BT-Drucksache 17/9806

Stand der Verhandlungen zu den EU-Richtlinien zur Saisonarbeit und zur konzerninternen Entsendung

Vom 23. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9806
17. Wahlperiode 23. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Annette
Groth, Ulla Jelpke, Jutta Krellmann, Yvonne Ploetz, Alexander Ulrich, Kathrin
Vogler, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Stand der Verhandlungen zu den EU-Richtlinien zur Saisonarbeit und
zur konzerninternen Entsendung

Die Europäische Kommission hat am 13. Juli 2010 Vorschläge für Richtlinien
der Europäischen Union für die Einreise und den Aufenthalt von Saisonarbeit-
nehmerinnen und -arbeitnehmern aus Drittstaaten bzw. im Rahmen einer kon-
zerninternen Entsendung vorgelegt (Ratsdokumente 12208/10 und 12211/10).
Seitdem gibt es intensive und langwierige Verhandlungen im Europäischen Par-
lament sowie in den entsprechenden Ratsarbeitsgruppen bzw. im Rat zu zahlrei-
chen umstrittenen Punkten. Nach letzten Informationen soll im Rat für beide
Richtlinien am 23. Mai 2012 ein Mandat für den Beginn des Trilogs zwischen
Rat, Kommission und Parlament beschlossen werden.

Die Fraktion DIE LINKE. hatte bereits Anfang Dezember 2010 parlamentari-
sche Anträge zu beiden Richtlinien in den Bundestag eingebracht (Bundestags-
drucksachen 17/4039 und 17/4045), mit denen auf die Verhandlungspositionen
der Bundesregierung auf europäischer Ebene Einfluss genommen werden sollte.
Die beiden anderen Oppositionsfraktionen zogen mit entsprechenden Anträgen
nach. Kritisiert wird, auch von Gewerkschaften, insbesondere unter den Bedin-
gungen eines fehlenden allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland,
vor allem die Gefahr eines Sozialdumpings sowie ungleicher Arbeitsbedingun-
gen infolge unzureichender Schutzvorschriften, fehlender Mindestvorgaben und
unklarer Definitionen und Bestimmungen.

Für den 25. Juni 2012 ist eine Sachverständigenanhörung im Innenausschuss des
Deutschen Bundestages zu diesen Anträgen aller Oppositionsfraktionen geplant.
Die geladenen Sachverständigen sollten sich dabei sinnvollerweise auf den ak-
tuellen Stand der Verhandlungen beziehen – und nicht auf womöglich bereits
aufgegebene oder geänderte Inhalte der Ursprungsvorschläge. Einen solchen
aktuellen Überblick zu verschaffen, soll diese Kleine Anfrage leisten.

Im Oktober 2010 gab die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. schon einmal Auskunft über ihre Positionierung zur Saisonarbeits-
richtlinie (vgl. Bundestagsdrucksache 17/3561), wobei sie damals auf kontro-

verse Diskussionen im Rat zu wesentlichen Artikeln hinwies. Da die Bundesre-
gierung auf dieser Bundestagsdrucksache statt zu antworten zum Teil auf
Berichte und Auskünfte verwies, die dem Deutschen Bundestag nach dem Ge-
setz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschen Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) übermittelt wurden,
weisen die Fragesteller die Bundesregierung hiermit vorsorglich darauf hin, dass
ein solches Vorgehen als ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur umfassenden

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und gründlichen Beantwortung parlamentarischer Anfragen angesehen würde.
Denn zum einen sind viele der Auskünfte im Rahmen des EUZBBG vertraulich,
während parlamentarische Anfragen gerade auch der Information der Öffent-
lichkeit (über nicht geheimhaltungsbedürftige Vorgänge) dienen sollen. Zum an-
deren sind die umfangreichen und detaillierten Informationen (z. B. Drahtbe-
richte) über Verhandlungen zu den einzelnen Paragrafen der Richtlinien für
Personen, die nicht direkt und kontinuierlich am Verhandlungsprozess teilneh-
men, kaum noch zu überblicken und einzuordnen, weil auf zahlreichen vorheri-
gen Dokumenten und anderen Papieren aufgebaut wird, auf die ohne weitere In-
haltsangabe verwiesen und Bezug genommen wird.

Die Information des Bundesministeriums des Innern gegenüber dem Innen-
ausschuss des Deutschen Bundestages vom 25. November 2011 zum Stand der
Verhandlungen (Ausschussdrucksache 17(4)389) ist nicht-öffentlich und nicht
mehr aktuell.

Wir fragen die Bundesregierung:

EU-Richtlinie zur Saisonarbeitsbeschäftigung

1. In welchen wesentlichen Punkten unterscheidet sich die aktuell im Rat abge-
stimmte Fassung der Saisonarbeitsrichtlinie vom Ursprungsvorschlag der
Europäischen Kommission, bzw. welche wesentlichen Punkte wurden unver-
ändert beibehalten (bitte jeweils Artikel, Inhalt und die jeweilige Position der
Bundesregierung, der Europäischen Kommission sowie des Europäischen
Parlaments zu diesen Punkten benennen)?

2. Wie ist der Stand der Verhandlungen, mögliche Differenzen und die Position
der Bundesregierung, der anderen Mitgliedstaaten, der Europäischen Kom-
mission bzw. des Europäischen Parlaments, insbesondere zu den Punkten:

a) Definition von „saisonale Tätigkeit“ bzw. der Anwendbarkeit der Richt-
linie,

b) Frage der Weiterentsendung/Leiharbeit,

c) soziale Rechte der Saisonarbeiterinnen und Sozialarbeiter,

d) Gleichbehandlungsgrundsätze (bezüglich der Arbeits- und Beschäfti-
gungsbedingungen, insbesondere Lohnuntergrenzen),

e) Dauer und Art und Weise des Zulassungsverfahrens,

f) Familienbesuche und Nachzugsrechte,

g) Rechte auf Aufenthaltsverfestigung und Statuswechsel

(bitte entsprechend den einzelnen Punkten die entsprechenden Positionen der
Bundesregierung, der einzelnen Mitgliedstaaten, des Europäischen Parla-
ments und der Europäischen Kommission aufführen)?

3. In welchen wesentlichen Punkten bestehen, über die in Frage 2 genannten,
noch unterschiedliche Auffassungen bzw. Vorbehalte welcher Mitgliedstaa-
ten gegenüber den Positionen der Europäischen Kommission (bitte jeweils
Artikel, Inhalt und die jeweilige Position der Bundesregierung, der Europäi-
schen Kommission sowie des Europäischen Parlaments zu diesen Punkten
benennen)?

4. In welchen wesentlichen Punkten bestehen, über die in Frage 2 genannten,
noch unterschiedliche Auffassungen der Mitgliedstaaten untereinander (bitte
jeweils Artikel, Inhalt und die jeweilige Position der Bundesregierung sowie
des Europäischen Parlaments zu diesen Punkten benennen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9806

5. In welchen wesentlichen – über die in Frage 2 genannten – Punkten ist ein
Dissens zwischen den ausverhandelten Ratspositionen mit dem Europäi-
schen Parlament erkennbar, und welcher Kompromiss ist vorstellbar (bitte
jeweils Artikel, Inhalt und die jeweilige Position der Bundesregierung und
der Europäischen Kommission zu diesen Punkten benennen)?

6. Für welche Branchen, und in welchem Umfang soll nach Ansicht der Bun-
desregierung die Saisonarbeitsrichtlinie (in der jetzt verhandelten Fassung)
künftig zur Anwendung kommen?

EU-Richtlinie zur konzerninternen Entsendung

7. In welchen wesentlichen Punkten unterscheidet sich die aktuell im Rat
abgestimmte Fassung der Richtlinie zur konzerninternen Entsendung vom
Ursprungsvorschlag der Europäischen Kommission, bzw. welche wesentli-
chen Punkte wurden unverändert beibehalten (bitte jeweils Artikel, Inhalt
und die jeweilige Position der Bundesregierung, der Europäischen Kom-
mission sowie des Europäischen Parlaments zu diesen Punkten benennen)?

8. Wie ist der Stand der Verhandlungen, mögliche Differenzen und die Posi-
tion der Bundesregierung, der Europäischen Kommission bzw. des Europä-
ischen Parlaments, insbesondere zu den Punkten:

a) Definition der Arbeitskräfte (Fachkraft, Führungskraft etc.) bzw. Frage
der Anwendbarkeit der Richtlinie (Vorbeschäftigungszeiten, Rückkehr-
recht, Dauer der Entsendung usw.),

b) Frage der Weiterentsendung/Mobilität zwischen den Mitgliedstaaten,

c) Ausschluss bzw. Einbeziehung von Leiharbeitskonzernen und Personal-
dienstleistern,

d) soziale Rechte der Beschäftigten (Sozialleistungen, Zugang zu öffent-
lichen Dienstleistungen, Rechte auf Familienbesuch bzw. -nachzug etc.),

e) Gleichbehandlungsgrundsätze (bezüglich der Arbeits- und Beschäf-
tigungsbedingungen, insbesondere Lohnuntergrenzen),

f) Kontroll- und Sanktionsmechanismen

(bitte entsprechend den einzelnen Punkten die entsprechenden Positionen
der Bundesregierung, der einzelnen Mitgliedstaaten, des Europäischen Par-
laments und der Europäischen Kommission aufführen)?

9. In welchen wesentlichen Punkten bestehen, über die in Frage 8 genannten,
noch unterschiedliche Auffassungen welcher Mitgliedstaaten gegenüber
der Europäischen Kommission (bitte jeweils Artikel, Inhalt und die jewei-
lige Position der Bundesregierung, der Europäischen Kommission sowie
des Europäischen Parlaments zu diesen Punkten benennen)?

10. In welchen wesentlichen Punkten bestehen, über die in Frage 8 genannten,
noch unterschiedliche Auffassungen der Mitgliedstaaten untereinander
(bitte jeweils Artikel, Inhalt und die jeweilige Position der Bundesregie-
rung, der Europäischen Kommission sowie des Europäischen Parlaments zu
diesen Punkten benennen)?

11. In welchen wesentlichen – über die in Frage 8 genannten – Punkten ist ein
Dissens mit dem Europäischen Parlament erkennbar (bitte jeweils Artikel,
Inhalt und die jeweilige Position der Bundesregierung und der Europäi-
schen Kommission zu diesen Punkten benennen)?

Beide Richtlinien betreffende Fragen
12. Wie bewertet die Bundesregierung den bisherigen und zu erwartenden Ver-
lauf der Verhandlungen zu beiden Richtlinien?

Drucksache 17/9806 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. Wie schätzt die Bundesregierung, in Anbetracht des aktuellen Verhand-
lungsstandes, die Frage des Anwendungsbereichs und der Bedeutung der
beiden Richtlinien für die Zukunft in der EU bzw. in der Bundesrepublik
Deutschland ein – in welchem quantitativen Umfang wird mit einer Be-
schäftigung aufgrund beider Richtlinien gerechnet?

14. Wie bewertet die Bundesregierung, in Anbetracht des aktuellen Verhand-
lungsstandes, die Frage der möglichen Auswirkungen der Richtlinien auf
den hiesigen Arbeitsmarkt und insbesondere die Gefahr eines möglichen
Lohn- und Sozialdumpings, und inwieweit ist durch die beiden Richtlinien
das Prinzip gleicher Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort
sichergestellt – oder nicht?

Berlin, den 23. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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