BT-Drucksache 17/9413

Mit dem Abzug aus Afghanistan die Voraussetzung für Frieden schaffen

Vom 24. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9413
17. Wahlperiode 24. 04. 2012

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Mit dem Abzug aus Afghanistan die Voraussetzung für Frieden schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die landesweiten Unruhen und Massenproteste mit zahlreichen Toten im Feb-
ruar 2012 sowie das Massaker von Kandahar, bei dem 16 afghanische Zivilis-
ten getötet wurden, sind jüngste Beispiele für die desolate Situation in Afgha-
nistan. Sowohl die Sicherheitslage als auch die gesamtgesellschaftliche Situa-
tion im Land bleiben schlecht. Den „verlorenen Krieg“ fortzuführen, um „einen
Grund dafür zu finden, sich selbst zum Sieger erklären zu können“, wie es der
NATO-Berater und Leiter des Hague Center for Security Studies, Rob de Wijk,
in den „Stuttgarter Nachrichten“ (16. März 2012) formulierte, ist zynisch und
grundsätzlich falsch. Es ist dringend geboten, ISAF zu beenden und die Bun-
deswehr sofort abzuziehen.

Der bisherige Kurs der USA und der NATO-Militärallianz, bis 2014 lediglich
einen Teilabzug von so genannten kämpfenden Einheiten anzuvisieren, greift
zu kurz – er trägt weder zu einer Deeskalation bei, noch werden damit neue An-
reize für dringend erforderliche Friedensgespräche geschaffen. Erstens sollen
die so genannten Ausbildungseinheiten von ISAF aktiv bei militärischen Ope-
rationen der afghanischen Sicherheitskräfte eingesetzt werden. Zweitens wird
ein großer Teil der US-Truppen, vor allem die CIA-Einheiten und andere Spezi-
alkräfte, im Rahmen der Operation Enduring Freedom weiterhin offensive
Operationen und gezielte Tötungen durchführen. Drittens ignorieren die gegen-
wärtigen Planungen in der NATO die ausdrücklichen und jüngst wiederholten
Forderungen des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai nach dem sofortigen
Rückzug der NATO- und US-Truppen in ihre Stützpunkte, der Übergabe der
Gesamtverantwortung für die Sicherheit an die afghanischen Behörden sowie
die Auflösung der US-Militärgefängnisse und der ausländischen privaten Si-
cherheitsdienste. Die Besatzung Afghanistans durch NATO-Truppen lehnen
wir ab. Auf dem NATO-Gipfel am 20./21. Mai 2012 in Chicago muss daher die

Chance für eine grundlegende Abkehr von der bisherigen, falschen Politik er-
griffen werden.

Unabhängig von den Entscheidungen innerhalb der NATO-Militärallianz über
die Zukunft von ISAF hat Deutschland die Verantwortung und die Möglichkeit,
zumindest in seinem Zuständigkeitsbereich die Weichen für eine Verbesserung
der Sicherheitslage zu stellen und eine Friedensperspektive zu schaffen. Das

Drucksache 17/9413 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Abzugsversprechen der Bundesregierung muss jetzt mit Leben erfüllt werden –
nicht erst 2014 oder noch später, sondern 2012. Durch die Fortführung der
deutschen offensiven Militäroperationen und Unterstützungsleistungen für of-
fensive Militäroperationen der afghanischen Streitkräfte und der USA, bis hin
zur indirekten Mitwirkung an gezielten Tötungen, werden die Bemühungen um
eine Deeskalation und einen Friedensprozess blockiert. Die geplante Verlegung
von TIGER-Kampfhubschraubern nach Afghanistan setzt ein Zeichen dafür,
dass die Bundeswehr in den nächsten Jahren sogar noch stärker an Kampfhand-
lungen teilnehmen soll. Dagegen setzt der Abzug der Bundeswehr aus Afgha-
nistan ein deutliches Zeichen für die Beendigung des Krieges, der in den ver-
gangen zehn Jahren zehntausende Zivilisten, tausende Soldatinnen und Solda-
ten sowie zahlreiche zivile Helferinnen und Helfer das Leben gekostet hat. Die
bislang für die Militärintervention gebundenen Mittel von mehr als 1 Mrd. Euro
pro Jahr müssen im Rahmen einer verlässlichen und nachhaltigen Partnerschaft
mit Afghanistan für den Aufbau ziviler, selbstbestimmter Strukturen und der
wirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung gestellt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf dem NATO-Gipfel die Aufhebung des 2001 festgestellten Bündnisfalls
nach Artikel 5 des NATO-Vertrages zu beantragen;

2. sich auf dem NATO-Gipfel dafür einzusetzen, dass die NATO einen ver-
bindlichen Plan für den schnellstmöglichen Abzug aller Truppen vorlegt;

3. keine weiteren Waffensysteme aus Deutschland nach Afghanistan zu verle-
gen, die deutsche Beteiligung an ISAF zu beenden, darüber die NATO-Part-
ner zu informieren und unverzüglich einen verbindlichen Plan für den sofor-
tigen Abzug des deutschen Einsatzkontingents in 2012 vorzulegen;

4. sofort jegliche Mitwirkung an gezielten Tötungen in Afghanistan und Pakis-
tan einzustellen und sich auf dem NATO-Gipfel für eine sofortige Beendi-
gung der Praxis der gezielten Tötungen durch die NATO einzusetzen.

Berlin, den 24. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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