BT-Drucksache 17/9519

Stand des Ausbaus der U3-Kinderbetreuung und Kosten für das Betreuungsgeld

Vom 2. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9519
17. Wahlperiode 02. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn
Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Stand des Ausbaus der U3-Kinderbetreuung und Kosten für das Betreuungsgeld

Ab 1. August 2013 haben alle Kinder unter drei Jahren einen Rechtsanspruch
auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung. Trotz des umfangreichen
Investitionsprogramms „Kinderbetreuungsfinanzierung“ wird der flächen-
deckende Rechtsanspruch zum 1. August 2013 nicht eingelöst werden können.
Zu groß waren die traditionell bedingten Defizite in der Kinderbetreuung in den
meisten westlichen Bundesländern und zu gering bleibt das Engagement in vie-
len Bundesländern. So ist absehbar, dass zum Beispiel Nordrhein-Westfalen
und Baden-Württemberg, die beiden Bundesländer mit den geringsten Betreu-
ungsquoten, als Schlusslicht den Rechtsanspruch nicht einlösen können wer-
den. Aber auch in Bayern und Schleswig-Holstein hinkt der Ausbau der Kin-
derbetreuung den Erfordernissen weit hinterher.

Mit der Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes (KiföG) 2008 einigte
sich die damalige Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD auf die Ein-
führung eines Betreuungsgeldes. Das so genannte Betreuungsgeld sollen dieje-
nigen Eltern erhalten, deren Kinder unter drei Jahren keine Kinderförderungs-
einrichtung aufsuchen, also keinen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Da-
mit wurde das erste Mal gesetzlich verankert, dass der Verzicht auf eine gesetz-
liche Leistung zur Förderung der Kinder eine finanzielle Belohnung der Eltern
zur Folge hat. Die Einführung des Betreuungsgeldes ist nicht zuletzt daher auch
in der aktuellen Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP massiv um-
stritten.

Noch bevor ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, bleiben Kosten und Bedingun-
gen für den Bezug von Betreuungsgeld umstritten. So hat die Bundesregierung
für das Jahr 2014 nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 1,2 Mrd. Euro für das Betreuungsgeld ein-
geplant. Auf der anderen Seite rechnet das Zentrum für Europäische Wirt-
schaftsforschung GmbH (ZEW) mit Kosten in Höhe von 2 Mrd. Euro jährlich
ab 2014 für das Betreuungsgeld (WELT ONLINE, 3. April 2012). Die „Süd-
deutsche Zeitung“ rechnet wie folgt: „Es werden knapp 678 000 Kinder jähr-
lich geboren, im Schnitt leben also mehr als 1,35 Millionen Zwei-und Dreijäh-

rige in Deutschland. Wenn nun drei Viertel dieser Kinder, also alle, die keine
Kita besuchen, Anspruch auf Betreuungsgeld haben, sind das mehr als eine
Million mal 150 Euro monatlich. Macht pro Jahr knapp 1,9 Milliarden Euro.“
(Süddeutsche.de, 3. April 2012). Zu den Berechnungen, die deutlich abweichen
von den Planungen der Bundesregierung, schweigt die Bundesregierung bis-
lang.

Drucksache 17/9519 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Werden die veranschlagten Kosten für das Betreuungsgeld im Haushalt des
BMFSFJ eingestellt, und wenn ja, wird der Haushalt des BMFSFJ entspre-
chend aufgestockt?

2. Wie hoch werden die Gesamtkosten für das Betreuungsgeld bis einschließ-
lich 2020 und die sich daraus ergebenen Ansätze für die einzelnen Haus-
haltsjahre sein?

3. Wie und nach welchen Kriterien hat die Bundesregierung die Summe von
jährlich 1,2 Mrd. Euro für das Betreuungsgeld ab 2014 berechnet (bitte auf-
schlüsseln)?

4. Für wie viele Kinder unter drei Jahren reichen die bisher ab 2014 veran-
schlagten jährlich 1,2 Mrd. Euro Betreuungsgeld?

5. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die für das Betreuungsgeld ver-
anschlagten 1,2 Mrd. Euro ausreichen, in Anbetracht der Tatsache, dass
nicht einmal ein Drittel der Kinder unter drei Jahren in einer öffentlichen
Kinderbetreuungseinrichtung versorgt ist und somit mehr als zwei Drittel
der pro Jahrgang über 650 000 Kinder Anspruch auf Betreuungsgeld hätten?

6. Sieht die Bundesregierung in Kenntnis der Berechnungen der Kosten für
das Betreuungsgeld durch das ZEW und die „Süddeutschen Zeitung“ einen
Handlungsbedarf, und gegebenenfalls welchen (bitte begründen)?

7. Sind der Bundesregierung weitere Berechnungsmodelle von Forschungs-
einrichtungen/Instituten bekannt, die mit höheren Kosten als 1,2 Mrd. Euro
jährlich für das Betreuungsgeld rechnen, und wenn ja, welche?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung in Kenntnis der
großen Differenzen zwischen ihren eigenen und den Berechnungen des
ZEW, der „Süddeutschen Zeitung“ sowie weiterer Rechenmodelle (bitte
begründen)?

9. Werden, wenn die Kosten für das Betreuungsgeld die veranschlagten 1,2 Mrd.
Euro überschreiten, diese Mehrkosten zu einer zusätzlichen Belastung des
Haushaltes des BMFSFJ und in dessen Folge Einsparungen beziehungs-
weise gegebenenfalls sogar Leistungskürzungen an anderen Stellen im
Haushalt des BMFSFJ mit sich bringen?

10. Strebt die Bundesregierung mit der Veranschlagung von jährlich 1,2 Mrd.
Euro ab 2014 eine Deckelung der Kosten für das Betreuungsgeld an, und
wenn ja, wie soll eine Umsetzung in der Praxis erfolgen?

Plant die Bundesregierung weitere Bevölkerungskreise neben Hartz-IV-
Empfängern aus dem Betreuungsgeld auszuschließen, zum Beispiel in
Abhängigkeit von der deutschen Staatsangehörigkeit, einer Freizügigkeits-
berechtigung oder einer Niederlassungserlaubnis (bitte detailliert auf-
schlüsseln)?

11. Wie weit wird nach Einschätzung der Bundesregierung der Ausbau der U3-
Betreuungsplätze bis zum 1. August 2013 fortgeschritten sein, und wie
viele Plätze werden bis dahin vorhanden sein?

Welche Betreuungsquote ergibt sich daraus (bitte jeweils aufgeschlüsselt in
Bundesländer und gesamt)?

12. Wie viele U3-Betreuungsplätze werden voraussichtlich am 1. August 2013
fehlen, um die angestrebte Betreuungsquote von 35 Prozent zu erreichen
(bitte aufgeschlüsselt nach Bundesländern)?
Mit welchen zusätzlichen Kosten rechnet die Bundesregierung, um die feh-
lenden Plätze einzurichten (insgesamt sowie auf Basis des Investitionspro-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9519

grammes Kinderbetreuungsfinanzierung anteilig für den Bund, bitte aufge-
schlüsselt nach Bundesländern)?

13. Geht die Bundesregierung dennoch davon aus, dass damit der Rechtsan-
spruch auf einen Betreuungsplatz überall sichergestellt werden kann, und
wenn nein, wo nicht (bitte begründen)?

14. Geht die Bundesregierung nach wie vor davon aus, dass mit einer Betreu-
ungsquote von 35 Prozent der Betreuungsbedarf abgedeckt werden kann
und somit der gesetzlich verbriefte Rechtsanspruch überall gewährleistet
werden kann (bitte begründen)?

15. Teilt die Bundesregierung Aussagen, wie beispielsweise vom Deutschen
Städtetag, wonach der Betreuungsbedarf in vielen Städten und Gemeinden
weit über der von der Bundesregierung prognostizierten Betreuungsquote
von 35 Prozent liegt (bitte begründen)?

16. Teilt die Bundesregierung die auch vom Deutschen Städtetag geäußerte
Befürchtung, dass auf Grund des weitaus höheren Betreuungsbedarfs der
Rechtsanspruch nicht überall gewährleistet werden kann (bitte begründen)?

17. Wie viele Plätze in öffentlichen Kindertagesbetreuungseinrichtungen könn-
ten für die veranschlagten Kosten für das Betreuungsgeld von jährlich
1,2 Mrd. Euro finanziert werden auf Basis des KiFöG (Aufteilung der Kos-
ten und des Investitionsbedarfs zwischen Bund-Länder-Kommunen), und
wie hoch würde die U3-Betreuungsquote dann sein (falls möglich bitte nach
Bundesländern differenzieren)?

18. Wie viele Plätze in öffentlichen Kindertagesbetreuungseinrichtungen könn-
ten für die veranschlagten Kosten für das Betreuungsgeld von jährlich
1,2 Mrd. Euro ausfinanziert werden, und wie hoch würde die U3-Betreuungs-
quote dann sein (falls möglich bitte nach Bundesländern differenzieren)?

19. Wie viele Plätze in öffentlichen Kindertagesbetreuungseinrichtungen könn-
ten für die tatsächlich erwarteten Kosten des Betreuungsgeldes auf Grund-
lage der Berechnung des ZEW von jährlich 2 Mrd. Euro finanziert werden
auf Basis des KiFöG (Aufteilung der Kosten und des Investitionsbedarf zwi-
schen Bund-Länder-Kommunen), und wie hoch würde die U3-Betreuungs-
quote dann sein (falls möglich bitte nach Bundesländern differenzieren)?

20. Wie viele Plätze in öffentlichen Kindertagesbetreuungseinrichtungen könn-
ten für die tatsächlich erwarteten Kosten des Betreuungsgeldes auf Grund-
lage der Berechnung des ZEW von jährlich 2 Mrd. Euro ausfinanziert wer-
den, und wie hoch würde die U3-Betreuungsquote dann sein (falls möglich
bitte nach Bundesländern differenzieren)?

21. Auf welcher Datenbasis kommt die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zu
der Erkenntnis, dass die Eltern von 60 Prozent aller Kinder unter drei
Jahren keine staatlich geförderte Betreuung in Anspruch nehmen wollten
(SPIEGEL ONLINE, „Arbeitgeber-Chef nennt Unionspläne absurd“,
24. April 2012), und teilt die Bundesregierung diese Ansicht, die im Um-
kehrschluss bedeutet, dass 40 Prozent aller Eltern eine staatlich geförderte
Betreuung in Anspruch nehmen wollen?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der sich daraus
ergebenden Differenz zu der angestrebten Betreuungsquote von 35 Prozent
(bitte begründen)?

Drucksache 17/9519 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
22. Wie beurteilt die Bundesregierung die unterschiedlichen verfassungsrecht-
lichen Auffassungen bezüglich des Betreuungsgeldes und den sich dies-
bezüglich widersprüchlichen Einschätzungen des Bundesministeriums der
Justiz und des BMFSFJ (bitte begründen)?

Berlin, den 4. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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