BT-Drucksache 17/9769

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 17/9505, 17/9768 - Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Vom 23. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9769
17. Wahlperiode 23. 05. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Dr. Frithjof Schmidt, Omid
Nouripour, Volker Beck (Köln), Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller
(Köln), Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 17/9505, 17/9768 –

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen
Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der
Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag stimmt der Verlängerung des Mandats für die Beteili-
gung der Bundeswehr an der friedenssichernden KFOR-Mission der UN im
Kosovo zu. Er befürwortet angesichts der anhaltend fragilen und besonders seit
Sommer 2011 zusätzlich angespannten Sicherheitslage die Beibehaltung der
bisherigen Truppenstärke. Der Deutsche Bundestag erkennt die wichtige Rolle
der Bundeswehr als Teil von KFOR an und unterstreicht in diesem Zusammen-
hang die Notwendigkeit, sich stärker in die vor Ort befindlichen Führungs- und
Verbindungselemente (Joint Regional Detachments sowie Liaison and Monito-
ring Teams) einzubringen, um einen stärkeren Kontakt zur örtlichen Bevölke-
rung sowie wichtigen gesellschaftlichen Akteuren herzustellen und zu pflegen.

Der Deutsche Bundestag äußert in diesem Zusammenhang seine Überzeugung,
dass der Aufbau eines demokratischen und rechtsstaatlichen Kosovo im Inte-
resse der Europäischen Union und damit auch deutscher Politik liegt und für den
Frieden und die Stabilität in der gesamten Region unabdingbar ist. Hierzu gehört

auf Grundlage der Beschlüsse von Thessaloniki aus dem Jahr 2003 die Perspek-
tive für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Um dieses Ziel zu er-
reichen, ist neben großen Anstrengungen von Regierung und Gesellschaft im
Kosovo selbst auch weiterhin eine erhebliche Unterstützung durch die EU not-
wendig.

Drucksache 17/9769 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Trotz jahrelanger Bemühungen der internationalen Gemeinschaft kommt der
Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen im Kosovo nur schlep-
pend voran. Korruption und organisierte Kriminalität stellen weiterhin ein
schweres Problem für Staat und Gesellschaft dar. Die soziale und wirtschaftliche
Situation bleibt schwierig. Die Einkommen der Menschen im Kosovo betragen
weiterhin weniger als 10 Prozent des Durchschnitts der Europäischen Union.
Das Land hat mit über 40 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Eu-
ropa, die neben fehlenden Arbeitsplätzen auch auf mangelnde Qualifikation der
Arbeitsuchenden zurückzuführen ist. Besondere soziale Sprengkraft birgt die
überdurchschnittlich hohe Jugendarbeitslosigkeit, die vor dem Hintergrund der
Altersstruktur der Bevölkerung weiter zunimmt. Ein modernes Bildungs- und
Ausbildungsprogramm ist für die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit, nicht
zuletzt unter den benachteiligten Minderheiten, notwendig. Die Lebensbedin-
gungen der Roma und weiterer nichtserbischer Minderheiten sind nach wie vor
durch Benachteiligung, Armut und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit gekenn-
zeichnet. Dies trifft insbesondere für in das Kosovo zurückkehrende Minder-
heitenangehörige zu, da die Reintegrationsmaßnahmen auf kommunaler Ebene
völlig unzureichend sind. Besonders betroffen sind dabei die Kinder. Eine am
28. März 2012 veröffentlichte Studie von UNICEF (United Nations Children’s
Fund) beschreibt, dass viele von ihnen unter schweren psychosozialen und ge-
sundheitlichen Problemen leiden. Das kosovarische Gesundheitswesen kann
dem Behandlungsbedarf nicht annähernd gerecht werden. Dennoch hat die Bun-
desregierung im April 2010 ein Rücknahmeabkommen mit dem Kosovo abge-
schlossen, das die Rückführung von etwa 12 000 kosovarischen Minderheiten-
angehörigen in den nächsten Jahren vorsieht.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Europäische Union den Ländern des
Westbalkans die Perspektive einer Mitgliedschaft einräumt. Dafür ist es aber
wichtig, dass Serbien eine konstruktivere Rolle im Normalisierungsprozess im
Norden des Kosovo einnimmt. Die von Serbien unterstützten illegalen Parallel-
strukturen in Nordkosovo verletzen die Souveränität des Kosovo und unterlau-
fen die Bemühungen zum Aufbau seiner Staatlichkeit. Es existiert ein nahezu
rechtsfreier Raum, in dem der Bevölkerung grundlegende demokratische Rechte
verweigert werden. Die mangelnde Rechtsstaatlichkeit in Nordkosovo ist eine
willkommene Umgebung für organisierte Kriminalität und damit eine ernste Be-
drohung für die Sicherheit in der gesamten Region. Mit großer Sorge betrachtet
der Deutsche Bundestag die Zunahme der Gewalt in Nordkosovo in den vergan-
genen Monaten, zu deren Eindämmung verstärkt KFOR-Truppen eingesetzt
werden mussten. Der Deutsche Bundestag verurteilt in diesem Zusammenhang
die wiederholten Angriffe auf Angehörige der KFOR-Truppen. Die Notwendig-
keit der abermaligen Verlegung der operativen Reserve im Vorfeld der ser-
bischen Wahlen im Mai 2012 in das Kosovo zeigt erneut, dass die serbischen
Parallelstrukturen eine friedliche Entwicklung in Nordkosovo erschweren. Die
Fehlplanungen hinsichtlich der operativen Reserve vor allem mit Blick auf die
personelle Ausstattung wurden spät erkannt und es ist gut, dass die Bundesregie-
rung hier Fehler eingeräumt hat. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Auf-
fassung, dass die bestehenden Parallelstrukturen in Nordkosovo nicht hinzuneh-
men sind. Die Eingliederung der serbischen Minderheiten in Südkosovo zeigt,
dass ihre Interessenwahrung innerhalb des multiethnischen Kosovo möglich ist,
auch wenn weiterhin verstärkte Anstrengungen zur Integration notwendig sind.

Die fehlende eindeutige Haltung der Europäischen Union zum Status des Ko-
sovo beeinträchtigt die Entwicklung des Landes. Noch immer haben nicht alle
Mitglieder der Europäischen Union das Kosovo anerkannt. Aus diesem Grund
konnte das Land als einziges in der Region bislang kein Assoziierungsabkom-
men mit der Europäischen Union abschließen, welches für die Vorbereitung des

angestrebten Beitritts notwendig ist. Zu begrüßen ist die Eröffnung eines
Dialogs zwischen Europäischer Union und Kosovo über die Abschaffung der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9769

Visumpflicht, die in der Region nur noch für das Kosovo gilt. In besonderem
Maße ist die Arbeit der europäischen Rechtsstaatsmission EULEX von der
uneindeutigen Haltung der Europäischen Union gegenüber dem Kosovo beein-
trächtig. Die hieraus resultierende Statusneutralität der Mission ist ihrer Akzep-
tanz und Glaubwürdigkeit abträglich. Im Gegensatz zu KFOR verfügt EULEX
im Norden des Kosovo nicht über die nötige Bewegungsfreiheit zur Durchset-
zung von Rechtsstaatlichkeit.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Unterstützung für die Anerkennung
des Kosovo und stellt fest, dass die Grenzen des Landes festgelegt sind. Grund-
lage der Verfasstheit des Kosovo bleibt aus Sicht des Deutschen Bundestages der
Ahtisaari-Plan, unter anderem mit den damit verbundenen weitreichenden Min-
derheitenrechten und Autonomieregelungen für Gemeinden mit serbischer Be-
völkerungsmehrheit.

Der Deutsche Bundestag erklärt seine Ansicht, dass für dauerhafte Stabilität in
der Region eine möglichst gleichzeitige Heranführung aller verbliebenen Staa-
ten auf dem Westbalkan an die Europäische Union notwendig ist. Um dieses Ziel
zu erreichen, müssen das Kosovo und die gesamte Region des Westbalkans mit
den bestehenden Konflikten und Blockaden im Fokus der deutschen und euro-
päischen Politik stehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– auf die völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo in seinen bestehenden
Grenzen durch alle EU-Mitgliedstaaten zu drängen;

– im Rahmen der EU und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE) für eine regionale Konfliktlösung einzutreten, welche die
multiethnische Zusammenarbeit auf allen Ebenen gezielt fördert und darauf
abzielt, den Ländern des Westbalkans einen möglichst gemeinsamen Weg in
die EU zu ermöglichen;

– sich auf EU-Ebene für eine kohärente und wirksame Unterstützung der poli-
tischen und wirtschaftlichen Entwicklung im Kosovo und insbesondere der
Rechtsstaatsmission EULEX einzusetzen;

– sich dafür zu engagieren, dass die politischen Bedingungen dafür geschaffen
werden, EULEX für einen gleichermaßen erfolgreichen und in der Bevölke-
rung glaubwürdigen Einsatz im gesamten Gebiet des Kosovo auszustatten
und diesen zu ermöglichen;

– ihren Einfluss auf Serbien geltend zu machen, um die von der serbischen Re-
gierung unterstützten Parallelstrukturen in Nordkosovo abzubauen, und auf
EU-Ebene dafür einzutreten, dass dies Bedingung für Beitrittsverhandlungen
mit Serbien ist;

– sich dafür einzusetzen, dass ungeachtet des fehlenden Konsens in der EU
über den Status des Kosovo ausreichend Mittel für das Kosovo aus dem Sta-
bilitätsinstrument der EU bereitgestellt werden;

– mit Hilfe der EU prioritär Projekte der Infrastruktur, der Bildung und Ausbil-
dung zu fördern;

– sicherzustellen, dass Verteilung und Einsatz der EU-Mittel hinreichend trans-
parent ablaufen, um das Risiko von Verlusten und Fehllenkungen infolge von
Korruption minimieren zu können;

– die im Bundeshaushalt für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Kon-
fliktbewältigung für Südosteuropa eingestellten Mittel nicht weiter zu ver-
ringern und insbesondere für Projekte der Bildung, Versöhnung und multi-

ethnischen Zusammenarbeit zu verwenden;

Drucksache 17/9769 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– sich dafür einzusetzen, dass direkt und über Mittelzuweisungen der kosova-
rischen Regierung gezielt Projekte in den mehrheitlich serbisch bewohnten
Gebieten und insbesondere in Nordkosovo gefördert werden, um so die Ko-
operationsbereitschaft mit den kosovarischen Institutionen zu fördern;

– gegenüber der kosovarischen Regierung auf die Einhaltung eines angemesse-
nen Umgangs mit den Minderheiten auf dem Gebiet des Kosovo zu drängen;

– sich im Rahmen der zuständigen internationalen Organisationen dafür einzu-
setzen, dass die Nordgrenze des Kosovo zu Serbien ausreichend kontrolliert
und geschützt wird, um den Waren- und Personenverkehr kontrollieren,
Schmuggel unterbinden und Zölle effektiv eintreiben zu können, und dass
Möglichkeiten für Erleichterungen im kleinen Grenzverkehr zwischen dem
Kosovo und seinen Nachbarstaaten gesucht und praktiziert werden;

– sich im Rahmen der NATO dafür einzusetzen, dass KFOR im Norden zur
Hilfe bei der Durchsetzung von Strafverfolgung und Grenzmanagement man-
datiert wird;

– sich stärker in den territorialen Führungs- und Verbindungselementen (Joint
Regional Detachments und Liaison and Monitoring Teams) von KFOR vor
Ort sowie den dazu gehörenden Führungsstrukturen zu engagieren und damit
einen stärkeren Kontakt zur örtlichen Bevölkerung sowie wichtigen gesell-
schaftlichen Akteuren herzustellen und zu pflegen;

– sich im Rahmen der zuständigen internationalen Organisationen für eine
Normalisierung des Luftraumes über Kosovo einzusetzen;

– für Visaerleichterungen und die schnellstmögliche Visabefreiung für Reisen
aus dem Kosovo in die EU sowie für Zugang zum Arbeitsmarkt der EU ein-
zutreten;

– sich gegenüber den Bundesländern für eine Aussetzung der Abschiebungen
von Roma, Ashkali und Kosovo-Ägyptern aus dem Kosovo einzusetzen und
dabei insbesondere das Wohl der Kinder vorrangig zu berücksichtigen, und
die Regierungen anderer EU-Mitgliedstaaten aufzufordern, ebenso zu ver-
fahren;

– sich auf NATO-Ebene dafür einzusetzen, dass die erfolgreichen Bemühungen
der Katasterämter der Republik Serbien und der Republik Kosovo zur Defi-
nition eines exakten Grenzverlaufes zwischen den beiden Republiken umge-
setzt und die damit verbundenen Streitigkeiten um den Grenzverlauf beige-
legt werden;

– sich auch weiterhin gegenüber der Regierung des Kosovo für den Schutz der
serbisch-orthodoxen Heiligtümer einzusetzen.

Berlin, den 22. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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