BT-Drucksache 17/9578

Keine Hermes-Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9578
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine),
Doris Barnett, Klaus Barthel, Dirk Becker, Gerd Bollmann, Klaus Brandner,
Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Marco Bülow, Edelgard Bulmahn,
Dr. Peter Danckert, Martin Dörmann, Ingo Egloff, Petra Ernstberger,
Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Bettina Hagedorn, Klaus Hagemann,
Dr. Barbara Hendricks, Johannes Kahrs, Hans-Ulrich Klose, Dr. Bärbel Kofler,
Ute Kumpf, Petra Merkel (Berlin), Dr. Matthias Miersch, Dr. Rolf Mützenich,
Manfred Nink, Thomas Oppermann, Johannes Pflug, Dr. Sascha Raabe,
Stefan Rebmann, Karin Roth (Esslingen), Carsten Schneider (Erfurt),
Ewald Schurer, Frank Schwabe, Rolf Schwanitz, Franz Thönnes,
Wolfgang Tiefensee, Ute Vogt, Andrea Wicklein, Heidemarie Wieczorek-Zeul,
Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Uta Zapf, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Keine Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung will eine Hermesbürgschaft von über 1,3 Mrd. Euro zum
Bau des umstrittenen brasilianischen Atomkraftwerks (AKW) Angra 3 vergeben.
Bereits Anfang Februar 2010 erteilte der innerhalb der Bundesregierung zustän-
dige Interministerielle Ausschuss eine Grundsatzzusage für die Bürgschaft.
Begründet wurde die Grundzusage mit der Beteiligung der Siemens AG am
Kraftwerksbauer AREVA NP GmbH. Mittlerweile ist die Siemens AG aus dem
Kraftwerksbauer AREVA NP GmbH ausgestiegen und seit dem 18. März 2011
nicht mehr Anteilseigner an dem ursprünglich deutsch-französischen Joint Ven-
ture AREVA NP GmbH. Es fehlt somit an einer deutschen Unternehmensbetei-
ligung.

Die Grundzusage vom Februar 2010 lief Ende Juli 2011 aus. Da der Haushalts-
ausschuss des Deutschen Bundestages nach Fukushima eine Neubewertung ver-
langte, wurde die Grundzusage nicht automatisch verlängert. Eine Verlängerung
erfolgte dann mit der Auflage, dass der Kraftwerksbauer AREVA NP GmbH ein
Gutachten zum Bau des AKWs Angra 3 und zur Situation in Brasilien nach
Fukushima vorlegt, speziell zu den Problemen wie Erdbeben, Erdrutschen,

Hochwasser, Notfallstromversorgung und Evakuierungsplänen. Die AREVA NP
GmbH hat das Institut für Sicherheitstechnologie (ISTec) GmbH mit diesem
Gutachten beauftragt. Ende März 2012 wurde die Grundzusage nach wiederhol-
tem Auslaufen ein weiteres Mal um sechs Monate verlängert. Die Lieferverträge
sind unterzeichnet. Das von der Bundesregierung angeforderte Gutachten zu den

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Risiken des AKW-Projekts ist fertiggestellt und wurde der Bundesregierung
vorgelegt. Die Bundesregierung prüft derzeit. Danach könnte die Bundesregie-
rung die Hermesbürgschaft für Angra 3 bereits im zweiten Quartal 2012 end-
gültig in Deckung nehmen.

Deutschland hat sich 2011 mit breiter parlamentarischer Mehrheit für einen
Ausstieg aus der Atomenergie entschieden. Dennoch fördert die Bundesrepu-
blik Deutschland die Nutzung und den Ausbau der Atomtechnologie in anderen
Ländern. Mit Beginn der 17. Wahlperiode hat die schwarz-gelbe Bundesregie-
rung die seit 2001 geltenden nationalen Hermes-Umweltleitlinien außer Kraft
gesetzt. Damit wurde die Exportförderung von Technologien zum Neubau und
zur Umrüstung von Atomanlagen wieder ermöglicht. Das ist unverantwortlich,
inkonsequent und in keinster Weise vermittelbar. Wenn der Atomausstieg ernst
gemeint ist, muss die Exportförderung von Atomtechnologie umgehend been-
det werden.

Unabhängige Gutachten zu den Risiken von Angra 3, die von den Organisatio-
nen urgewald e. V. und Greenpeace e. V. in Auftrag gegeben und im März 2012
veröffentlicht wurden, kommen zum Urteil, dass der Standort ungeeignet für
den Bau eines weiteren Reaktors ist. Danach weist das Projekt fundamentale
geologische, geografische, technische und sicherheitspolitische Schwachpunkte
auf. Der geplante Standort für Angra 3 ist geologisch ungeeignet, denn das Ge-
biet zeichnet sich durch instabile Böden und eine erhöhte Erdrutschgefahr aus.
Das AKW Angra 3 läge am Meer und in unmittelbarer Nähe einer dichtbevöl-
kerten Großstadt (Angra dos Reis mit 170 000 Einwohnern). Das geplante AKW
würde über ein veraltetes Sicherheitsdesign verfügen. Die Zufahrts- und Evaku-
ierungsmöglichkeiten sind mangelhaft, da nur eine schmale Straße zum AKW
führt. Darüber hinaus werden wichtige Sicherheitsauflagen mangelhaft umge-
setzt. Die Bundesregierung hat auf Nachfrage des Bundestages mitgeteilt, diese
Gutachten nicht in die Bewertung zur Bürgschaftsvergabe einzubeziehen.

Die brasilianische Anwaltskammer hat sich am 5. Juli 2011 an den Obersten
Gerichtshof Brasiliens gewandt, um einen Baustopp für das AKW Angra 3 zu
erwirken. Die Anwaltskammer sieht im Bau von Angra 3 einen Verstoß gegen
die brasilianische Verfassung, da bisher keine spezifische Genehmigung des ak-
tuellen Projekts durch den brasilianischen Kongress vorliegt.

Die deutsche Bürgschaft ist entscheidend für die Finanzierung von Angra 3, da
französische Banken nur dann Kredite vergeben wollen, wenn diese über eine
Bürgschaft abgesichert sind. Zwei französische Banken haben angekündigt, ein
weiteres Gutachten mit einer kompletten „Due-diligence“-Prüfung in Auftrag
geben zu wollen. Trotz eines Beitrags der brasilianischen Entwicklungsbank
BNDES über etwa 2,7 Mrd. Euro und den möglicherweise hermesgedeckten
Beitrag von 1,3 Mrd. Euro ist die Gesamtfinanzierung von mindestens 4,5 Mrd.
Euro noch nicht geklärt.

Die ungeklärte Rechts- und Finanzierungslage erhöht die Risiken des Projekts
und damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland als Steuerzahler für ein gescheitertes Atomprojekt einstehen müs-
sen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Hermesbürgschaft für die Beteiligung am Bau des Kernreaktors Angra 3
nicht zu gewähren und die entsprechende Grundsatzzusage zurückzuziehen;

2. ab sofort keine Hermesbürgschaften für Nukleartechnologien oder andere
Technologien, die für den Bau von Kernkraftwerken bestimmt sind, zu ver-
geben und damit auch die dem Interministeriellen Ausschuss für Export-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9578

kreditgarantien des Bundes vorliegenden Anträge auf Exportkreditgarantien
für Zulieferungen für Atomanlagen bzw. den Export von Atomtechnologie
abzulehnen;

3. die Hermes-Umweltleitlinien von 2001 umgehend wieder in Kraft zu setzen
und einzuhalten;

4. die Atomverträge mit Brasilien und Argentinien durch eine Kooperation
über erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu ersetzen.

Berlin, den 9. Mai 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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