BT-Drucksache 17/9637

Verbesserung der Heilmittelversorgung

Vom 11. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9637
17. Wahlperiode 11. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe,
Elisabeth Scharfenberg, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Sven-Christian
Kindler, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbesserung der Heilmittelversorgung

Nach § 12 und § 70 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) gilt für die
gesetzlichen Krankenkassen und die Leistungserbringer das Wirtschaftlichkeits-
gebot, nach dem die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich
sein müssen. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, um das
Behandlungsziel zu erreichen. Gesetzliche Krankenkassen und Leistungserbrin-
ger haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicher-
ten zu gewährleisten. Aus dem Solidarprinzip des Krankenversicherungssys-
tems und dem Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen ergibt
sich der Grundsatz des gleichen Zugangs zu medizinisch notwendigen Gesund-
heitsleistungen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bei der Konkre-
tisierung der Leistungsansprüche der Versicherten über die Heilmittel-Richtlinie
(HeilM-RL) den besonderen Belangen behinderter oder von Behinderung be-
drohter sowie chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen (§ 1 Absatz 2
HeilM-RL).

Der BARMER GEK Heil- und Hilfsmittelreport 2011 des Zentrums für Sozial-
politik der Universität Bremen kommt trotz alledem zu dem Schluss, dass es in
Deutschland eine Fehlversorgung mit Heilmitteln gibt. Der Zugang zur Heilmit-
telversorgung ist nicht nur vom Wohnort einer Person abhängig, sondern auch
vom Alter, Geschlecht und den sozialen Lebensumständen. Zudem bleiben nach
der Beantwortung der Bundesregierung von mehreren Kleinen Anfragen zum
Thema Heilmittel noch offene Fragen zur Bedeutung von Richtgrößen im Heil-
mittelbereich, zur angemessenen Vergütung der Heilmittelerbringer und die Er-
stattungsfähigkeit therapeutischer Maßnahmen.

Der G-BA wollte mit dem 2011 neu geschaffenen Verfahren nach § 8 Absatz 5
HeilM-RL die erforderlichen Heilmittelverordnungen außerhalb des Regelfalls
für Patienten mit schweren und dauerhaften Behinderungen oder Erkrankungen
sicherstellen. Die Umsetzung des Verfahrens hat in der Praxis zu Schwierigkei-
ten geführt. Seit dem 1. Januar 2012 ist § 32 Absatz 1a SGB V in Kraft, der
regelt, dass die Genehmigungsvoraussetzungen für Verordnungen bei langfristi-

gem Behandlungsbedarf der G-BA in der HeilM-RL festlegt. Dem hat der
Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) vorgegriffen,
indem er in Bearbeitungshinweisen vom 16. Dezember 2011 formulierte, in
welcher Weise Ärzte einen längerfristigen Heilmittelbedarf zu belegen haben.
Die Auslegung in den Bearbeitungshinweisen, dass es dabei um eine fortlaufend
gleichbleibende Heilmitteltherapie geht, lassen Zweifel aufkommen, ob

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schwerstbedürftige und fortlaufend behandlungsbedürftige Versicherte davon
profitieren und die Regelung den gedachten Zweck erfüllt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung bekannt, wann der G-BA seiner Aufgabe nachkom-
men wird, Einzelheiten zur Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens
nach § 32 Absatz 1a SGB V wie z. B. die Konkretisierung des begünstigten
Personenkreises und Anforderungen an die ärztliche Begründung bei lang-
fristigen Verordnungen festzulegen?

2. Welchen Stellenwert haben aus Sicht der Bundesregierung die Bearbeitungs-
hinweise vom 16. Dezember 2011 des GKV-Spitzenverbands, die im Detail
die Voraussetzungen des Genehmigungsverfahrens formulieren?

3. War es Absicht des Gesetzgebers, bei langfristigem Behandlungsbedarf nach
§ 32 Absatz 1a SGB V, die Heilmittelbehandlung ausschließlich als fortlau-
fend gleichbleibende Therapie mit dauerhaft gleichbleibenden Heilmitteln zu
formulieren?

Welcher Kreis von Patientinnen und Patienten mit schweren Behinderungen
oder chronischen Erkrankungen würde davon profitieren, welcher nicht?

4. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung gewährleistet, dass alle Versicher-
ten mit schweren Behinderungen oder chronischen Erkrankungen stets die im
Einzelfall bedarfsgerechte Therapievielfalt in Anspruch nehmen können?

Wenn ja, warum?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Übernahme der Bearbeitungshinweise
des GKV-Spitzenverbands für langfristige Verordnungen von Heilmitteln
durch einzelne Kassenärztliche Vereinigungen (KV) – wie z. B. durch die KV
Bayern (KVB Verordnung Aktuell vom 29. Februar 2012)?

6. In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/738) benennt die Bundesregierung als
Antwort zu den Fragen 1 bis 3 mögliche Gründe für regionale Besonderhei-
ten für eine unterschiedliche Verordnungshäufigkeit von Heilmitteln. Liegen
der Bundesregierung gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die die
genannten Faktoren als mögliche Gründe für das in den Ländern höchst
unterschiedliche Verordnungsverhalten belegen:

a) patientenbezogenen Faktoren (Altersstruktur, Geschlechterverteilung, In-
anspruchnahmeverhalten der Versicherten),

b) Kampagnen und sonstigen Maßnahmen, welche die Verordnung nach
Heilmitteln reduzieren bzw. verstärken,

c) Versorgungsstruktur wie Arztdichte, Fachärzteanteil, Art und Anzahl sta-
tionärer Einrichtungen?

Welche sind das genau?

7. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es in den Kassenärztlichen Verei-
nigungen unterschiedliche Prüfvereinbarungen über die Wirtschaftlichkeits-
prüfung von Heilmittelverordnungen gibt?

Wenn ja, wie unterscheiden sich diese und wie bewertet die Bundesregierung
diese?

8. Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung sicherzustellen, dass sich aus den
Unterschieden bei den Prüfvereinbarungen und der Prüfrichtlinie in letzter
Konsequenz keine ungleichen Voraussetzungen für eine angemessene Be-

handlung von Patienten und Patientinnen ergeben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9637

9. Welche Maßnahmen müssen aus Sicht der Bundesregierung von den Kas-
senärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen ergriffen werden, um
zu gewährleisten, dass die Verordnungspraxis der Vertragsärzte für Heilmit-
tel dem tatsächlichen Behandlungsbedarf der Patientinnen und Patienten
entspricht?

10. a) Wie begründet die Bundesregierung ihre Aussage in der Antwort auf die
Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/738, die Notwendigkeit
von Richtgrößen für die ärztliche Verordnung von Heilmitteln überprü-
fen zu wollen?

Welches sind nach Auffassung der Bundesregierung die dort genannten
„vielfältigen Steuerungsinstrumente“, die an deren Stelle treten könnten?

b) Hat die Bundesregierung inzwischen die Notwendigkeit für Richtgrößen
für ärztliche Verordnungen überprüft?

Wenn ja, welche Erkenntnisse liegen vor?

Wenn nein, wieso nicht?

11. Wie häufig wurde nach Einführung der Schiedsregelung im März 2009 ein
Schiedsverfahren für die Aushandlung von Vertragspreisen oder deren An-
passung im Heilmittelbereich einberufen (bitte unterscheiden nach KV)?

12. Zu welchem Ergebnis kamen die einzelnen Schiedsverfahren, und zu wel-
chen Schlussfolgerungen gelangt die Bundesregierung in der Gesamtbe-
trachtung?

13. Wie ist der stark variierende Bruttoumsatz je Heilmittel in den Kassenärzt-
lichen Vereinigungen, belegt durch das GKV-Heilmittel-Informations-Sys-
tem, zu erklären?

14. Welche Vergütung erhalten Heilmittelerbringer und Heilmittelerbringerin-
nen in den einzelnen Bundesländern?

15. Zu welchen maximalen Vergütungsunterschieden nach § 125 Absatz 2
SGB V bei den Heilmittelerbringern kommt es in den einzelnen Bundeslän-
dern, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

16. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um insbesondere
die weiterhin notwendige Ost-West-Angleichung der Vergütungen für Heil-
mittelerbringer und Heilmittelerbringerinnen voranzutreiben?

17. Wird die Bundesregierung finanzielle Mittel bereitstellen, um die Versor-
gungsforschung im Heilmittelbereich zu intensivieren?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, wieso nicht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Sach-
verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
schon 2005 (Bundestagsdrucksache 15/5670) auf die Notwendigkeit hinge-
wiesen hat, die Wirksamkeitsforschung im Heilmittelbereich zu intensivie-
ren?

18. Wie ist die Belastung durch Zuzahlung für Menschen, die aufgrund einer
behandlungsbedürftigen Krankheit Heilmittel erhalten, im Sinne der Kran-
kenkassen als Solidargemeinschaft zu rechtfertigen?

19. Wie hoch waren die Einnahmen der Krankenkassen in den Jahren 2006 bis
2011 durch die Zuzahlung zu Heilmittelleistungen?

Drucksache 17/9637 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Liegen der Bundesregierung Informationen oder Hinweise darauf vor, wel-
che Anteile davon auf

a) chronisch Kranke,

b) psychisch Kranke,

c) Menschen mit Behinderung,

d) Menschen über 65 Jahren,

e) Erwerbslose und

f) Menschen mit Migrationshintergrund

entfallen?

Berlin, den 11. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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