BT-Drucksache 17/9594

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum G8-Gipfel am 18./19. Mai 2012 in Camp David und zum NATO-Gipfel am 20./21. Mai 2012 in Chicago

Vom 8. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9594
17. Wahlperiode 08. 05. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum G8-Gipfel am 18./19. Mai 2012 in Camp David und
zum NATO-Gipfel am 20./21. Mai 2012 in Chicago

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die landesweiten Unruhen und Massenproteste mit zahlreichen Toten im
Februar 2012 sowie das Massaker von Kandahar, bei dem 16 afghanische
Zivilisten getötet wurden, sind jüngste Beispiele für die desolate Situation in
Afghanistan. Sowohl die Sicherheitslage als auch die gesamtgesellschaftliche
Situation im Land bleiben schlecht. Den „verlorenen Krieg“ fortzuführen, um
„einen Grund dafür zu finden, sich selbst zum Sieger erklären zu können“, wie
es der NATO-Berater und Leiter des Hague Center for Security Studies, Rob de
Wijk, in den „Stuttgarter Nachrichten“ (16. März 2012) formulierte, ist zynisch
und grundsätzlich falsch. Es ist dringend geboten, den Einsatz der Internationa-
len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) zu beenden und die
Bundeswehr sofort abzuziehen.

Der bisherige Kurs der USA und der NATO-Militärallianz, bis 2014 lediglich
einen Teilabzug von so genannten kämpfenden Einheiten anzuvisieren, greift
zu kurz – er trägt weder zu einer Deeskalation bei noch werden damit neue
Anreize für dringend erforderliche Friedensgespräche geschaffen. Erstens sol-
len die so genannten Ausbildungseinheiten von ISAF aktiv bei militärischen
Operationen der afghanischen Sicherheitskräfte eingesetzt werden. Zweitens
wird ein großer Teil der US-Truppen, vor allem die CIA-Einheiten und andere
Spezialkräfte, im Rahmen der Operation Enduring Freedom weiterhin offen-
sive Operationen und gezielte Tötungen durchführen. Drittens ignorieren die
gegenwärtigen Planungen in der NATO die ausdrücklichen und jüngst wieder-
holten Forderungen des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai nach dem so-
fortigen Rückzug der NATO- und US-Truppen in ihre Stützpunkte, der Über-

gabe der Gesamtverantwortung für die Sicherheit an die afghanischen Behör-
den sowie die Auflösung der US-Militärgefängnisse und der ausländischen pri-
vaten Sicherheitsdienste. Die Besatzung Afghanistans durch NATO-Truppen
lehnt die Fraktion DIE LINKE. ab. Auf dem NATO-Gipfel am 20./21. Mai
2012 in Chicago muss daher die Chance für eine grundlegende Abkehr von der
bisherigen, falschen Politik ergriffen werden.

Drucksache 17/9594 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Unabhängig von den Entscheidungen innerhalb der NATO-Militärallianz über
die Zukunft von ISAF hat Deutschland die Verantwortung und die Möglichkeit,
zumindest in seinem Zuständigkeitsbereich die Weichen für eine Verbesserung
der Sicherheitslage zu stellen und eine Friedensperspektive zu schaffen. Das
Abzugsversprechen der Bundesregierung muss jetzt mit Leben erfüllt werden –
nicht erst 2014 oder noch später, sondern 2012. Durch die Fortführung der
deutschen offensiven Militäroperationen und Unterstützungsleistungen für
offensive Militäroperationen der afghanischen Streitkräfte und der USA, bis
hin zur indirekten Mitwirkung an gezielten Tötungen, werden die Bemühungen
um eine Deeskalation und einen Friedensprozess blockiert. Die geplante Verle-
gung von Tiger-Kampfhubschraubern nach Afghanistan setzt ein Zeichen da-
für, dass die Bundeswehr in den nächsten Jahren sogar noch stärker an Kampf-
handlungen teilnehmen soll. Dagegen setzt der Abzug der Bundeswehr aus
Afghanistan ein deutliches Zeichen für die Beendigung des Krieges, der in den
vergangenen zehn Jahren zehntausende Zivilisten, tausende Soldatinnen und
Soldaten sowie zahlreiche zivile Helferinnen und Helfer das Leben gekostet
hat. Die bislang für die Militärintervention gebundenen Mittel von mehr als
1 Mrd. Euro pro Jahr müssen im Rahmen einer verlässlichen und nachhaltigen
Partnerschaft mit Afghanistan für den Aufbau ziviler, selbstbestimmter Struktu-
ren und der wirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung gestellt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf dem NATO-Gipfel die Aufhebung des 2001 festgestellten Bündnisfalls
nach Artikel 5 des NATO-Vertrages zu beantragen;

2. sich auf dem NATO-Gipfel dafür einzusetzen, dass die NATO einen ver-
bindlichen Plan für den schnellstmöglichen Abzug aller Truppen vorlegt;

3. keine weiteren Waffensysteme aus Deutschland nach Afghanistan zu verle-
gen, die deutsche Beteiligung an ISAF zu beenden, darüber die NATO-Part-
ner zu informieren und unverzüglich einen verbindlichen Plan für den sofor-
tigen Abzug des deutschen Einsatzkontingents in 2012 vorzulegen;

4. sofort jegliche Mitwirkung an gezielten Tötungen in Afghanistan und Pakis-
tan einzustellen und sich auf dem NATO-Gipfel für eine sofortige Beendi-
gung der Praxis der gezielten Tötungen der NATO einzusetzen.

Berlin, den 8. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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