländern auch die Kommunen und die Sozialversicherung (vgl. Artikel 126
des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union i. V. m. dem Pro-
tokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit).

Die Bundesregierung beteiligte sich an der Aushandlung dieses Vertrages und
hat ihn in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Durch die Unterzeichnung
am 2. März 2012 hat der Bund damit im Vorgriff auf die Umsetzbarkeit in den
Ländern und Kommunen den Regelungen des Fiskalvertrages zugestimmt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche juristischen Änderungen ergeben sich für die Haushaltswirtschaft der
Länder und Kommunen durch die Verabschiedung und Umsetzung des Fis-
kalvertrages?

2. Inwiefern sind die Befürchtungen der Kommunen hinsichtlich möglicher
negativer Auswirkungen des Fiskalpaktes auf die kommunalen Haushalte
berechtigt?

3. Gibt es Überlegungen der Bundesregierung, in welchem Umfang die Kom-
munen an dem im Fiskalvertrag vereinbarten gesamtstaatlichen strukturellen
Defizit beteiligt werden sollen – analog zum Verfahren der im Grundgesetz
verankerten Schuldenbremse in Prozent vom BIP (bitte mit Begründung)?
4. Sollen in diesem Rahmen die Regelungen zur Schuldenbremse verändert
werden (bitte mit Begründung)?

5. Welche Begrenzungen des strukturellen Defizits ergeben sich für die Kom-
munen, wenn Bund und Länder ihr nach den Regelungen zur Schuldenbremse
zulässiges strukturelles Defizit bei Normallage voll ausnutzen, die Sozial-
versicherung kein Defizit oder Überschuss erwirtschaftet und die im Fiskal-

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vertrag vereinbarte Begrenzung des gesamtstaatlichen strukturellen Defizits
von 0,5 Prozent eingehalten wird (bitte in Prozent des BIP, in Euro sowie in
Prozent der Gesamteinnahmen der Kommunen für die Jahre 2009, 2010 und
2011 angeben)?

6. Wie verändert sich diese Begrenzung des strukturellen Defizits, wenn die
Sozialversicherung ebenfalls strukturelle Defizite erwirtschaftet?

7. Wie soll die Begrenzung des strukturellen Defizits der Kommunen unter
diesen aufgeteilt werden?

Gilt die Begrenzung für den Finanzierungssaldo aller Kommunen, oder
muss jede Kommune individuell ihr strukturelles Defizit an das auf ihrem
Hoheitsgebiet erwirtschaftete BIP anpassen?

8. Wer überwacht die Einhaltung der Begrenzung des strukturellen Defizits der
Kommunen als Gesamtheit bzw. der einzelnen Kommunen (vgl. Frage 7)?

9. Welchen Konsolidierungsbedarf der Kommunen würde die Bundesregie-
rung in Anbetracht der Ausführungen zu den vorherigen Fragen 3 bzw. 5 in
Verbindung mit Frage 7 erwarten, wenn die Regelungen des Fiskalpaktes
bereits 2009, 2010 und 2011 anzuwenden gewesen wären?

10. Welche Besonderheiten gelten bei der Einbeziehung der Kommunen in das
gesamtstaatliche Defizit vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstver-
waltungsgarantie?

11. Welche zusätzlichen Kompetenzen sollen der Stabilitätsrat oder andere In-
stitutionen erhalten, die auf nationaler Ebene die Einhaltung des Fiskalver-
trages überwachen sollen?

Wer wird in den jeweiligen Gremien vertreten sein?

12. Beschleunigen oder verlangsamen sich die Abbaupfade für das strukturelle
Defizit des Bundes und der Länder nach Inkrafttreten des Fiskalvertrages?

13. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die wegen des Auslaufens des
Solidarpaktes II zusätzlich belasteten Konsolidierungspfade der ostdeut-
schen Länder – unter Berücksichtigung der vorherigen Frage – eingehalten
werden können (bitte mit Begründung)?

14. Welche Auswirkung wird die Veränderung der Abbaupfade für das struktu-
relle Defizit des Bundes und der Länder voraussichtlich auf den Konsolidie-
rungsbedarf der Kommunen haben?

15. Welche besonderen Auswirkungen des Fiskalpaktes sind für ostdeutsche
Kommunen zu erwarten, bei deren Finanzierung die Zuweisung von Lan-
desmitteln eine deutlich größere Rolle als bei westdeutschen Kommunen
spielt?

16. Ob und gegebenenfalls wie sollen Kommunen an Sanktionszahlungen an
die EU beteiligt werden?

17. Sind Sanktionen für Kommunen angedacht, die sich nicht an nationale Ver-
einbarungen zum Abbau des strukturellen Defizits halten bzw. nationale
Vereinbarungen zur Defizitbegrenzung nicht einhalten (bitte mit Begrün-
dung)?

Berlin, den 4. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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